Zwei Jahre Hochschulwatch.deVollgasforschung für Volkswagen
Aber es geht noch besser: Die altehrwürdige Humboldt-Universität Berlin (HUB) beherbergt seit über drei Jahren das „Alexander von Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft“ (HIIG gGmbH). Mit im Boot sitzen als Gründungsgesellschafter die Universität der Künste (UdK) und das Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) sowie als Kooperationspartner das Hans-Bredow Institut für Medienforschung (HBI) an der Uni Hamburg. In der Pressemitteilung zum Start des Projekts wimmelt es förmlich vom Wörtchen „unabhängig“ – so als machte das Wiederkäuen der Vokabel die Sache erst richtig glaubhaft.
Unabhängig mit Google?
Exakt genauso häufig, nämlich sechs Mal, taucht im Text „Google“ auf. Der kalifornische Internetgigant bezahlt das Institut. Für die ersten drei Jahre hat er mal eben 4,5 Millionen Euro locker gemacht. Wie es heißt, ist inzwischen auch die „Finanzierung für die Zeit bis Ende 2016 durch Google sichergestellt“. Das wiederum bedeutet wohl, dass der Konzern weiteres Geld springen lässt. Und wo bleibt da die Unabhängigkeit? Die tageszeitung (taz) fragte sich das vor drei Jahren auch und verwies auf eine ähnliche Einrichtung in der Schweiz, die Google als firmeneigenes Entwicklungs- und Forschungszentrum diene. Das werfe „Zweifel an der Neutralität der Ergebnisse“, schrieb das Blatt und weiter: „Macht Google das alles nur für sich?“
Und wenn es so wäre, befände sich der Dotcom-Riese in illustrer Gesellschaft. Das Portal Hochschulwatch.de dokumentiert aktuell mehr als 10.000 Verbindungen zwischen der gewerblichen Wirtschaft und Deutschlands höheren Bildungsanstalten. Unter den aufgeschlüsselten 4.780 Förderern, die die Hochschulen mit sogenannten Drittmitteln ausstatten, befinden sich demnach mehr als 4.000 Unternehmen. Bei der Mehrzahl der Kontakte geht es um Spenden und Sponsoring. Eine immer größere Rolle spielen aber auch organisatorische und personelle Verflechtungen: Im Zuge des Vormarschs der „unternehmerischen Hochschule“ wurden vielerorts sogenannte Hochschulräte etabliert, die – mit externen Vertretern aus der freien Wirtschaft bestückt – über die Geschicke der Uni entscheiden. Oder es werden eben gleich ganze Studiengänge, Institute und Lehrstühle mit Fremdmitteln hochgezogen.
Hörsaal Aldi Süd
Die Hochschule Kempten macht alles mit: In deren Hochschulrat sitzen acht Entsandte von Unternehmen, von denen sieben einen Hörsaal gesponsert haben. Dazu kommen zwei Stiftungsprofessuren, knapp 80 geldwerte Kooperationen mit „Förderern“ wie Arcor, Bosch oder der Allianz. 35 Hörsäle (wahrscheinlich alle auf dem Campus) tragen die Namen von Firmen, Versicherungen und Banken, wie Aldi Süd, Continental, Bosch, Siemens, AOK und Sparkasse. Obendrein laufen noch 20 „Deutschlandstipendien“ auf Unternehmerrechnung. Das alles macht sich freilich bezahlt: Die Hochschule Kempten hat 2012 über zwei Millionen Euro an Drittmitteln eingeworben. Mehr als eine halbe Million oder 24 Prozent wurden von der Industrie eingetrieben.
Darüber kann man an der Hochschule Bremen nur lachen. Laut Hochschulwatch hat man dort seit 2010 sämtliche Drittmittel in der freien Wirtschaft eingesammelt, 2011 und 2012 jeweils um den Dreh von neun Millionen Euro. Der Eifer schlägt sich in 17 Stiftungsprofessuren nieder, in 40 geldwerten Zuwendungen und 37 Deutschlandstipendien. In absoluten Zahlen ist das freilich ein kleiner Fisch. Die TU München hat 2012 den Angaben zufolge über 86 Millionen Euro aus der gewerblichen Wirtschaft erhalten, mit ihrem Klinikum noch einmal knapp neun Millionen Euro mehr. Die RWTH Aachen brachte es samt Klinikum auf rund 75 Millionen. Die Münchner TU und die Aachener RWTH gehören bundesweit zu den renommiertesten Hochschulen. Beide schmücken sich mit dem Label Eliteuniversität, das ihnen bei der dritten Runde der sogenannten Exzellenzinitiative zur Förderung von Spitzenforschung verliehen wurde. Den Titel tragen sie seit 2012, was vermuten lässt, dass sich ihr „Ruhm“ inzwischen noch besser rechnet.
Immer mehr Stiftungsprofessuren
Hochschulwatch wurde vor zwei Jahren aus der Taufe gehoben. Hinter dem Projekt steht die Antikorruptionsorganisation Transparency International Deutschland (TI), der „freie zusammenschluss von studentInnenschaften“ (fzs) und die tageszeitung (taz). Am Dienstag zogen die Initiatoren vor Pressevertretern in Berlin eine erste Bilanz und stellten den Relaunch ihrer Webseite vor. Dort lässt sich zum Beispiel mit wenigen Klicks herausfinden, mit welchen Hochschulen der Chemieriese Bayer gemeinsame Sache macht (zehn Stiftungsprofessuren) oder wo überall die Energieriesen RWE (drei Stiftungsprofessuren), E.on und Vattenfall (beide sechs Stiftungsprofessuren) mitmischen.
Überhaupt sind Stiftungsprofessuren mittlerweile der große Renner. Das sei ein „beliebtes Mittel, um Einfluss zu nehmen, auf welchen Gebieten geforscht wird“, erklärte taz-Bildungsredakteurin Anna Lehmann. Sie bezifferte die Zahl der durch Hochschulwatch aufgeführten von der Industrie oder privaten Stiftungen gesponserten Lehrstühle auf 900. Nach Schätzungen des Stifterverbands für die Deutsche Wissenschaft sind es schon über 1.000, die meisten davon in Bayern und Baden-Württemberg. Angesichts von gegenwärtig knapp 40.000 Professoren erscheint die Zahl nicht allzu dramatisch. Allerdings geht es mit den Zuwächsen in jüngerer Vergangenheit steil nach oben. Laut Lehmann hat sich die Zahl der gesponserten Profs in den vergangenen fünf Jahren verdoppelt.
VW baut auch Lehrstühle
„Funktionale und interaktive Polymere“ VW rief unter 25 anderen eine Stiftungsprofessur ins Leben, die an einem Stoff forscht, der Automobile leichter macht
Lehmann verwies auf den Fall der Fachhochschule Flensburg, die mit dem Verband der norddeutschen Wirtschaft einen Vertrag über die Einrichtung eines Lehrstuhls für Windenergie geschlossen hat. Über die Verwendung des Geldes entscheidet ein siebenköpfiger Beirat. „Der Haken dabei: Sechs der sieben Beiratsmitglieder sind von den Stiftern entsandt.“ Der Autobauer Volkswagen bzw. die Volkswagen-Stiftung hat nicht weniger als 25 Stiftungsprofessuren ins Leben gerufen. Zum Beispiel eine namens „Funktionale und interaktive Polymere“ an der Universität Aachen. Polymere sind der Stoff, der Automobile leichter macht. Eine andere heißt „Modernes China mit Schwerpunkt auf globalhistorischen Perspektiven“ an der Uni Göttingen. Erst am Wochenende war zu lesen, Volkswagen „gibt in China Vollgas“ und wolle bis zum Jahr 2019 im Reich der Mitte fünf Millionen Autos jährlich vom Band rollen lassen.
Abseits der Frage, ob dabei die Wissenschaftsfreiheit auf der Strecke bleibt, können diese Engagements – so lohnend sie für die Rektoren im ersten Moment erscheinen mögen – auf lange Sicht auch finanziell nach hinten losgehen. Sobald die zumeist auf fünf oder zehn Jahre angelegte Fremdfinanzierung ausläuft, müssen die Hochschulen die Lehrstühle aus eigener Tasche weiter unterhalten. Das reißt Löcher in den Etat, die irgendwie gestopft werden müssen. Wie Isabella Albert, Vorstandsmitglied beim studentischen Dachverband fzs zu bedenken gab, geht das absehbar auf solche Studienbereiche, die gerade nicht so hoch im Kurs stehen.
Sinologie schlägt Niederdeutsch
Wie so etwas abläuft, skizzierte die taz am Dienstag am Beispiel der Uni Göttingen. Dort standen 2005 wegen der Kürzungsvorgaben der Landesregierung mehrere Studiengänge auf der Abschussliste. Es erwischte die Professuren für Niederdeutsche Philologie, in Musikethnologie, Wissenschaftsgeschichte, Japanologie und Turkologie. Die Sinologie wurde auf den letzten Drücker gerettet, weil drei potente Stifter in die Bresche sprangen, ein Unternehmen und zwei Banken. Sie finanzierten die Professur Ostasienwissenschaft/China für fünf Jahre, im Gegenzug verpflichtete sich die Universität, die Stelle nach Ablauf der Förderzeit aus eigener Tasche weiterzuführen. Heute ist die Sinologie ein Aushängeschild der Uni Göttingen. Die Niederdeutsche Philologie hat man dagegen „abgehängt“, und wenn das Ostasien-Forschungszentrum weiter so brummt, werden dafür in Zukunft wohl noch andere Bereiche geopfert werden müssen. Daran zeigt sich sehr anschaulich, wie privates Geld über Wohl und Wehe von Wissenschaft entscheidet. Passend titelte die taz über Stiftungsprofessuren: „Die Hochschultrojaner.“
Auf Hochschulwatch erfährt man auch, dass die deutschen Hochschulen 2012 rund 6,7 Milliarden Euro an Drittmitteln eingeworben haben, während es 2001 erst drei Milliarden Euro waren. 1,3 Milliarden Euro stammten direkt aus der gewerblichen Wirtschaft. Davon flossen 44 Prozent in Forschungsaufträge, etwa ein Viertel in Forschungskooperationen und neun Prozent in Stiftungsprofessuren. „Hochschulen werden immer weiter zu Produzenten von Arbeitskräften degradiert“, beklagte Albert. „Studierende und Lehrende verlieren die Selbstbestimmung über ihr Handeln und bekommen häppchenweise Aufgaben aus der Wirtschaft.“
Verschlusssache Drittmittel
Über die Inhalte der Drittmittelkontrakte kann meist nur gerätselt werden, in der Regel bleiben sie unter Verschluss. Das muss sich laut TI-Deutschland-Chefin Edda Müller ändern. „Unabhängigkeit und Transparenz der Finanzströme sind ein hohes Gut der Wissenschaft“, sagte sie. „Wir fordern eine Veröffentlichungspflicht aller Kooperationsverträge zwischen Wirtschaft und Wissenschaft sowie regelmäßige Sponsoringberichte aller Hochschulen.“ Bislang hielten nur fünf Bundesländer ihre Hochschulen an, über den Einsatz von Drittmitteln Rechenschaft abzulegen. Müllers Sorge: „Zunehmend bestimmen die Verwertungsinteressen der Wirtschaft die Lehre und auch die Forschung – und weniger das, was unser großes Erbe ist, nämlich die Unabhängigkeit von Forschung und Lehre.“
Wanka schweigt und feiert
Dieser Einschätzung schlossen sich auch die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), die Grünen und die Linkspartei an. Ihre Forderungen gehen so: „Ausverkauf von Forschung und Lehre stoppen“, Grundfinanzierung der Hochschulen stärken und „Schattenwissenschaft beenden“. Die Bundesministerin für Bildung und Forschung Johanna Wanka (CDU) äußerte sich nicht zum Thema. Sie weilte am Dienstag bei einem Festakt der „Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung“. Die wird von Bund und Ländern finanziert. Aber nicht nur. „Sponsoring-Partner“ sind auch: DWS Investment, T-Online und die Boston Consulting Group.
(rw)