Sichtbarkeit, Identität, Governance – KommerzWas hat die „Exzellenzinitiative“ gebracht und wie geht es weiter?
Von Ralf Hutter
Es war eine Veranstaltung, die vor allem dem Lob der Exzellenzinitiative (EI) diente. Das Förderprogramm habe „in beträchtlichem Umfang sehr gute Forschung ermöglicht“ und sei „enorm effizient“, lobte etwa Peter Strohschneider, Vorsitzender der Deutschen Foschungsgemeinschaft, am Dienstag in der Berliner Humboldt-Universität (HU). Der wichtigste Effekt für das deutsche Wissenschaftssystem sei: „Das Einheitsphantasma der Humboldt'schen Universität“ sei als zentrales Leitbild verschwunden. Nun regiere das Gebot der Differenzierung: Nicht mehr sollen alle Unis alles ungefähr gleich gut in der Breite anbieten. Schließlich müssten sie heute mehr Funktionen erfüllen als früher.
Im Rahmen der Exzellenzinitaitive wurden einige Unis zu „Eliteunis“ gemacht. Die so „Geehrten“ finden das natürlich gut …
Die HU gehört seit 2012 selbst zum Kreis der elf Universitäten, die in allen drei Wettbewerbskategorien für auszeichnungswürdig befunden wurden und sich deshalb „Exzellenz-Universitäten“ nennen dürfen. Die Fraktionsführungen von CDU und SPD im Bundestag haben sich unlängst darauf geeinigt, für eine Fortsetzung der EI ab 2017 für zehn Jahre wieder vier Milliarden Euro zur Verfügung zu stellen (zusätzlich gibt es eine Milliarde für Nachwuchsförderung). Am Dienstag setzte sich die HU schon mal dafür in Szene, indem sie eine hochkarätig besetzte Podiumsdiskussion (mit anschließendem Empfang) abhielt, Titel: „Wohin mit der Zukunft? Stand und Perspektiven der Exzellenzinitiative“. Unüblicherweise – vielleicht war Vernetzung angestrebt – musste das Publikum sogar Namensschilder tragen.
HU-Präsident Jan-Hendrik Olbertz nutzte schon in seiner Eingangsrede die Gelegenheit zur Warnung vor einem Streichen jetziger „Exzellenz-Unis“ von den Förderlisten ab 2017: Wenn die derzeit geförderten „Zukunftskonzepte“ nicht fortgeführt werden, käme das einem Abbruch gleich, und das würde wegen der damit verbundenen potenziellen Mittelverschwendung nachträglich die Legitimität der Exzellenzinitiative mindern. Das Programm führte in der ersten Phase 2006 und 2007 zur Prämierung von sechs Unis. 2012 kamen fünf neue dazu, während drei ausschieden.
Konsens über die Errungenschaften
Ein Konsens auf dem Podium am Dienstag war, das „Exzellenz“-Programm habe den von ihm profitierenden Unis im In- und Ausland mehr „Sichtbarkeit“, beziehungsweise einen „Wertschätzungszuwachs“ gebracht. Zweitens seien Identität und Zusammenhalt gestärkt worden. So sagte Rektor Axel Freimuth, die Uni Köln sei nun homogener, die Fakultäten dächten nicht mehr nur an sich und lernten sich kennen, es gebe „Corporate Identity im großen Stil“. Nach Strohschneiders Ansicht bedeutet die EI in dieser Hinsicht sogar einen historischen Einschnitt, weil es in Deutschland traditionell eine größere innerfachliche, Uni-unabhängige Solidarität gegeben habe, als Loyalität gegenüber der eigenen Uni. Nun sei letztere gewachsen. Drittens wurde der „Governance“-Effekt gelobt. „Was ist professionelle Selbstverwaltung?“ Diese Frage werfe er ständig auf, sagte Olbertz. Auch seine eigene Uni habe einen „erheblichen Modernisierungsrückstand“. Die EI müsse die Verwaltungsstrukturen verändern, damit das viele Geld besser wirken kann. Der HU-Präsident sprach von einer „Balance zwischen Mitbestimmungs- und Entscheidungskultur“ (womit er weniger Mitbestimmung meinte) und von „Zurechnung von Verantwortbarkeit“. Das ist ein in diesem Zusammenhang wenig überraschendes Plädoyer für eine noch unternehmerischere und noch weniger basisnahe Uni-Leitung.
Überhaupt sind die drei erwähnten Punkte Sichtbarkeit, Identität und „Governance“ vor dem Hintergrund der kommerziellen Ausrichtung zu sehen. Sichtbarkeit bezieht sich auf die Märkte für Studienangebote und Unternehmenskooperationen, nicht auf das wissenschaftliche Feld, denn grenzüberschreitende Kooperation und Wettbewerb gibt es im Grunde, seit es Wissenschaft an Unis gibt. Was unter Stichworten wie „Identität“ und „Zusammenhalt“ gelobt wird, ist ebenfalls zu hinterfragen, denn so etwas ist nicht automatisch gut. Vielmehr scheint es, dass hier eine Identitätskonstruktion von oben betrieben wird, so wie wenn Kampagnen wie „Du bist Deutschland“ das Volk auf den „Standort“, oder Betriebe die Belegschaft auf eine gemeinsame falsche, da im Krisen- und Entlassungsfall nichtige Identität einschwören. Verständlicherweise ziehen Uni-Mitglieder an einem Strang, wenn es um viel Geld geht, und wenn sie meinen, davon profitieren zu können. Aber was fällt dabei hinten runter, wenn die „Governance“, wie HU-Präsident Olbertz formulierte, „Gemeinschaftswillen herstellt“?
Der kommerzielle Hintergrund der Exzellenzinitiative
Es ging und geht bei der EI darum, im globalen Geschäft mit universitären Dienstleistungen den Standort Deutschland aufzubauen. Seit den späten 1990ern wird unter dem Namen „Bologna-Prozess“ ein europäischer Hochschulraum geschaffen. Da müssen die deutschen Unis sichtbar sein und jeweils geschlossen hinter ihrem unternehmerischen Präsidium stehen. So sind auch die Begriffe „Profilbildung“ und „Strategiefähigkeit“ zu verstehen, die zwei andere Ziele der EI für die deutschen Unis waren und sind. Sie wurden am Dienstag mehrmals von Edelgard Bulmahn genannt. Die heutige Bundestagsvizepräsidentin hat 2004 als SPD-Wissenschaftsministerin die Idee der EI entwickelt. Ein weiteres Ziel war für sie, das „Selbstbewusstsein“ der deutschen Unis zu stärken. Seinerzeit sei es in der Forschung attraktiver gewesen, an den außeruniversitären Max-Planck-, Helmholtz- oder Leibniz-Instituten zu arbeiten. Die Unis sollten sich da aber „nicht den Schneid abkaufen lassen“.
Solche Hinweise sind entlarvend. Allzu oft wird bei der Kritik der im Vergleich zu ausländischen, vor allem US-amerikanischen Unis weniger finanzstarken Ausstattung des deutschen Uni-Sektors unterschlagen, dass der Staat auch die in unterschiedlichem Ausmaß Grundlagen- und Anwendungsforschung betreibenden genannten außeruniversitären Institutionen fördert, die sehr renommiert sind. Wenn es nun bei der EI, wie auch am Dienstag wieder kollektiv betont wurde, um die Förderung von Spitzenforschung geht (und nicht etwa um die Belohnung guter Lehre) – warum sollte den schon sehr guten Außeruniversitären das Personal abspenstig gemacht werden und sozusagen mit Gewalt und Milliarden Euro die Spitzenforschung ein Stück mehr in die Unis verlagert werden? Diese Frage stellt sich umso mehr angesichts eines weiteren Ziels der EI, das von Bulmahn in ihrer Rede vor der Podiumsdiskussion genannt wurde: Die Unis sollen mehr mit den außeruniversitären Forschungsinstitutionen kooperieren.
Die Antwort ist: Es geht darum, die Unis für den Wettbewerb schön zu machen. Der Markt ist immens, denn er ist global. Deutsche Unis ziehen Studierende aus aller Welt an. Also scheint es ökonomisch rational zu sein (wobei ja zwischen 2007 und 2017 schon mal vier Milliarden Euro in die EI geflossen sein werden), sie durch die Ansiedlung von Spitzenforschung global „sichtbarer“ zu machen und somit gegenüber den deutschen außeruniversitären Instituten zu stärken. Inhaltlich geboten bleibt aber dennoch die Kooperation.
Verselbstständigter Diskurs mit bizarren Auswüchsen
So gesehen handelt es sich bei den vorherrschenden Diskussionen über die EI um einen verselbstständigten Diskurs, der gewisse Grundlagen gar nicht mehr thematisiert. Der zu Grunde liegende Kommerz führt dabei dazu, dass Vermarktungsstrategien und -vokabular zur Anwendung kommen und als normal gelten. Das zeigt auf eklatante Weise schon der Titel der HU-Veranstaltung: „Wohin mit der Zukunft?“ Was für eine seltsame Frage! Die Zukunft ist das, was kommt. Wir werden in ihr leben; sie kann schön oder unangenehm sein; wir gestalten sie mit; aber irgendwohin verschieben können wir sie nicht. Die Zukunft ist kein Ding. Doch seit etlichen Jahren schon werden wir zugemüllt mit hochtrabenden Formulierungen wie dieser, in der irgendwas als „Zukunft“ gesetzt wird, um es uns als maßgeblich und unausweichlich anzupreisen. So wurde in einem Kaufhaus eine 3-D-Brille mit „Zukunft für's Wohnzimmer“ beworben; und die Berliner Beuth-Hochschule für Technik warb für ihr Studienangebot mit: „Studiere Zukunft!“ Es lassen sich viele solcher Beispiel anführen. Diese logikfernen Formulierungen entstammen dem Arsenal der Werbesprache. Sie dienen dem Versuch, Menschen zu überwältigen. Wir kommen auch gut alleine in die Zukunft, aber uns wird weisgemacht, dass wir dazu die 3-D-Brille, ein bestimmtes Studium oder eine bestimmte Institution brauchen. Eklatant ist dabei der elementare Sprachmüll. Es wird nicht einfach gelogen, sondern versucht, einen neuen Sinn zu schaffen, allerdings in sinnwidriger Weise. Vorausgesetzt wird (bewusst oder unbewusst), dass den Menschen das nicht auffällt, dass sie keine Kriterien mehr zur Beurteilung von Sprachgehalten haben, dass sie also Sprachneuschöpfungen, und somit im Endeffekt Sprache selbst, ausgeliefert sind.
Der Gipfel dieser Volksverdummung ist, dass auch die Universitäten da längst mitmachen. Intellektuell unhaltbare Dinge sind in den Werbemaßnahmen großer deutscher Unis nicht ungewöhnlich – gerade auch in der mit dem vielleicht klangvollsten Namen: der HU. Hier hängt seit Jahren ein Banner mit einem schwülstigen Quatsch-Text im Laden mit den Pullis, Taschen und sonstigen Artikeln, auf denen das Uni-Emblem prangt (Emblem? Das heißt heutzutage natürlich Logo!).
Am Dienstag zelebrierte HU-Präsident Olbertz diesen Typ Politik mit Sprache geradezu. Anstatt den effektheischenden Titel „Wohin mit der Zukunft?“ durch Beschweigen unter den Teppich zu kehren (schließlich wissen alle Beteiligten, dass sich Unis auch mal an außeruniversitäre Diskurse anpassen müssen), hob er ihn extra hervor, zeigte sich sehr glücklich mit ihm und rief sogar die Mitarbeiterin aus, der er eingefallen war. Der Titel meint aber nur einen schlichten Sachverhalt, der bei dieser Veranstaltung mehrmals benannt wurde: Klar ist mittlerweile, dass es mit der sogenannten Exzellenzinitiative 2017 weitergeht, über die Art und Weise wird aber noch verhandelt. Steffen Krach, Staatssekretär für Wissenschaft bei der Berliner Landesregierung, nannte am Dienstag einen Zeithorizont in Sachen Weiterentwicklung der EI: Im März 2016 werde die Art der Fortsetzung verkündet.
Doch Olbertz war in seinem Element und sagte, diese Überschrift drücke eine „charmante Ratlosigkeit“ aus. Auch das eine seltsame Formulierung. Warum Ratlosigkeit? Alle maßgeblichen Leute sind sich einig, die Sonderförderung einiger als besonders „leistungsstark“ firmierender Unis weiterzuführen. Dieser Beschluss ist aber noch nicht alt und es ist noch viel Zeit, das Ganze zu diskutieren und auszugestalten. Das hat nichts mit Ratlosigkeit zu tun. Was daran charmant sein soll, bleibt ebenfalls unklar. Dass der Begriff „Ratlosigkeit“ sich schlecht macht, gerade in der Einleitung zu einem Podium, auf dem lauter Leute mit höchsten akademischen Weihen und eine ehemalige Bundeswissenschaftsministerin sitzen, fiel Olbertz anscheinend gerade noch auf, so dass er anfügte: „die eigentlich keine ist“. Er sprach also von einer „charmanten Ratlosigkeit, die eigentlich keine ist“. Was ist der Sinngehalt dieses paradoxen Satzes? Ich habe mir einen Fernseher gekauft, der eigentlich keiner ist. Mein Haustier ist ein Hund, der eigentlich keiner ist. Wollen wir, dass so mit uns geredet wird? Ein sprachlicher Lapsus, der zu entschuldigen ist? Mag sein. Und geschwollenes Gerede von Profs muss die Menschheit schließlich seit 800 Jahren erdulden. Doch der irrationale Veranstaltungstitel spricht für sich. Solche universitären Sinnlosigkeiten kommen vom universitären Kommerz.
Die Kritik an der Exzellenzinitiative wird nicht ganz verschwiegen
Dennoch kamen bei der Veranstaltung auch etliche Kritikpunkte zur Sprache. Edelgard Bulmahn zählte zunächst drei Kritikpunkte an der EI auf, die sie für ungerechtfertigt hält. Erstens: Die Breitenförderung werde zu Gunsten der Spitzenförderung vernachlässigt. Doch es könne nicht alles mit demselben Instrument erreicht werden, sagte Bulmahn immer wieder, und die EI diene nun mal der Spitzenforschung. Dieses Argument schien auf dem Podium Konsens zu sein. Zweitens: Die kleinen Fächer gingen unter. Das sei aber vor allem eine Frage der Grundfinanzierung der Unis, meint Bulmahn. Drittens: Es gehe bei der EI um wirtschaftliche Verwertbarkeit. Dem hielt die Ex-Ministerin entgegen, dass es da keine fachspezifischen Vorgaben gebe und dass „die Wissenschaft“ selbst entscheide, welche Fächer und Projekte gefördert werden.
Drei anderen Kritikpunkten attestierte Bulmahn aber eine Berechtigung: Die Lehre werde vernachlässigt, die fünfjährige Laufzeit der EI-Förderung sei zu kurz und es gebe bisher einen Mangel an Perspektive für den Nachwuchs.
Bulmahn kritisierte darüber hinaus eine generelle „Schieflage“ zwischen Grund- und Drittmittelfinanzierung bei den deutschen Unis. Erstere sei in den vergangenen 15 oder 20 Jahren nur sehr wenig angewachsen, letztere hingegen sehr. Gerade das bedeute eine Gefahr für die kleinen Fächer. Sie erhofft sich da eine Verbesserung durch die Tatsache, dass der Bund seit Anfang dieses Jahres Hochschulen auch direkt fördern darf.
Ganze Regionen im Bereich Wissenschaft abgehängt?
Auch der DFG-Vorsitzende Strohschneider hatte Kritik parat. Er warnte generell vor den zunehmend „repressiven Strukturen“ in der deutschen Wissenschaftslandschaft, die die Messbarkeit von allem und jedem behaupteten und praktizierten. An der EI hat er vier Kritikpunkte: Es hätten sich universitätsinterne Machtkonflikte wegen der „Neukonfiguration der Beziehungen“ ergeben; Großstrukturen würden systematisch privilegiert und der Wettbewerb beschleunigt; der Ideenwettbewerb bei den Uni-Zukunftskonzepten habe nicht ausreichend gut funktioniert; und es gebe kaum Übergänge von der Projektförderung in eine dauerhafte Finanzierung.
HU-Präsident Olbertz äußerte Kritik am Hang zu Konformität bei der Stellung von Anträgen. Und da Netzwerke prämiert würden, würden gelegentlich welche aus Prinzip gebildet, ohne nennenswerten wissenschaftlichen Wert. Olbertz erwähnte auch, ein Kollege betreue 28 Promotionen, was er nicht als vorbildlich ansehen wolle.
Gegen Ende der Veranstaltung setzte der ansonsten eher technokratisch wirkende Staatssekretär Krach aus dem Nichts ein Ausrufezeichen, als er sagte: „Hier reden nur die Profiteure der Exzellenzinitiative. Wenn Sie mit anderen Bundesländern und Universitäten reden, stellen Sie fest: Wir haben ganze Regionen im Bereich Wissenschaft abgehängt.“ Niemand widersprach.