Heiliger Stuhl für überführte BetrügerinSchavan klettert Karriereleiter hoch
Das Schavan kopiert hat, ist unstrittig. Auch wenn es seinerzeit noch mehr Handarbeit war, als heute.
Das muss man sich vorstellen: Da wird eine hochrangige Politikerin als Betrügerin geoutet und wo landet sie schließlich. Ganz nahe am Heiligen Stuhl, als Botschafterin der Bundesrepublik beim Vatikan. Das Amt hat Annette Schavan (CDU) seit Anfang Juli inne, und man kann sich irgendwie ausmalen, wie und warum sie dorthin „versetzt“ wurde. Wegen ihrer Verdienste um Ehrlichkeit und Rechtschaffenheit wohl eher nicht. Seit Ende 2011 hatte es Hinweise auf Unregelmäßigkeiten in Schavans Dissertation »Person und Gewissen« von 1980 gegeben. Im Februar 2013 stellte der Fakultätsrat der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf (HHU) den Tatbestand einer „systematischen und vorsätzlichen Täuschung“ fest, erklärte die Arbeit für ungültig und erkannte die Promotion ab.
„Irre Prozesse“
Schavan zog die Konsequenzen und trat kurz darauf zurück, noch ehe das Verwaltungsgericht Düsseldorf Mitte März 2014 ihre Anfechtungsklage abschmetterte. Der politische Druck ließ damals keinen anderen Ausweg zu. Von Einsichtigkeit, Reue oder gar Schuldbewusstsein fehlt bei der Ex-Ministerin jedoch bis heute jede Spur. Auf ihrer Abschiedsparty Ende Juni in der baden-württembergischen Landesvertretung in Berlin verlor sie kein Wort über ihren verlorenen Doktortitel, geschweige denn über mögliche eigene Verfehlungen. Stattdessen heimste sie allerhand Belobigungen und Ehrerbietungen ein, und in jeder Rede klang das Mantra durch: Dieser Frau wurde übel mitgespielt. Vorneweg Bundeskanzlerin und Parteifreundin Angela Merkel mäkelte über „Ungerechtigkeiten“ und „irre Prozesse“, die sie zuletzt hätte aushalten und überstehen müssen.
Was Schavan zu ihrem neuen Posten in Rom befähigt, müssen die wissen, die sie dorthin komplimentiert haben. Sicherlich spielte ihre lebenslange Nähe zur Kirche eine Rolle. Schavan hat unter anderem katholische Theologie studiert, war mal Referentin, später Geschäftsführerin und Leiterin bei der Bischöflichen Studienförderung Cusanuswerk sowie im Generalvikariat des Bistums Aachen tätig. Das prägt und hat gewiss auch ihre Karriere bei den Christdemokraten begünstigt, wo sie bis zur stellevertretenden CDU-Chefin aufstieg.
Akademische Null
Akademisch ist Schavan aber eigentlich nur noch eine Null. Mit ihrem Doktor ist ihr nämlich der einzige Hochschulabschluss flöten gegangen, sie hat daneben keinen Magister und kein Diplom vorzuweisen. Vor 1990 konnten besonders gute Studenten in Ausnahmefällen ohne vorheriges Examen promovieren. Angesichts des nachträglichen Verrisses ihrer Doktorarbeit fragt man sich freilich, was es mit ihrer „Vorzüglichkeit“ seinerzeit auf sich hatte. Auch ihre 2008 ehrenhalber verliehene Honorarprofessur an der Freien Uni Berlin ist in der Wissenschaftswelt wertlos. Faktisch bleibt ihr als höchster Bildungsabschluss nur mehr das Abitur.
So ganz wahrhaben will Schavan das offenbar nicht. In ihrem Lebenslauf auf den Webseiten der deutschen Botschaft im Vatikan war bis Mittwoch zu lesen: „1980 Promotion zum Dr. phil. (gültig bis 2014)“. Tatsächlich ist es schlicht unzulässig, sich einen „ehemaligen Doktor“ ans Revers zu heften. Ein rechtswidriger Verwaltungsakt werde rückwirkend aufgehoben, stellte der Bonner Wissenschaftsrechtler Wolfgang Löwer gegenüber der Nachrichtenagentur dpa klar, wie SPIEGEL ONLINE berichtete. "Damit hat die Promotion nie als gültiger Staatsakt existiert.“ Im Internetangebot der Botschaft wurde der Eintrag inzwischen geändert in „(aberkannt 2014)“, ebenso auf Schavans eigener Seite. Auf der des Bundestags war der Fehler am Donnerstag noch präsent.
Abfuhr für Düsseldorfer Uni
Ob dabei der Chef des hohen Hauses, Norbert Lammert, die Finger im Spiel hat, kann nur spekuliert werden. Ins Bild passen würde es schon. Schließlich sah sich ausgerechnet der Bundestagspräsident am Mittwoch dazu genötigt, seiner Parteifreundin in einem vielbeachteten Akt der Solidarität beizuspringen. Eigentlich sollte Lammert zu den 50-Jahr-Feiern der Düsseldorfer Uni im November 2015 eine Festrede halten. Daraus wird nun nichts mehr. Seine anfängliche Zusage zog er in einem Schreiben an den Unirektor Michael Piper kurzerhand zurück. Er habe unterschätzt, welche Bedeutung das Verfahren zur Aberkennung des Doktorgrades der damaligen Wissenschaftsministerin im Selbstverständnis der Hochschule habe, erklärte er darin. Ausdrücklich verwies er auf die „demonstrative Auszeichnung“ zweier Professoren, die bei dem Verfahren gegen Schavan eine zentrale Rolle gespielt hatten.
Gemeint sind der Dekan der Philosophischen Fakultät, Bruno Bleckmann, und Prodekan Stefan Rohrbacher. Beide waren Mitte Juli mit der Universitätsmedaille für „ihre beispielhafte akademische Zivilcourage“ geehrt worden. Laut Unichef Piper hätten sie die „Freiheit zur Kritik fehlerhafter wissenschaftlicher Arbeiten in einem Fall großer öffentlicher Einflussnahme mutig verteidigt“. Lammert findet das unangemessen. Er sei irritiert, „dass jegliche kritische Stimmen auch und gerade von hochangesehenen Wissenschaftlern und aus den akademischen Spitzenverbänden ausnahmslos für eine unerwünschte Einmischung und unzulässige versuchte Einflussnahme erklärt werden". Und weiter: „Für einen unbefangenen Beobachter des Düsseldorfer Verfahrens kann und will ich mich nicht halten, aber für fragwürdig im wörtlichen Sinne halte ich es allerdings.“ Das mache ihn als Festredner ungeeignet.
„Handwerkliche Schwächen“
Unbefangen ist der CDU-Mann in der Tat nicht. Lammert sah sich selbst schon einmal Plagiatsvorwürfen wegen seiner Promotion ausgesetzt. Er kam seinerzeit aber um ein ordentliches Prüfverfahren durch die Ruhr-Uni Bochum herum, weil die in seiner Doktorarbeit lediglich „handwerkliche Schwächen“ ausfindig gemacht haben wollte.
Dass sich Lammert jetzt so aus dem Fenster hängt, hat vor allem mit einem seit gut einer Woche kursierenden Papier der Uni Düsseldorf zu tun. Der von Dekan Bleckmann verfasste Bericht ist eine veritable Abrechnung mit all jenen Personen und Institutionen, die seinerzeit versucht haben, das Verfahren zugunsten von Schavan zu beeinflussen. Das Papier erlaubt einen erhellenden Blick hinter die Kulissen des Wissenschaftsbetriebs und listet dazu eine ganze Reihe an Dokumenten auf, die das beleuchten, was Bleckmann „Kampagnencharakter“ nennt.
„Massive Interventionen“
Zu den namhaftesten Widersachern der Düsseldorfer Prüfer gehörten unter anderem CDU-Politiker wie Hermann Gröhe, Kurt Biedenkopf und Volker Kauder. Dazu gesellten sich zahlreiche Spitzenfunktionäre aus dem Wissenschaftsbetrieb. Bleckmann schreibt von „massive Interventionen“ akademischer Seilschaften. Beispielsweise monierte der damalige Präsident der Max-Planck-Gesellschaft, Peter Gruss, die Dissertation drohe zu streng und mit falschen Maßstäben bewertet zu werden, forderte eine „differenzierte Betrachtung“ und warnte davor, „wissenschaftliche Maßstäbe zum Spielball politischer Interessen werden zu lassen“. Gruss` Argumentation lief dabei sinngemäß darauf hinaus, Nachsicht mit Schavan walten zu lassen, weil die wissenschaftlichen Ansprüche seinerzeit angeblich laxer gewesen wären.
In ähnlicher Manier trat auch der Chef der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) auf den Plan, der in Bleckmanns Worten nichts weniger verlangte, als die „politischen Dimensionen zu würdigen und den Gleichheitsgrundsatz zu verletzen“. Als Höhepunkt der Einmischung wertet der Dekan eine Erklärung der „Allianz der Wissenschaftsorganisationen“ vom Januar 2013. In dem Verbund sind die zehn führenden Forschungseinrichtungen in Deutschland zusammengeschlossen. In ihrem Statement sei nicht nur „öffentlich die Integrität unseres Verfahrens in Zweifel gezogen“ worden, man vermisste auch die „allgemeinen Prinzipien wissenschaftlicher Fairness und des Wissenschaftsethos“. Ähnliche Versuche, die Prüfer in Misskredit zu bringen, kamen später von Berlins Ex-Wissenschaftssenator Jürgen Zöllner oder vom früheren Vorsitzenden des Wissenschaftsrates, Wolfgang Marquardt.
Schlechte Verliererin
Ganz und gar unrühmlich war laut Bleckmann auch die Rolle von Schavan selbst. Diese habe „in ständiger Verquickung ihrer persönlichen Betroffenheit und ihrer Rolle als Wissenschaftspolitikerin mit immer wieder neuen Äußerungen dazu beigetragen, falsche Vorstellungen über das, was verhandelt worden ist, zu erwecken.“ Öffentlich habe sie über eine „zutiefst wissenschaftsferne Entscheidung“ geklagt und noch im April 2014 vor Schülern erklärt, man habe ihr nicht das Abschreiben vorgeworfen, sondern dass sie Fußnoten an falsche Stellen gesetzt habe.
Was die Sache noch schlimmer macht: Obwohl das Düsseldorfer Verfahren den in solchen Fällen gängigen und durch sämtliche Wissenschaftsinstitutionen befürworteten Methoden entsprach und hernach von den Düsseldorfer Verwaltungsrichtern als vollkommen einwandfrei und rechtens bestätigt wurde, haben Bleckmann und Rohrbacher bis heute kein Wort der Entschuldigung seitens ihrer Kritiker vernommen. Dabei hatten die über Monate nichts anderes getan, als ihre Arbeit in den Dreck zu ziehen. Nichts weniger als einen „Kniefall“ hatte nach dem März-Urteil der Münchner Juraprofessor und Plagiatsexperte Volker Rieble angemahnt. Die Anwürfe gegen die Hochschule seien „ungeheuerlich“ gewesen: „Man hat viel Schmutz auf die Universität und die Fakultät geworfen, um sie zu diskreditieren und Schavan Schützenhilfe zu leisten.“
Abschreckung
Dass sich nun auch Lammert als zweithöchster Repräsentant des deutschen Staates nahtlos in die Reihe der „üblen Nachredner“ einfügt, ist wohl mehr als nur ein Ausrutscher. Der Vorgang könnte vielmehr das – wohl nur – vorläufige Ende einer Darbietung markieren, mit der man möglichen Nachahmern der Uni Düsseldorf Bescheid stoßen will: „Überlegt Euch bitte sehr genau, welchen Plagiator Ihr als nächstes aufs Korn nehmt. Die Sache kann für Euch teuer werden.“ So etwas nennt man Abschreckung. (rw)