Wie weiter mit Bachelor und Master?Reform der Bologna-Reform
Besonders beim Bachelor soll sich einiges ändern, wenn es nach HRK und KMK geht. Einiges ist positiv, die gewünschte Flexibilisierung des Kapazitätsrechts hat aber ihre Gefahren.
Was für eine Geduldsprobe. Vor über zwei Monaten hatte die Süddeutsche Zeitung (SZ) mit der Nachricht für Aufsehen gesorgt, die Kultusministerkonferenz (KMK) und die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) hätten ein beschlussreifes Papier in petto, das Nachbesserungen beim Bachelor-Studium vorsehen würde. Man wolle weg kommen von den vielen Prüfungen, dem permanenten Notendruck, den Studierenden mehr Freiräume zur Orientierung geben und das Studium insgesamt „entschleunigen“. Das Wenige, was das Blatt über das Konzept berichtete, klang vielversprechend und machte Lust auf mehr.
Aber es kam erst einmal nichts nach. Ohne offizielle Begründung wurde die vorgesehene Beschlussfassung von der Tagesordnung der KMK-Sitzung vom 12. Mai genommen. Wie Studis Online damals aus HRK-Kreisen erfuhr, sollten zunächst weitere Präzisierungen vorgenommen werden. Dafür nahm man sich zwar allerhand Zeit, letztlich aber doch nicht so viel, wie angekündigt. Eigentlich sollte die Vorlage erst beim nächsten KMK-Amtscheftreffen im September behandelt werden, also dann, wenn die Politik aus dem Urlaub zurück ist. Aber der Fahrplan wurde noch einmal gekippt, mit dem Ergebnis, dass man die Veröffentlichung der Reformvorschläge punktgenau ins Sommerloch platzierte.
Medialer Einheitsbrei
Entsprechend war dann auch das Medienecho. Seit fast einer Woche geistert ein Bericht der Deutschen Presse-Agentur (dpa) durch die Gazetten, der die Empfehlungen von KMK und HRK in listenform und reichlich oberflächlich abgecheckt und kritiklos in den Raum stellt. Selbst die sonst so auf Eigenrecherche bedachte SZ ebenso wie SPIEGEL ONLINE griffen auf die journalistische Stangenware zurück. Lediglich der Berliner Tagesspiegel ließ sich zu einem kritischen Einwand hinreißen und rief in Erinnerung, dass die Vorschläge „allesamt bereits in den Reformbeschlüssen von 1999 oder in Nachbesserungen angelegt“ wären.
Auch Andreas Keller, stellvertretender Vorsitzender der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), erkennt „wenig Neues“ in dem Papier. Im Kern werde darin auf „bereits 2009 unter dem Druck der Bildungsstreiks gelockerte Strukturvorgaben für Bachelor- und Masterstudiengänge verwiesen und an die Hochschulen appelliert, diese endlich umzusetzen“. Wie er gegenüber Studis Online erklärte, würden „zentrale Probleme der Bologna-Reformen“ gar nicht angesprochen, etwa die Hürden beim Übergang vom Bachelor- zum Master. Dabei fehlten nicht nur viele Master-Studienplätze, viele Hochschulen behielten sich ausdrücklich vor, die Eignung von Bachelor-Absolventen zu prüfen. „Leider ist das kein Thema bei KMK und HRK“, beklagte Keller und bilanzierte: „Als Tiger gestartet, als Bettvorleger gelandet.“
„Employability“ über alles
Enttäuscht ist auch Nicole Gohlke von der Bundestagfraktion der Partei Die Linke. Wie sie im Gespräch mit Studis Online monierte, blieben die größten Baustellen unangetastet, „nämlich die Zweiteilung des Studiums mit neuen, harten Zugangshürden zum Master-Studium sowie die Orientierung auf die kurzfristigen Interessen des Arbeitsmarktes“. Dabei resultiere aus der Fixierung auf die sogenannte Empolyability, die nur auf das Ausführen des zukünftigen Jobs abziele, und der starken Fokussierung auf Drittmitteleinwerbung „das Problem, dass wichtige gesellschaftliche Fragestellungen wie Ungleichheit, Klimawandel oder Fluchtursachen an den Hochschulen kaum mehr eine Rolle spielen“.
Ob alt oder neu, das was KMK und HRK an Vorschlägen zur Verbesserung der Situation von Bachelor-Studierenden machen, hört sich ohne Frage gut an. So soll etwa die Regelstudienzeit nicht mehr so strikt ausgelegt werden. Statt der üblichen sechs Semester sollten auch acht Semester bis zum ersten Abschluss zulässig sein. Ferner soll die Anfertigung von Projektarbeiten entsprechend „fachspezifischer Besonderheiten“ zwei oder mehr Semester dauern können. Überhaupt sollen Studienverläufe individueller gestaltet werden dürfen. Es soll leichter werden, ein Teilzeit-, Fern- oder berufsbegleitendes Studium zu absolvieren, auch die Möglichkeiten zum „Studieren mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten“ sollen ausgebaut werden.
„Relative Noten“
Auch in punkto Notenvergabe raten KMK und HRK ein Umdenken an. So sollen Bachelor-Zeugnisse neben der absoluten Note einen „Prozentrang im Spektrum aller vergebenen Noten einer bestimmten Absolventenkohorte“ anzeigen. Daraus würde ersichtlich, wie ein Absolvent im Vergleich mit seinen Kommilitonen abgeschnitten hat. Von diesem „System relativer Noten“ verspricht man sich mehr „Transparenz“, „Fairness“ und „Chancengleichheit“ insbesondere im Rahmen der Zulassung zu Master-Studiengängen.
Vor allem aus den ersten beiden Fachsemestern soll ein Stück weit der Druck genommen werden. Die Anzahl der Prüfungen soll reduziert werden und selbst der Verzicht auf Noten wird ernsthaft erwogen. So müssten die Hochschulen nicht mehr zwingend die Zensuren aus den ersten beiden Semestern auf die Endnote anrechnen, auch „bestanden“ oder „nicht bestanden“ könnten reichen. So will man Studierenden zum Studienbeginn Zeit geben, sich in den Unibetrieb einzufinden, ohne immer an das Abschlusszeugnis denken zu müssen. Ben Seel, Vorstandsmitglied im bundesweiten Dachverband der Student*innenschaften fzs, begrüßt es, dass der Notendruck reduziert werden soll. Den relativen Noten kann er jedoch nicht viel abgewinnen und erläutert: „Da Studierende immer unterschiedlich studieren, unterschiedliche Kurse mit unterschiedlichen Lehrenden besuchen und die Notenvergabe subjektiv bleibt, macht Vergleichbarkeit zur Fantasie. Relative Noten bleiben aussagelos und verschärfen lediglich das Gefühl von Konkurrenzdruck unter den Studierenden. Dieser Vorschlag bleibt Unfug, wie es selbst der Vizepräsident der HRK, Prof. Dieter Lenzen, einräumt."
Zeit für „ethische Reflexion“
Verheißungsvoll klingt das, was die federführenden Funktionäre über ihr Vorhaben zum Besten geben. So sinnierte jüngst HRK-Vizepräsident Holger Burckhart öffentlich über eine Wiederbelebung des „Studium Generale“. Man wolle den Studierenden „bis zu zehn Prozent des Studiums“ an Freiraum geben „für interdisziplinäre Studien oder für ethische Reflexion oder für gesellschaftliche Reflexion“. Drei Jahre bis zur Bachelor-Prüfung, das lasse doch kaum Raum „für die nötige erste Orientierung, für Blicke über das eigene Fach hinaus, für Praktika oder Auslandssemester“, findet auch HRK-Chef Horst Hippler. Wer mit dem Bachelor in den Beruf starten will, sollte aber „entsprechende Möglichkeiten im Studium gehabt haben“.
Noch einmal: Viele ihrer „neuen“ Vorschläge haben KMK und HRK schon jahrelang auf dem Zettel. Bislang haperte es lediglich an der praktischen Umsetzung. Wie aber stellt man es jetzt an, dass die Dinge endlich in Bewegung geraten? Hier kommt das Sommerloch ins Spiel. Tatsächlich findet sich unter den vielen schönen Bekenntnissen der Kultusminister und Rektoren eines, das in der Medienrezeption völlig untergegangen ist. Unter Punkt drei „Kapazitätsrecht“ heißt es, man rege an, dieses „im Dialog zwischen Ländern und Hochschulen unter Berücksichtigung der einschlägigen Rechtsprechung weiter auszuloten und voranzubringen“. So erforderten die veränderten Bedingungen im Rahmen der Bologna-Reform „auf Seiten der Hochschulen Flexibilisierungen bei der Kapazitätsermittlung und -festsetzung“.
Flexible Kapazitäten – hochbrisant!
GEW-Hochschulexperte Keller hält die Pläne für „hochbrisant“. Damit solle den Hochschulen offenbar die Handhabe gegeben werden, sich ihre Studierenden selbst auswählen und „willkürlich Bewerberinnen und Bewerber abweisen zu können, obwohl Studienplätze unbesetzt sind“. Der GEW-Vize weiter: „Die HRK scheint die KMK in dieser Frage über den Tisch gezogen zu haben. Ich kann nur davor warnen, das Grundrecht auf freie Hochschulzulassung ohne Not zur Disposition zu stellen.“
Alarmiert ist auch Gohlke von der Linkspartei. „Die Flexibilisierung des Kapazitätsrechts sehe ich äußerst kritisch“, befand die hochschulpolitische Sprecherin ihrer Fraktion im Bundestag. „Den Mangel an Lehrpersonal oder an ausfinanzierten Studienplätzen löst man nicht, indem sich die Hochschulen zukünftig noch stärker als bisher ihre Studierenden aussuchen und ihre Kapazitäten ermitteln und festlegen.“ Stattdessen brauche es „eine längst überfällige bedarfsorientierte Finanzierung und den Ausbau der Hochschulen“, so Gohlke.
Miese Betreuungsrelation
Die Kapazitätsverordnung ist kompliziert und man kann darüber schimpfen – aber sie gewährleistet zumindest mit ausreichend Wartezeit das Recht auf einen Studienplatz und zwingt die Hochschulen, ihre Kapazitäten soweit wie möglich auszuschöpfen.
Die sogenannte Kapazitätsverordnung (KapVO) ist den Hochschulen schon lange ein Dorn im Auge. Im Kern legen die Bundesländer damit die Betreuungsrelation zwischen Lehrenden und Lernenden in zulassungsbeschränkten Studiengängen fest. Das geschieht in einem komplizierten Verfahren, bei dem anhand des sogenannten Curricularnormwerts (CNW) ermittelt wird, wie viele Deputatstunden für die Ausbildung eines Studenten in einem bestimmten Studiengang erforderlich sind. Historischer Ausgangspunkt war das berühmte Numerus-clausus-Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1972, mit dem Karlsruhe einen prinzipiellen Anspruch aller Studienbewerber auf einen Studienplatz formulierte. Um diesem Ziel näher zu kommen, mussten die Hochschulen in der Folge ihre Kapazitäten voll ausnutzen und allerorten gemäß Gleichbehandlungsgrundsatz einheitliche Studienbedingungen sicherstellen.
Faktisch läuft die Regelung auf die Formel hinaus: Je mehr Lehrende, desto mehr Studierende. Allerdings gibt es keine starren Relationen, nach dem Motto: Mehr als zehn Studierende auf einen Professor geht nicht. Maßgebend ist, dass das Verhältnis einheitlich ist und nicht an der einen Uni mehr und an der anderen weniger Bewerber zum Zug kommen. Weil die Hochschulen hierzulande seit über einem Jahrzehnt förmlich überrannt werden, haben sich die Betreuungsrelationen flächendeckend verschlechtert. So kamen zuletzt auf einen Professor im bundesweiten Mittel 63 Studierende, während es zehn Jahre davor noch 54 waren.
Qualität statt Planwirtschaft?
Was folgt daraus? Weil die Hochschulen chronisch unterfinanziert sind und auch kurzfristig mobilisierten Mittel des sogenannten Hochschulpaktes mit dem Andrang nicht annährend gerecht werden, studiert es sich heute zu schlechteren Bedingungen als vor einem Jahrzehnt. Die KapVO hat das nicht verhindert, trug aber immerhin dafür Sorge, dass heute überhaupt so viele Menschen studieren. Unterlägen die Hochschulen nicht den staatlichen Vorgaben und könnten frei über ihr Studienplatzangebot bestimmen, gäbe es heute Hundertausende weniger Studierende – dann allerdings wohl auch zu besserer Qualität. So jedenfalls geht die Argumentation der Hochschulen, die die KapVO praktisch seit dem Tage ihrer Einführung als ein planwirtschaftliches Relikt verdammen.
„Neu ist nun, dass auch die KMK in die Kritik einstimmt und den Hochschulen die Möglichkeit eröffnen möchte, ihre Ausbildungskapazitäten selbst festzulegen“, gab Keller von der GEW zu bedenken. Bisher galt die KapVO der Politik stets als eine Art heilige Kuh. Ohne sie wäre es nichts geworden mit der seit 2000 forcierten Hochschulexpansion, bei der es darum ging, zum Wohle der deutschen „Wettbewerbsfähigkeit“ und wegen des vermeintlichen „Fachkräftemangels“ möglichst schnell möglichst viele Jugendliche an die Unis zu schleusen.
Kampf dem „Akademikerwahn“ …
Jetzt, da sogar Teile der Industrie über den Overload an Akademikern klagen, Bachelor-Absolventen die Berufseignung absprechen und inzwischen fast jeder dritte Bachelor-Student das Studium abbricht, hat offenbar ein Umdenken eingesetzt. Weil Qualität bei maximaler Quantität und mangelnder Bereitschaft, in großem Stil in die Hochschulen zu investieren, nicht zu haben ist, könnte die Devise demnächst lauten, die begrenzten Mittel auf weniger zu verteilen. Die dazu passende Marketing-Kampagne ist auch längst angelaufen. Bei weniger Studierenden gäbe es ziemlich sicher bald wieder mehr Azubis, über deren Mangel sich vor allem das deutsche Handwerk beklagt. So ließe sich der Hochschulrückbau trefflich als Kampf gegen den „Akademisierungswahn“ verkaufen.
Nachfragen durch Studis Online bei KMK und HRK-Vize Burckhart, worauf die avisierte „Flexibilisierung“ des Kapazitätsrechts hinauslaufen könnte, blieben bis Donnerstag unbeantwortet. So kann nur spekuliert werden. Dass die Politik den Hochschulen demnächst völlig freie Hand lässt, über das Volumen an Zulassungen zu entscheiden, lässt sich ausschließen. Damit würde das System in Kürze vor die Wand gefahren. Denkbar wären aber Kapazitätsverschiebungen im Studienverlauf. Zum Beispiel derart, dass das erste Studienjahr für alle barrierefrei bleibt, dann aber vorm dritten Semester knallhart ausgesiebt wird. Dazu könnten auch die propagierten „Freiräume“ für Semester eins und zwei passen. Nur jene, die mit der neuen Locker- und Beschaulichkeit klarkommen und darüber das Studieren nicht vergessen, könnten am Ende den Schnitt schaffen und weiter Richtung Abschluss streben. Das hätte daneben den Vorzug, dass die Abschusskandidaten dem Staat nur ein Jahr auf der Tasche liegen würden und nicht als laufender Kostenfaktor weiter durchs System geschleift werden müssten.
Klasse statt Masse
Wer den Sprung über die Hürde schafft, würde dann freilich mit höherer Qualität belohnt, sprich mit mehr und besserer Betreuung. Passend dazu auch die Vorstellungen von HRK-Vize Burckhart, der zugleich Rektor der Uni Siegen ist. „Generellere Studienangebote in den ersten beiden Semestern“, fachliche Orientierung im dritten und vierten, Vertiefung im fünften Semester – dann sollten die Studenten entscheiden, ob sie einen Abschluss machen und als Bachelor in einen Beruf gehen oder aber weiterstudieren wollen.
Sandro Philippi, Vorstandsmitglied im freien zusammenschluss von student*innenschaften befürchtet jedoch: „Die angekündigte Flexibilisierung des Kapazitätsrechts könnte die Rechte von Studierenden einschränken und die Hochschulen weiter abschotten.“ Schon heute dürften Hochschulen mehr Studienplätze anbieten, als nach Kapazitätsrecht vorgegeben. Wenn die Hochschulen hier eine Änderung wollten, bedeute dies nur eines: „(es) sollen weniger Studienplätze und damit höhere Hürden geschaffen werden können als Kapazitäten da sind.“ Auch Keller von der GEW ist bange: „Exzellente Forschungsuniversitäten sollen sich die Masse an Studienberechtigten vom Hals halten und die Studierenden aussuchen können, die zu ihrem Profil passen.“
(rw)