Wettbewerberitis um FördermillionenWarum der Qualitätspakt Lehre nicht die Lösung ist
Ideen sind gefragt bei guter Lehre. Allerdings muss auch die Grundausstattung gut genug sein – denn ohne genug Personal ist Lehre einfach nicht sinnvoll möglich.
Studis Online: Der sogenannte Qualitätspakt Lehre geht in die nächste Runde. Am 6. November hat die von Bund und Ländern getragene Gemeinsame Wissenschaftskonferenz (GWK) die 156 Hochschulen benannt, die in der zweiten Förderphase von 2017 bis 2020 mit Bundesmitteln in Höhe von insgesamt 820 Millionen Euro für Projekte zur Verbesserung der Betreuung von Studierenden und der Qualität der Lehre bedacht werden. In den Medien wurden vorwiegend die Sieger und die ihnen zustehenden Fördergelder behandelt. Kritische Töne waren praktisch nicht zu vernehmen. Wie stehen Sie zu dem Projekt?
Andreas Keller: Zunächst einmal gratuliere ich allen Hochschulen, die beim Qualitätspakt mit ihren Projekten zum Zuge kommen. Die Förderung kann dazu beitragen, dass innovative Studienreformprojekte vor Ort in Gang kommen. Davon können auch Studierende profitieren. Problematisch bleibt aber, dass der Qualitätspakt kein Instrument ist, das in der Breite wirkt. Gefördert werden einzelne Leuchtturmprojekte, die sich in einem wettbewerblichen Verfahren durchgesetzt haben.
Mit dem Projekt löste die frühere Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) das Versprechen der ersten nationalen Bologna-Konferenz im Jahr 2010 ein, neben der Forschung auch verstärkt in die Lehre zu investieren. Kritiker hielten das damals nur für eine Beruhigungspille für die zu dieser Zeit noch recht schlagkräftige Bildungsstreik-Bewegung. Würden Sie sagen, es ist mehr daraus geworden?
Der Qualitätspakt Lehre ist die Antwort auf die Kritik an der Exzellenzinitiative, die ausschließlich die Spitzenforschung an Universitäten fördert. Tatsächlich aber wird für die Exzellenzinitiative nach wie vor deutlich mehr Geld ausgegeben als für den Qualitätspakt: Nämlich knapp fünf Milliarden Euro, während es für den Qualitätspakt bloß rund zwei Milliarden Euro über einen Zeitraum von zehn Jahren sind. Das ist sicher kein Pappenstiel, aber der Wissenschaftsrat hat für die Verbesserung der Qualität der Lehre nicht weniger als 1,1 Milliarden Euro zusätzlich gefordert – pro Jahr und das auf Dauer.
Sie sprachen es an: Gemeinsam haben die Exzellenzinitiative und der Qualitätspakt, dass Fördermittel in beiden Fällen im Rahmen eines Wettbewerbs um, wie es heißt, die besten und innovativsten Konzepte vergeben werden. Ihnen missfällt dieser Ansatz?
Unser Interviewpartner Andreas Keller ist stellvertretender Vorsitzender der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) und im Hauptvorstand verantwortlich für den Organisationsbereich Hochschule und Forschung.
Beim Qualitätspakt stand das Leitbild der Exzellenziniative Pate, ausgewählte Leuchttürme zu fördern. Gerade die Bologna-Reformen setzen aber voraus, dass die Qualität von Lehre und Studium und die Betreuung der Studierenden in jedem einzelnen Studiengang verbessert werden – also in der Fläche und auf lange Sicht. Und eben nicht nur zeitlich begrenzt auf auserlesenen Inseln.
Erklärte Ziele des Programms sind eine „bessere Personalausstattung von Hochschulen, ihre Unterstützung bei der Qualifizierung bzw. Weiterqualifizierung ihres Personals sowie die Sicherung und Weiterentwicklung einer qualitativ hochwertigen Hochschullehre“. Sehen Sie diese Vorgaben verwirklicht, zumindest dort, wo Gelder hingeflossen sind?
Der Qualitätspakt hat zweifellos dazu beigetragen, dass die Qualität der Lehre in der strategischen Ausrichtung von Hochschulen wieder einen höheren Stellenwert bekommen hat. Die Gefahr ist aber groß, dass die Projekte wie Strohfeuer erlöschen, sobald der Geldhahn aus dem Qualitätspakt nach fünf Jahren zugedreht wird.
Aber haben Sie Kenntnis, dass das Programm tatsächlich zu einer besseren Personalausstattung vor Ort geführt hat? Das müsste sich doch in einschlägigen Statistiken niederschlagen.
Ein Großteil der Personalmaßnahmen setzt nicht in der Lehre, sondern in Verwaltung, Beratung, Betreuung und beim Wissenschaftsmanagement an. Auch weil die geförderten Projekte explizit nicht die Lehrkapazität erhöhen sollen. Der Pakt hat daher nicht dazu beigetragen, die Betreuungsrelationen an den Hochschulen zu verbessern. Nach einer neueren Analyse des Centrums für Hochschulentwicklung (CHE) kommen inzwischen auf eine Professorin bzw. einen Professor 63 Studierende. Vor zehn Jahren lag das Betreuungsverhältnis noch bei eins zu 54.
Immerhin ist laut CHE mit den gestiegenen Studierendzahlen der akademische Mittelbau kräftig gewachsen. Wie bewerten Sie das unter dem Gesichtspunkt der proklamierten „Qualitätsoffensive“?
Während die Zahl der Hochschullehrerinnen und Hochschullehrer seit Jahren stagniert, wächst die Zahl der wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter stark an. Inzwischen gibt es mit über 170.000 viermal mehr als Professuren. Das ist zum einen auf den anhaltenden Trend zur Halbierung, Drittelung oder gar Viertelung von Stellen zurückzuführen. Dabei sorgt die Zwangsteilzeit für eine wundersame Vermehrung von Köpfen bei gleichbleibendem Stellenplan. Zum anderen sorgt der stetige Anstieg an Drittmitteln – durch die von Bund und Ländern finanzierte Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), aber eben auch mittels Exzellenzinitiative, Qualitätspakt Lehre oder Qualitätsoffensive Lehrerbildung – für die Einstellung von immer mehr Drittmittelpersonal. Da Drittmittel und Pakte stets befristet sind, wird die finanzielle Unsicherheit an die Beschäftigten weitergegeben. Dass heute neun von zehn wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern einen Zeitvertrag haben, ist auch eine Folge der wachsenden Drittmittelfinanzierung.
Passend dazu hat das Statistische Bundesamt in der Vorwoche vermeldet, dass die Drittmittelausstattung der deutschen Hochschulen eine neue Rekordhöhe erreicht hat. Demnach hat 2013 ein Uniprofessor rund 255.000 Euro an Zuwendungen von öffentlichen Forschungsförderern, Stiftungen und Privatunternehmen eingeworben. 2012 waren es noch fünf Prozent weniger. Ihr Urteil?
Der Löwenanteil der Drittmittel kommt ja nicht von Unternehmen oder Stiftungen, sondern von Bund und Ländern – direkt oder indirekt über Forschungsförderorganisationen wie die DFG. Während die Länder mehr und mehr überfordert sind, eine angemessene Grundfinanzierung der Hochschulen zu gewährleisten, geizen sie gemeinsam mit dem Bund nicht, die Drittmittelförderung in die Höhe zu schrauben. Damit wird nicht nur systematisch die Beschäftigung an den Hochschulen destabilisiert, sondern es wird auch die akademische Freiheit unterminiert. Wer heute als Wissenschaftlerin oder Wissenschaftler reüssieren oder als Hochschule überleben will, muss Drittmittel einwerben, koste es was es wolle. Welche Fragestellungen erforscht, welche Schwerpunkte gesetzt werden, das wird zunehmend nach Maßgabe der Drittmittelprogramme entschieden.
Immerhin deutet die Bundesregierung bei der Frage der exzessiven Befristungen von Nachwuchswissenschaftlern Besserung an. Eine von Bildungsministerin Johanna Wanka (CDU) eingebrachte Novelle des fraglichen Wissenschaftszeitvertragsgesetzes (WissZeitVG) ist so gut wie beschlussreif. Ihnen geht das Vorhaben aber nicht weit genug …
Mit dem Wissenschaftszeitvertragsgesetz kann man zwar nicht den von Bund und Ländern erzeugten Paradigmenwechsel in der Hochschulfinanzierung neutralisieren – die Grundfinanzierung stagniert, Drittmittel- und Projektfinanzierung werden ausgebaut. Aber eine Reform des Gesetzes kann gegensteuern, etwa indem die Laufzeit von Zeitverträgen an die Laufzeit der Projekte gebunden wird. Derzeit hat über die Hälfte der Zeitverträge eine Laufzeit von unter einem Jahr, dabei dauern die meisten Projekte drei, vier oder fünf Jahre an. Oder indem das wissenschaftsunterstützende Personal in Technik und Verwaltung aus dem Geltungsbereich des Gesetzes ausgenommen wird. Das sieht ja der Regierungsentwurf bereits vor, aber die Wissenschaftsarbeitgeber laufen dagegen Sturm. Insgesamt geht der Gesetzentwurf der Bundesregierung durchaus in die richtige Richtung, aber die vorgeschlagenen Regelungen sind zu vage und unbestimmt. Er enthält zu viele Schlupflöcher, die findige Arbeitgeber nutzen werden, um das Befristungsunwesen an Hochschulen und Forschungseinrichtungen fortzusetzen. Deshalb muss der Gesetzentwurf gründlich überarbeitet werden: Dauerstellen für Daueraufgaben, verbindliche Mindestlauzeiten für Zeitverträge, Anspruch auf Qualifizierung in der Arbeitszeit, verbindliche Ausgestaltung der familienpolitischen Komponente – die GEW hat konkrete Vorschläge für eine wirksame Reform des Gesetzes gemacht. Tausende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben von 2. bis 6. November in der Aktionswoche Traumjob Wissenschaft dafür Druck gemacht.
Zurück zum Qualitätspakt. Was müsste ein solches Programm wirklich leisten?
Es spricht gar nichts dagegen, mit einem Bund-Länder-Programm gezielt Anreize für innovative Studienreformprojekte zu setzen. Die GEW selbst hat vor Jahren die Einrichtung einer Deutschen Lehrgemeinschaft analog zur Deutschen Forschungsgemeinschaft vorgeschlagen. Wir müssen die einseitige Prioritätensetzung zu Gunsten der Forschung und zu Lasten der Lehre in Hochschulen und Wissenschaftskarrieren durchbrechen. Ein Anreizprogramm setzt aber voraus, dass die Hochschulen zum einen weiter ausgebaut werden – es gibt keinen Studierendenberg, sondern allenfalls ein Hochplateau, um im Bild zu bleiben. Zum anderen müssen auch die Betreuungsrelationen in der Fläche und auf Dauer verbessert werden. Die im Dezember 2014 beschlossene Lockerung des Kooperationsverbots im Grundgesetz gibt dem Bund die Möglichkeit, dazu einen substanziellen Beitrag zu leisten. Das sollte er nun auch tun. (rw)