Prekär im akademischen MittelbauWarum die Lehrbeauftragten an Hochschulen protestieren
Das „akademische Prekariat“ hat Grund zum Protest
Vor der Senatsverwaltung für Jugend, Bildung und Wissenschaft am Berliner Alexanderplatz trat am Donnerstag ein „Beschwerdechor“ auf den Plan. Zu den Klängen von Beethovens „Freude, schöner Götterfunken“ ertönte aus 60 Kehlen ein ziemlich unklassischer Text: „Sicherheit sucht man vergebens, Lehraufträge sind prekär, doch wir müssen davon leben, also gebt uns endlich mehr.“ Dazu gaben die versammelten Dozenten allerhand schiefe Töne aus Trillerpfeifen und Parolen wie „Leere Lehre“ zum Besten. Eine der Beteiligten war Birgit Schmieder, die seit 25 Jahren Oboe sowie Methodik und Didaktik an der Universität der Künste (UdK) lehrt. Dafür bezahle man ihr „etwa 9,80 Euro pro Stunde“, sagte sie dem Berliner Tagesspiegel. „Man arbeitet genauso viel wie eine fest angestellte Professorin, verdient aber nur einen Bruchteil. Das ist skandalös.“
94.000 Betroffene
So wie ihr geht es hierzulande Zehntausenden. Laut der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) unterrichten mittlerweile 94.000 Lehrbeauftragte an deutschen Hochschulen, doppelt so viele wie noch im Jahr 2000. In einer Pressemitteilung schildert Verbandsvize Andres Keller, wie es sich als Betroffener lebt. Diese könnten „jederzeit ihren Job verlieren, kein Tarifvertrag regelt ihre Vergütung, wenn sie krank sind, erhalten sie keine Lohnfortzahlung, der Arbeitgeber zahlt weder in die Renten- und Arbeitslosen-, noch in die Kranken- und Pflegeversicherung ein“. Rechne man Vor- und Nachbereitungszeiten der Lehrveranstaltungen ein, erhielten viele nicht einmal den gesetzlichen Mindestlohn in Höhe von 8,50 Euro. Denn: „Das Mindestlohngesetz gilt für Lehrbeauftragte nicht.“
Was in der Industrie Leiharbeiter und Dumpingkräfte mit Werkvertrag erledigen, besorgen an den staatlich betriebenen Hochschulen die freiberuflichen Dozenten. Dabei sind sie so etwas wie das Freiwild in der akademischen Arbeitswelt. Sie können praktisch beliebig vor die Tür gesetzt werden, mit jedem Semester müssen sie um eine Verlängerung ihres Engagements bangen und obwohl sie in der Regel hochqualifiziert sind und sich abstrampeln, bringen sie es am Monatsende bloß auf ein zumeist dürftiges Nettoentgelt. Im Durchschnitt verdient man pro gehaltener Stunde 24 Euro. Zeiten zur Vor- und Nachbereitung, Prüfungsabnahmen und Sprechstunden sind darin eigepreist, werden also nicht extra vergolten. Oft müssen mehrere Lehraufträge, teilweise an unterschiedlichen Standorten angenommen werden, um sich irgendwie über Wasser zu halten. Und trotz Fulltimejob schaffen viele bloß ein Einkommen auf Hartz-IV-Niveau, nicht wenige kommen nur mit aufstockenden Sozialleistungen nach dem Sozialgesetzbuch SGB II über die Runden.
„Menschen zweiter Klasse“
Der finanziell miese Zustand ist das eine, dazu kommt oft auch ein schlechtes Standing im Kreis der Hochschulbeschäftigten. Sie hätten meist keine Stimme und mitunter würden sie sie sogar von den angestellten Kollegen wie „Menschen zweiter Klasse behandelt“, gab Karola Theill, Sprecherin der Lehrbeauftragten an Musikhochschulen, gegenüber dem Deutschlandfunk zu bedenken. „Es gibt wirklich Hochschulen, wo auch Professoren ganz klar dieses Gefälle deutlich machen und wo die Lehrbeauftragten sich auch nicht trauen den Mund aufzumachen, weil sie Angst haben um ihren Lehrauftrag und wo sie auch nicht widersprechen und einfach alles tun, was man ihnen aufbürdet, damit sie nur ja diesen Lehrauftrag nicht verlieren.“
Ohne Freie läuft nix
All das steht in grobem Widerspruch zu der Bedeutung, die Lehrbeauftragten inzwischen zukommt. Gäbe es sie nicht, wäre der Laden vielerorts längst vor die Wand gefahren. Die Berliner Landesregierung hat zu Jahresanfang auf eine parlamentarische Anfrage hin Zahlen für die Hauptstadt vorgelegt: An der Humboldt-Universität (HU) wurden demnach schon im Wintersemester 2011/11 rund 16 Prozent des Gesamtpflichtlehrangebots von Freiberuflern gestemmt, an der Technischen Uni Berlin (TU) waren es 2009/10 sogar 17 Prozent. Weil der große und noch anhaltende Ansturm auf die Hochschulen danach erst richtig einsetzte, dürfte der Anteil heute deutlich höher sein.
Dabei erscheint die Gesamtlage an den Unis noch entspannter als an den Fachhochschulen sowie den Musik- und Kunsthochschulen. An der UdK leisten Lehrbeauftragte 36 Prozent der Lehrtätigkeit, an der Hochschule für Musik (HfM) 46 Prozent und an der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) gar 48 Prozent. Daran zeigt sich: Besonders ausgeprägt ist das Phänomen dort, wo der Praxisbezug im Vordergrund steht, während die Lehre in fachwissenschaftlichen Bereichen bisher noch die Domäne von festangestellten Dozenten und Professoren ist. Sehr praxisnah läuft dagegen die Fremdsprachenausbildung ab, was sich auch in der Statistik niederschlägt. Am Sprachzentrum der Freien Universität Berlin (FU) ist die Lehre zu knapp 37 Prozent Angelegenheit von Freischaffenden, an dem der HU sogar zu 38 Prozent. Absoluter Spitzenreiter ist die Alice-Salomon-Hochschule (ASH). An deren Sprachzentrum fällt die Lehre zu 73 Prozent in die Zuständigkeit von Lehrbeauftragten.
Proteste in ganz Deutschland
Weil in den Bereichen Musik und Sprache der größte Missbrauch getrieben wird, herrscht dort auch der größte Unmut. Auf die Beine gestellt wurden die Proteste am Donnerstag von der Deutschen Orchestervereinigung (DOV), der Bundeskonferenz der Sprachlehrbeauftragten (BKSL) und der Bundeskonferenz der Lehrbeauftragten an Musikhochschulen (BKLM). Als zugkräftigen Unterstützer haben sie sich die GEW mit ins Boot geholt. Aktivitäten gab es im gesamten Bundesgebiet, unter anderem in München, Konstanz, Stuttgart, Freiburg, Frankfurt (Main), Köln, Wuppertal, Hannover, Leipzig, Dresden, Bremen und Hamburg. In Berlin wurde schon seit Dienstag mit einer Vielzahl an Veranstaltungen gegen die Misere der Lehrbeauftragten in Aktion getreten.
Im Mittelpunkt stand gestern dabei die Übergabe der „Berliner Resolution“ an den Wissenschaftssenat. Darin heißt es, der Einsatz von Lehrbeauftragten habe „ein Ausmaß erreicht, auf das Politik und Hochschulen endlich reagieren müssen“. Gefordert wird die Schaffung regulärer sozialversicherungspflichtiger Beschäftigungsverhältnisse überall dort, „wo durch Lehrbeauftragte dauerhaft Lehr- und Prüfungsaufgaben wahrgenommen werden“. Unter dem Stichwort „Gleiches Geld für gleiche Arbeit“ sprechen sich die Initiatoren für eine Bezahlung auf Grundlage des Tarifvertrags der Länder (TV-L) aus sowie eine begleitende und Folgetätigkeiten einschließende Vergütung.
Dozenten als Sachmittel
Ferner verlangen sie eine Stärkung der Wahl- und Mitbestimmungsrechte in den Hochschulgremien und eine bessere Grundfinanzierung der Hochschulen. Ziele müsse es sein, „dass reguläre Lehrveranstaltungen auch durch sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse abgedeckt und die Stundensätze für Lehrbeauftragte an die Tarifentwicklung im TV-L angepasst werden können“. Tatsächlich werden die „Freien“ aus „Sachmitteln“ bezahlt.
Lehrbeauftragte sind aber längst nicht die einzigen, die im Zeichen der chronischen Mangelverwaltung der Hochschulen ins Abseits gedrängt werden. Knapp zwei Drittel des gesamten Personals an Deutschlands höchsten Bildungsanstalten sind heute nur auf Zeit angestellt und entsprechend schlecht, weil außertariflich, bezahlt. Opfer von Ausbeutung sind neben Lehrbeauftragten insbesondere wissenschaftliche Mitarbeiter. Ihre Stellen werden zunehmend nur noch so lange besetzt, wie sie überwiegend aus Drittmitteln aus der freien Wirtschaft oder durch Stiftungen finanziert sind. Ermöglicht wurde dies im Wesentlichen durch das 2007 eingeführte Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG). Dieses beinhaltet eine zweite folgenschwere Regelung: Demnach kann das gesamte wissenschaftliche und künstlerische Personal sachgrundlos befristet werden, auch auf solchen Stellen, die sich aus dem allgemeinen Hochschuletat speisen.
Akademisches Prekariat
Kritiker sprechen in diesem Zusammenhang von einem akademischen Prekariat, das den gesamten Mittelbau im Wissenschaftsapparat betrifft. Immerhin: Die Politik hat das Problem erkannt und will – zumindest erklärtermaßen – für Abhilfe sorgen. Vor zwei Jahren machten die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) und die damaligen Regierungsfraktionen von CDU/CSU und FDP einen Vorstoß für eine Stabilisierung der Karrierewege an Hochschulen. Dieser hat nach Auskunft des GEW-Hochschulexperten Keller „viele Impulse des Templiner Manifests“ aufgegriffen, mit dem sich seine Gewerkschaft für eine Verbesserung der Beschäftigungsbedingungen an den Hochschulen stark macht. „Einige Länder haben – insbesondere NRW und Hamburg, aber auch Brandenburg oder Baden-Württemberg – inzwischen tatsächlich in Landeshochschulgesetz-Novellen unsere Forderungen aufgegriffen“, meinte Keller am Donnerstag im Gespräch mit Studis Online. Dazu zählten „zum Beispiel Mindestvertragslaufzeiten für Zeitverträge oder Verpflichtungen zu einem Kodex Gute Arbeit“.
Und selbst die amtierende Bundesregierung hat Handlungswillen signalisiert. Im Koalitionsvertrag ist von einer Initiative für „planbare und verlässliche Karrierewege in der Wissenschaft“ die Rede. Allerdings ist daraus bis heute nichts geworden. „Leider handelt es sich bis dato nur um Ankündigungen“, meinte Keller. Ein Entwurf zur Novellierung des WissZeitVG solle dem Vernehmen nach Anfang 2015 kommen, so der GEW-Vize. „Um die Diskussion in Gang zu halten, werden wir am 16. Januar 2015 einen eigenen GEW-Entwurf zur Reform des Gesetzes vorstellen“. (rw)