Weniger für MehrUngleichgewichte bei der Betreuung Studierender
Laut der am Mittwoch veröffentlichen Studie des Berliner Forschungsinstitutes für Bildungs- und Sozialökonomie (FiBS) lag das Verhältnis zwischen Lehrenden und Lernenden im Jahr 2003 noch bei 1 zu 15,2. Seinerzeit waren an den Hochschulen allerdings nur knapp zwei Millionen Menschen eingeschrieben, im Vergleichsjahr 2012 eine halbe Million mehr. Gegenwärtig sind es sogar 2,7 Millionen. Vor diesem Hintergrund fällt der aktuell in der Studie ermittelte Wert von 1 zu 15,9 für 2012 besser aus, als man vielleicht befürchten musste.
„Gute Nachricht“ mit Abstrichen
Der für die Analyse zuständige Bildungsforscher Dieter Dohmen nennt das so auch „die gute Nachricht“. Während innerhalb des Untersuchungszeitraums die „Zahl der Studierenden in Deutschland um fast 30 Prozent gestiegen ist, hat sich das durchschnittliche Betreuungsverhältnis von Professoren und wissenschaftlichen Mitarbeitern zu Studierenden über alle Fächer und Hochschulen kaum verändert“. Mehr frohe Botschaften hat der FiBS-Direktor aber nicht in petto. Vielmehr offenbart der differenzierte Blick auf die Fächergruppen gewaltige Ungleichgewichte in der personellen Ausstattung, womit der erste schöne Eindruck gleich wieder zunichte gemacht wird.
Studierende im Gespräch mit ihrem Dozenten - ein differenzierter Blick offenbart starke Ungleichgewichte in der personellen Ausstattung
Ganz miserabel sieht es in den Ingenieurswissenschaften aus. Dort kamen 2012 auf eine Wissenschaftlerstelle nicht weniger als 22,4 Studierende. Verglichen mit den 15,6 Hochschülern im Jahr 2003 bedeutet dies eine Steigerung zum Schlechten um nahezu 50 Prozent. Während der Anstieg bei den Fachhochschulen mit plus 3,1 Studierenden pro Dozent (von 22,3 auf 25,4) „noch recht moderat“ ausgefallen sei, so müsse die Entwicklung an den Universitäten „fast schon als dramatisch“ bezeichnet werden, schreibt Dohmen in einer Stellungnahme. „Statt 11,0 Studierende musste jeder Professor oder wissenschaftliche Mitarbeiter zuletzt 19,4 Studierende betreuen.“
Abwärtstrend bei MINT-Fächern
Das sei „sehr besorgniserregend für einen Fachbereich, der als ganz zentral für die Zukunftsfähigkeit des Landes dargestellt wird“, gab der Volkswirt im Gespräch mit Studis Online zu bedenken. „Besonders gravierend“ ist nach seinen Befunden die Lage an den Unis in Nordrhein-Westfalen (NRW) und Sachsen-Anhalt sowie an den Fachhochschulen in Bremen, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Hier war jede Lehrkraft 2012 für über zehn Ingenieursanwärter mehr zuständig als noch zehn Jahre zuvor.
Ähnlich schlecht stellt sich die Situation in Mathematik und den Naturwissenschaften dar. Musste jede wissenschaftliche Kraft im Jahr 2003 noch 15 Studierende begleiten, sind es ein Jahrzehnt später schon über 17. Besonders stark ist der Anstieg in Hessen und NRW, wo die Betreuungszahl von 14 auf 20 bzw. 18 auf über 23 hochschnellte. Dabei sei gerade in den sogenannten MINT-Fächern (Mathematik, Informatik, Natur- und Technikwissenschaften) „eine gute Betreuung wichtig für einen erfolgreichen Studienabschluss“, meinte Dohmen und äußerte die Vermutung, dass die dünne Personaldecke „einer der Gründe für die hohen Studienabbruchquoten sein könnte“.
Studienabbruch programmiert
Tatsächlich ist das vorzeitige Scheitern für Studierende in den MINT-Fächern heutzutage fast schon normal. Wie eine Studie des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW; Nachfolger der HIS-Forschungsabteilung) für 2012 ergeben hat, strichen im Bachelor Mathematik damals 47 Prozent der Studierenden frühzeitig die Segel, in Chemie, Elektrotechnik und Bauingenieurwesen waren es jeweils 40 Prozent und in Informatik 37 Prozent. Für Dohmen ist das „alarmierend, weil Absolventen in diesem Bereich am Arbeitsmarkt zunehmend gefragt sind“.
Überraschend gut – wenn auch nur vergleichsweise – schneiden die Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften ab. Dort sind die Betreuungsquoten traditionell insgesamt zwar höher als in den Technikfächern, im bundesweiten Mittel wären sie allerdings „zum Teil deutlich besser geworden“. 2003 kümmerte sich ein Dozent noch um 34, vor zwei Jahren nur noch um 29 Studierende. In den Geistes- und Kulturwissenschaften habe sich die Relation leicht von 1 zu 25 auf 1 zu 24 verbessert. „Die weitgehende Konstanz der Durchschnittwerte ist darauf zurückzuführen, dass es bei den Geistes-, Kultur-, Sozial- und Rechtswissenschaften eine spürbare Entspannung gegeben hat“, bemerkte Dohmen. „Sie haben das Gesamtbild gerettet.“
Mecklenburg-Vorpommern vorne
Bei der Betrachtung der einzelnen Bundesländer haben den Befunden zufolge lediglich Bremen, Niedersachsen und Thüringen ihr Betreuungsangebot im Zuge des zurückliegenden Jahrzehnts insgesamt verbessert. Die größten Veränderungen zum Schlechten verzeichnen das Saarland (plus 2,9), Berlin (plus 2,6), Hessen (plus 2,2) und Sachsen-Anhalt (2,1). Allerdings bestehen mitunter enorme Unterschiede bei der Ausgangslage. Im Saarland lag so das Verhältnis vor elf Jahren noch bei knapp unter 1 zu 10, zuletzt dann bei 1 zu 12,6. In Hessen muss ein Dozent dagegen 19 Studierende betreuen, während es 2003 immerhin schon knapp über 17 waren. Schaut man nur auf die absoluten Zahlen und nicht auf die Veränderungen im Zeitverlauf, dann bilden Brandenburg und Bremen die Schlusslichter mit einer Relation von über 1 zu 21, NRW liegt knapp unter 1 zu 21. In Mecklenburg-Vorpommern ist das Verhältnis mit 1 zu 12 am günstigsten.
Als einen „möglichen Erklärungsansatz“ für den Abwärtstrend insbesondere in den Technikfächern nannte Dohmen die zu geringen Mittelzuweisungen im Rahmen des Hochschulpakts. Pro neu zu schaffendem Studienplatz werden dabei auf vier Jahre gestreckt 26.000 Euro von Bund und Ländern bereitgestellt. „Das Geld mag ausreichen, um Verbesserungen bei den Lehrkapazitäten in den Sozial und Geisteswissenschaften herbeizuführen, aber nicht in den deutlich teureren Ingenieurswissenschaften.“ Dazu komme, „dass keine nachhaltigen Strukturen aufgebaut werden“. Die Mittel würden immer nur zeitlich begrenzt vergeben, wodurch in aller Regel auf „kurzfristige und möglichst billige Lösungen“ gesetzt werde. „Man schafft vor allem Stellen für wissenschaftliche Mitarbeiter oder Tutoren und kaum noch solche für Professoren.“
Professoren Mangelware
In der Tat werden Professoren allmählich zur „Mangelware“. Nach den neuesten vom Statistischen Bundesamt dazu vorgelegten Zahlen von 2012 kamen damals auf einen Professor 64 Studierende, vier Jahre zuvor lag das Verhältnis noch bei 1 zu 58. Und das bildet nur den Durchschnitt ab. Nach einem Bericht der Wochenzeitung Die Zeit vom Frühjahr lag die Relation in den „normalen“ öffentlichen Hochschulen (stark spezialisierte und private Unis ausgenommen) vor zwei Jahren bei 1 zu 70, mancherorts, wie in Dortmund, musste sich ein Professor gar um über 100 Studierende kümmern. „Bund und Länder müssen deutlich mehr Geld in die Hochschulen investieren – und zwar dauerhaft und nachhaltig“, empfahl Dohmen. Für ihn sind die Rückschritte bei der Betreuung ein Abbild der allerorten rückläufigen Ausgaben für Wissenschaft und Forschung. Nach einer jüngst vom FiBS vorgelegten Studie sind die Aufwendungen pro Studierendem von Bund- und Ländern zwischen 2000 und 2011 nominal von 9600 Euro auf 8700 Euro eingebrochen. Unter Mitberücksichtigung der Inflation fiele die Bilanz noch viel verheerender aus.
(rw)