Kooperationen zwischen Wirtschaft und HochschulenVerdrehte Fakten vom Stifterverband
Im aktuellen Uni-Spiegel widmet das Hamburger Nachrichtenmagazin den sogenannten Hochschulräten einen Beitrag mit dem Titel „Dunkle Macht“. Die vielerorts im Zeichen der „unternehmerischen Hochschule“ installierten Gremien, in der Banker und Manager über die Geschicke der Unis bestimmen, kommen darin gar nicht gut weg. Zu lesen ist von feuchtfröhlichen Gelagen auf Rechnung des Steuerzahlers, von teuren Aufwandsentschädigungen für „ehrenamtliche“ Tätigkeiten und „schwarzen Kassen“. Für den im Artikel zitierten Oldenburger Soziologen Marcel Schütz sind das Zustände, die zeigten, „wohin die intransparente Macht einzelner Räte führen kann“.
Mächtige Hochschulräte
Was genau diese Zirkel treiben, weiß bis auf die Beteiligten kaum jemand. Es wird geheim getagt, in der Regel dringt nichts aus den Sitzungen nach außen. Dabei ist der Einfluss der Hochschulräte enorm. „Oft wählen sie den Rektor, beraten die Hochschulleitung in wirtschaftlichen Fragen und entscheiden sogar über die Einrichtung oder Abschaffung von Studiengängen“, schreibt Uni-Spiegel und verweist auf Zahlen des Portals Hochschulwatch.de. Das von der Antikorruptionsorganisation Transparency International Deutschland (TI), dem „freien zusammenschluss von studentInnenschaften“ (fzs) und der tageszeitung (taz) vor zwei Jahren gestartete Projekt dokumentiert die vielfältigen Verbindungen zwischen Hochschulen und Industrie. Demnach hat Siemens 14 Lobbyisten in Hochschulräten untergebracht, Daimler zwölf und Bosch acht.
Laut Arne Semsrott, für TI Deutschland federführend bei Hochschulwatch, ist die „massive Präsenz von Wirtschaftsunternehmen an deutschen Unis (…) besorgniserregend“. Allein das reiche schon aus, um die Freiheit von Lehre und Forschung infrage zu stellen. Dabei ist das nur eine von mehreren Erscheinungsformen der Verstrickung von Industrie und Wissenschaft. So gehört es heute längst zum Alltag, dass Unternehmen Lehrstühle mittels sogenannter Stiftungsprofessuren finanzieren, Forschungskooperationen unterhalten oder Hörsäle sponsern. Hochschulwatch.de beziffert den Umfang der durch die gewerbliche Wirtschaft ausgeschütteten Drittmittel mit 1,3 Milliarden Euro im Jahr 2012 (siehe auch den Studis Online-Artikel Zwei Jahre Hochschulwatch.de). Davon wären 44 Prozent in Forschungsaufträge geflossen, etwa ein Viertel in Forschungskooperationen und neun Prozent in Stiftungsprofessuren.
Industrie im Rückzug?
Wir nehmen den „Faktencheck“ des Stifterverbands in Sachen Kooperationen zwischen Wirtschaft und Hochschulen kritisch unter die Lupe.
Der Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft operiert mit ähnlichen Zahlen. Laut seinem in der Vorwoche präsentierten „Faktencheck“ beliefen sich die Drittmittel aus der freien Wirtschaft vor drei Jahren auf rund 1,346 Milliarden Euro. Allerdings ziehen die Autoren daraus gänzlich andere Schlüsse. „Für deutsche Hochschulen spielt die deutsche Wirtschaft bei der Drittmitteleinwerbung eine immer geringere Rolle“, heißt es, denn der Anteil der Aufwendungen der Industrie am Gesamtvolumen wäre 2012 mit „knapp 20 Prozent auf ein historisches Tief gefallen“. Bekräftigt wird diese Sichtweise noch einmal unter dem vierten von zwölf sogenannten „Fakten“: „Mittlerweile kommt nur noch jeder fünfte Euro aus der Wirtschaft.“
Nur was besagt das? Tatsächlich stellen andere Akteure – wie der Bund, die Bundesländer, die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), die Europäische Union und Stiftungen – das Gros an Drittmitteln und die Ausgaben der Wirtschaft sind in den vergangenen Jahren verhältnismäßig zurückgegangen. Nimmt man indes die absoluten Zahlen, hat die Industrie ganz erheblich zugelegt – und zwar von etwa 700 Millionen auf über 1,3 Milliarden Euro innerhalb von zehn Jahren. „Das ist fast eine Verdopplung“, befand Semsrott von TI-Deutschland am Dienstag gegenüber Studis Online. „Bei der Debatte geht es doch darum, ob und wie die Wirtschaft auf die Hochschulen Einfluss nimmt und wie transparent es dabei zugeht. Ich habe den Eindruck, als versuchte man mit dem Gebrauch von relativen Zahlen das Ausmaß der Aktivitäten von Unternehmen an den Hochschulen eher zu verschleiern.“
Falsche „Tatsachen“
Ist es also der Zweck des „Faktenchecks“, das Engagement der Wirtschaft an deutschen Hochschulen kleiner erscheinen zu lassen, als es ist? Die meisten der vermeintlichen „Tatsachen“ legen dies jedenfalls nahe: So kämen 4,3 Prozent der Hochschuleinnahmen aus der Wirtschaft – das hört sich nach wenig an. 2012 stellten Konzerne und Unternehmen 19,9 Prozent aller Drittmittel, nach knapp 30 Prozent im Jahr 1999 – was für ein Absturz. 2011 vergaben sie 22,1 Prozent ihrer Forschungs- und Entwicklungsgelder an externe Institutionen, 80 Prozent flossen in die hauseigenen Entwicklungsabteilungen und mickrige 1,54 landeten an den Hochschulen. Da sage noch einer, man wolle die Unis zu verlängerten Werkbänken der Industrie degradieren.
Schließlich ist da noch das Thema Stiftungsprofessuren. Kritiker sehen darin ein wirksames Instrument der Industrie, mit anfänglich geringem finanziellen Aufwand langfristig und auf Staatskosten für sich forschen zu lassen. Aber auch hier vermeldet der Stifterverband einen Schwund, diesmal sogar in absoluten Zahlen. So wären 2009 noch 563 solcher Lehrstühle durch Unternehmen eingerichtet worden, 2012 nur noch 514. Hochschulwatch.de zählte zuletzt 900 Stiftungsprofessuren, wobei sich darunter laut Semsrott auch solche befänden, die auf öffentliche Initiativen zurückgingen. Den Rückgang an Engagements seitens der Wirtschaft, erklärt er sich so: „Stiftungsprofessuren sind so gestrickt, dass sie nach Ablauf der Förderphase fortgeführt und von den Hochschulen anschlussfinanziert werden.“ Das bedeutet: Nach in der Regel fünf Jahren lassen die Förderer weiter für sich forschen – kostenlos.
Ehrenrettung
Solche Hintergründe spart der „Faktencheck“ freilich aus. Auch wird auf eine Einordnung oder eine Erklärung, was das Ganze überhaupt soll, in der PDF-Präsentation gänzlich verzichtet. Bei allem schwingt irgendwie mit: Man tut der deutschen Wirtschaft Unrecht, wenn behauptet wird, sie wolle die Hochschulen für eigene Interessen instrumentalisieren. Eine Art Ehrenrettung also. Vorgetragen durch den Stifterverband, gemäß Selbstdarstellung eine „Gemeinschaftsinitiative der Wirtschaft“, in der „3.000 Unternehmen, Unternehmensverbände, Stiftungen und Privatpersonen“ zusammengeschlossen sind, um die „deutsche Bildungs- und Forschungslandschaft nachhaltig zu verbessern“.
Natürlich muss dabei der mitunter rufschädigenden Medienberichterstattung über die Förderer begegnet werden. Wie etwa dem Vorwurf, die Hochschulen ließen sich für die Interessen der Industrie einspannen und stellten die Freiheit von Forschung und Wissenschaft zur Disposition. Unter „Fakt 10“ wird das Ergebnis einer Umfrage unter Hochschulleitern präsentiert, von denen 94 Prozent „keinen unangemessenen Einfluss der Wirtschaft“ sehen würden. Was beruhigend anmuten soll, findet Semsrott alarmierend: „Wenn sechs Prozent sagen, sie fühlten sich beeinflusst, dann liegen hier eindeutige Verstöße gegen das Grundgesetz vor. Laut Artikel 5 sind Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre frei.“
Deutsche Bank kauft sich ein
Umgekehrt sei außerdem zu fragen, was unter „nicht unangemessenem Einfluss“ zu verstehen ist, gab Semsrott zu bedenken. Er erinnerte an den Skandal um die Deutsche Bank, die der Technischen und der Humboldt-Universität Berlin im Jahr 2007 ein Institut sowie zwei Stiftungsprofessuren sponserte und sich per Geheimvertrag weitreichende Mitsprache bei Lehre, Forschung und Personal sicherte. „Das geschah im Einvernehmen mit der Hochschulleitung. Das heißt: Unter besagten 94 Prozent können sehr wohl noch Fälle sein, bei denen in die Forschungs- und Wissenschaftsfreiheit eingegriffen wird, die Verantwortlichen das aber als okay oder eben angemessen erachten.“
Die Deutsche Bank ist im Stifterverband mit einem eigenen Stiftungsfonds vertreten und verleiht seit sechs Jahren den sogenannten Deutsche Bank Prize über 50.000 Euro an „renommierte Wirtschaftswissenschaftler“. Freilich läuft das unter selbstloser Forschungsförderung, so wie der ganze Stifterverband angeblich nur Gutes im Schilde führt. Im Falle des „Faktenchecks“ erschließt sich die eigentliche Intention allerdings erst in der begleitenden Pressemitteilung. Darin heißt es: „Die Zusammenarbeit von Unternehmen und Hochschulen verläuft weitgehend reibungslos. Dennoch nehmen die Kooperationen ab“, (was in puncto Quantität nicht einmal stimmt), und jetzt kommt`s: „Unternehmen forschen lieber im Ausland“.
„Mehr Engagement“
Da drückt also der Schuh: Deutschlands Hochschulen drohen im internationalen Wettbewerb um die Forschungsmittel aus dem In- und Ausland abgehängt zu werden. Das will der Stifterverband natürlich nicht hinnehmen und verlangt einen Sinneswandel. Generalsekretär Andreas Schlüter bringt das so auf den Punkt: „Wir brauchen nicht weniger, sondern mehr Engagement der Wirtschaft für die Wissenschaft." Es solle konsensfähig sein, „dass unser Forschungs- und Innovationssystem ohne den Beitrag der Wirtschaft viel weniger leistungsfähig wäre. Die meisten Unternehmen wissen, wie wichtig die Unabhängigkeit von Forschung und Lehre für sie ist und deshalb rütteln sie daran auch nicht.“
Bei so vielen Widersprüchen auf so engem Raum leuchtet dann auch ein, was mit der These gemeint ist, die „aktuelle Debatte wird (…) unter völlig falschen Vorzeichen geführt“. Falsch ist demnach die Wahrnehmung, dass zu viel und zum Schaden der Forschungs- und Wissenschaftsfreiheit kooperiert wird. Die für den Stiftungsrat „richtigen“ Vorzeichen lauten dagegen: Deutschlands Hochschulen müssen noch viel mehr gemeinsame Sache mit der Industrie machen und die Zusammenarbeit ist immer voll in Ordnung. Semsrott hält dagegen: „Die Frage ist nicht, ob wir mehr oder weniger Wirtschaft brauchen. Wir brauchen mehr Transparenz und vor allem Unabhängigkeit der Wissenschaft. Deshalb setzen wir uns dafür ein, dass beispielsweise Kooperationsverträge offengelegt werden.“
Schlechter Rat ist teuer
Zurück zu den Hochschulräten. Schleswig-Holstein hatte mal einen Universitätsrat, der die Hochschulen Kiel, Lübeck und Flensburg übergreifend betreute. Weil dessen Finanzgebaren dem Landesrechnungshof missfiel, wurde das Gremium kurzerhand abgeschafft. Wenig später setzten die drei Unis, jede für sich, einen eigenen Hochschulrat in die Welt. Jetzt hätten die schleswig-holsteinischen Unternehmen „noch mehr Möglichkeiten, Vertreter zu entsenden“, konstatiert Uni-Spiegel. So viel Freiheit muss schon sein. (rw)