Prekäres Privileg?Gegenwart und Perspektiven studentischer Hilfskräfte
Die Stelle als Hilfskraft erscheint nach wie vor als Sprungbrett für eine wissenschaftliche Karriere. Drei von vier Promovierenden haben zuvor als Hilfskraft gearbeitet. Insofern stimmt: Hilfskraft sein ist ein Privileg. Aber ein prekäres. Eine Hilfskraftstelle garantiert mitnichten eine wissenschaftliche Karriere, und ein erster Schritt in die Wissenschaft heißt auch: Eintritt in ein Feld unsicherer, kurz befristeter Beschäftigung mit niedriger Bezahlung.
Dazu kommt, dass Professor/innen und Studierende das Privileg häufig falsch deuten. Professor/innen glauben, es sei etwas ganz Besonderes, für sie zu arbeiten. Stellen vergeben sie in Gutsherrenmanier als Bonus für vermeintlich fleißige Studis. Diese bekommen wiederum so den Eindruck, in besonderer Gunst zu stehen und geben sich in einseitige Abhängigkeitsbeziehungen zu ihren Lehrenden, die plötzlich auch ihre Vorgesetzten sind. Unbezahlte Mehrarbeit und mangelnde Arbeitgeberleistungen sind häufig die Folge.
Arbeit aus Leidenschaft?
Der Artikel erschien zuerst in der Ausgabe Sommersemester 2015 der Zeitung für Studierende read.me der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Sie wird vom Studierendenausschuss der GEW (BASS) erstellt und erscheint einmal im Semester.
Studis Online dankt für die Erlaubnis der Zweitveröffentlichung des Artikels.
Der Mythos von Wissenschaftler/innen, die ausschließlich aus Leidenschaft arbeiten und sich dabei selbst verwirklichen, prägt seit jeher das Bild der Hochschulen. Auch für Hilfskräfte hat das Auswirkungen: Überidentifikation mit der eigenen Arbeit, die bis zur Selbstausbeutung führen kann. Die Grenzen zwischen Privatleben, Studium und Erwerbsarbeit verwischen, Studierende akzeptieren Bedingungen abseits rechtlicher Normen. So fällt schnell unter den Tisch, dass es auch ein Arbeitsverhältnis wie jedes andere ist.
Keine richtigen Arbeitnehmer/innen?
Für viele Studierende ist die studentische Hilfskraftstelle die erste reguläre Beschäftigung. Zum ersten Mal stellen sich arbeitsrechtliche Fragen: Was bedeutet es, ohne Arbeitsvertrag zu arbeiten? Habe ich Anspruch auf Urlaub? Was passiert, wenn ich krank werde? Bekomme ich dann keinen Lohn oder muss ich nacharbeiten? Schwierig wird es, wenn Vorgesetzte legitime Forderungen der Hilfskräfte nicht ernst nehmen. Zum Problem wird dann, dass studentische Hilfskräfte keine institutionalisierte Interessenvertretung haben, mit deren Hilfe sie ihre Rechte einfordern können. Mit Ausnahme von Berlin haben sie keinen Tarifvertrag, einen Personalrat gibt es meist nicht. Hilfskräfte sind also richtige Arbeitnehmer/innen, aber ohne richtige Vertretung.
Billige, austauschbare Aushilfskräfte?
Privileg hin oder her, am Ende scheinen Hilfskräfte häufig doch ohne Weiteres ersetzbar. Das liegt aber nicht daran, dass sie „nur mal eben kopieren“ und Kaffee kochen würden. Zunächst sind ihre Verträge schuld. Deren Laufzeit deckt oft nur die Vorlesungszeit ab. Schon früh lernen studierende Hochschulbeschäftigte so kennen, was es heißt, einen Kurzvertrag nach dem anderen zu bekommen.
Unsichtbare Helfer: Austauschbar wegen ihrer Verträge, aber nicht wegen ihrer Tätigkeiten
Das erzeugt Abhängigkeit und Druck, sodass sie sich einerseits oft zufrieden geben mit Zuarbeiten, andererseits aber auch Tätigkeiten übernehmen, für die sie nicht beschäftigt sind. Austauschbar sind sie nämlich nur de jure, wegen ihrer Verträge. Nicht austauschbar sind sie aber de facto durch ihre Tätigkeiten, die nicht selten eigene Forschung und Lehre sowie Korrektur und Abnahme von Prüfungen umfassen. Der Lohn ist mehr Taschengeld als Lebensunterhalt. Entsprechend dümpelt er auf niedrigstem Niveau.
Es wäre aber zu einfach, die prekäre Situation nur auf die Hilfskräfte und ihre direkten Vorgesetzten abzuwälzen. Beide bewegen sich in einem rechtlichen Rahmen, der insbesondere niedrige Bezahlung, unklare Aufgabenfelder und kurze Befristungen begünstigt. Diesen Rahmen wiederum geben die Landesregierungen vor, welche meist auch die tatsächlichen Arbeitgeberinnen sind. Sie verhindern teilweise per Gesetz Interessenvertretung. Auch lehnen sie sich in Fragen tariflicher Regelungen zurück, solange sich kein Widerstand regt. Das Problem dabei: Kaum organisieren sich Hilfskräfte, sind sie es auch schon nicht mehr. Von selbst werden die Landesregierungen sich aber nicht bewegen, zu groß ist das Interesse, auf Kosten der Hilfskräfte zu sparen. Ein Teufelskreis. Und der nutzt vor allem den Arbeitgeber/innen.
Und jetzt?
Langfristig verbessert sich die Situation nur, wenn sich mehr Hilfskräfte in Gewerkschaften organisieren und sie antreiben, sich noch konsequenter den Problemen prekärer Beschäftigung an Hochschulen zu stellen. Der Schlüssel ist Solidarität – zwischen Hilfskräften untereinander und von anderen Beschäftigtengruppen. Studentische Mitarbeiter/innen müssen sich die Rahmenbedingungen bewusst machen, in denen sie sich bewegen. Folgt daraufhin die Organisierung in und durch Gewerkschaften, dann können sie gemeinsam stärker für ihre Interessen eintreten. Kurzfristig gilt es aber auch, Möglichkeitsräume zu nutzen. Einen solchen haben Studierende in der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) eröffnet, indem sie die Forderung nach einem Tarifvertrag dieses Jahr ein weiteres Mal auf die Tarifagenda setzten. In Marburg stritten Hilfskräfte erfolgreich für Minimalstandards auf Hochschulebene in Form eines Leitfadens. In Hessen vernetzen sich aktuell Hilfskraftinitiativen. In Thüringen gilt es, auf Basis der vagen Versprechen des Koalitionsvertrags einen handfesten Tarifvertrag einzufordern. Bei allem gilt aber: Die Landesregierungen sind in der Pflicht, sogenannte Hilfskräfte als das zu behandeln, was sie sind: unverzichtbare Mitarbeiter/innen, denen wie anderen auch tarifliche Regelungen zustehen. Und das heißt, sie müssen endlich verhandeln!
Über die Autoren
Ein Artikel der Hilfskraftinitiative an der Uni Marburg, die seit Jahren unter dem Motto „Anders. Besser. Mehr. Zusammen kämpfen für ein besseres Leben“ für eine Verbesserung der Situation studentischer und wissenschaftlicher Hilfskräfte in Marburg und Hessen eintritt.