Halber Ausstieg mit Rot-GrünLangzeitstudiengebühren in Niedersachsen bleiben
Versprochen?
Was schert Politiker ihr Geschwätz von gestern. Im Wahlkampf noch hatten SPD und Grüne zu jeder Gelegenheit das restlose Aus der Campusmaut für den Fall ihrer Machtübernahme propagiert. Auch in ihren Wahlprogrammen gab es kein Wenn und Aber. In dem der Sozialdemokraten war von der Abschaffung der "elitären Studiengebühren" und davon die Rede, "die Hochschulen für alle öffnen" zu wollen. Bei den Grünen hieß es klipp und klar: "Wir wollen spätestens zum Wintersemester 2014/2015 die Studien- und Langzeitstudiengebühren für das Erststudium einschließlich des Master-Abschlusses abschaffen." Und noch zwei Tage vor dem Urnengang im Januar waren Mitglieder und Funktionäre beider Parteien zur Demo "Bildung ist ein Grundrecht!" für ein Ende "aller Bildungsgebühren" Seit an Seit mit Schülern und Studierenden durch Hannover gezogen.
Schnee von gestern
Einen Monat danach ist es geschehen um den schönen Schein. "Um den Studierenden nicht die Studienabschlussphase zu erschweren, wird die Erhebung von Langzeitstudiengebühren sozial verträglich gestaltet", liest es sich nun im Koalitionsvertrag. Und weiter: "Bei der Bemessung der Dauer eines Studiums müssen die realen Arbeits- und Lebensbedingungen der Studierenden berücksichtigt werden." Wie sich das auf die bestehenden Regelungen auswirkt, bleibt abzuwarten. Gegenwärtig werden in Niedersachsen Langzeitgebühren fällig, sobald man mehr als vier Semester über die Regelstudienzeit hinaus studiert. Das fünfte und sechste Semester über dem Soll kostet jeweils 600 Euro, die beiden folgenden 700 Euro, und danach werden sogar 800 Euro kassiert. Von der Zahlung ausgenommen sind unter anderem Studierende mit Kindern, solche, die Angehörige pflegen, oder schwer erkrankt sind oder eine Behinderung haben (vgl. hier).
Die sogenannten Studienbeiträge, die seit 2007 von allen Studierenden vom ersten Semester an eingetrieben werden, betragen 500 Euro pro Semester. Allein die will die planmäßig ab morgigen Dienstag amtierende neue Koalition aus der Welt schaffen. Wann dies geschieht, steht allerdings in den Sternen. Im Wahlkampf hatte es noch geheißen, die Gebühren spätestens zum Wintersemester 2014/15 zu beseitigen. Weil "spätestens" im Politjargon so viel wie "frühestens" bedeutet, hatte die Ankündigung bei Studierendenvertretern im Vorfeld für einigen Unmut gesorgt. Und jetzt dies: Der beschlossene Koalitionsvertrag drückt sich nun sogar um jede zeitliche Festlegung herum. Die Ankündigung lautet nur mehr, "unverzüglich ein Gesetz zur Abschaffung der Studiengebühren vorlegen" zu wollen. So hält man sich alle Optionen offen, zumal bis zur Gesetzwerdung einer "Vorlage" schon mal ein, zwei Jahre verstreichen können
Hochschulen wollen verzögern
Geht es nach den Hochschulchefs im Land, müssten die Studierenden sogar noch bis 2016 zur Kasse gebeten werden. Nach dem zwischen der abgewählten Regierung und den Hochschulen des Landes ausgehandelten "Zukunftsvertrag II" leisten Gebühreneinnahmen einen "unverzichtbaren Beitrag zur weiteren Verbesserung der Lehre und der Studienbedingungen". Der Kontrakt läuft bis Ende 2015, und die Rektoren bestehen auf dessen Einhaltung. Gegenüber der Presse bekräftigte dieser Tage der Vorsitzende der Landeshochschulkonferenz und Präsident der TU Braunschweig, Jürgen Hesselbach: "Wir werden einer Vertragsauflösung schon deshalb nicht ohne weiteres zustimmen, weil dann auch über andere Teile des Vertrags neu verhandelt werden müsste und wir am Ende finanziell noch schlechter dastehen könnten." Das Geld fehle schon jetzt an allen Ecken und Enden. "Wir stehen mit dem Rücken an der Wand, eine weitere Verschlechterung werden wir nicht hinnehmen."
Womöglich haben die Regierungspartner in spe wegen dieser Warnungen kalte Füße bekommen und treiben die "Abschaffung" deshalb nur halbherzig voran. Natürlich könnte das Land den Vertrag jederzeit kündigen, sobald es gilt, "schwere Nachteile für das Gemeinwohl zu verhüten oder zu beseitigen". Nur wie wird das ausgelegt? Würden "Nachteile" nicht gerade aus einer nicht auskömmlichen Finanzierung der Hochschulen erwachsen.
Regieren über alles
Laut Koalitionsvertrag werden "die bisher von den Studierenden aufgebrachten Mittel (…) für die Hochschulen vollständig aus dem Landeshaushalt kompensiert". Aber reicht das? Die Erfahrung zeigt, dass mit der Einführung des allgemeinen Bezahlstudiums die Grundmittel der Hochschulen sukzessive zurückgefahren wurden. Wie anderorts könnte mit dem Aus der Campusmaut die Ausstattung der Hochschulen in Niedersachsen am Ende sogar schlechter werden. Das ist kein Plädoyer für ihre Beibehaltung, sondern dafür, dass Rot-Grün noch eine Schippe drauflegt. Fraglich ist nur, ob die neue Regierung dazu den politischen Willen aufbringt.
Die Ereignisse vom Wochenende verheißen jedenfalls nichts Gutes. Auf separaten Parteitagen in Hannover war das Koalitionsabkommen am Sonnabend ohne ernsthafte Widerworte abgesegnet worden. Offenbar geht auch der Basis das Regieren über alles. Dabei hatte noch am Vortag das Aktionsbündnis gegen Studiengebühren (ABS) die Delegierten aufgerufen, "diesen Koalitionsvertrag abzulehnen". Daraus wurde nichts, vielmehr beschloss man das Papier jeweils einstimmig und ohne Enthaltung. Das wirkt so, als wollte man ein Exempel statuieren – nach dem Motto: "Uns redet keiner rein!"
Schelte durch Parteijugend
Vom ABS setzte es danach die passende Antwort: "Es kann nicht sein, dass im Wahlkampf die Chancengleichheit in der Bildung propagiert wird und nach der Wahl die Bildungshürden zementiert werden", heißt es in einem Pressestatement. "Eins ist klar, sozial verträgliche Studiengebühren kann es nicht geben, denn Bildungsgebühren – egal in welcher Form – wirken selektiv und verschärfen die Krise des Bildungssystems."
Schelte gab es auch vom Nachwuchs der Umfallerparteien: "Uns erstaunt, dass beide Parteien erst unabhängig voneinander ähnliche Forderungen im Wahlkampf aufgestellt haben, die weit über den abgestimmten Koalitionsvertrag hinausgehen, diese sich nun aber dort nicht mehr wiederfinden lassen", heißt es in einer gemeinsamen Medienmitteilung der Juso-Hochschulgruppen und Campusgrün. "Von Chancengleichheit und einer Öffnung der Hochschule kann nicht die Rede sein, wenn nicht Studiengebühren flächendeckend abgeschafft werden", und abschließend: "Bildung ist keine Ware! Auch nicht für Langzeitstudierende." (rw)