Gespaltene HochschulrektorenBreitenförderung statt Schein-Eliten?
Eigentlich war die Rektorin der Universität Leipzig, Beate Schücking, bei der Tagung angetreten, sich zur neuen Vizepräsidentin der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) küren zu lassen. Daraus wurde nichts. Sie fiel bei der Wahl durch, die Personalie wurde auf das nächste Treffen vertagt. Die Gestrauchelte war die Favoritin von HRK-Chef Horst Hippler vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Das wurde bei der ersten Runde der Exzellenzinitiative mit dem Prädikat "Eliteuniversität" versehen und verdankt diesem Status eine Menge Geld und Ruhm. Das KIT gehört wiederum zum erlauchten Kreis der TU9, in dem die renommiertesten technischen Universitäten Deutschlands zusammengeschlossen sind.
Kampf um den Kuchen
Eine ganze Reihe weiterer Sieger der von Bund und Ländern getragenen "Exzellenzinitiative für Spitzenforschung an Hochschulen" tummelt sich in der German U15. In ihr haben sich im vergangenen Herbst nach Eigendarstellung "große forschungsstarke" Unis zusammengetan, um ihre "strategischen Interessen gemeinsam" zu vertreten und die "Wissen schaffenden und ökonomischen Potentiale der führenden deutschen Universitäten in der Politik ebenso wie in der Wirtschaft und der Zivilgesellschaft stärker bewusst zu machen". Der Eliteforscher Michael Hartmann von der TU Darmstadt hatte die Ansprüche gegenüber Studis Online anlässlich der Gründung folgendermaßen auf den Punkt gebracht: "Man will einfach einen größeren Teil vom Kuchen abbekommen."
Für den großen Rest der nicht in irgendwelchen Lobbyclubs kungelnden Hochschulen könnten da auf lange Sicht nur noch Krümel übrig bleiben. Zumindest ist das die Sorge des Präsidenten der Uni Duisburg-Essen, Ulrich Radtke. Er hat sich im Vorfeld der HRK-Tagung in einem offenen Brief (vgl. Bericht bei SPIEGEL ONLINE) an seine Kolleginnen und Kollegen gewandt und das sonst eher dröge ablaufende Stelldichein regelrecht gerockt. Das nimmt nicht Wunder, denn sein Plädoyer gegen "Clubs und Kartelle der Hochschullandschaft" hat es in sich.
Mehr Schein als Sein
Sein Hauptvorwurf geht dabei so: Um sich beim "Gerangel um Gelder, Drittmittel und Sponsoren" aus der "namenlosen Masse" herauszuheben, hätten sich in Gestalt von TU9 und U15 Verbünde gebildet, die versuchten, "durch eine schlicht postulierte, apodiktische Belegung der »Spitze« eine Art »pole position« im Kampf um die Futtertröge einzunehmen". Dabei wirkten die Ausgrenzungsmechanismen "solcher akademischen Scheinriesen (…) beliebig (…). Aus Quantität wird Qualität, die Größten wollen die Stärksten und zugleich die Besten sein". Die Entwicklung nennt Radtke "fatal", übrig bleibe gegenüber den "freihändig festgestellten »Eliten« nämlich eine große Schar von scheinbaren »Verlierern«, die sich die Unterfinanzierung ihrer Bildungsstätten als Folge mutmaßlichen Leistungsversagens selbst zuzuschreiben hätten".
Klagt da nur einer, der anderen den Erfolg missgönnt? Nein: Nach Radtkes Überzeugung droht am Ende der Ruin der gesamten "akademischen Welt", sollte darin die "Privilegierung von Marktbeziehungen" zum beherrschenden Prinzip werden. Angesichts der knappen Hochschulmittel müsse man sich "schon den Anfängen einer Kannibalisierung der Hochschulen untereinander wehrhaft entgegenstellen", und weiter: "Viel produktiver wäre es, weiter gemeinsam für eine solide Grundfinanzierung zu streiten. (…) Statt Schein-Eliten zu bedienen, sollten wir eine Konsolidierung unserer staatlichen Grundfinanzierung, auch durch den Bund, penetrant weiter und öffentlich fordern."
Misstrauensvotum gegen HRK-Chef
Offenbar traf Radtke damit den Nerv vieler seiner Kollegen. Zwar schaffte er es mit seinem Vorstoß in Nürnberg nicht auf die offizielle Tagesordnung. Trotzdem war sein Brief der Aufreger schlechthin. Laut Süddeutscher Zeitung (SZ) sprachen Teilnehmer von einem "Misstrauensvotum" gegen Hippler, weil er seine Kandidatin nicht als Vize durchbrachte. Hätte Schücking triumphiert, wäre sie als Rektorin der Uni Leipzig schon die dritte U15-Vertreterin im HRK-Präsidium gewesen. Passend zu ihrem Scheitern zitierte die SZ den Rektor der Hochschule Hartz, Armin Willingmann: "Die Grüppchenbildung ist schädlich, weil es die Vertretung der Hochschulen als Ganzes in der HRK schwächt."
Rebellion der Verlierer?
SPIEGEL ONLINE gab Radtke damit wieder, dass er "viel Zustimmung" erhalten habe. "Die Elite-Clubs wiederum seien spürbar um Schadensbegrenzung bemüht gewesen und hätten versucht, ihre Zusammenschlüsse zu rechtfertigen." Eine Rebellion der unzufriedenen Rektoren sei nicht ausgeschlossen. Reaktionen von "Schulterklopfen bis zu verbalen Seitenhieben" schilderte Radtke am Donnerstag gegenüber dem Online-Portal der WAZ-Gruppe DerWesten. "Alle waren im Grunde sehr dankbar dafür, dass ich es angestoßen habe." Immerhin konnte der Streitpunkt nicht vollends unter den Teppich gekehrt werden. Die Sitzungsleitung entschied, eine Arbeitsgruppe zum Thema zu installieren. "Bis zur nächsten Versammlung in einem halben Jahr in Karlsruhe müssen wir ein Ergebnis haben", so Radtke. "Und wenn es bis dahin keines gibt, ist das auch eines."
35 Milliarden für Hochschulbau
Erst im Herbst soll es dann auch endgültige Beschlüsse der 268 Uni- und Fachhochschulrektoren zu jenen Punkten geben, die in Nürnberg vorerst nur diskutiert wurden. Dazu zählt neben der Forderung nach Einrichtung von 3.000 Bundesprofessuren der Appell an die Politik, satte 35 Milliarden Euro in den Hochschulbau zu pumpen. Über beide Vorschläge soll innerhalb des Gremiums weitgehende Einigkeit herrschen. Das gilt freilich nicht für die Entscheidungsträger in der Politik. Faktisch kann der Bund nämlich gar keine Professoren auf eigene Rechnung unterhalten, solange das sogenannte Kooperationsverbot zwischen Bund und Ländern in Bildungsfragen existiert. Zunächst müsste dies aus dem Grundgesetz wieder gekippt werden, wozu es einer Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat bedürfte.
Bundesregierung und Opposition streiten seit weit über einem Jahr über die Modalitäten eines Ausstiegs aus der im Jahr 2006 per Föderalismusreform in die Verfassung gehievten Regelung. Während SPD, Grüne und Linkspartei eine stärkere Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern in allen Bildungsbereichen und insbesondere im Schulbereich anstreben, will die Regierung lediglich eine Lockerung bei den Hochschulen und dies nach ihrem im Sommer 2012 vorgelegten Gesetzentwurf nur für "Einrichtungen von überregionaler Bedeutung". Das entspräche im Falle seiner Umsetzung derselben elitären Grundausrichtung, wie sie Unirektor Radtke so vehement beklagt, und würde die Spaltung in eine "universitäre Ober- und Unterschicht" weiter forcieren.
Schuldenbremse über alles
Gar nicht zur Debatte steht gegenwärtig die sogenannte Schuldenbremse, die – gleichfalls im Rang eines Verfassungsgebots – die Regierungen in Bund und Ländern zum "Sparen" verdonnert. Wohin das führt, zeigt sich bereits in den finanzschwachen Ländern Ostdeutschlands. In Sachsen-Anhalt sollen die Hochschulen bis 2025 mit jährlich 50 Millionen Euro weniger auskommen. Ähnliche Kürzungsvorhaben bestehen auch im Falle Mecklenburg-Vorpommerns. Nur woher sollen unter diesen Bedingungen mal eben 35 Milliarden Euro für die Sanierung und den Ausbau der Hochschulen kommen, wie es sich die HRK wünscht? Ihr Chef Horst Hippler meint, die Länder könnten die Kosten für gute Bildung nicht mehr alleine stemmen. Da hat er recht, vergisst aber: Der Bund will schon 2015 keine neuen Schulden mehr aufnehmen. Tolle Aussichten ... (rw)