Wie sieht die Zukunft der Hochschulen aus?Weichgespülte Empfehlungen des Wissenschaftsrats
Der Wissenschaftsrat ist ein von Bund und Ländern getragenes Gremium, das als einer der wichtigsten Berater der Politik in Fragen der inhaltlichen und strukturellen Weiterentwicklung des Hochschulsystems sowie der staatlichen Förderung von Forschungseinrichtungen gilt. Zu seinen Mitgliedern zählen Abgesandte aus der Wissenschaft, den Hochschulen und der Politik. Mit von der Partie sind auch sämtliche Kultus- bzw. Wissenschaftsminister der 16 Bundesländer, die mitunter sehr widerstreitende Interessen verfolgen.
Profilierung und Differenzierung
Wie es mit dem Hochschulsystem genau weitergeht, ist so klar wie auf dem Bild keineswegs – zu unterschiedlich sind die Interessen der verschiedenen Akteure. Einig sind sie sich eigentlich nur darin, mehr Geld zu brauchen ...
Ende April war ein erster Entwurf des Rates für einen sogenannten "Zukunftspakt 2022" durchgesickert und hatte für allerhand Aufregung gesorgt. Im Zentrum stand darin die Vision einer tiefgreifenden Neuordnung der Hochschulen nach dem Muster einer "Dreiklassengesellschaft". Demnach sollten mittelfristig zwei bis fünf deutsche Universitäten an die Spitze der internationalen Rankings gepusht werden. Die zweite Riege sollten 20 bis 25 forschungsstarke Unis umfassen und den großen Rest die Massenhochschulen bilden, die sich durch "andere Aufgaben profilieren" müssten. Der Ratsvorsitzende umschrieb das seinerzeit im Deutschlandfunk wie folgt: "Und daraus folgt letztlich, dass Hochschulen sich differenzieren müssen, also die Dinge, die sie gut können, wo die Anlagen gut sind, diese weiter auszubauen und zu stärken."
Eine Ahnung davon, wie sehr das am vergangenen Freitag in Braunschweig verabschiedete und am Montag in Berlin vorgestellte Papier "Perspektiven des deutschen Wissenschaftssystems"von diesem Geist durchdrungen (geblieben) ist, gewinnt man anhand zweier Zahlen. Das Wort "Profilierung" taucht auf 119 Seiten allein 64 mal auf, "Differenzierung" immerhin 53 mal. Fakt ist: Die Aufspaltung der Hochschulen nach den Regeln des Wettbewerbs ist der Leitgedanke des Gutachtens, und das war in der früheren Fassung nicht anders. Die Rede ist von der "Öffnung für vielfältige Profile", so seien der Unterricht von Studenten oder der Dialog mit Wirtschaft und Kultur ebenso als "Leistungsdimension" geeignet wie Forschung: "Nicht jede Hochschule muss allen Anforderungen gleichermaßen gerecht werden." Mit "passgenauen Anreizsystemen" könnten die Hochschulen ihre Rolle finden.
Modell Elite-Uni gescheitert?
Wie die tageszeitung (taz) – quasi im Namen des Rates – daraus ableiten kann: "Elite-Unis sind ein Fehler", bleibt ihr Geheimnis. Dabei ist der Befund des Kommentars ja durchaus richtig: "Wer hat, dem wird gegeben – in der Hochschulwelt greift das Matthäus-Prinzip brutal und entkoppelt sich rasant von der Wirklichkeit. Um eine Leuchtturm-Universität zu schaffen, hätte man auch auf irgendeinem zufällig ausgewählten Campus ein paar Millionen auskippen können. Der Rest kommt von selbst." Das Prinzip der Hierarchisierung wird nur mit dem, was der Wissenschaftsrat vorhat, gar nicht angetastet. Es soll sogar ausdrücklich dabei bleiben, man will lediglich die gröbsten damit einhergehenden Verwerfungen korrigieren.
Beispielsweise die einer schleichenden Verarmung des Gros' der Hochschulen zugunsten der bei der sogenannten Exzellenzinitiative mit Fördermilliarden überschütteten Renommierunis. An einer Stelle liest sich das so: "Die Bilanz der veränderten Hochschulbudgets ist also zwiespältig: Eine gestiegene Wettbewerbsfähigkeit – vor allem in der Forschung – und eine positive Entwicklungsdynamik in den Hochschulen ging einher mit einer zusätzlichen Belastung der Grundhaushalte, aus denen in immer geringerem Maße Mittel für die Erfüllung der Kernaufgaben und für die hochschulweite Strategieentwicklung zur Verfügung stehen." So klingt kein Nein zum Elite-Konzept, sondern allenfalls die Sorge, dass die Masse an Verlierern beim Wetteifern um staatliche und private Fördermittel ins Bodenlose fällt. Anders gesagt: Der Wissenschaftsrat will nicht ein paar Leuchtturme in einem Meer von Nieten. Er möchte gerne zweierlei: Überflieger und Qualität in der Breite.
Mehr Grundmittel
Das kostet freilich mehr Geld als bisher – und die Politik soll es liefern. Ein Vorschlag des Rats geht dahin, die Grundfinanzierung der Hochschulen um mindestens einen Punkt über der Inflationsrate zu erhöhen. "Wir können nicht immer mehr von der Wissenschaft erwarten, ohne entsprechend in sie zu investieren", meinte dazu Marquardt. Außerdem sollen Bund und Länder möglichst schon im kommenden Jahr einen "Zukunftspakt 2025" unter Dach und Fach bringen. Dieser soll die bestehenden und demnächst auslaufenden Kooperationen – den Hochschulpakt zur Schaffung von Studienplätzen, den Pakt für Forschung und Innovation sowie die Exzellenzinitiative zur Förderung von Spitzenforschung – ablösen. Konkrete Summen wurden nicht genannt, im Gesamtvolumen soll das Paket aber einige Milliarden Euro schwerer sein als das, was bislang für Hochschulen und Forschung aufgebracht wird.
Es ist vor allem diese Empfehlung, mehr Geld in die Hand zu nehmen, die der Expertise viel Zuspruch verschafft hat. Für die Grünen-Fraktion im Bundestag benennt das Papier "zutreffend die Hauptprobleme und damit auch die Hauptaufgaben in unserem Wissenschaftssystem: die mangelnde Grundfinanzierung der Hochschulen, die schlechten Perspektiven für den wissenschaftlichen Nachwuchs sowie die Verbesserung der Studien- und Lehrbedingungen." Und weiter: "Der Wissenschaftsrat hat sich offenbar zu eigen gemacht, dass die gute Qualität in der Breite nicht für die Förderung weniger Spitzen geopfert werden darf."
Viel Lob für die Forderung nach mehr Geld ...
Auch Andreas Keller von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) begrüßte die Empfehlung, die Grundfinanzierung der Hochschulen auszubauen und sprach von einem "Weckruf", der Gehör finden müsse.
Von der Linksfraktion freute sich Petra Sitte über Vorschläge, die "in die richtige Richtung" gingen. Die strukturelle Unterfinanzierung des Wissenschaftssystems müsse endlich ein Ende haben, auch der Appell, die Zahl der Studienplätze zu erhöhen und die Studierbarkeit der Bachelor- und Master-Studiengänge zu verbessern, sei zu unterstützen. Dabei erkennt auch sie bei all dem eine Förderpolitik, "die weg von Elite-Unis hin zur Breite der Wissenschaftslandschaft konzipiert ist".
Richtig ist: Die Betonung der Elite, die noch im Ursprungsentwurf vorhanden war, ist in dem beschlossenen Konzept verschwunden. So soll die dritte Säule der Exzellenzinitiative, die den Siegern wegen ihrer "Zukunftskonzepte" den Titel "Exzellenzunis" bescherte, anders als ursprünglich geplant, nicht fortgesetzt werden. Vom Tisch ist die Idee damit nicht: Vielmehr wird angeregt, in zehn oder 15 Jahren einen "neuen öffentlichkeitswirksamen Wettbewerb" durchzuführen. "Dabei sollte auf die zwischenzeitlich etablierten Profilierungskonzepte aufgesetzt werden und innovative institutionelle Strategien der Hochschulen (…) mit einem hohen Fördervolumen besonders ausgezeichnet werden." Das bedeutet: "Deutschland sucht die Super-Uni" wird nicht abgesetzt, sondern nur verschoben, bis auf den Tag vielleicht, an dem der Elite-Gedanke auch hierzulande weniger oder gar keinen Widerwillen mehr hervorruft.
... aber auch Grund zur Kritik
Außerdem: Das Label "Exzellenzuni" war bisher nur der augenscheinlichste Ausdruck davon, dass an Deutschlands Hochschulen auf Elite gemacht wird. Die beiden anderen Förderlinien der Exzellenzinitiative, mit denen Forschungsschwerpunkte (Exzellenzcluster) und Doktoranden in einem Wissenschaftsgebiet (Graduiertenschulen) prämiert wurden, sollen, wenn auch unter modifizierten Bedingungen, fortgeführt werden. Hierfür sollen sich die Interessenten bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) bewerben können. "Exzellenzuni" konnte bisher nur werden, wer bei Clustern und Graduiertenschulen an die Fördertöpfe gelangte. Der Zuschlag war so etwas wie das Ticket zum Ruhm und bildete das eigentliche Herzstück der "Exzellenz".
Michael Hartmann, Soziologe und Eliteforscher an der Technischen Universität Darmstadt, meint denn auch, die "Grundlinie ist beibehalten worden". In absehbarer Zeit werde zwar weder das Konzept der Bundesuniversitäten umgesetzt noch das Vorhaben, ein Hand voll internationale Leuchtturme aufzubauen, äußerte er sich gegenüber Studis Online. "Aber das Konzept, die Hochschullandschaft weiter aufzuspalten in finanz- und einflussstarke Forschungsuniversitäten und solche Hochschulen, die nur noch für die Massenausbildung da sind, bleibt weiter bestimmend." Vor allem mit der weiteren Förderung der Exzellenzcluster werde die Kluft zwischen den Spitzenhochschulen und dem großen Rest immer weiter aufreißen. "Es ist bei solch einem Ansatz die automatische Konsequenz, dass die Hochschullandschaft in zwei Teile aufbricht."
Auch Keller von der GEW sieht mit dem Zukunftspakt die "Hierarchisierung und Wettbewerbsorientierung des Wissenschaftssystems weiter vorangetrieben". Statt mit Milliarden die Spitzenforschung "an wenigen Elite-Universitäten aufzupäppeln, brauchen wir an allen Hochschulen gute Studien- und Arbeitsbedingungen – exzellente Forschung und Lehre für alle!"
Ende der Volluniversität?
Dabei sollen laut Wissenschaftsrat noch eine Reihe weiterer Instrumente aufgelegt werden, die die Spaltung weiter vertiefen werden. Beispielsweise sollen in den nächsten zehn Jahren 200 bis 250 "Merian"-Professuren geschaffen und von Bund und Ländern gemeinsam mit jährlich etwa einer Million Euro ausgestattet werden. Zudem schlägt der Rat neue "Liebig"-Zentren vor. Diese sollen als eigenständige Einheiten neben den Fakultäten die Profilbildungen der jeweiligen Hochschule in den Bereichen Forschung, Lehre, Transfer und Infrastrukturleistungen unterstützen. Außerdem sollen die Hochschulen stärker zueinander in Wettbewerb um Forschungsmittel treten.
Für die Zeitung Die Welt wird mit alle dem das Ende der deutschen Volluni eingeläutet, auf der man mehr oder weniger alle Fächer auf vergleichbarem Niveau studieren kann. Marquardt sagte das zwar nicht, meinte es aber genauso, als er am Montag bemerkte: "Die Volluniversität ist kein Modell von gestern, aber sie muss sich überlegen, wie voll sie sein will." Darin klingt mindestens an: Die Spitzenuni von morgen ist spezialisiert und profiliert und – was damit einhergeht – lässt sich nicht überlaufen. Denn eine gute Hochschule nimmt nicht jeden.
Studiengebühren vorerst vom Tisch
Immerhin: Ein Mittel, den anhaltenden Ansturm an Studierenden zu begrenzen, hat der Rat vorerst von seiner Agenda gestrichen. Im früheren Entwurf seiner Empfehlungen hieß es noch, "Deutschland soll langfristig über Studiengebühren nachdenken." Wohl auf Druck der SPD- und Grünen-Vertreter wurde der Passus in der Endfassung getilgt. Zum Thema befragt, beschied Marquardt, derzeit sei der falsche Zeitpunkt, darüber zu reden. Auch hier dürfte gelten: Der rechte Zeitpunkt kommt bestimmt. (rw)