Trotzdem kein großer WurfRekordhaushalt für Bildung und Forschung
57 Milliarden Euro sind eine Menge Holz. Soviel mehr Geld wäre aus Sicht der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) nötig, um das deutsche Bildungssystem auf Vordermann zu bringen. Die Zahl stammt aus der Studie „Bildungsfinanzierung für das 21. Jahrhundert“ des Bildungsforschers Henrik Piltz. Seit ihrer Veröffentlichung im Sommer 2011 ist viel Zeit vergangen. Damals ließ sich beispielsweise nicht erahnen, dass vier Jahre später hunderttausende Flüchtlinge in Deutschland Schutz suchen. Viele von ihnen werden als Opfer von Bürgerkrieg und politischer Verfolgung dauerhaft in Deutschland bleiben und über kurz oder lang in hiesigen Kitas, Schulen, Berufsschulen und Hochschulen unterkommen müssen. Das läuft auf erhebliche Mehrkosten hinaus, allemal bei den hohen Qualitätsansprüchen der GEW. Soll heißen: Angesichts der neuen Herausforderungen könnten jährlich 57 Milliarden Euro mehr noch zu wenig sein.
Wanka feiert Rekordetat
Es geht um eine Menge Geld, wenn die verschiedenen Bundesministerien um ihre Haushalte feilschen.
Die Ansprüche der Bundesregierung sind nicht so hoch. Aktuell sind ihr ganzer Stolz die 16,4 Milliarden Euro, die der Bund im kommenden Jahr für Bildung und Forschung ausgeben will. So sieht es der Etatentwurf 2016 vor, der in dieser Woche im Bundestag beraten wurde. Bildungsministerin Johanna Wanka (CDU) war am Donnerstag erwartungsgemäß voll des Lobes ob ihrer und der Arbeit der Großen Koalition. „Der Haushalt wächst wieder“, erklärte sie, um sieben Prozent im Vergleich zum laufenden Jahr und von Beginn der Legislaturperiode an um 18 Prozent. Seit 2005 habe sich der Etat ihres Ministeriums sogar „mehr als verdoppelt“.
Im Fokus steht für Wanka „das Thema Bildungsgerechtigkeit“: So werde die Regierung bis zum Ende des Jahrzehnts 180 Millionen Euro in Alphabetisierungsprojekte stecken. Laut einer Untersuchung von 2011 leben in Deutschland 7,5 Millionen Menschen, die kaum lesen und schreiben können. Unter den Industrienationen steht die BRD damit ziemlich schlecht da und man fragt sich, wie es in einem der reichsten Staaten der Erde überhaupt so weit kommen konnte. Und warum es nicht besser wird. Für 2017 wird eine Folgestudie erwartet, neuere Auflagen von PISA und PIAAC (PISA für Erwachsene) lassen jedoch absehen, dass sich die Lage in den zurückliegenden Jahren nicht entspannt hat. Dabei hatten Union und SPD 2013 in ihrem Koalitionsvertrag angekündigt, „die Alphabetisierungsstrategie von Bund und Ländern zu einer Dekade der Alphabetisierung weiterentwickeln“ zu wollen. Nur wann endlich greift die sogenannte Strategie?
Fiasko Deutschlandstipendium
Wanka hatte ein weiteres schönes Beispiel für „Bildungsgerechtigkeit“ in ihrer Rede parat: Eine syrische Geigerin, die aus Damaskus fliehen musste, und sich als Meisterschülerin in Weimar mit dem Deutschlandstipendium „ihren Traum erfüllen kann“. Das ist ohne Frage erfreulich, aber längst kein Beweis dafür, dass die privat-staatliche Begabtenförderung, die Betroffenen 300 Euro monatlich beschert, zum breitenwirksamen Instrument der Studienfinanzierung taugt. Wie mehrfach berichtet, ist das Deutschlandstipendium ein echtes Fiasko, gegenwärtig profitieren davon weniger als ein Prozent aller Studierenden. Wanka ist aber weit davon entfernt, das Projekt einzumotten, und die Mittel anderweitig sinnvoller zu verwenden. Und sie verschließt die Augen davor, dass wegen der verfehlten BAföG-Politik der amtierenden und der Vorgängerregierung die Zahl derer, die Anspruch auf Bundesausbildungsförderung haben, immer kleiner wird.
Was juckt die Ministerin Vergangenes, was zählt ist die Zukunft. Im Parlament prophezeite sie, die für das Wintersemester geplante BAföG-Novelle werde dafür sorgen, „dass am Ende so viele Menschen, wie seit 30 Jahren nicht mehr, in den Genuss einer Förderung kommen“. Vielleicht behält sie damit ja Recht. Laut einer Pressemitteilung ihres Hauses sollen ab August kommenden Jahres 110.000 mehr Schüler und Studierende Zuwendungen erhalten. Ob das allerdings die „Verluste“ der Vorjahre kompensiert, wird man abwarten müssen. Seit der letzten BAföG-Reform 2010 sind mehrere Zehntausend eigentlich Bedürftige aus der Förderung gepurzelt. Bei den Leistungen holen die vorgesehenen Aufbesserungen von jeweils sieben Prozent bei Fördersätzen und Freibeträgen die Versäumnisse auf alle Fälle nicht auf. Die Förderquote von vor fünf Jahren wird damit ziemlich sicher nicht erreicht, geschweige denn die von vor 30 Jahren. Überhaupt hinkt der historische Vergleich gewaltig. 1985 gab in der alten BRD nur halb so viele Studierende wie heute.
Längste BAföG-Reform aller Zeiten
„Kraftlos und halbherzig geht`s beim BAföG zu“, beklagte denn auch Kai Gehring von der Grünen-Fraktion im Rahmen der Parlamentsdebatte. „Frau Wanka und der Koalition gebührt die zweifelhafte Ehre, eine BAföG-Reform verabschiedet zu haben, die erst Jahre später bei den Studierenden wirklich ankommt.“ Ein weiteres Jahr werde ins Land ziehen, „das ist völlig unverständlich, das ist unfair, das BAföG muss rauf und zwar höher und sofort“. Der Grünen-Politiker beanstandete noch mehr. Zum Beispiel verwies er auf die seit Anfang 2015 wirksame Grundgesetzänderung, die es erlaubt, dass Bund und Länder im Hochschulbereich wieder stärker zusammenarbeiten können. Bisher ist nichts in der Richtung passiert. „Auf ihren Vorschlag für mehr und dauerhafte Kooperationen wartet die Welt noch heute“, so Gehring.
Den Hochschulpakt, mit dem seit Jahren in mehr Studienplätze investiert wird, würdigte der Hochschulexperte zwar als „wichtigen Kraftakt, der viel bringt“. Trotzdem wären Hörsäle überfüllt und bröckelten Bauten mancherorts vor sich hin und „neue Studierende mit Fluchthintergrund sind noch gar nicht berücksichtigt“. Gehring mahnte deshalb einen „Push für den Hochschulbau“ und ein nachhaltiges „Modernisierungsprogramm“ an. Das könnte teuer werden. Laut genannter GEW-Studie wären allein zur „Auflösung des Investitionstaus“ an den Hochschulen – also für den Ausbau des Gebäudebestands sowie eine Personaloffensive für eine bessere Betreuungsrelation von Lernenden und Lehrenden – einmalig 14,5 Milliarden Euro erforderlich. Für den gesamten Bildungsbereich wird der Bedarf mit 45 Milliarden Euro beziffert, zuzüglich der besagten 57 Milliarden Euro jährlich.
Wettbewerb Lehrerausbildung
Rosemarie Hein von der Bundestagsfraktion Die Linke sprach im Plenum von einer chronischen Unterfinanzierung des gesamten Bildungsbereichs und warf der Regierung falsche Lösungsansätze vor. So hätten bei der von Bund und Ländern initiierten „Qualitätsoffensive Lehrerbildung“ lediglich 19 Konzepte eine Förderzusage erhalten, drei Viertel der Anträge seien abgelehnt worden. „Aber eine besserer Lehramtsausbildung brauchen wir doch an allen Hochschulen“, bemängelte Hein und nannte den Wettbewerbscharakter „wenig geeignet, um eine Lehramtsausbildung in dieser Qualität flächendeckend in kurzer Zeit hinzubekommen“. Zu Wanka gerichtet verlangte sie: „Hören sie damit auf, suchen sie einen anderen Weg.“
Die Angesprochene freute sich derweil besonders über noch mehr Geld für den ohnehin schon bestens aufgestellten Forschungsbereich. Die „Hightech-Strategie“ stärke die Position Deutschlands im globalen Wettbewerb um neue Entwicklungen, bemerkte sie und kündigte einen noch großzügigeren Umgang mit der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und den großen Forschungsgesellschaften an. Die Zuschüsse des Bundes sollen um drei Prozent anwachsen. Für die Förderung von Forschungs- und Entwicklungsprojekten des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) sind weitere 2,3 Milliarden Euro veranschlagt. Hein von der Linkspartei unterstellte der Ministerin eine falsche Prioritätensetzung. Während die Mehrausgaben bei der allgemeinen Bildung gering ausfielen, werde bei der Forschung richtig geklotzt.
Die richtigen Prioritäten …
Zurück zur GEW-Forderung nach deutlich mehr Geld für Bildung. Deutschland gibt lediglich 5,1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) für seine öffentlichen und privaten Bildungseinrichtungen aus. Das Mittel der Industrienationen liegt bei 6,1 Prozent. Außerdem: Die verlangten 57 Milliarden Euro beziehen sich auf die Gesamtaufwendungen aus öffentlichen und privaten Quellen. Laut „Bildungsfinanzbericht 2014“ des Statistischen Bundesamtes wurden 2012 alles in allem rund 248 Milliarden Euro für Bildung, Forschung und Wissenschaft ausgegeben. 57 Milliarden sind zwar über 20 Prozent der jetzigen Gesamtausgaben, aber angesichts der bestehenden und künftigen Herausforderungen ans Bildungssystem im Grunde notwendig.
Trotzdem: Wo das Geld hernehmen? Hier wäre man wieder bei den „Prioritäten“. Ob diese in den Haushalten von Bund und Ländern wirklich sinnvoll gesetzt sind? Die Antwort sei jedem selbst überlassen.
(rw)