Tag der EinbildungKampagne mit doppeltem Boden
Was denn? Den „Tag der Bildung“ gab`s noch gar nicht? Dann wurde es aber mal höchste Eisenbahn. Schließlich leben wir in der „Bildungsrepublik“, da sollte so was Pflicht sein. Zum Glück hat endlich einer den blinden Fleck im deutschen Gedenk-, Ehren- und Feiertagskalender ausgecheckt und ausgelöscht. Dem Stifterverband der Deutschen Wissenschaft, den SOS-Kinderdörfern und der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung (DKJS) gebührt Dank: Seit gestern und für alle Ewigkeiten ist der 8. Dezember der „Tag der Bildung“.
Geliebte Bildung mit unterschiedlichen Interessen.
Die Auftaktveranstaltung stieg am Dienstag im F.A.Z.-Atrium in Berlin, Sitz der Redaktion der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (FAS) und „Ort der klugen Köpfe“. Erster Güte waren auch die Redebeiträge: „Bildung ist kein Luxusthema“, meinte Elke Völmicke, Geschäftsführerin des Talentförderzentrums Bildung und Begabung. „Es geht um Ermutigung für jeden einzelnen jungen Menschen und um gleiche Bildungschancen für alle, genauer: um ein Bildungssystem, in dem Gleichheit der Bildungschancen besteht und jedes Kind so weit gefördert wird, dass es in der Lage ist, seine Chancen tatsächlich wahrzunehmen.“ Wer wollte da widersprechen.
Reichlich Blabla
Mit von der Partie war auch allerhand Prominenz aus Politik, Kultur, Wirtschaft und Wissenschaft, darunter Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (SPD) und Brunhild Kurth (CDU), Sächsische Staatsministerin für Kultur und amtierende Vorsitzende der Kultusministerkonferenz (KMK). Auf der Webseite zum Event schreibt Schwesig, „Bildung ist ein Kinderrecht. Bildung macht unsere Kinder stark (…) – sie macht uns gemeinsam stark“. Kurth setzt noch einen drauf und deklamiert, „Bildung ist ein bedeutender Bestandteil unseres Menscheins“. Wer wollte da widersprechen.
Beide Politikerinnen fungieren als sogenannte Bildungsbotschafter, wovon es eine ganze Menge gibt. Etwa Ex-SPD-Chef Kurt Beck, Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) oder Jörg Dräger, Vorstandsmitglied bei der Bertelsmann Stiftung und Geschäftsführer beim Centrum für Hochschulentwicklung (CHE). Das CHE plädiert für Studiengebühren, pusht die „unternehmerische Hochschule“ und begreift Hochschulen als Forschungsabteilungen der deutschen Industrie. In seinem Statement zum „Tag der Bildung“ lässt Dräger das nicht durchblicken. Stattdessen dies: „Bildung ist Zukunft: für die persönliche Entwicklung, für gesellschaftliche Teilhabe, für mehr Chancen am Arbeitsmarkt. Bildung geht uns alle an.“ Wer wollte da widersprechen.
Pinkwart spricht Klartext
„Bildungsbotschafter“ ist auch Andreas Pinkwart (FDP), ehemaliger Wissenschaftsminister von Nordrhein-Westfalen und heute Leiter der privaten HHL Leipzig Graduate School of Management. Dort werden für einen Master of Business Administration (MBA) knapp 30.000 Euro fällig. Pinkwart hatte als Minister an Rhein und Ruhr allgemeine Studiengebühren durchgesetzt und gilt als Miterfinder des sogenannten Deutschlandstipendiums. Zweck dieses privat-staatlichen Programms für Studierende mit „herausragenden Leistungen“ ist es, die öffentliche Förderung nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) zurückzudrängen und die Freiräume für privatwirtschaftliches Engagement in der Studien- und Hochschulfinanzierung auszubauen.
Immerhin macht Pinkwart keinen Hehl aus seinen Ansichten. „Der akademische Nachwuchs hat Deutschland als große Wissenschaftsnation wiederentdeckt“, freut er sich in einer Stellungnahme, mäkelt aber zugleich über den („relativ gesehen“) rückläufigen Anteil privater Drittmittel an der Hochschulfinanzierung und „einen absoluten Rückgang“ bei den Stiftungsprofessoren. Woraus er schließt: „Es ist also keine Abhängigkeit von der Wirtschaft entstanden, wie manchmal behauptet wird. Ich wünsche mir vielmehr, dass sich Unternehmen wieder stärker engagieren, gerade in einer Zeit schneller technologischer Veränderungen.“
DGB macht mit
Dem müsste widersprochen werden, zum Beispiel durch Reiner Hoffmann, Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) und ebenfalls „Bildungsbotschafter“. Die deutschen Gewerkschaften stehen eigentlich für einen offenen, universellen Ansatz in punkto Bildungszugang und -partizipation, der weit über das effizienzversessene, auf die Verwertbarkeit von „Humankapital“ gerichtete Konzept der Wirtschaft und ihrer politischen Zuarbeiter hinausgeht. Hoffmann äußert sich auch genauso: „Bildung ist ein Menschenrecht und Grundpfeiler der Demokratie. Sie muss kulturelle, demokratische und soziale Teilhabe für alle Menschen sichern.“
Das kann man ihm durchaus abnehmen. Aber warum macht sich Deutschlands oberster Gewerkschafter an einem sogenannten Tag der Bildung mit Kräften gemein, die Bildung in Begriffen wie „Investment“, „Kostenfaktor“ und „Profitmaximierung“ denken? Dazu gehört auf alle Fälle die FDP, deren Generalsekretärin Nicole Beer am Dienstag ebenso in Erscheinung treten durfte wie Wolfgang Kubicki, Fraktionschef der Freidemokraten im Kieler Landtag und – was auch sonst – „Bildungsbotschafter“. Er steuerte den Satz bei: „Kern einer guten Bildungspolitik muss die Stärkung der Eigenverantwortung unserer Kinder sein, damit diese zu mündigen selbstbewussten Bürgern unserer Gesellschaft werden können.“
„Weltbeste Bildung“
Auch das klingt erst einmal prima. Allerdings heißt „Eigenverantwortung“ im FDP-Verständnis, sich loszumachen von den vermeintlichen Fesseln staatlicher Bevormundung und als Teilnehmer im freien Spiel der Marktkräfte seinen Platz zu finden. Der Begriff bedeutet übersetzt Deregulierung, Entstaatlichung, Steuersenkungen. Dasselbe gilt für „Freiheit“ und FDP-Frau Beer griff dann auch zielsicher zum Pathosholzhammer: „Bildung ist der Schlüssel zur Freiheit“, verkündete sie in einer Pressemitteilung und verbat sich jede falsche Bescheidenheit: „Deshalb streben die Freien Demokraten weltbeste Bildung für ganz Deutschland an.“ Das toppt sogar die von der Kanzlerin proklamierte „Bildungsrepublik Deutschland“.
Aber genau darum ging es gestern ja auch: Große Geste, hehre Worte – und nix dahinter. Jedenfalls nichts, was inhaltlich zusammenpassen würde. Man schaue sich nur die Initiatoren an. Der Stifterverband der Deutschen Wissenschaft ist eine „Gemeinschaftsinitiative der Wirtschaft“, in der laut Eigendarstellung „3.000 Unternehmen, Unternehmensverbände, Stiftungen und Privatpersonen“ zusammengeschlossen sind, um die „deutsche Bildungs- und Forschungslandschaft nachhaltig zu verbessern. In dem Verein ist das Who-is-Who der deutschen Industrie versammelt, zu seinen Hauptsponsoren zählen Daimler, Bosch und – nicht zuletzt – die Deutsche Bank.
Tonnenweise Zuckerguss
Es gibt Leute, die Deutschlands führende Skandalbank wegen ihrer exzessiven Finanzspekulationen und weltweiten Verstrickung in zahllose krumme Geschäfte für eine kriminelle Vereinigung halten. Zum Beispiel sorgt sie mit ihren Beteiligungen an Landraubprojekten in Südamerika dafür, dass Bauern und ihren Familien die Existenzgrundlage entzogen wird. Kann man mit solchen Partnern glaubwürdig für „gleiche Bildungschancen für alle“ aktiv werden? Dass sich ausgerechnet eine Hilfsorganisation wie die SOS-Kinderdörfer für eine Kampagne einspannen lässt, die solche Zusammenhänge mit tonnenweise Zuckerguss übertüncht, lässt tief blicken.
Oder: Die deutsche Wirtschaft hat mit ihrer Einflussmacht in den vergangenen zwei Jahrzehnten massive Steuerentlastungen für Konzerne, Unternehmen sowie Besser- und Spitzenverdiener ins Werk gesetzt. Die Folgen der damit einhergehenden öffentlichen Kürzungspolitik sind heute allenthalben sichtbar. In der Kinder- und Jugendhilfe, in Kindergärten, Schulen, an den Unis – überall fehlt es massiv an Geld. Das weiß man auch bei der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung (DKJS). Geschäftsführerin Heike Kahl hält das trotzdem nicht davon ab, sich als Mitinitiatorin am „Tag der Bildung“ mit Protagonisten vor dem Brandenburger Tor ablichten zu lassen, die publikumswirksam über Bildung schwadronieren und hinter den Kulissen den Abbau sozialstaatlicher Errungenschaften forcieren.
Studiengebühren im Anflug?
Wie Studis Online in Erfahrung brachte, ist die DKJS sogar die Schöpferin der Kampagne. Die SOS-Kinderdörfer und der Stifterverband konnten als Partner hinzugewonnen werden, wobei letzterer mit seiner PR-Maschine erst für den richtigen Drive gesorgt haben soll. Es war also nicht einmal der Stifterverband, der sich zwei Vorzeigemitstreiter mit reichlich Goodwill-Renommee zur Staffage an Land gezogen hat. Es war umgekehrt: Der Kleine hat beim Großen angeklopft, der sich dann nicht zweimal bitten ließ und „Bildung“ einen Tag lang an die ganz große Glocke hängen durfte – Pardon: den ganz großen Flieger. Ein türkisfarbener „Bildungsflieger“ ist nämlich Symbol der Kampagne und mögliche Deutungen gibt es viele: „Bildung verleiht Flügel“, „Überflieger“ oder „Sturzflieger“.
Immerhin soll es nicht das letzte Mal gewesen sein. „Die drei Initiatoren wollen den Tag der Bildung alljährlich als festen Termin etablieren, um dem Thema Bildung damit regelmäßig höchstmögliche Aufmerksamkeit zu sichern.“ Außerdem will man „überparteiliche Fürsprecher in den Parlamenten“ suchen und den Tag in „absehbarer Zeit auch auf europäischer Ebene etablieren“. Bis zum nächsten Mal sollen ferner „Handlungsfelder und wirksame Lösungsideen“ identifiziert werden. Zudem denke man über neue Wege der Bildungsfinanzierung nach. „Wir wollen die teils emotional stark aufgeladenen Debatten rund um das Thema Bildung versachlichen und ins Handeln kommen“, befand in diesem Zusammenhang DKJS-Chefin Kahl. Nur zur Erinnerung: Der Stifterverband findet Studiengebühren ganz klasse. (rw)