ABS bereit zum AbwehrkampfDebatte um Neuauflage Studiengebühren
Die Debatte um Studiengebühren hört wohl nie auf…
Studis Online: Seit Beginn des laufenden Wintersemesters gibt es in Niedersachsen keine allgemeinen Studiengebühren mehr. Damit hat sich auch im letzten von zwischenzeitlich sieben Bundesländern, die bei ihren Studierenden Kasse machten, das Bezahlstudium erledigt. Eigentlich müsste Ihnen doch zum Feiern zumute sein, oder?
Kurt Stiegler: Natürlich sind wir froh darüber, dass allgemeine Studiengebühren nach einer Episode von acht Jahren in ganz Deutschland wieder vom Tisch sind. Aber es wäre naiv, sich jetzt zurückzulehnen und zu sagen: Unsere Arbeit ist getan. Das machen wir schon deshalb nicht, weil wir für die Abschaffung sämtlicher Bildungsgebühren eintreten. Gerade in Niedersachsen werden weiterhin Langzeitstudiengebühren erhoben und wir unternehmen im Bündnis mit der LandesAstenKonferenz (LAK) aktuell Anstrengungen, die rot-grüne Landesregierung dazu zu bringen, auch diese abzuschaffen – ebenso wie die nach wie vor kassierten Verwaltungskostengebühren. Gebühren dieser und anderer Art wie etwa für berufsbegleitende Studiengänge oder ein Zweitstudium bestehen noch in einer ganzen Reihe von Ländern. Von daher gilt für uns: Es gibt noch viel zu tun.
Vom Aktionsbündnis gegen Studiengebühren (ABS) war lange Zeit ziemlich wenig zu hören. In den zurückliegenden Wochen haben Sie sich dagegen gleich mehrmals öffentlich zu Wort gemeldet. Woran liegt das?
Unser Interviewpartner Kurt Stiegler ist Koordinator beim Aktionsbündnis gegen Studiengebühren (ABS). Das seit 1999 bestehende Bündnis aus Gewerkschaften, Studierendenvertretungen, politischen Jugendverbänden und Wissenschaftsorganisationen tritt für eine umfassende Gebührenfreiheit des Hochschulstudiums ein
Was uns Sorgen bereitet, ist die Häufung an Vorstößen von verschiedener Seite, mit denen Studiengebühren wieder ins Gespräch gebracht werden sollen. Wenn sich wie zuletzt die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) für deren Wiedereinführung ausspricht, dann heißt das für uns: es ist Gefahr im Verzug. Was uns vor allem stört, ist die Tatsache, dass dieser Einwurf mehr oder weniger unwidersprochen blieb, zumindest seitens der Politik. Erfreulich war dagegen der Einspruch der hessischen FH-Präsidenten, wonach Studiengebühren das falsche Signal wären. Wir wünschen uns mehr solcher Klarstellungen. Bald greift überall die sogenannte Schuldenbremse. Wird den Stimmungsmachern für Studiengebühren nicht entschieden Paroli geboten, dann nehmen die Länder das als Einladung, sich langfristig aus der Finanzierung der Hochschulen zurückzuziehen.
Mitte Oktober hatte HRK-Präsident Horst Hippler für einen Gebührenrollback getrommelt. In der Süddeutschen Zeitung (SZ) sagte er angesichts der angespannten Haushalte ein baldiges Umdenken der Politik voraus, desgleichen werde sich auch die öffentliche Ablehnung ändern. In den Bundesländern sehe er „schon jetzt diese Debatten, an allen Ecken und Enden“. Was soll an diesem Vorstoß so gefährlich sein? Schließlich hat die HRK aus ihrer Vorliebe für Gebühren doch nie einen Hehl gemacht.
Es ist ja nicht allein die HRK, die so etwas vorträgt. Wir beobachten in den vergangenen Wochen und Monaten insgesamt eine verstärkte Tendenz zur Verharmlosung von Weiterbildungs- und Studiengebühren. Die Grünen in Baden-Württemberg fordern Studiengebühren für ausländische Studierende, dasselbe verlangt auch die TU München. Dazu haben die Rektoren in Nordrhein-Westfalen eine Lanze für nachgelagerte Studiengebühren gebrochen. Wir mögen noch am Anfang der Debatte stehen. Aber gerade da ist es wichtig, deutlich zu widersprechen, weil Studiengebühren andernfalls in der Öffentlichkeit zum Selbstläufer werden.
Wehret den Anfängen …
Ganz genau. Die Hochschulrektoren haben ab Mitte der 1990er Jahre über zehn Jahre lang gebraucht, dem Bezahlstudium zur Durchsetzung zu verhelfen. Mit ihrer Abschaffung wurde das Projekt aber nicht aufgegeben, sondern nur aus Eis gelegt. Deshalb müssen wir unbedingt am Ball bleiben und unsere Argumente herausstellen. Studiengebühren sind sozial ungerecht und von der Bevölkerung nicht gewollt. In Bayern wurde das Bezahlstudium vor gerade einmal einem Jahr per Volksentscheid beerdigt – und schon jetzt geht man damit wieder lauthals hausieren. Wenn die Politik den Wünschen entsprechen sollte, würde sie sich völlig unglaubwürdig machen. Nur ist das der HRK ganz egal, die denkt in längerfristigen Kategorien, nicht nur bis zum nächsten Wahltag.
Sie sprachen den Vorstoß der Grünen in Baden-Württemberg an, ausländische Studierende zur Kasse zu bitten. Ist das für Sie auch nur ein Türöffner für weitergehende Begehrlichkeiten?
Auf alle Fälle, auch wenn das die Grünen natürlich bestreiten würden. Nichtsdestotrotz ist die Forderung schon ein Skandal an sich. Die Studiengebührenfreiheit in Deutschland ist eine Qualität unseres Bildungssystems und kein Malus. Die Befürworter argumentieren gerne damit, dass die internationalen Studierenden in der Regel aus reichem Elternhaus stammen. Aber: Wer in anderen Länder reich ist, ist bei uns vielleicht sogar arm. Außerdem ist laut 20. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerkes der Anteil an Studierenden aus Ländern mit niedrigem Pro-Kopf-Einkommen seit 2006 rückläufig. Dazu kommt, dass Nicht-EU-Ausländer nur in Ausnahmefällen Anspruch auf BAföG-Leistungen haben. Die meisten Betroffenen haben wenig Geld und schlagen sich mehr schlecht als recht durch.
Gleichwohl meint der Chef der TU München Wolfgang Herrmann, die Idee zum Kassemachen bei Nicht-EU-Bürgern „wird irgendwann greifen“. Könnte er damit nicht auch deshalb Recht behalten, weil sich die Betroffenen kaum zur Wehr setzen können – allein schon wegen ihrer begrenzten Zahl?
Das ist ja das Perfide: Man sucht sich die vermeintlich schwächste Gruppe auf dem Campus aus und macht daraus ein Pilotprojekt für weitere Angriffe – und am Ende müssen alle bezahlen. Wenn der Münchner TU-Präsident meint, Nicht-EU-Ausländer könnten ja vom sogenannten Deutschlandstipendium profitieren, dann sei ihm gesagt, dass das an seiner Uni auf lediglich 71 Internationale zutrifft. Außerdem geht es dabei um nur 300 Euro im Monat. Wie will man damit in München über die Runden kommen. Wir vom ABS haben ein Rechtsgutachten zur in Baden-Württemberg geplanten „Zulässigkeit der Erhebung von Studiengebühren bei Nicht-EU-Ausländern“ anfertigen lassen. Nach dessen Ergebnissen verletzt das Vorhaben sowohl den Sozialpakt der Vereinten Nationen (UN) als auch das deutsche Grundgesetz.
Kommen wir zur Politik. Derzeit sitzt mit der SPD eine Partei in der Bundesregierung, die programmatisch für Gebührenfreiheit steht. Die Sozialdemokraten schreiben sich das flächendeckende Gebührenaus sogar auf die Fahne. Können sich die Gebührengegner angesichts dieser Machtkonstellation nicht erst einmal ziemlich sicher fühlen?
Naja. Bundesbildungsministerin Johanna Wanka (CDU) hat noch zu ihrer Zeit als niedersächsische Wissenschaftsministerin vor zwei Jahren prophezeit, dass es 2017 überall in Deutschland Studiengebühren geben wird. Eigentlich war sie es, die damit die ganze Diskussion erst neu entfacht hat. Aber auch bei der SPD muss man vorsichtig sein. In ihrer Verantwortung wurden Langzeitstudiengebühren und Gebühren im Rahmen von Studienkonten auf den Weg gebracht. Auf keinen Fall darf man sich dem Glauben hingeben, die Politik wisse schon, was richtig und was falsch ist.
Sie haben sich unlängst in einer Pressemitteilung kritisch mit dem von der gemeinsamen Wissenschaftskonferenz von Bund und Ländern (GWK) aufgelegten Programm „Aufstieg durch Bildung – offene Hochschule“ auseinandergesetzt. Was hat es damit auf sich?
Das mit 250 Millionen Euro ausgestattete Förderinstrument soll Menschen mit besonderen Bedürfnissen an die Hochschulen bringen. Zielgruppe sind diejenigen, die kein Abitur haben, die Familienpflichten, einen Beruf oder eine Ausbildung abgeschlossen haben. Das klingt natürlich super und deckt sich auf den ersten Blick mit unseren eigenen Forderungen nach einem weniger restriktiven Hochschulzugang. Wir fragen uns allerdings, warum das Ganze mit Bildungsgebühren verknüpft werden soll. Aus der Antwort auf eine Kleine Anfrage der Partei Die Linke im Bundestag geht nämlich genau dies hervor. Das Programm wird als Fort- und Weiterbildung klassifiziert und nach überwiegender Auffassung der Länder als gebührenpflichtig interpretiert. Argumentiert wird damit, dass es in dem Bereich auch private Anbieter gibt, wodurch sich eine Kostenpflicht zwingend ergebe. Andere halten dagegen, dass „offene Hochschule“ und Gebühren sich widersprechen. Wir halten es auf alle Fälle für sehr problematisch, wenn ein ohnehin kommerzialisierter Bildungsbereich durch ein öffentliches Programm noch weiter kommerzialisiert wird. Und wir machen zudem auf den Widersinn aufmerksam, Menschen, die bereits an bestehenden Bildungshürden gescheitert sind, wieder neue Hürden in den Weg zu stellen.
Sie haben darauf hingewiesen, dass bei der Sache auch das von der Bertelsmann AG gepäppelte Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) seine Finger im Spiel hat.
Wir sind keine Verschwörungstheoretiker. Es ist aber zweifelsfrei so, dass sich das CHE in diesem Bereich engagiert. Das CHE ist gesellschaftlicher Partner der „Offenen Hochschule Niedersachsen“ und zwei Standorte des Modellprogramms werden über das Bundesprogramm gefördert. Aufschlussreich ist, wie sich CHE-Geschäftsführer Jörg Dräger in die Diskussion eingebracht hat. In einem Interview hat er so etwas wie den Abschied vom sogenannten Normstudierenden eingeläutet.
Frau Monika Hartmann-Bischoff von der „Servicestelle Offene Hochschule Niedersachsen gGmbH“ bat uns bezüglich der obenstehenden, nun durchgestrichenen Aussage von Kurt Stiegler, um eine Berichtigung. Sie führte folgendes aus:
„Weder die Offene Hochschule Niedersachsen noch die Servicestelle Offene Hochschule Niedersachsen gGmbH ist mit dem Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) gesellschaftlich verbunden. „Offene Hochschule Niedersachsen“ ist die Bezeichnung für die niedersächsische Initiative zur Öffnung der Hochschulen in Niedersachsen. Die Servicestelle Offene Hochschule Niedersachsen gGmbH hat seit 2013 die Aufgabe, die Bestrebungen zur Öffnung der Hochschulen landesweit zu koordinieren und ist eine Gesellschaft in 100%igem Besitz des Landes Niedersachsen, sie wird gefördert vom Land sowie privaten, niedersächsischen Geldgebern. Ein Modellprogramm gleicher Bezeichnung gibt es in Niedersachsen nicht. Von 2008 bis 2012 gab es ein vom Land gefördertes „Modellvorhaben Offene Hochschule Niedersachsen“ an vier Hochschulstandorten (Braunschweig, Hannover, Lüneburg, Oldenburg), das mit dem 31.12.2012 beendet worden ist. Eine Bundesförderung gibt es an einzelnen niedersächsischen Hochschulen, die sich an dem Wettbewerb „Aufstieg durch Bildung – Offene Hochschulen“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) beteiligt haben. Zu diesen Projekten pflegen wir als Servicestelle inhaltliche Arbeitsbeziehungen, werden aber nicht aus dem Bundesprogramm gefördert. Mit der vom CHE und dem Stifterverband verantworteten Website www.studieren-ohne-abitur.de sind wir auf der Informationsseite über Niedersachsen verlinkt. Ebenso haben wir das CHE auf unserer Website unter „Partner“ verlinkt, weil wir uns mit den Zahlen und weiteren Informationen zum Thema „studieren ohne Abitur“ des CHE auseinandersetzen und dies in unsere Arbeit einbeziehen. Daraus ist meines Erachtens eine gesellschaftliche Partnerschaft allerdings nicht abzuleiten. Wenn Sie unsere Seite „Partner“ aufrufen, werden Sie dort eine Reihe anderer, völlig selbstständiger Einrichtungen finden, mit denen wir partnerschaftlich inhaltlich zusammenarbeiten und uns austauschen. Auf der Seite ist in der Navigation auch deutlich zu sehen (wenn man hinschaut), dass wir drei Kategorien zeigen und zwischen unserer Gesellschafterin und den Zuwendungsgebern, unserem Aufsichtsrat sowie unseren Partnern unterscheiden.“
An seine Stelle würden immer mehr Menschen treten, die beispielsweise auf Teilzeit oder berufsbegleitend studieren. Deren Ausbildung, so Dräger, stelle eine zusätzliche Aufgabe der Hochschulen dar, die selbstverständlich mit Gebühren belegt werden sollte. Diese Auffassung verwundert beim CHE keineswegs. Die von Bertelsmann und der HRK gesponserte Einrichtung hat sich dem Ziel verschrieben, das Menschenrecht auf Bildung zu einer Ware umzufunktionieren und Studieninteressierte zu Verwertungsobjekten zu machen.
Vom CHE werden immer wieder auch sogenannte nachgelagerte Gebühren propagiert. Die müssten erst nach dem Berufseinstieg entrichtet werden, wobei unterstellt wird, dass man als Akademiker ein hohes Einkommen erzielt. Die Argumentation ist in der Öffentlichkeit vergleichsweise verfänglich. Was halten Sie dagegen?
Es gibt Studien, die belegen, dass auch nachlaufende Gebühren abschreckende Wirkung auf Studierwillige haben. Das gilt genauso für Studienkredite, die in der Regel eine gewaltige Verschuldung nach sich ziehen. Im Übrigen sind dies alles Modelle, die der Individualisierung von Bildungskosten den Weg bereiten, während wir Bildung als gesamtgesellschaftliche Aufgabe verstanden wissen wollen, die der Allgemeinheit dient und von der Allgemeinheit bezahlt wird. Gerne wird ja auch argumentiert, es könne nicht angehen, dass eine Putzfrau mit ihren Steuern das Studium von Sprösslingen aus reichem Elternhaus mitfinanziert. Nach unserer Auffassung müssen die Hochschulen über ein sozial gerechtes Steuersystem finanziert werden, das Besserverdiener entsprechend stärker belastet. Ein gut verdienender Akademiker und jeder andere Gut-, Besser oder Spitzenverdiener gibt der Gesellschaft auf diesem Wege wieder etwas dafür zurück. Und die Putzfrau profitiert, weil auch ihre Kinder gebührenfrei studieren oder eine gute Ausbildung absolvieren können.
Nun ist es ja so, dass die Regierenden nicht bereit sind, Kitas, Schulen und Hochschulen auskömmlich auszustatten, und dafür mit der sogenannten Schuldenbremse neuerdings auch noch ein echtes Totschlagargument zur Hand haben ...
Die Schuldenbremse ist ein von außen gesetzter Reiz zur weiteren Privatisierung öffentlicher Güter. Es muss dafür gekämpft werden, dass das vorhandene Geld dahin gelangt, wo es gesellschaftlich notwendig ist. Geld für Bildung ist genug da, mit und ohne Schuldenbremse. Es muss bloß richtig verteilt werden. Nur leider steht Bildung heutzutage nicht hoch im Kurs, auch wenn in jeder Sonntagsrede das Gegenteil behauptet wird. Deshalb wünsche ich mir auch von der HRK, dass sie sich für staatliche Bildungsinvestitionen einsetzt, statt auf Gebühren zu setzen, die sozial selektiv und ungerecht sind.
Was ist in der Diskussion in nächster Zeit vom ABS zu erwarten?
Wenn die Gebührenverfechter einen neuen Angriff vortragen, müssen wir gut aufgestellt sein. Wir werden die Diskussion auf jeden Fall genau beobachten, nicht gleich ein riesen Fass aufmachen, aber dafür sorgen, dass die vielen, guten Argumente gegen Studiengebühren in der Öffentlichkeit präsent sind. (rw)
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