Weitere AusstiegeKritik an Hochschulrankings – und speziell am CHE-Ranking – nimmt zu
"Weg mit dem CHE-Ranking" – diese Forderung wird immer populärer
Einzelne Aussteiger ist das CHE im Grunde gewohnt und hat diese meist ignoriert und in früheren Rankings sogar dadurch "bestraft", dass die Aussteiger-Fächer bspw. im Online-Tool gar nicht aufgeführt wurden, als ob es sie gar nicht geben würde. Seit dem letzten Jahr werden sie wenigstens genannt. In der Druckfassung im ZEIT-Studienführer bleiben die Aussteiger (aber auch diejenigen, von denen aus anderen Gründen keine oder zu wenig Daten ermittelt werden konnten) weiterhin unerwähnt. Nur irgendwo in den Erläuterungen zum Ranking an sich findet sich eine dezente Erwähnung der Auslassungen.
Im nächsten Jahr dürften die Lücken deutlich größer werden. Denn neben diversen Fachbereichen (wie schon in der Vergangenheit, nur dass die Zahl wohl deutlich steigen wird) werden auch einige größere Unis als ganzes nicht mehr teilnehmen. Grund dafür ist vor allem die ausführlich begründete Empfehlung der Deutschen Gesellschaft für Soziologie (DGS), dass sich insbesondere die Institute der Soziologie nicht mehr am CHE-Ranking beteiligen sollten. Schauen wir uns also kurz an, was genau die DGS kritisiert, bevor wir dann darauf eingehen, welche Hochschulen und Institutionen sich nicht mehr am CHE-Ranking beteiligen wollen bzw. entsprechende Empfehlungen ausgesprochen haben.
Fehlerhafte Methodik ...
Die eine Seite der Kritik wendet sich der Methodik der Rankings zu. Aus heutiger Sicht waren insbesondere die ersten Rankings (vor 10 Jahren und mehr) prinzipiell ziemlich schlecht. Die Stichproben waren (und sind teilweise bis heute) zu klein, die Gewichtung und die Darstellung in einem Ranking (oder auch nur in "Ranggruppen") fragwürdig. Hier haben die Rankingmacher durchaus nachgebessert, auch wenn immer noch vieles kritisiert werden kann. Man begibt sich mit solcher Kritik allerdings auch in ein Klein-Klein um Details, das Außenstehend oft langweilt und vor allem suggeriert, man müsse ja "nur noch" ein paar Details verbessern und dann hätte man wirklich das perfekte Ranking.
Von daher ist die andere Seite der Kritik eigentlich interessanter, bei der es nicht um den Streit um einzelne Zahlen geht.
Ein prinzipielles Problem von Rankings ist, dass Dinge vergleichbar gemacht werden sollen, die letztlich gar nicht vergleichbar sind. Qualität der Lehre lässt sich nie in Gänze durch Zahlen ausdrücken. Hinzu kommt, dass ja in den letzten Jahren von der Politik und gerade auch vom CHE den Hochschulen und Fächern immer wieder geraten wird, sich ein unverwechselbares "Profil" zu geben. Wenn nach dieser Logik aber die Informatik an der eine Uni auf mobile Apps konzentriert, während die andere Uni ihren Schwerpunkt auf Robotik legt – wie soll man dann diese zwei letztlich ziemlich unterschiedlichen Fächer sinnvoll miteinander vergleichen?
... und wissenschaftspolitische Gefahren
Die Deutsche Gesellschaft für Soziologie kommt in ihrer Kritik schließlich auf die wissenschaftspolitischen Folgen des Rankings zu sprechen:
"In der hochschulpolitischen Realität (...) lädt das CHE-Ranking Fakultäts- und Hochschulleitungen sowie Ministerialbürokratien zu extrem simplifizierenden Lesarten ein, ja fordert diese geradezu heraus. Auf deren Basis können dann gegebenenfalls folgenschwere, jedoch sachlich im Zweifel unbegründete Strukturentscheidungen zur Soziologie als wissenschaftlicher Disziplin und zu ihren Studiengängen an einzelnen Standorten getroffen werden. (...)
In dem Vorgespräch mit den CHE-Verantwortlichen wurde der Deutschen Gesellschaft für Soziologie von diesen offen mitgeteilt, dass es keine Möglichkeit für das Fach gebe, im Rahmen des vom CHE organisierten Verfahrens zwar seiner eigenen Informationsabsicht Genüge zu tun, sich der vorgegebenen Bewertungs- und Reihungspflicht hingegen zu entziehen. Für die DGS ist damit hinlänglich deutlich geworden, dass das CHE die Politisierung seines Hochschulrankings zumindest billigend in Kauf nimmt. Während die Urheber des Rankings behaupten, mit diesem bloß existierende Qualitätsunterschiede zwischen den universitären Standorten der Soziologie abzubilden, spricht nach Ansicht der Deutschen Gesellschaft für Soziologie viel dafür, dass das CHE-Ranking maßgeblich zur Konstruktion von "Differenz" und damit zur Spaltung der Hochschullandschaft im Fach Soziologie beiträgt.
Im schlimmsten Fall wirkt das Ranking damit langfristig im Sinne einer "self-fulfilling prophecy": Was auf vermeintlich gesicherter empirischer Basis als "guter" oder "schlechter" Standort ausgewiesen wird, entwickelt sich womöglich auf lange Sicht – aufgrund von dadurch veranlassten strukturpolitischen Entscheidungen und irgendwann dann doch entsprechend sich verändernden Studierendenströmen – auch real zu einem solchen. Die Soziologie weiß wie keine zweite wissenschaftliche Disziplin um die handlungsleitenden Effekte sozialer Situationsdefinitionen. Sie sieht sich daher in der wissenschaftlichen Pflicht, auf die weitreichenden Konsequenzen von auf falschen Situationsdefinitionen beruhenden Handlungen hinzuweisen – und in der wissenschaftspolitischen Verantwortung, nicht weiterhin selbst zu solchen Konsequenzen beizutragen."
Eine Menge neuer Ranking-Verweigerer
Wie schon zu Beginn erwähnt: Die Kritik der DGS hat offenbar auch bei anderen Fachbereichen und ganzen Unis eine erneute Diskussion über das CHE-Ranking und Hochschulrankings allgemein ausgelöst.
Am 17. September 2012 hat der Vorstand der Gesellschaft Deutscher Chemiker (GDCh) in seiner Sitzung beschlossen, sich der Argumentation der DGS anzuschließen und empfiehlt gleichfalls, am Ranking nicht mehr teilzunehmen. Die dazugehörige Pressemitteilung erschien erst am 24.09. Darin heißt es noch, die GDCh sei offen für eine Diskussion mit den Rankingagenturen. Man kann daher gespannt sein, wie das CHE versuchen wird, die GDCh wieder umzustimmen. Denn neue Daten der Chemie-Studiengänge müssen erst 2014/15 für die Veröffentlichung 2015 erhoben werden.
Die Uni Hamburg will sich im Grunde an gar keinem Ranking mehr beteiligen. In einem Grundsatzbeschluss hat das Präsidium der Uni erklärt, dass keine Beteiligung mehr an Umfragen stattfinden soll, "die geeignet sind, deutsche und internationale Universitäten gegeneinander auszuspielen." Anfragen aus dem Parlament oder wenn ein von der Universität anerkanntes öffentliches Interesse besteht, sind ausgenommen. Beim CHE-Hochschulranking wird letzteres offenbar nicht gesehen, denn laut Pressestelle wird die Uni sich tatsächlich explizit am CHE-Ranking nicht mehr beteiligen.
An der Uni Leipzig geht man nicht so weit wie an der Uni Hamburg. In Folge der Empfehlung der Deutschen Gesellschaft für Soziologie hat der Senat aber beschlossen, sich jedenfalls an der kommenden Runde des CHE-Rankings nicht zu beteiligen, der für die Uni die Fachbereiche Geisteswissenschaften, Erziehungswissenschaft und Psychologie betrifft. Die Rektorin Beate Schücking will laut einem Zeitungsbericht für diese Position auch auf Landesrektorenkonferenz und Hochschulrektorenkonferenz werben.
Die Empfehlung der DGS haben die Fachbereiche der Soziologie in Bayern bereits umgesetzt: Sie wollen bayernweit nicht am Ranking teilnehmen. Dieser Beschluss ist allerdings erst für das CHE-Ranking, das 2014 veröffentlicht wird, relevant. Alle Fachbereiche werden im dreijährigen Turnus untersucht, die Soziologie wurde mit neuen Daten 2011 veröffentlicht.
Der Historiker-Verband hatte schon 2009 das CHE-Ranking hart kritisiert, was zur Folge hatte, dass sich beim CHE-Ranking für das Fach Geschichte viele Fachbereiche nicht beteiligt hatten (Datenerhebung 2009/2010, erstmalig veröffentlicht im Ranking 2010). An seiner Kritik hält der Verband – gerade im Lichte der DGS-Empfehlung – weiter fest und hat dies mit einer Stellungnahme untermauert. Es erscheint nicht unwahrscheinlich, dass einige Fachbereiche, die sich 2009/10 doch noch am Ranking beteiligt hatten, diesmal auf die Linie der Verweigerer einschwenken.
Zuletzt hat schließlich auch die Deutsche Gesellschaft für Erziehungswissenschaften die Empfehlung ausgesprochen, dass die erziehungswissenschaftlichen Institute bzw. Fachbereiche aus dem CHE-Ranking aussteigen sollen. Der Vorstand der DGfE sei jedoch bereit, an einer Verbesserung der CHE-Rankings mitzuwirken. Zugleich will die DGfE an einer "angemessenen Repräsentation der verschiedenen Hochschulstandorte arbeiten, um den an der Erziehungswissenschaft und ihren unterschiedlichen Teildisziplinen sowie an einem Lehramtsstudium interessierten jungen Menschen eine qualifizierte Entscheidungsgrundlage zu geben."
Wer sich schon bisher verweigert hatte
Die neuen Aussteiger verbinden ihren Ausstieg mit relativ deutlicher Kritik an den Methoden der Rankings bzw. speziell des CHE-Hochschulrankings und auch den dadurch hervorgerufenen unerwünschten Implikationen. Aus ähnlicher Motivation ist die Uni Köln bereits seit 2011 nicht mehr dabei.
Dazu kommen drei weiteren Unis, die zwar keine derart explizite Kritik äußern, das Ranking aber zumindest für ungeeignet halten, die spezifische Situation an ihrer Uni abzubilden und deswegen nicht (mehr) teilnehmen. Dies sind die FernUni Hagen (seit 2012), die Leuphana Universität Lüneburg (seit 2009) und die Uni Vechta (seit 2012).
Fachbereiche, in denen sich mehr als nur eine oder zwei Standorte nicht beteiligt hatten (die Gründe sind uns leider größtenteils nicht bekannt), sind ansonsten Erziehungswissenschaften (u.a. FB 2 der Uni Siegen), Informatik (u.a. FH Frankfurt/Main, Uni Göttingen, FH Kaiserslautern), Medizin (u.a. Uni Hamburg, Uni Jena, Uni Göttingen), Sozialwesen / Soziale Arbeit (u.a. FH Bielefeld, FH Hannover, FH Ludwigshafen) und Sportwissenschaft (u.a. HU Berlin, TU Dortmund, Uni Güttingen).
Eine ausführliche Liste der bisherigen Nicht-Teilnehmer am CHE-Ranking mit Links zu Begründungen (so denn online vorhanden) findet sich im Artikel zum CHE-Hochschulranking 2012.
- Hochschulranking - ein Instrument der Hochschulwahl?
- Soziologen wollen nicht mehr: CHE-Ranking unter Beschuss
- Was und wer nicht drin steht – und warum: CHE Hochschulranking 2012 (07.05.2012)
Hinweis: Die erste Fassung dieses Artikels wurde am 20.09.2012 veröffentlicht (daher gibt es auch einige Kommentare zum Artikel aus dieser Zeit), das Datum oberhalb des Artikels zeigt die letzte Ergänzung an.