Studie zu Hochschulwahl der TopmanagerBraucht die Wirtschaftselite keine Privatunis?
Unser Interviewpartner, Michael Hartmann, war bis zu seinem Ruhestand Professor für Soziologie an der TU Darmstadt. Er forscht über Eliten, Globalisierung und nationale Wirtschaftskulturen sowie Hochschulsysteme im internationalen Vergleich.
Studis Online: Sie sind als Teil einer in Arbeit befindlichen Studie über Bildungs- und Karriereverläufe auch der Frage nachgegangen, an welchen Hochschulen Deutschlands Topmanager studiert haben. Wie das Manager-Magazin unter Berufung auf Ihre Auswertung berichtete, hat das Gros der aktuellen Wirtschaftselite ein „konventionelles Studium an einer staatlichen Universität in Deutschland absolviert“. Überrascht Sie der Befund vielleicht selbst ein wenig?
Michael Hartmann: Nein, überhaupt nicht. Es ist stets mein Argument gewesen, dass Privatuniversitäten für den Werdegang der Spitzenmanager und der Eliten in Deutschland keine allzu große Rolle spielen werden. Die Skepsis, die ich dazu schon in den 1990er Jahren und Anfang dieses Jahrtausends an den Tag gelegt hatte, als private Elitehochschulen ganz groß im Kommen waren und als Zukunftsmodell schlechthin gefeiert wurden, findet heute ihre Bestätigung. Einer der ganz wenigen Fälle, in denen eine Privatuni einen renommierten Manager hervorbrachte, war Kai-Uwe Ricke, der zwischen 2002 und 2006 die Deutsche Telekom anführte. Er hatte an der Universität für Wirtschaft und Recht (EBS) im hessischen Oestrich-Winkel studiert. Das war aber für lange Zeit eine Ausnahmeerscheinung.
Wie sieht es heute aus? Was konkret hat Ihre Auswertung ergeben?
Ich habe mir die Chefetagen der 100 größten Unternehmen in Deutschland angesehen. Von den 529 Vorstandsmitgliedern stammen gerade einmal zwei von Privatunis. Einer von der EBS und der zweite von der Otto Beisheim School of Management (WHU Vallendar). Beide Institutionen bestehen schon seit über drei Jahrzehnten und die fraglichen Topmanager sind in der großen Mehrheit heute zwischen Mitte 40 und Ende 50. Wenn diese Privatunis wirklich so toll und exklusiv wären, wie sie sich nach außen darstellen, dann müsste der Output an Spitzenleuten auf alle Fälle größer sein.
Was folgt daraus für Sie?
In Deutschland hat die Wirtschaftselite an verschiedensten staatlichen Universitäten studiert – und so gut wie gar nicht an privaten.
Wenn sich die Wirtschaftselite zu einem so verschwindend geringen Anteil aus den Privathochschulen rekrutiert, dann lässt sich feststellen: Diese Einrichtungen sind faktisch ohne Belang. Selbst die nicht gerade schillernde Uni Paderborn, die wie die EBS 1971 gegründet worden ist, hat drei Absolventen in die Chefetagen entsandt. Auch der einst so hochgejubelte Abschluss Master of Business Administration (MBA) ist nicht wirklich der große Renner. Von 529 Spitzenmanagern haben inklusive Ausländer gerade einmal 28 diesen kostspieligen Titel als wirklichen Studienabschluss inne. Ohne Ausländer sind es nur 18. Dazu kommen noch einige, bei denen er nur ein in Kursen während der Berufslaufbahn erworbenes zusätzliches Zertifikat darstellt. In der Wirtschaftspresse liest man das immer wieder: Der MBA verliert an Glanz, und das ist auch ein schwerer Schlag für die Privatunis, die diesen Abschluss im Wesentlichen anbieten.
Aus Sicht der sogenannten Leistungselite müsste das Gebot der Stunde dann doch lauten: Weg mit Privathochschulen. Oder nicht?
Das Problem erledigt sich ja fast von selbst. Eine ganze Reihe dieser Business-Schools wird über kurz oder lang von der Bildfläche verschwinden, weil sie sich finanziell einfach nicht tragen. Aktuell erleben wir die Finanzprobleme ja bei der EBS und der Zeppelin-Universität (ZU) in Friedrichshafen, und einige andere hat es schon ganz erwischt. Ganz nüchtern betrachtet zeigt sich aktuell wie rückblickend: Eigentlich haben diese Privathochschulen keine echte Bedeutung – wenn es um die Produktion der Wirtschaftselite geht ...
… dann hätte man sie sich auch sparen können?
Privatunis haben daneben eine zweite, politische Funktion erfüllt. Mit ihnen als vermeintliche Musterinstitutionen, als die sie lange Zeit hingestellt wurden, hatten interessierte Kreise einen Hebel in der Hand, das öffentliche Hochschulsystem nachhaltig zu diskreditieren – als lahm, verkrustet, bürokratisch, leistungsverneinend. Das erst war die ideologische Voraussetzung dafür, die sogenannte Exzellenzinitiative zur Förderung von Spitzenforschung an den Start bringen zu können. Die erfüllt ja seit nunmehr zehn Jahren den Zweck, die staatlichen Hochschulen auf einen elitären Kurs zu trimmen und die knappen öffentlichen Mittel in der Spitze zu konzentrieren und in der Breite weiter zu reduzieren. Die Elitenförderung gibt es seither praktisch von Staats wegen und dieses Bund-Länder-Programm hat die von Beginn an intendierte Ausdifferenzierung und Hierarchisierung der Hochschullandschaft entscheidend forciert.
Und die Privatunis waren so etwas wie der Dosenöffner?
Man hat sie gebraucht, um diesen Masterplan ideologisch zu unterfüttern. Aktuell spielt sich etwas Ähnliches im schulischen Sektor ab, nämlich der Vorstoß zur Errichtung eines „nationalen Bildungsrates“. Dahinter stehen die Bertelsmann Stiftung, die Telekom- und die Robert-Bosch-Stiftung. Dieser Bildungsrat soll, wie im Berliner Tagespiegel zu lesen war, nach dem Vorbild des Wissenschaftsrats Bund und Länder beraten im Hinblick auf die Entwicklung von Kitas, Schulen und bei der Frage der Inklusion. Übersetzt heißt das: Die Privatwirtschaft, in Gestalt dieser gemeinnützigen Stiftungen, will Druck auf die Politik machen, damit die ihre Agenda durchsetzt. Im Hochschulbereich hat ja vor allem das Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) – getragen durch die Bertelsmann Stiftung und die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) – vorgemacht, wie man die Politik auf Linie bringt.
Welche könnten die Ziele im Schulbereich sein?
Ich kann mir vorstellen, dass nach dem Muster von Schweden und Großbritannien eine größere Selbstständigkeit für einzelne Schulen und ein System von Bildungsgutscheinen herbeigeführt werden soll. Das würde auf eine noch stärkere Differenzierung und Hierarchisierung nach sozialen und Leistungskriterien hinauslaufen, als dies ja heute schon der Fall ist. Solche Tendenzen sind etwa in Schweden seit der Umstellung deutlich erkennbar. Um so etwas durchzusetzen, muss zunächst aber die Öffentlichkeit gewonnen werden: Indem man das öffentliche Schulwesen schlecht redet und Privatschulen als ach so tolles Gegenmodell darstellt. Die Diskussion ist ja längst im Gange.
Zurück zu den Hochschulen und Ihrer Auswertung. Die meisten Wirtschaftsbosse haben demnach die Unis Karlsruhe (KIT), Aachen (RWTH), München (LMU), Mannheim und Köln hervorgebracht. Bis auf Mannheim und Karlsruhe schmücken sich immerhin drei davon mit dem Titel Eliteuni, wie er 2012 im Rahmen der zweiten Phase der Exzellenzinitiative vergeben wurde. Wie interpretieren Sie das?
Das Abschneiden von Köln lässt sich mit einiger Sicherheit auf die Größe der Hochschule zurückführen, die seit den 1950er Jahren die mit Abstand größte wirtschaftswissenschaftliche Fakultät in Deutschland beherbergt. Die Kölner Uni und die LMU München haben jeweils über 50.000 Studierende. An den zehn Unis, die die Liste anführen, haben zwar 38 Prozent der heutigen Vorstandschefs studiert. Gleichzeitig hatten diese zehn in der fraglichen Zeit aber auch fast jeden fünften Studierenden in ihren Reihen. Es geht deshalb vor allem um einen Größeneffekt. Dazu kommt die besondere Rolle der Ingenieure in deutschen Unternehmen, die die Technischen Hochschulen so weit nach vorn rücken lässt. Anders ist das in Frankreich: Dort hat jeder zweite Wirtschaftsführer auf einer von drei Kaderschmieden studiert. Diese stellen aber lediglich fünf Promille aller Studierenden – das ist eine echte Eliteausbildung. In Deutschland verteilt sich die Wirtschaftselite dagegen auf die ganze Bandbreite an Universitäten. Hier spiegelt sich eine ziemlich egalitäre und föderale Struktur der Hochschullandschaft wider. Aber das muss nicht ewig so bleiben.
Auch wegen der Exzellenzinitiative?
Ja, wobei sich deren Wirkung nicht auf meine Zahlen durchschlagen kann. Um Topmanager zu werden, braucht es seine Zeit. Die Uni Stuttgart zum Beispiel hat allein elf Topmanager hervorgebracht, obwohl sie bei der Exzellenzinitiative keine großen Erfolge zu verzeichnen hat, genauso wie die TU Darmstadt und die Uni Erlangen, die auch in den Top-10 gelandet sind. Die Elite-Uni Bremen hat dagegen nur einen Topmanager ausgebildet, weniger als Osnabrück, Passau oder Paderborn. Aber für die Zukunft ist durchaus zu erwarten, dass mit der in Gang gesetzten Ungleichverteilung der Mittel wie des Renommees, das sich damit verbindet, eine Tendenz in Richtung französischer Verhältnisse erkennbar wird. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich eine einmal losgetretene Hierarchisierung im Zeitverlauf irgendwann in der Rekrutierung der Eliten abzeichnet, ist sehr hoch. In 20, 30 Jahren wird es mit einiger Gewissheit so sein, dass die Nutznießer der Exzellenzinitiative dann auch einen höheren Prozentsatz der Wirtschaftseliten ausgebildet haben werden.
Und die Privatunis werden sich verflüchtigt haben?
Auf alle Fälle werden es etliche weniger sein als heute. Die einzigen exklusiven Privathochschulen, die relativ reibungslos funktionieren, sind aus meiner Sicht die WHU Vallendar und die Bucerius Law School in Hamburg und das, weil sie jeweils finanzkräftige Stiftungen im Rücken haben und nicht existenziell auf die Einnahmen aus Studiengebühren angewiesen sind. Alle anderen stecken mehr oder minder in Schwierigkeiten. Die Uni Witten-Herdecke (UW/H) braucht jedes Jahr Millionen vom Land Nordrhein-Westfalen, die Graduate School of Management (HHL) in Leipzig erhält vom Land Sachsen hohe Subventionen, die EBS wäre vielleicht schon pleite, wenn nicht das Land Hessen ausgeholfen hätte. Das ganze Geschäftsmodell hat sich einfach nicht als dauerhaft tragfähig erwiesen. Im vergangenen Sommer hat das Manager-Magazin einen regelrechten Verriss der Privatunis geliefert. Das wäre vor fünf, sechs Jahren noch undenkbar gewesen. (rw)