Nur ein bisschen weniger neoliberal?Streit um neues NRW-Hochschulgesetz
Studis Online: In Nordrhein-Westfalen (NRW) wird seit Wochen heftig um den von Wissenschaftsministerin Svenja Schulze (SPD) vorgelegten Entwurf für ein neues "Hochschulzukunftsgesetz" (HZG) gestritten. Rektoren und Hochschulräte laufen regelrecht Sturm gegen die Vorlage, weil sie dadurch die "Errungenschaften" des bestehenden von Ex-Wissenschaftsminister Andreas Pinkwart (FDP) im Jahr 2007 durchgesetzten sogenannten Hochschulfreiheitsgesetzes bedroht sehen. Für den Präsidenten der Hochschulrektorenkonferenz (HRK), Horst Hippler, sind die Pläne ein Angriff auf die Wissenschaftsfreiheit und Hochschulautonomie. Andere Kritiker fürchten gar eine "Rückkehr zur Planwirtschaft". Was halten Sie von derlei Vorwürfen?
Unser Interviewpartner, Torsten Bultmann, ist Geschäftsführer beim Bund demokratischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler (BdWi). Der 1968 auf Initiative u. a. der Wissenschaftler Wolfgang Abendroth und Werner Hofmann gegründete Verband mit Sitz in Marburg setzt sich für eine emanzipatorische Bildungs- und Wissenschaftspolitik ein.
Torsten Bultmann: Der offene Brief der HRK an das NRW-Wissenschaftsministerium, der in die Aufforderung gipfelt, den Gesetzentwurf einzustampfen, ist nicht nur eine Stellungnahme von HRK-Präsident Hippler. Er wurde vielmehr im Auftrag der kompletten 15. Mitgliederversammlung der HRK am 19. November 2013 verfasst. Das belegt auch, dass wir es mit einer bundesweit orchestrierten Kampagne zu tun haben – und nicht nur mit NRW-Landespolitik. Dahinter steckt offenbar eine politische Willensbildung, den Kampf um den Fortbestand des Leitbildes "unternehmerische Hochschule" exemplarisch in NRW zu führen. Indirekt wird in der Aggressivität der Kampagne nur deutlich, wie labil die politische Akzeptanz dieses Leitbildes ist. Die Mehrheit der Hochschulmitglieder lehnt es offenbar ab. Schon deswegen, weil sich die Arbeitsbedingungen der Studierenden und wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter seit Inkrafttreten des "Hochschulfreiheitsgesetzes" im Jahr 2007 erheblich verschlechtert haben.
Womit wir dann also bei den "Errungenschaften" wären, die die HRK bewahrt sehen will …
Eigentlich werden, um den angeblichen tollen Erfolg des Hochschulfreiheitsgesetzes zu feiern, immer nur zwei Dinge genannt: Das Drittmittelaufkommen hätte sich um 50 Prozent gesteigert und NRW hätte überdurchschnittliche Erfolge in der Exzellenzinitiative errungen – allein zwei "Eliteuniversitäten" in Köln und Aachen. Dabei wird allerdings verschwiegen, dass die finanziellen Zuwächse dieser Programme sich nur an ganz wenigen Hochschulen und Arbeitsbereichen konzentrieren. Schlimmer noch: Die starke Orientierung auf wettbewerbliche sogenannte "Spitzenforschung" hat auch begünstigt, dass immer größere Anteile der Grundfinanzierung der Hochschulen in die Infrastruktur der für "forschungsstark" gehaltenen Bereiche umverteilt wurden, um deren Chancen auf dem Drittmittelmarkt zu erhöhen. Auch dies hat zur Verschlechterung der Studienbedingungen beigetragen. Auf diese Art Unternehmertum würde wohl die Mehrheit der Hochschulangehörigen gerne verzichten.
Schließlich noch zum Thema "Wissenschaftsfreiheit": Im eingangs erwähnten offenen Brief der HRK taucht die Wendung auf, in NRW würden demnächst "in zentralen Punkten die Wissenschaftsfreiheit und Autonomie der Hochschule in inakzeptabler Weise" eingeschränkt. Die Formulierung lieferte den zentralen Textbaustein für alle in den folgenden Monaten abgegebenen Stellungnahmen. Kein Wunder. Begriffe wie "Autonomie" und "Wissenschaftsfreiheit" sind öffentlich uneingeschränkt positiv besetzt und interpretieren sich scheinbar von selbst. Mit diesem rhetorischen Bombast der Freiheitsverteidigung ließ sich dann geschickt vernebeln, dass es in der Kampagne gegen das HZG ausschließlich um die Verteidigung operativer Exekutivvollmachten der Hochschulleitungen geht. Mit Wissenschaftsfreiheit haben diese Managementbefugnisse unmittelbar nichts zu tun.
Womit dann? Was konkret setzt Schulzes Gegnern so zu? Oder anders gefragt: Auf welche vermeintlichen Freiheiten soll es die Ministerin abgesehen haben?
Ich bin überzeugt, dass es gar nicht so sehr um den Wortlaut des vorliegenden Gesetzesentwurfes geht. Mit diesem könnten die Gegner eigentlich ganz gut leben, da die Abwendung von der "unternehmerischen Hochschule" viel zu inkonsequent erfolgt und die Kompetenzen von Hochschulräten und Hochschulleitungen im Wesentlichen beibehalten werden. Es geht offenbar eher um die vorauseilende Verteidigung eines Prinzips angesichts der verbreiteten Ablehnung dieses unternehmerischen Leitbildes an der Basis der Hochschulen. Das Hochschulfreiheitsgesetz galt immer als eine Art neoliberales Mustergesetz mit bundesweiter Ausstrahlung. Schließlich wurde es in engster Kooperation zwischen dem damaligen Pinkwart-Ministerium und dem Bertelsmann-Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) ausgearbeitet: Alle wesentlichen Entscheidungskompetenzen im Hinblick auf Finanzen, Personalentscheidungen und fachliches Profil verlagern sich an die Spitze der Hochschule. Die Senate, also die traditionellen Träger der akademischen Selbstverwaltung, werden auf Beratungsfunktionen reduziert.
Und die rot-grüne Landesregierung will daran im Grundsatz gar nichts ändern?
In den Medien wird die Kontroverse vor allem als eine Auseinandersetzung um den "Forschungsstandort NRW" ausgetragen. Das Ministerium will offenbar größere Transparenz bei den Drittmitteln betreffend Auftraggeber und Ergebnissen herstellen. Die Rektoren pochen auf ihr Recht auf Geheimhaltung. Gedroht wird mit der Auslagerung von Forschungsinvestitionen in andere Bundesländer. Wir kennen das aus Tarifstreitigkeiten. Wenn die Gewerkschaften zu viel fordern, droht das Kapital mit Standortverlagerungen ins billigere Ausland. Dabei beschreiben die Rektoren eine Forschungslandschaft, die sie sich vielleicht wünschen, die aber so nie existiert hat. In NRW kommen etwa 80 Prozent aller Drittmittel aus öffentlichen Quellen, also aus Steuergeldern. Dass über deren Verwendung Transparenz herrschen muss, ist für mich nicht einmal ein Diskussionsgegenstand. Das ist selbstverständlich.
Sie sprachen von der Entmachtung der Senate und davon, wie Begrifflichkeiten für bestimmte Zwecke instrumentalisiert werden. Was steht den neuen Freiheiten der Hochschulleitungen an Unfreiheiten anderer Akteure im Hochschulbetrieb gegenüber?
Wunsch nach Rückkehr zur Mitbestimmung: Befürwortern einer Reform ist der aktuelle Entwurf zu schwach
Was das Verhältnis von Hochschulgremien und Hochschulleitung betrifft, ist dies tatsächlich ein Nullsummenspiel: Der weitgehenden Entmachtung der Hochschulgremien im Hochschulfreiheitsgesetz entspricht umgekehrt proportional der dirigistische Machtzuwachs bei den Hochschulleitungen. Dabei ist die Wissenschaftsfreiheit durch das Bundesverfassungsgericht vergleichsweise klar definiert. Ihre Träger sind die Subjekte des Wissenschaftsprozesses, einschließlich der Studierenden. Weiterhin sagt das BVG, dass der Wissenschaftsfreiheit das Recht auf Selbstverwaltung der Hochschulen entspricht. Zu Deutsch: die gewählten Hochschulgremien sind Träger der Wissenschaftsfreiheit. Die Leitungen sind streng genommen nur ausführende Organe. Sie können zwar Entscheidungen operationalisieren, aber nicht substantiell in den Wissenschaftsprozess eingreifen. Das Hochschulfreiheitsgesetz stellt all dies auf den Kopf – und etabliert eine komplett wissenschaftsfremde Struktur.
Noch einmal die Frage: Hat Schulzes Vorlage nun das Zeug, das Rad der Zeit zurückzudrehen – wenigstens in Teilen? Oder pumpen sich ihre Kritiker völlig unbegründet auf?
Svenja Schulze setzt zunächst Themen in der Öffentlichkeit wie das einer stärkeren politischen Kontrolle öffentlicher Wissenschaftsfinanzierung, einer größeren Transparenz oder einer stärkeren "Mitwirkung" des Senats bei der Installierung der Hochschulleitung. Grundsätzlich ist dies nicht falsch. Der HZG-Entwurf löst diese politischen Intentionen aber nicht ein. Wenn der Senat etwa nichts entscheiden, sondern nur "mitwirken" kann, nützt beispielsweise auch eine in Aussicht gestellte viertelparitätische Entscheidungsstruktur nichts. Natürlich pumpen sich die Gegner auf. Das ist aber vor allen Dingen von der Befürchtung getragen, die Debatte um die Verabschiedung der "unternehmerischen Hochschule" könnte sich verselbständigen oder gar eine politische Eigendynamik entfalten, an deren Ende dann wesentlich konsequentere Gesetze stehen als der jetzige Entwurf.
Der NRW-Landesverband der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) hat eine Unterschriftenaktion "Für eine demokratische Hochschulverfassung und eine Hochschule in gesellschaftlicher Verantwortung" gestartet, mit der Schulzes Kritikern Paroli geboten und die Ministerin zu einer weitergehenden Reform ermutiget werden soll. Weisen die entsprechenden Empfehlungen in Richtung eines "konsequenten Gesetztes", wie Sie es sich wünschen?
Die GEW-Kampagne zielt darauf, bei der Reform nicht auf einem Viertel des Weges stehen zu bleiben. Die Autonomie der Hochschule muss wieder substantiell in die Hochschulgremien verlagert und die Leitung als deren ausführendes Organ begriffen werden. Das betrifft die Wahl und Abwahl des Rektorats, Haushalts- und Strukturfragen sowie die Schwerpunkte in Forschung, Lehre und Studium. Nur hier kann im Übrigen die Koordination der unterschiedlichen Interessengruppen der Hochschule im Hinblick auf alle betreffende Entscheidungen – etwa in der Studienorganisation – erfolgen. Schließlich werden auch nur so die Mitwirkungsrechte der eigentlichen Leistungserbringer der Institution Hochschule gestärkt.
Wie es heißt, wurde die Erklärung vom Start weg von über 50 Professoren unterschrieben. Wie entwickelt sich der Zuspruch seither?
Es kommen täglich neue Unterstützer hinzu. Außerdem haben sich weitere, politisch ähnlich gerichtete öffentliche Initiativen gebildet: etwa ein gemeinsamer Offener Brief von Attac, fzs, BdWi und anderen. So langsam, wenn auch spät, entwickelt sich eine Gegenöffentlichkeit zur Kampagne der Rektoren.
Über zwei Monate wurde das Thema medial fast ausschließlich von Schulzes Widersachern bestimmt. Warum hat die hochschulpolitische Linke so viel Zeit verstreichen lassen, ehe sie in die Debatte eingestiegen ist?
Erklärungen von Studierendenvertretungen und Gewerkschaftsgliederungen gab es von Anfang an. Deren mobilisierende Wirkung war jedoch zunächst gering. Die Rektoren dominierten in der Tat zuerst die Öffentlichkeit. Das hat zwei Gründe. In den regionalen und überregionalen Medien wurden deren Statements vor allem als Meinung "der Hochschulen" wiedergegeben. Andere wurden nicht gefragt. Hochschulgesetzgebungsverfahren entfachen nun generell nicht umgehend in sozialer Breite die politischen Leidenschaften. Der eigentliche Grund für das verzögerte Reagieren war aber ein anderer. Diejenigen, die der Rektorenkampagne hätten etwas entgegensetzen können, waren vom Gesetzesentwurf derartig enttäuscht, dass dieser keinerlei mobilisierende Wirkung entfaltete. Es fehlt schlicht die Vision einer Hochschulreform, für die man sich auch auf der Straße einsetzt. Schließlich fehlte das politische Verbindungsglied zwischen den täglichen frustrierenden Erfahrungen an den Hochschulen, etwa angesichts der Verschlechterung der Studienbedingungen, und der Wirksamkeit des Hochschulfreiheitsgesetzes. Das wurde zu wenig politisch vermittelt.
Die öffentliche Stimmung kippte erst zu Lasten der Rektoren als Anfang des Jahres deren Gehaltslisten veröffentlicht wurden – und Einkommenssteigerungen zwischen 40 und 70 Prozent binnen acht Jahren offenbarten. Der öffentliche Dienst hatte im gleichen Zeitraum lediglich Zuwächse um 16 Prozent zu verzeichnen und der akademische Mittelbau an den Hochschulen selbst ist zunehmender Prekarisierung ausgesetzt. Auf einen Schlag war das ganze Pathos "Wir verteidigen die Wissenschaftsfreiheit" geplatzt. Stattdessen offenbarte sich ein recht profaner Freiheitsbegriff. Nämlich sich aus Steuergeldern erhebliche Einkommenszuwächse zu genehmigen, ohne dafür jemandem Rechenschaft zu schulden. Diese Einkommen werden ausschließlich diskret mit dem Hochschulrat ausgedealt. Auch das ermöglicht das unmögliche Hochschulfreiheitsgesetz.
Die Offenlegung besagter Liste sorgte für allerhand Aufregung, Schulzes Gegner unterstellten ihr gar, die Interna gezielt nach außen getragen zu haben, um die Rektorenlobby bloßzustellen. Die Ministerin ihrerseits verkündete daraufhin, die Gehaltsexplosion sei voll in Ordnung. Wer die "besten Köpfe" haben wolle, müsse entsprechend zahlen. Hätten Sie sich eine andere Reaktion von ihr erhofft?
Wie die Listen an die Öffentlichkeit geraten sind, interessiert mich nicht im Geringsten. Das lenkt lediglich von der Diskussion ihres Inhaltes ab. Die überall zitierte Reaktion der Ministerin war wohl politisch nicht sehr schlau. Monatelang steht sie allein gegen eine aggressive bundesweite Kampagne. Und in dem Moment, wo sich erstmalig ein wenig Gegendruck zu dieser Kampagne ausbildet, schwächt sie diesen wiederum durch solche Aussagen. Sie hätte zumindest rhetorisch fragen können, welcher Mehrleistung denn solche immensen Einkommenszuwächse entsprechen?
Wie wird die Sache in Ihren Augen ausgehen? Wird die Ministerin auf ganzer Front einknicken oder an entscheidender Stelle Standhaftigkeit beweisen?
Darüber würde ich ungern moralisch spekulieren. Das ist nicht mein Ding. Stattdessen ein gut gemeinter Rat. Wenn man wirklich gesellschaftliche Machtverhältnisse abbauen will – etwa die Machtvollkommenheit der aktuellen Hochschulleitungen – lässt sich dies nicht rein juristisch oder gouvernemental regeln. Man muss sich vielmehr gesellschaftliche Unterstützung organisieren, etwa der der Mehrheit der Hochschulangehörigen in NRW, die ein Interesse an der Überwindung des Hochschulfreiheitsgesetzes haben. Dann wäre allerdings die Neuauflage eines Novellierungsverfahrens erforderlich – mit einem Ergebnis, das diese Unterstützung auch verdient und mobilisiert.
(rw)