Mauern gegen Ausländer?Gebühren für internationale Studierende
Allgemeine Studiengebühren gibt es in Deutschland zwar nicht mehr. Aber Spezialformen gibt es nach wie vor – und es könnten mehr werden.
Bezahlstudium? Das war einmal. Aber jetzt doch nicht mehr. Mit Niedersachsen hat schließlich im Vorjahr das letzte von zwischenzeitlich sieben Gebührenländern das Inkassostudium wieder eingemottet. Wozu sich also noch Sorgen machen? Von wegen: Die schöne neue Welt gibt es nicht für jeden in Deutschland. An der Leipziger Hochschule für Musik und Theater Felix Mendelssohn Bartholdy (HMT) müssen Studierende, die von außerhalb der Europäischen Union (EU) kommen, seit dem Wintersemester 2013/14 pro Semester 1800 Euro für ihre Ausbildung hinblättern.
Klage gegen Diskriminierung
Von den über 100 Leidtragenden stammen viele aus Asien, und eine davon lässt sich die Sache nicht bieten. Sie ist die hierzulande erste und bislang einzige Betroffene, die sich vor Gericht gegen die Zustände zur Wehr setzt. Die Frau eines deutschen Mannes und Mutter eines Kindes hat im Mai 2014 vor dem Verwaltungsgericht Leipzig Klage gegen ihre Ungleichbehandlung und, wie sie meint, „Diskriminierung“ eingelegt (siehe Interview unten). Wie und wann ihr Fall entschieden wird, lässt sich nicht absehen. Bisher wurde nicht einmal ein Verhandlungstermin festgesetzt.
Die Hängepartie hat dabei sogar etwas Gutes. Solange die Angelegenheit nicht geklärt ist, müssen Planspiele nach dem Muster der Leipziger Musikhochschule andernorts erst einmal in der Schublade verbleiben. Das gilt auch und vor allem für Baden-Württemberg, dessen grün-rote Landesregierung schon länger mit einem Sonderopfer für ausländische Studierende liebäugelt. Der entsprechende Vorstoß durch die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Landtag, Edith Sitzmann, liegt bereits mehr als eineinhalb Jahre zurück und sorgte seinerzeit für allerhand Aufregung.
Thema auf Eis gelegt
Wohl auch wegen der Vorwürfe, die Ökopazifisten würden sich mit Rechtspopulisten gemein machen, ließ man das heiße Eisen ziemlich rasch wieder fallen und seither tat sich praktisch nichts mehr in der Frage. Kurt Stiegler, Koordinator beim Aktionsbündnis gegen Studiengebühren (ABS), hat dieser Tage beim Wissenschaftsministerium in Stuttgart den Stand der Dinge abgefragt. Dort erfuhr er, dass das Thema nicht weiterverfolgt werde, solange der Rechtstreit in Leipzig anhängig ist. „Wegen der aktuell noch erheblichen Rechtsunsicherheiten setzt das Ministerium lieber auf Abwarten“, bemerkte Stiegler am Freitag gegenüber Studis Online. „Bleibt nur die Frage, was passiert, wenn die Klägerin verliert. Dann landet das Ganze vielleicht ganz schnell wieder auf der Agenda.“
Bis dahin bleibt Sachsen wohl das einzige Land (vgl. unsere Übersicht Studiengebühren), das seinen Hochschulen ermöglicht, bei Nicht-EU-Ausländern Kasse zu machen. Nach der Neufassung des sogenannten Hochschulfreiheitsgesetzes ist es ihnen frei überlassen, so zu verfahren. Als Türöffner für die Neuregelung diente eine Expertise des sächsischen Landtags, wonach internationale Studierende rechtlich einen Sonderstatus innehaben sollen. Während Studienbewerber aus der EU denen aus Deutschland von Rechts wegen gleichgestellt sind, sollen Nicht-EU-Ausländer angeblich eine Ausnahme sein. Kern der Argumentation: Die Betroffenen würden staatliche Ressourcen in Anspruch nehmen, ohne dass sie später nach Rückkehr in ihre Heimatländer – etwa durch Steuerzahlungen – zu deren Unterhalt beitrügen.
Rechtsgutachten pro Gebühren
Der Vorstoß aus Baden-Württemberg geht auf ein im Auftrag der Landesregierung erstelltes Gutachten des Mannheimer Rechtsprofessors Eibe Riedel vom Dezember 2013 der zurück. Nach seiner Empfehlung könnten staatliche Hochschulen bis zur Hälfte der tatsächlichen Studienplatzkosten eintreiben, also derzeit pro Kopf bis zu 4000 Euro im Jahr. Den Weg dahin müsse allerdings jeweils der Landesgesetzgeber freimachen.
Die zögerliche Haltung Stuttgarts dürfte sich indes dadurch erklären, dass auch nach Riedels Expertise erhebliche Hürden für die Einführung einer Bezahlpflicht bestehen. So dürften die Gebühren ärmeren Menschen den Weg nach Deutschland nicht per se versperren. Dies machten zahlreiche internationale Vereinbarungen, etwa im Rahmen der Vereinten Nationen, erforderlich. Die gebotene Sozialverträglichkeit sei so etwa durch Darlehen oder Stipendien zu gewährleisten. Im Falle Sachsens gilt als Voraussetzung die Einführung eines entsprechenden Stipendienprogramms. Dort soll außerdem ein Viertel der Gebühreneinnahmen in einen Fonds fließen, um finanziell bedürftige Studenten zu unterstützen.
Expertise contra Gebühren
Riedels Rechtsauffassung teilen indes nicht alle. Der ABS hat ein Gegengutachten des Münsteraner Verwaltungsjuristen Wilhelm Achelpöhler eingeholt. Nach seinen Befunden sind Gebühren für Nicht-EU-Ausländer weder mit dem Gleichheitssatz des Grundgesetzes noch mit den Vorgaben des Sozialpakts der Vereinten Nationen vereinbar. Achelpöhler wendet sich auch gegen die pauschale Darstellung, alle internationalen Studierenden seien reich und nach Studienabschluss umgehend wieder außer Landes. „Ein die Gebührenerhebung rechtfertigender Grund kann also nicht darin gesehen werden, dass diese Studierenden typischerweise nach dem Ende des Studiums Deutschlands wieder verlassen“, schreibt er und weiter. „Es scheint nach allen Zahlen eher das Gegenteil der Fall zu sein.“
Auch Stiegler vom ABS warnt vor Klischees. Die verbreitete Unkenntnis über die tatsächlichen Studienbedingungen von internationalen Studierenden sei „erschreckend“. Viele müssten unter erschwerten Bedingungen ihren Lebensunterhalt selbst verdienen und erhielten in der Regel kein BAföG. „Oft legen ganze Familien für das Studium ihrer Kinder oder Verwandten in Deutschland zusammen und immer mehr Menschen wollen nach ihrem Studium auch in Deutschland bleiben.“ Und nach Verlautbarungen der Bundesregierung stelle ein Studium sogar den „Königsweg der Einwanderung“ dar. Stieglers Überzeugung: „Nicht nur Deutsche sollten die Möglichkeit haben, gebührenfrei zu studieren, sondern alle Menschen hier und überall. Das Menschenrecht auf Bildung kennt keine Grenzen.“
„Niemand hat die Absicht …“
Der Rektor der HMT Robert Ehrlich meint dagegen, 3600 Euro pro Jahr würden keinen davon abschrecken, an seiner Hochschule zu studieren. Die Bewerber aus aller Welt kämen nicht, weil es billig ist, sondern weil in Leipzig renommierte Professoren unterrichteten. Vergleichbare Hochschulen in Madrid, Amsterdam oder Budapest würden wesentlich höhere Beiträge verlangen. Für Ehrlich gilt: „Wir haben überhaupt kein Interesse daran, Studenten zu verlieren.“ Irgendwie weckt das Erinnerungen an Walter Ulbricht. (rw)
Das Aktionsbündnis gegen Studiengebühren (ABS) hat die vor dem Leipziger Verwaltungsgericht gegen die Gebühren für Nicht-EU-Ausländer klagende Studentin, die namentlich nicht genannt werden will, interviewt und den Text Studis Online zur Veröffentlichung überlassen, den wir hier im Folgenden veröffentlichen:
ABS: Wie bist du auf die Idee gekommen, in Deutschland zu studieren?
Klägerin: Ich spiele Geige. Deutschland hat in der klassischen Musik Wurzeln und viele bekannte Komponisten stammen aus Deutschland.
Erfüllt das Studium in Deutschland Deine Erwartungen?
Das Studium erfüllt voll und ganz meine Erwartungen.
Was ist besonders gut?
Die Basis, auf der klassische Musik gespielt wird, exzellente Professoren und der gut organisierte Studienplan.
Was ist besonders schlecht?
Dass ein Unterschied zwischen EU-Studentinnen und -Studenten und denen aus Nicht-EU-Staaten gemacht wird. Das widerspricht aus meiner Sicht dem Grundgesetz.
Gibt es genug Unterstützung für internationale Studierende in Deutschland?
Für Leipzig trifft das aus meiner Sicht nicht zu. Frankfurt bietet zum Beispiel kostenlose Deutschkurse an und dort ist man auch hilfsbereiter.
Sind die Menschen in Deutschland hilfsbereit und freundlich gegenüber internationalen Studierenden?
Das ist unterschiedlich, je nachdem, in welcher Stadt man ist. Für Leipzig gilt das nach meinen Erfahrungen nicht so. Ansonsten habe ich keinen Grund zu meckern.
Spielte die Studiengebührenfreiheit für deine Studienentscheidung eine Rolle?
Ja, eine sehr große sogar. Wenn Studiengebühren in dieser Größenordnung erhoben werden, können viele Talente überhaupt nicht studieren.
Warum klagst gegen die Studiengebühren?
Ich bin seit vier Jahren mit einem deutschen Mann verheiratet und habe schon die deutsche Staatsbürgerschaft beantragt. In Deutschland habe ich eine Zusage erhalten und nun warte ich auf die Bestätigung aus der Mongolei. Und das zieht sich zeitlich leider ein wenig hin. Ich finde, dass dies nicht mit den Studenten zu vergleichen ist, die sich nach dem Studium wieder zurück in ihr Heimatland begeben. Darüber hinaus klage ich, weil die Gebühren eine gravierende Benachteiligung gegenüber EU-Studenten darstellen.
Was findest du an Studiengebühren ungerecht?
Ich finde, dass alle Menschen die gleichen Rechte haben sollten. Es liegt hier einfach eine Diskriminierung vor.
Kannst du dir die Studiengebühren leisten?
3.600 Euro pro Jahr sind zu viel für mich.
Musst du neben deinem Studium arbeiten, um deinen Lebensunterhalt zu finanzieren?
Ja, ich muss arbeiten. Zusätzlich bin ich auf die Unterstützung meines Mannes angewiesen, da wir jetzt auch ein gemeinsames Kind haben.
Was sagen deine Kommilitonen zu der Klage?
Sie unterstützen es. Sie würden es an meiner Stelle auch so machen.
Hast du schon etwas von Deiner Hochschule gehört?
Noch nichts.
Unterstützt dich jemand bei der Klage?
Ja, mein Mann. Der ist jedoch kein Jurist. Und ich bin über jede Hilfe froh.
Gibt es schon einen Gerichtstermin?
Noch nicht.