Zukunftspakt 2022Wissenschaftsrat denkt schon wieder an Studiengebühren – und will mehr Elite
Nicht nur Studiengebühren verhindern "Freie Bildung", auch eine Fokussierung auf Eliteunis schafft zunehmende Ungleichheit zwischen den Hochschulen, die auch die Studierenden zu spüren bekommen – jedenfalls die große Mehrheit, die nicht an den vermeintlichen Elite-Hochschulen studiert
Eine "radikale Infragestellung der Finanzierungsgrundsätze des Wissenschaftssystems" sei "erforderlich", heißt es in dem in der Vorwoche bei besagter Konferenz behandelten Konzeptpapier. Der Berliner Tagesspiegel hatte bereits am 19. April und damit sechs Tage vor dem Treffen über den "vertraulichen Entwurf" berichtet und getitelt: "Elitewettbewerb für immer und für alle." Über dessen Inhalt erfährt man gleich zu Anfang des Artikels: "Deutschland soll langfristig über Studiengebühren nachdenken (…)." Eine Anfrage von Studis Online bei der Zeitung, wer ihr das Dokument zugespielt hat, beschied die Redaktion aus Gründen des Quellenschutzes abschlägig. Nur so viel ließ man durchblicken: Dem Informanten gefällt die Vorlage ganz und gar nicht.
Der Wissenschaftsrat ist ein von Bund und Ländern getragenes Gremium, das als einer der wichtigsten Berater der Politik in Fragen der inhaltlichen und strukturellen Weiterentwicklung des Hochschulsystems sowie der staatlichen Förderung von Forschungseinrichtungen gilt. Zu seinen Mitgliedern zählen Abgesandte aus der Wissenschaft, den Hochschulen und der Politik. Mit von der Partie sind auch sämtliche Kultus- bzw. Wissenschaftsminister der 16 Bundesländer, die mitunter sehr widerstreitende Interessen verfolgen.
Streitthema Studiengebühren
Dabei sind gerade beim Thema Studiengebühren die Positionen der schwarz-gelb und rot-grün geführten Regierungen gegenwärtig ziemlich konträr. Die inzwischen fast flächendeckende Abschaffung der Campusmaut ist ein politisches Projekt von SPD und Bündnis-Grünen. Dort, wo das Studium gegen Bares in der Regie der Konservativen auf eigene Faust beseitigt wurde – wie in Bayern und per "Jamaika"-Koalition im Saarland – oder nach bereits erfolgtem Aus nicht wieder eingeführt wurde – wie in Hessen –, geschah dies wegen des öffentlichen Drucks und nicht aus Überzeugung.
Insgeheim halten CDU/CSU und FDP dem Gebührenmodell weiterhin die Stange. Man hat lediglich eingesehen, dass für dessen Verwirklichung momentan der falsche Zeitpunkt ist, und die Pläne deshalb zunächst auf Eis gelegt. Im Übrigen ist auch durchaus nicht ausgemacht, dass die Ablehnungsfront von Rot-Grün ewig halten wird. Beide Parteien gemeinsam haben in der Vergangenheit schon Studienkonten und Langzeitgebühren ins Werk gesetzt – auch gegen den Widerstand von Studierenden. Die Erfahrung lehrt daher: Pro oder Kontra Studiengebühren ist mit Blick auf die tonangebenden Parteien weniger eine Gewissens- als eine wahl- und machttaktische Frage, die temporären Einflüssen unterliegt. Und der Wind kann sich bekanntlich schnell drehen.
Undichte Stelle bei Rot-Grün?
Bis auf weiteres befindet sich das Bezahlstudium aber auf dem absteigenden Ast. Wenn sich der Wissenschaftsrat trotzdem hinstellt und praktisch stellvertretend für die ganze Politiker- und Wissenschaftszunft dessen baldiges Revival verkündet, fühlt sich natürlich manch einer auf den Schlips getreten – namentlich bei SPD und Grünen. Aus ihren Reihen dürfte so auch ziemlich sicher der Zuflüsterer kommen, der die Presse mit Interna versorgt hat. Dem Ratsvorsitzenden Wolfgang Marquardt passte das jedenfalls gar nicht in den Kram. Gegenüber dem Deutschlandfunk äußerte er sich am Donnerstag "wirklich empört". Und weiter befand der Aachener Professor für Prozesstechnik: "Ich hoffe und glaube auch, dass die öffentlichen Verlautbarungen, die Beratungen, die ja noch in vollem Gange sind, des Gremiums nicht beeinträchtigen werden, aber man muss sich natürlich klar sein, dass solche Vorgänge auch die Gefahr in sich bergen, dass ein solches Gremium einen Reputationsschaden dadurch erfährt, und das bedaure ich sehr."
Konzept durchgefallen?
Wie am Montag erneut der Tagespiegel vermeldete, soll der fragliche Entwurf, der unter Leitung Marquardts erarbeitet wurde, bei der Würzburger Frühjahrstagung am Freitag durchgefallen sein. Die Vorlage sei "nach heftiger Kritik als untaugliche Grundlage zurückgewiesen" worden, schreibt das Blatt unter Berufung auf "informierte Kreise". Was konkret auf Ablehnung stieß und bei wem, ließ die Zeitung aber im Dunkeln. In der Mitteilung zu einer heute in Berlin abgehaltenen Bilanzpressekonferenz zur Frühjahrstagung findet sich kein Wort über den "Zukunftspakt 2022" – so, als existierte das Konzept überhaupt nicht.
Dreiklassengesellschaft
Dabei ist das Thema Studiengebühren längst nicht der einzige Knaller in dem Papier. Vielmehr wären die nur ein kleiner Baustein einer umfassenden Strukturreform des Wissenschaftssystems, wie sie Marquardt und seinen Mitstreitern vorschwebt. Laut "Zukunftspakt 2022" soll die Hochschullandschaft nämlich in punkto Qualität, Ausrichtung und Renommee eine regelrechte Dreiklassengesellschaft werden. Zwei, bis fünf Universitäten sollen es in den internationalen Rankings mittelfristig auf die vorderen Plätze schaffen. Ihnen sollen 20 bis 25 forschungsstarke Unis folgen, und der große Rest könne sich durch "andere Aufgaben profilieren".
Als Hebel der forcierten Hierarchisierung wird dabei weiterhin auf die sogenannte Exzellenzinitiative gesetzt. Das Bund-Länder-Programm zur Förderung von "Spitzenforschung" hat bereits entscheidend dazu beigetragen, die knappen Hochschulmittel in der Spitze zu konzentrieren und in der Breite auszudünnen. Diesen Prozess will man nun verstetigen, denn eigentlich sollte das Instrument 2017 auslaufen. Geplant sind indes diverse Modifikationen: Die Förderphasen sollen von fünf auf sechs Jahre verlängert und künftig auch die Fachhochschulen beteiligt werden. Offenbar will man so die gesamte Hochschullandschaft in einen Wettbewerb um Geld und Ruhm treiben.
Elite über alles
Diesem elitären Muster entsprechen noch andere Vorhaben: So sollen in den kommenden zehn Jahren mindestens 200 bis 250 sogenannte Merian-Professuren eingerichtet werden – mit besonders guter Ausstattung und dauerhafter Finanzierung durch Bund und Länder. Außerdem möchte der Rat Wissenschaftler in "Führungsakademien" in Sachen Managementaufgaben unterweisen. Schließlich soll der Bund die Ausfinanzierung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes (BAföG) alleine schultern.
Was auf den ersten Blick extrem ambitioniert anmutet, erscheint bei genauem Hinsehen gar nicht mal so weit weg von der Realität. Die Differenzierung der deutschen Hochschullandschaft ist heute bereits im Gange. Ein paar wenigen Universitäten mit viel Geld und Ansehen steht eine Vielzahl mäßig ausgestatteter Massenhochschulen gegenüber, die Lehre und Forschung auf eher bescheidenerem Niveau offerieren. Bisher lief dies eher unbemerkt, insbesondere auf dem Wege der an Bedeutung gewonnenen Drittmittelleinwerbung ab. Maßgebliche Akteure im Politik- und Wissenschaftsbetrieb wollen die Entwicklung in Gestalt eines offiziellen Masterplans offenbar weiter auf die Spitze treiben.
Wirtschaft für nachgelagerte Gebühren
Das sieht auch Michael Hartmann, Soziologe an der TU Darmstadt, so: "Der Wissenschaftsrat formuliert im Kern das, was vor allem in der Wirtschaft und in den Spitzen der Wissenschaft als Zukunftsperspektive existiert und was man gedenkt, gegen noch widerständige Teile der Politik durchzusetzen", erklärte er am Montag gegenüber Studis Online. Gerade in punkto Studiengebühren zeige sich, "dass es nach wie vor ein nicht unerheblicher Teil insgeheim darauf abgesehen hat, diese über kurz oder lang wieder einzuführen". Mit Vorstößen wie dem des Rates werde das Thema wieder in den Köpfen verankert, führte der auf Eliteforschung spezialisierte Wissenschaftler aus. "Sobald die politischen Gegebenheiten andere sind, stehen diese Kräfte bereit, ihre Pläne in die Tat umzusetzen."
Wie zum Beleg ging am vergangenen Freitag die deutsche Wirtschaft, prominent vertreten durch den Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), den Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft sowie das Institut der deutschen Wirtschaft (IW), mit einem Konzept zur Hochschulfinanzierung an die Öffentlichkeit. Der dritte von zehn Punkten geht so: "Die Hochschulen sollten das Recht erhalten, Studienbeiträge einzuführen" – bevorzugt "durch eine nachgelagerte Erhebung" bei erfolgtem Berufseinstieg.
Das Deutsche Studentenwerk begrüßte zwar den Vorstoß der Wirtschaft zur Hochschulfinanzierung, äußerte aber deutliche Kritik an der Forderung nach Studiengebühren. DSW-Generalsekretär Achim Meyer auf der Heyde erklärte dazu: "Nachgelagerte Studiengebühren – das kann man nicht anders denn als Ladenhüter bezeichnen, der wieder ins Schaufenster gestellt wird. Studiengebühren haben in Deutschland keine gesellschaftliche und politische Akzeptanz mehr. Man kann nicht einerseits mehr BAföG fordern und andererseits die Studierenden durch Gebühren belasten; das wäre ein Nullsummenspiel."
Nächste Regierung im Visier
Was aus dem "Zukunftspakt 2022" wird, muss man abwarten. Entschieden ist nämlich wohl noch gar nichts. Die Pressesprecherin des Wissenschaftsrates Christiane Kling-Mathey widersprach heute jedenfalls mit Nachdruck der Darstellung, das Papier sei durchgerasselt. Es habe zwar bei einzelnen Fragen Kontroversen gegeben, aber das sei ein "völlig üblicher Vorgang bei einem so großen Entwurf", sagte sie im Gespräch mit Studis Online. Den Tagesspiegel-Bericht nannte sie "falsch und unlauter" und einen Versuch, die "Diskussion in Misskredit zu bringen". Es werde nun geregelt weiter beraten, so die Sprecherin. Im Juli zur nächsten Tagung in Braunschweig will der Wissenschaftsrat seine – dann endgültigen und offiziellen – Empfehlungen der Öffentlichkeit vorstellen. Erklärtes Ziel soll es sein, damit den Kurs der künftigen Bundesregierung zu beeinflussen. (rw)