Beeinflussbare HochschulenGekaufte Wissenschaft?
Herr Kreiß, Ihr neues Buch dreht sich um „gekaufte Forschung“. Ist es wirklich schon so schlimm um die Wissenschaft im Lande bestellt?
Dass verschiedene Interessengruppen auf die Hochschulen Einfluss nehmen wollen, ist nicht verwunderlich. Die Frage ist nur, ob die Einflussnahme zu weit geht – und zu einseitig ist.
Vor sechs Monaten wurden in Deutschland vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte 80 Medikamente aus dem Verkehr gezogen, weil die Gesellschaft, die die Medikamente an Patienten im Ausland prüfte so unseriös arbeitete, dass wissenschaftliche Zweifel daran aufkamen, ob die Medikamente überhaupt wirksam und ihre Nebenwirkungen nicht viel zu ausgeprägt sind. Man stelle sich vor: Medikamente, die viele von uns bereits genommen haben! Sind wir denn Versuchskaninchen der Pharmaunternehmen?
Und das ist kein Einzelfall, sondern hat System. Insidern ist das seit Langem bekannt, es gibt sogar mehrere Bücher darüber. Interessanterweise fallen die falschen wissenschaftlichen Prüfergebnisse dabei praktisch immer zugunsten der geldgebenden Pharmaunternehmen aus, und nicht etwa zugunsten der Patienten. In der Medikamentenforschung werden heute etwa 90 Prozent aller veröffentlichten Studien von der Pharmaindustrie finanziert. Das heißt wir wissen nicht wirklich, welche unserer Medikamente eigentlich wie wirksam sind und wie stark die Nebenwirkungen sind, denn welche Studien veröffentlicht – und vor allem eben auch: nicht veröffentlicht - werden, entscheiden zum großen Teil die Pharmaunternehmen selbst. In der Pharmaindustrie sind die Missstände zwar besonders gravierend, sie beschränken sich aber bei Weitem nicht nur auf diese Branche.
Wie meinen Sie das und woran konkret machen Sie das fest?
Unternehmen versuchen über Mittelzuwendungen immer stärker Einfluss auf die Forschung an öffentlichen Hochschulen zu nehmen. Das machen sie über Geldzuwendungen, welche die an knappen öffentlichen Mitteln leidenden Hochschulen dankbar annehmen.
Aber Konzerne sind keine Wohltätigkeitsvereine, sie maximieren die Gewinne ihre Aktionäre - im Übrigen sind mehr als 50 Prozent der Unternehmensvermögen in Händen von weniger als einem Prozent der Bevölkerung. Es gilt daher: Ein Investment muss lohnen, muss Rendite bringen. Auch ein Investment in Hochschulen. Und die Rendite hiervon, das sind dann günstige oder wohlwollende wissenschaftliche Ergebnisse, die für Marketingzwecke verwendet werden können. Die Höhe der Gelder, die auf diese Weise von der Wirtschaft an die öffentlichen Hochschulen fließen, ist in den letzten Jahren immens angestiegen.
Haben Sie vielleicht ein, zwei Beispiele parat?
Christian Kreiß, Jahrgang 1962, studierte Volkswirtschaftslehre und promovierte in München über die Große Depression 1929 bis 1932. Nach neun Jahren Berufstätigkeit als Bankier in verschiedenen Geschäftsbanken, davon sieben Jahre als Investment Banker, unterrichtet er seit 2002 als Professor an der Hochschule Aalen Finanzierung und Wirtschaftspolitik. Er ist Autor dreier Bücher und zahlreicher Veröffentlichungen.
Na klar. Das Energiewirtschaftliche Institut an der Universität zu Köln wird stark von E.ON und RWE mitfinanziert. Ein Gutachten vom 27. August 2010 zur Laufzeitverlängerung der deutschen Atomkraftwerke, das das EWI miterstellt hat, kommt zum Ergebnis, dass eine Verkürzung von Reaktorlaufzeiten teuer werde und also nicht zu empfehlen sei. Bei der Erstellung des Gutachtens wurden laut Umweltministerium allerdings „haarsträubende Fehler“ gemacht, um zu diesem für die Atomkraftwerke günstigen Ergebnis zu kommen. Die Bundestagsabgeordnete Bärbel Höhn meinte dazu: „Das EWI sieht nach einem getarnten Subunternehmen von E.ON und RWE aus. (…) Es ist gezielte Strategie, durch finanzierte Wissenschaft und scheinbar unabhängige Personen und Institutionen Stimmung zu machen.“
Oder ein anderes Beispiel: Das Zentrum für Arbeitsbeziehungen und Arbeitsrecht an der Ludwig-Maximilians-Universität München wurde 2004 mit 55 Millionen Euro Stiftungskapital von drei Arbeitgeberverbänden begründet. Es veröffentlicht häufig sehr arbeitgeberfreundliche wissenschaftliche Papiere. Trotz aller anderslautenden Beteuerungen der Unabhängigkeit schätzt die IG Metall das Institut bzw. einen seiner Leiter jedoch wie folgt ein:
„Rieble zählt zum Kreis der Hochschullehrer, die scheinbar unabhängig und im Dienst von Forschung und Lehre auftreten, sich aber tatsächlich von Arbeitgebern finanzieren lassen. Mit ZAAR steht den Unternehmen ein Arbeitsrechtsprofessor einer renommierten Hochschule zur Seite, der sie in Sachen Lohndumping schult und zum Streikbrechereinsatz durch Leiharbeiter ermuntert.“
Diese Beispiele, die beinahe beliebig vermehrt werden können, zeigen, dass über Geldzuwendungen seitens der Wirtschaft versucht wird, die Wissenschaft auf einseitige Interessen festzulegen.
Und was verändert diese Entwicklung an Hochschulen und im Wissenschaftsbetrieb?
Der Boden, auf dem Forschung an staatlichen Hochschulen stattfindet, wird langsam aber sicher immer schräger. Es findet ein Braindrain statt in Richtung industrienaher Forschung. Daher steigt das Misstrauen von immer mehr Bürgern in die Wissenschaft. Das ist eine Katastrophe. Denn wenn man der Aufrichtigkeit, der Wahrheit von Wissenschaft und Forschung nicht mehr glauben kann, wem dann?
Jüngstes Beispiel: Der Cholesterin-Skandal. Das fest verankerte Wissen, dass Cholesterin das Herzinfarkt-Risiko erhöht, geht auf eine Studie aus den 50er Jahren zurück, die gefälscht war, wie der Forscher selbst 40 Jahre später offen zugab. In der Zwischenzeit wurde diese „wissenschaftliche“ Studie jedoch jahrzehntelang von Lebensmittel-Konzernen, die Margarine herstellen, wie etwa Procter & Gamble, für Marketingzwecke missbraucht. Das meine ich mit Missbrauch von Wissenschaft. Die Glaubwürdigkeit unseres Wissenschaftssystems steht auf dem Spiel, wenn Konzerne damit spielen.
Hinzu kommt die Einflussnahme von Industrievertretern auf öffentliche Forschungsmittel. Ein Beispiel: Die Hightech-Strategie der Bundesregierung, die im Wesentlichen vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gesteuert wird, und für die 2014 circa 11 Milliarden Euro zu Verfügung standen. In welche Forschungsvorhaben fließt dieser riesige Strom an öffentlichen Forschungsgeldern? Darüber entscheiden maßgeblich zwei Gremien:
Das Gremium „Innovationsdialog“, der Steuerkreis, der aus 16 Personen besteht. Von diesen 16 Entscheidern kommen acht aus Wirtschaft. Ein Vertreter kommt vom DGB, einer vom Institut für Demoskopie Allensbach, der Rest sind Wissenschaftler. Also haben die Industrievertreter die absolute Mehrheit. Nicht vertreten in diesem wichtigen, weichenstellenden Entscheidungsgremium sind Umweltschutzverbände und andere zivilgesellschaftliche Organisationen wie etwa der BUND, attac, der VCD, Kirchen usw. Warum eigentlich?
Das Gremium „Forschungsunion“, das für die Umsetzung der Forschungsstrategie verantwortlich ist. In diesem Entscheidungsgremium sind insgesamt 28 Mitglieder, davon 16 sehr hochrangige Wirtschaftsvertreter, überwiegend Konzernlenker. Das entspricht 57 Prozent der Mitglieder und damit wieder der absoluten Mehrheit. Nicht vertreten sind auch hier die zuvor genannten zivilgesellschaftlichen Akteure.
Das bedeutet: Geldinteressen wirken auf unsere Forschung nicht nur über direkte Geldzuwendungen an öffentliche Hochschulen, sondern zusätzlich noch indirekt über industrienahe Gremienbesetzungen.
Und das … also, das sind nicht alles nur Einzelfälle, dahinter steckt … wirklich, wie Sie sagen, „System“?
Als warnendes Beispiel für das Endstadium gekaufter Forschung, die in eine grandiose Marketing- und Vertriebsmaschinerie eingespannt ist, um perfekten Wissenschaftsmissbrauch in großem Stil zu betreiben, kann man die Praktiken der Pharmaindustrie bewundern. Als es vor einigen Jahren um das Thema Bestechung niedergelassener Ärzte, zum Beispiel also die Annahme diverser Zuwendungen gegen Zusage der Arzneimittelverschreibung bestimmter Medikamente ging, hieß es auch stets: alles nur Einzelfälle; man darf das nicht pauschalieren!
Eine unabhängige Studie, die 2010 im deutschen Ärzteblatt veröffentlicht wurde, zeigte jedoch, dass etwa zwei Drittel aller deutschen Ärzte mehrmals pro Woche Kontakt zu Pharmareferenten hatten und von diesen auch Zuwendungen erhielten. Bei etwa 140.000 niedergelassenen Ärzten sprechen wir also von etwa 91.000 „Einzelfällen“.
Interessant auch die Antworten der Ärzte auf die Frage, ob man dadurch nicht womöglich beeinflussbar sei. Die Ärzte antworteten, dass sie selbst nicht beeinflussbar seien, ihre Kollegen dagegen aber sehr wohl!
Derzeit besuchen in Deutschland etwa 15.000 Pharmavertreter circa 20 Millionen Mal im Jahr jedes Jahr deutsche Praxen und Krankenhäuser. Alles also nur Einzelfälle? Oder womöglich doch System?
Ich würde eher meinen, die Rede vom Einzelfall ist eine wunderbare rhetorische Strategie, um Kritik zu begegnen. Wenn die Leute da glauben, glauben, dass immer nur „einer“ Mist gebaut hat, dann kann das Ganze unhinterfragt auf ewig so weiterlaufen. Es ist eine Relativierung – gegen die Dringlichkeit und Ernsthaftigkeit der notwendigen Kritik.
Und Ihr Buch ist da ein Versuch, diesen Entwicklungen entgegenzutreten? Wieso, was treibt Sie an?
Forschung degeneriert in unserem Lande immer mehr zum Marketing-Instrument. Das schadet nicht nur unmittelbar, indem uns einseitige Ergebnisse als „die Wahrheit“ verkauft werden, die uns zu falschen Konsumentscheidungen führt, sondern vor allem mittelbar, langfristig: Das Vertrauen der Menschen in die Integrität der Wissenschaft wird dadurch nämlich immer mehr untergraben.
Woher kommt der Spruch: Traue keiner Statistik, die Du nicht selbst gefälscht hast? Es wurden – und werden – einfach zu viele Statistiken gen industriefreundlicher Ergebnisse frisiert. Das halte ich für einen gefährlichen Irrweg. Ich bin zwar nicht generell gegen Drittmittelforschung, aber gegen diese starke und immer stärker werdende Einseitigkeit der Drittmittelforschung, wie sie heute in Deutschland praktiziert wird, bin ich sehr wohl. Das müssen wir unbedingt ändern.
Und was sind Ihre Schlüsse, was fordern oder empfehlen Sie für Politik und Akteure, wenn sie derlei nicht weiter tatenlos zuschauen wollen?
Keine direkten Industriegelder an öffentliche Hochschulen. Momentan sind das gut 1,3 Milliarden Euro jährlich. Die könnten wir zum Beispiel problemlos von der Hightech-Strategie der Bundesregierung abzwacken und sie direkt den Forschern an den Hochschulen geben anstatt über industrienahe Gremien in Form von Drittmittelprojekten verteilen zu lassen, wie es heute geschieht. Geld ist ja durchaus da, es wird nur in die falschen Kanäle gelenkt.
Und: Keinerlei Einfluss von Pharmakonzernen auf Medikamentenforschung an Hochschulen, oder Hochschuleinrichtungen, auf Hochschulpersonal, insbesondere an Universitätskliniken, sowie auf wissenschaftlich arbeitende klinische Ärzte. Hier geht es um unsere Gesundheit und nicht um Aktionärsgewinne.
Außerdem brauchen wir dringend eine ausgeglichene Besetzung der Gremien im öffentlichen Bereich, die über die Forschungsinhalte entscheiden. Diese Entscheidungsgremien, seien sie in Ministerien oder Hochschulen angesiedelt, sind heute, was die Vertretung externer Interessen anlangt, verblüffend einseitig mit Industrievertretern besetzt. Sie sollten stattdessen die wirklichen gesellschaftlichen Verhältnisse widerspiegeln, also mindestens paritätisch, besser mehrheitlich, zivilgesellschaftliche Organisationen aufnehmen.
Und schließlich und endlich noch: Ein striktes Verbot aller Arten von Schulsponsoring durch Industriegelder an öffentlichen Schulen.
In der taz-Besprechung Ihres Buches werden Sie kritisiert, Ihr Buch selbst sei doch auch fremdfinanziert und Sie legten nicht einmal dessen Geldgeber offen… Ist dem so und wie begründen Sie das?
Mein Buch ist nicht von der Industrie, sondern – zu einem kleinen Teil – von einer privaten Stiftung, die mir meine kritische Forschung vertiefend ermöglichen wollte, finanziert worden. Diese Stiftung verbietet mir ausdrücklich, ihren Namen zu nennen. Ich halte mich an mein Wort. Das hat allerdings weniger damit zu tun, dass ich hier interessengeleitet handeln würde, sondern wohl viel mehr damit, dass der Geldgeber hier nicht in Geiselhaft für meine Kritik genommen werden mag. Das verstehe ich gut.
Ich bedanke mich für das Gespräch.
Noch ein Tipp zum Thema: hochschulwatch.de (ein Gemeinschaftsprojekt von Transparenz International Deutschland e.V., taz und fzs) gibt einen – zwangsläufig unvollständigen – Überblick über Verflechtungen zwischen Wirtschaft und Wissenschaft an allen deutschen Hochschulen.