Das Matthäus-PrinzipZur Verzerrung der Hochschulfinanzierung durch Drittmittel
Dass die Grundfinanzierung der deutschen Hochschulen seit mehr als zwei Jahrzehnten strukturell unzureichend ist, darf als bekannt vorausgesetzt werden. Das ist jedoch nur die halbe Wahrheit. Erhebliche Zuwächse waren auf dem Feld der Drittmittelfinanzierung zu verzeichnen, in deren Rahmen in der Regel befristete Forschungsprojekte gefördert werden. Damit kann jedoch die Finanznot der Hochschulen nicht kompensiert werden; schon deswegen nicht, weil Drittmittel extrem ungleich verteilt sind und sich ihre Masse an wenigen Uni-Standorten konzentriert.
Der Artikel erschien zuerst in der Ausgabe Sommersemester 2014 der Zeitung für Studierende read.me der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Sie wird vom Studierendenausschuss der GEW (BASS) erstellt und erscheint einmal im Semester.
Studis Online dankt für die Erlaubnis der Zweitveröffentlichung der Artikels.
Größte Förderorganisation ist die staatlich finanzierte Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG). Diese wendete sich Ende Oktober mit einer Art Alarmruf an die Öffentlichkeit: „Vor allem die Knappheit der Grundmittel erhöht den Druck zur Einwerbung von Drittmitteln und verschärft die Konkurrenz um Fördergelder. Das hat erhebliche Folgen für die DFG – sie wird faktisch immer weiter in die Rolle eines Grundfinanziers von Forschung gedrängt“, was nicht ihre Aufgabe ist. Die Folge davon: die Zahl der positiven Antragsbewilligungen sinkt. In der Einzelförderung etwa wurden 2009 47 Prozent aller Neuanträge bewilligt, 2012 nur gut 32 Prozent. Um die Größenordnung zu verdeutlichen: um 2010 betrug der Umfang der Drittmittel etwa 5,3 Mrd. Euro im Verhältnis zu etwa 20 Mrd. Grundmittel für die eigentlichen gesetzlichen Aufgaben der Hochschulen.
Dem entspricht eine Steigerung der Drittmittel um 100 Prozent in zehn Jahren, während die Grundmittel im gleichen Zeitraum nur um 23 Prozent wuchsen. Setzt man die geringere Steigerung in ein Verhältnis zur wachsenden gesellschaftlichen Beanspruchung der Hochschulen, etwa zu den Studierendenzahlen, läuft dies eher auf Stagnation oder geringfügige Schrumpfung hinaus.
Projekt Ungleichheit
25 Prozent des Gesamtbudgets der Hochschulen sind also mittlerweile Drittmittel (1994: 14 Prozent). Diese verteilen sich aber, wie angedeutet, nicht gleichmäßig. 60 Prozent aller Drittmittel konzentrieren sich auf etwa 20 top-gerankte Universitäten (von knapp über 100). Diese Top-20 wiederum teilen 80 Prozent der Mittel aus der Exzellenzinitiative (2,4 Mrd. Euro in der gegenwärtigen Förderrunde), die haushaltstechnisch ebenfalls als Drittmittel verbucht werden, unter sich auf. Es findet also ein Kumulationseffekt 'nach oben' statt. In der Wissenschaftsforschung ist dieser als Matthäus-Effekt oder Thomas-Theorem bekannt.
Nur wenige Universitäten profitieren ...
Entsprechend dem Thomas-Theorem werden Anträge auf Förderung tendenziell immer im Verhältnis zum Umfang vergangener Fördersummen der gleichen Fachbereiche oder Lehrstühle beurteilt; einfacher gesagt: wer viel bekam, wird auch künftig viel oder mehr erhalten. Dies ist ein statistischer Mengeneffekt, der sich gegenüber einer wissenschaftlichen Beurteilung auch verselbständigen kann. Man sollte sich daher von der Hochleistungsrhetorik um „Forschungsexzellenz“, die mit dem Drittmittel-Sektor verbunden ist, nicht unbedingt beeindrucken lassen – zumal die Fächer und Hochschulen, die nicht diese Mengen akkumulieren, rein von ihren defizitären materiellen Ausstattungs- und Leistungsbedingungen her so gut wie keine Chance haben zu der Top-Liga jemals aufzuholen: self fullfilling prophecy.
Wissenschaft auf Abruf
Diese Unverhältnismäßigkeit erzeugt eine Kettenreaktion weiterer Probleme und Deformationen. Die Tatsache etwa, dass immer größere Budgetanteile der Hochschulen im Rahmen von Drittmittel-Projekten nur noch befristet vergeben werden, hat auch zur Ausuferung von Fristverträgen für die wissenschaftlichen MitarbeiterInnen – bis an die Grenze der Prekarität – erheblich beigetragen. 2011 etwa waren 38 Prozent aller wissenschaftlichen MitarbeiterInnen drittmittelfinanziert. Viele von diesen werden allerdings mangels anderer Finanzressourcen in der grundständigen Lehre eingeplant, d. h. für die gesetzlichen Aufgaben der Hochschulen, für welche die Drittmittelförderung ursprünglich gar nicht vorgesehen war.
Zusätzlich werden die Personalengpässe verschärft, da immer größere Arbeitsressourcen auch des wissenschaftlichen Personals für (Drittmittel-) Antragsstellung, Mittelverwaltung und Leistungsdokumentation gebunden sind.
Da zudem immer weniger Anträge erfolgreich sind (s.o.) – in der ersten Runde der Exzellenzinitiative 2006-2011 betrug die Ablehnungsquote gar 89 Prozent – wird immer größerer (vergeblicher) Arbeitsaufwand den eigentlichen gesetzlichen Aufgaben in Forschung und Lehre entzogen. Ein Teufelskreis.
Umbau überfällig
Damit ist zugleich gesagt, dass bloße Herumflickereien an den bestehenden Strukturen oder befristete Sonderprogramme (Hochschulpakt), um die größten Löcher zu stopfen, nicht ausreichen werden. Eine Systemreform der Hochschulfinanzierung ist überdringlich.
Erstens muss die Grundfinanzierung der Hochschule aus öffentlichen Mittel deutlich aufgestockt werden. Diese Grundfinanzierung erfolgt grundsätzlich zuwachsorientiert in Relation zur Auslastung bzw. zur wachsenden gesellschaftlich Beanspruchung des Hochschulsystems. Dies ist auch eine zwingende Konsequenz des Übergangs zur 'Wissensgesellschaft', in der die relevanten gesellschaftlichen Qualifikationen zunehmend wissensintensiv und wissenschaftsbasiert sind. Allein dies erfordert einen neuen Schub an sozialer Öffnung der Hochschulen.
Zweitens: Die gesetzlichen ('grundständigen') Daueraufgaben der Hochschulen in Studium, Forschung und Lehre müssen durch diese kalkulierbare staatliche Grundfinanzierung (Grundmittel) abgesichert werden. Das ist die entscheidende Voraussetzung zur Sicherung einer Mindestqualität wissenschaftlicher Arbeitsverhältnisse, von der wiederum die gesellschaftliche Relevanz ('Qualität') der erbrachten Leistungen abhängt.
Drittmittelförderung sollte sich künftig auf befristete und komplementäre Projekte jenseits dieser grundständigen gesetzlichen Aufgaben beschränken.
Zum Autor
Torsten Bultmann ist politischer Geschäftsführer des Bundes demokratischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler.
Weitere Infos unter: www.bdwi.de.