Zivilklausel-Tagung in Hamburg„Für eine Wissenschaft und Kultur des Friedens“
Studis Online: Vom 24. bis 26. Oktober findet an der Hamburger Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW) der „Zivilklausel-Zukunftskongress 2014“ statt. Der Arbeitskreis Friedenswissenschaft an der HAW organisiert im Bündnis mit anderen Aktiven die Tagung, zu der bundesweit mobilisiert wird. Warum hat man als Veranstaltungsort eine Hochschule ausgewählt, die sich noch gar keine Zivilklausel gegeben hat?
Unsere Interviewpartnerin Johanna Zimmermann studiert an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg (HAW) und engagiert sich dort im Arbeitskreis Friedenswissenschaft.
Johanna Zimmermann: Hamburg ist eine Hochburg für Rüstungsproduktion und Rüstungsgeschäfte. Über den Hafen werden jährlich rund 1.000 Schiffscontainer Munition exportiert. Dagegen setzt sich in der Stadt eine sehr aktive Studierendenbewegung zur Wehr, die richtungsgebend für emanzipatorische Bildung und Wissenschaft wirkt. An der HAW haben wir uns als AK Friedenswissenschaft gegründet, weil die Hochschulen erhebliche Bedeutung in den aktuellen gesellschaftlichen Konflikten haben. Sie können mit Forschung und Lehre in die soziale, friedliche und demokratische Entwicklung der Gesellschaft eingreifen. Die HAW muss deshalb eine Hochschule für den Frieden sein und sich eine Zivilklausel geben. In Nordrhein-Westfalen konnte zuletzt eine Zivilklausel im Landeshochschulgesetz verwirklicht werden – Hamburg muss diesem Vorbild folgen.
Warum wurde in der Angelegenheit in Hamburg bisher noch nichts wirklich Greifbares erreicht? Von den bislang 20 Hochschulen mit einer Zivilklausel kommt nicht eine einzige aus der Hansestadt. Gerade die Uni Hamburg hat aber doch eigentlich einen politisch sehr aktiven AStA. Woran hapert es?
Die Hamburger Uni hat sich 1998 ein Leitbild gegeben, das eindeutig „Wissenschaft im Dienst der Menschen“ formuliert. Vor diesem Hintergrund wurde bisher eine Zivilklausel für nicht notwendig erachtet. Mit den Enthüllungen über den „Pentagon-Skandal“ kam allerdings heraus, dass das Universitätsklinikum Eppendorf Gelder vom US-Militär erhält. Es gibt deshalb inzwischen auch an der Uni Aktive, die sich ganz entschieden für eine Zivilklausel einsetzen.
Diskussionen über die Verantwortung von Bildung und Forschung werden auch an der HafenCity-Universität geführt, genauso wie an Technischen Universität, die ganz offiziell in die Rüstungsforschung involviert ist. Gerade dort bestehen sehr widersprüchliche Haltungen unter Studierenden: Einerseits sorgt man sich um die späteren Berufschancen, sollte die Uni mit der Rüstungsindustrie brechen. Andererseits will aber fast niemand in diesem Industriezweig arbeiten und persönlich bei der Herstellung von Kriegsgerät mitmischen. Diese Ängste zeigen, dass es nicht nur um die Wissenschaft geht. Es geht um notwendige gesellschaftliche Veränderung, um mehr Mitbestimmung, Demokratisierung aller Bereiche, um Rüstungskonversion in den Unternehmen und um die Verbesserung der Lebensbedingungen aller Menschen. Darum wollen wir auf dem Kongress als Studierendenbewegung, Gewerkschaftsbewegung und Friedensbewegung zusammenkommen.
Wie gesagt: Bislang gibt es bundesweit 20 Hochschulen mit Zivilklauseln. Über die Hälfte davon wurde seit 2010 durchgesetzt. Ich denke mal, Sie werten das als Zeichen für die Stärke der Bewegung …
Die Zivilklausel-Bewegung existiert als organisierter Zusammenhang seit 2009. Von da an ist sie stetig gewachsen, es gibt mittlerweile an über 30 Hochschulen sehr aktive und aufklärende Initiativen. Angesichts der aktuellen Weltlage mit all den Krisen und kriegerischen Auseinandersetzungen – wie im Irak, in Syrien oder der Ukraine – ist es dringlicher denn je, eine neue Perspektive friedlicher Konfliktlösung und sozialer Verbesserungen aufzuzeigen. Auch die Schere zwischen Arm und Reich wird immer größer, obwohl ein menschenwürdiges und gedeihliches Zusammenleben aller Menschen weltweit schon lange objektiv möglich ist. Dieser Widerspruch bewegt die Menschen und erfordert die Parteinahme aller. In den Gewerkschaften gibt es dafür eine neue Aufbruchstimmung. Der Bundeskongress des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) hat vergangenen Mai eine Friedensresolution verabschiedet, in der unter anderem Zivilklauseln gefordert werden. Diesen Beschluss bekräftigte der DGB Ende September, um die Initiative „Lernen für den Frieden“ zu unterstützen. Im Rahmen dieser Kampagne wurden am 9. Oktober an die Kultusministerkonferenz (KMK) 23.000 Unterschriften übergeben, die sich für eine Gesellschaft aussprechen, die von Aufklärung, Argumentation und Solidarität bestimmt ist und nicht von der gewaltsamen Durchsetzung politischer und wirtschaftlicher Interessen.
Das Bündnis „Lernen für den Frieden“ existiert schon seit über einem Jahr. Sind 23.000 Unterschriften angesichts dessen nicht eigentlich ziemlich wenig? Glauben Sie wirklich, damit hinterlässt man bei der Politik Eindruck, dahingehend, dass diese jetzt darauf hinwirkt, die Hochschulen zu ausschließlich friedlicher und friedensstiftender Forschung zu verpflichten?
Es geht nicht darum, dass die Politik anstelle der Menschen agiert und wir uns darauf verlassen, dass sie schon das Richtige unternimmt. Zuletzt haben namhafte und einflussreiche Politiker, darunter Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen, Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) und vorneweg Bundespräsident Joachim Gauck verlangt, Deutschland müsse weltpolitisch „größere Verantwortung“ übernehmen und Schluss machen mit seiner „Kultur der Zurückhaltung“ bei Militäreinsätzen. Solche Vorstöße erfordern es, dass wir dagegen eingreifen, dagegen Partei ergreifen. Die mit der Kampagne „Lernen für den Frieden“ formulierten Ansprüche waren unter anderem der Anstoß für die technische Fakultät der HAW, in ihr Leitbild aufzunehmen, dass sie die nachhaltige und friedliche Entwicklung der Gesellschaft fördern will. Dieses Bekenntnis müssen wir mit Leben füllen, denn auf uns kommt es dabei an.
Sie sprachen die Sache mit dem Pentagon an. Wie Ende 2013 herauskam, wurden im zurückliegenden Jahrzehnt an deutschen Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen mindestens 42 Projekte für ausländische Militärs durchgeführt. Darunter sind auch solche Unis mit einer Zivilklausel, etwa die Universität Bremen, die seit 1986 und damit als bundesweit erste eine entsprechende Selbstverpflichtung besitzt. Gegen eben diese wurde in der Vergangenheit sogar schon wiederholt verstoßen. Wollte man böse sein, könnte man sagen: Die Rüstungslobby schert sich nicht um solches Gutmenschentum ...
Zivilklauseln wurden in der Tat bereits mehrfach hintergangen, fast immer insgeheim, hinter dem Rücken der Studierenden und der Mehrheit der Hochschulmitglieder. Und genau das zeigt ja: Die Verantwortlichen wollen sich nicht auf die Finger sehen lassen, weil sie Angst haben vor dem öffentlichen Druck, der ihre Machenschaften beenden könnte. Militärforschung braucht diese Geheimnistuerei, nicht so sehr wegen der Gefahr der Industriespionage, sondern mehr noch als Schutz vor uns Bürgern, die wir einfach keine Forschung für den Tod wollen.
Deshalb ist es so wichtig, das Geheime ans Licht zu befördern und eine lebendige Debatte über die Verantwortung jeder einzelnen Wissenschaft und jedes Wissenschaftlers zu führen. Dafür muss auch das antifaschistisch geprägte Grundgesetz endlich auch real Gültigkeit erlangen. Denn dort ist die Freiheit der Wissenschaft und Forschung in Einheit mit der Würde des Menschen und dem Ziel eines friedlichen Miteinanders festgeschrieben. Wir müssen die Politik und die Rüstungslobby dazu bringen, sich daran zu halten. Denn Freiheit der Wissenschaft heißt niemals Freiheit zur Kriegsführung und -vorbereitung.
Heute fließen hierzulande bis zu vier Milliarden Euro jährlich in die Rüstungs- und Militärforschung, über eine Milliarde Euro für „Wehrforschung, wehrtechnische und sonstige militärische Entwicklung und Erprobung“ kommen allein vom Bundesverteidigungsministerium. Ist das Kind nicht längst in den Brunnen gefallen?
Schon Bertolt Brecht hat gesagt: „Die Rohheit kommt nicht von der Rohheit, sondern von den Geschäften, die ohne sie nicht mehr gemacht werden können.“ Für Profitinteressen werden Kriege geführt und vorbereitet. Aber die Durchsetzung dieser Interessen wird zunehmend erschwert. Mehr als 60 Prozent der Bevölkerung sind gegen Kriege und – ganz aktuell – auch gegen Waffenlieferungen in den Irak. Die Aufgabe aller Friedensbewegten besteht darin, diesen überwiegend noch eher passiven Unmut gegen alles Kriegerische in aktive Gegenwehr zu wenden. Dann wird es die Regierung nicht mehr so leicht haben, die Rüstungslobby zu bedienen und Milliarden Euro dafür auszugeben.
Dazu kommt das Problem der politisch gewollten Unterfinanzierung der Hochschulen. Die sind heute regelrecht genötigt, Gelder vom Verteidigungsministerium und der wehrtechnischen Industrie anzunehmen, weil sie sich ohne diese Drittmittel nicht länger finanzieren können. Deshalb müssen sämtliche Bildungseinrichtungen bedarfsgerecht öffentlich ausfinanziert werden! Das erfordert es auch, für die Überwindung der sogenannten Schuldenbremse auf Länder- und Bundesebene einzutreten. Das Instrument ist heute die gängigste Ausrede, wenn es darum geht, die Bereiche Bildung, Soziales, Kultur und Gesundheit weiter zusammen zu kürzen.
Inwieweit kann und soll der anstehende Kongress die Diskussion vorantreiben?
Wir wollen das bisher Erreichte auswerten und auf dieser Grundlage neue Ideen und Vorhaben entwickeln. Vor allem müssen wir dahin kommen, die zum Teil noch vereinzelten, lokal begrenzten Aktivitäten zusammen zu bringen, um den Kampf gemeinsam und sichtbarer für die Öffentlichkeit zu führen. Dafür wollen wir in Arbeitsgruppen alle Wissenschaftsbereiche auf ihr emanzipatorisches Potenzial ausforschen und fragen, ob und wie sie zum Ziel einer friedlichen Welt beitragen können. In der Regel werden im Zusammenhang mit Wissenschaft für den Frieden nur die technischen Studiengänge in den Blick genommen. Dabei ist die Frage „Wissenschaft für den Menschen oder für den Profit?“ für alle Fächer von Bedeutung. Keine Disziplin ist an sich 'neutral' und jede birgt viel mehr Möglichkeiten für eine fortschrittliche Gesellschaftsentwicklung als gemeinhin abgenommen wird.
Was steht noch auf dem Programm?
Los geht es am Freitagabend mit einem Vortrag des Historikers Kurt Pätzold über den „deutschen Imperialismus, seine Gegenkräfte und die Lehren für heute“. Der Ökonom Herbert Schui befasst sich danach mit der aktuellen Austeritäts- und Kriegspolitik und den Herausforderungen für eine menschenwürdige Gesellschaftsentwicklung. Anschließend ist ein Kulturabend mit dem Schauspieler Rolf Becker geplant.
Am Samstag wird es Workshops zu einzelnen Disziplinen wie etwa Informatik oder Psychologie geben, um dabei die Möglichkeiten einer Friedenswissenschaft als Leitwissenschaft zu diskutieren. Darüber steht der Ansatz, wie durch eine stärkere Kooperation zwischen den Fächern die Förderung der Internationalität, die Bildung mündiger Menschen und die kritische Zuwendung der Wissenschaft zu gesellschaftlichen Aufgaben befördert werden kann. Zum Abschluss wollen wir am Sonntag mit zwei Podien die unterschiedlichen Bewegungen und Akteure in Hochschule und Gesellschaft zusammenbringen und gemeinsame Interessen und Herausforderungen formulieren.
Ein Referat wird sich mit der Überwindung der „unternehmerischen Hochschule“ befassen. Warum gehört das mit dem Kampf für eine Zivilklausel zusammen?
Der Aufbruch der 68er-Bewegung führte zu einer sozialen Öffnung der Hochschulen, zu mehr Weltbezug und einer Durchlüftung des alten „Muffs von 1000 Jahren“. Dabei haben sich die Wissenschaften auch neu mit ihrer Bedeutung für Frieden und Antifaschismus auseinandergesetzt, vor allem im Zusammenhang mit dem Vietnamkrieg. Gegen diesen Anspruch einer fortschrittlichen Wissenschaft brachten sich in den folgenden Jahrzehnten Wirtschaftsverbände und ihre hörigen Politiker in Stellung. Studiengebühren wurden eingeführt, die Hochschulen entdemokratisiert, Mitbestimmungsmöglichkeiten beschnitten und das Bachelor-Schmalspurstudium durchgesetzt. All das waren Etappen auf dem Weg zur „unternehmerischen Hochschule“. Doch dagegen gab es bundesweit Widerstand, der sogar so weit ging, dass das allgemeine Bezahlstudium wieder abgeschafft wurde – das war ein herber Rückschlag für die neoliberalen Hochschulplaner.
Daran muss angeknüpft werden, die „unternehmerische Hochschule mit ihrer Leitwissenschaft BWL ist gescheitert und gehört abgeschafft. Noch drücken im engen Modulkorsett Prüfungen, Zwangsexmatrikulationen und die Konkurrenz um einen der knappen Master-Plätze. Aber auch das alles wird immer stärker in Frage gestellt. Und so gelangt auch die Frage „Wissenschaft, in wessen Dienst?“ von neuem auf die Tagesordnung, während das Konzept der „Humankapitalbildung“ immer stärker in Bedrängnis gerät. Eine neue Friedenswissenschaft ist untrennbar verbunden mit einer umfassenden Studienreform und der Überwindung der „unternehmerischen Hochschule“.
Wie soll es nach dem Kongress weitergehen? Gibt es schon Planungen, wie man beim Thema am Ball bleiben will?
Es geht um die Ausweitung der Friedensbündnisse und darum, überall aktiver und offensiver in den Streit zu gehen. Es werden zum Beispiel aktuell in vielen Bundesländern die Hochschulgesetze novelliert. Dabei müssen wir zur Stelle sein und das Konzept einer Friedenswissenschaft als Leitwissenschaft in die Diskussion bringen und für dessen Durchsetzung kämpfen. Auch die Gewerkschaften stehen vor der Herausforderung, sich kämpferischer in diese Konflikte einzumischen. Außerdem läuft die Kampagne „Lernen für den Frieden“ weiter, die nächste Unterschriftenübergabe findet im Mai 2015 statt.
Handlungsleitend ist für uns ein Zitat von Albert Einstein, das auch der zentrale Ausgangspunkt des Kongresses ist: „Das Denken und die Methoden der Vergangenheit konnten die Weltkriege nicht verhindern, aber das Denken der Zukunft muss Kriege unmöglich machen." (rw)