OECD-Bericht "Bildung auf einen Blick"Deutsches Hochschulsystem bleibt sozial selektiv
Die (möglicherweise vorhandenen Hintergrund-)Interessen von OECD und Vodafone-Stiftung muss man nicht teilen. Das Ergebnis ihrer Studien ist dennoch für alle interessant, denn sie zeigen Probleme auf und der OECD-Bericht ermöglicht es, den Stand in anderen Ländern grob zu erfassen.
Im Grunde sind die Befunde seit Jahren mehr oder weniger gleich – und die Reaktionen der jeweils amtierenden Bildungsminister auch. Zahlen werden relativiert, kleine Erfolge groß geredet, Misserfolge ausgeblendet.
Ein paar Daten aus dem OECD-Bericht
Der OECD-Bericht betrachtet fast alle EU-Länder (alle größeren, dazu einige kleinere), dazu als ebenfalls wirtschaftlich stärkere Länder Australien, Israel, Island, Kanada, Neuseeland und USA, schließlich noch einige weitere Länder, konkret Mexiko, Türkei und Saudi-Arabien.
Massenandrang an den Hochschulen – trotzdem gibt es laut OECD in Deutschland inzwischen mehr Bildungsabsteiger als -aufsteiger
Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass Deutschland beim Anteil von AkademikerInnen insgesamt nur im hinteren Mittelfeld liegt, ist der Befund, dass junge Erwachsene nur zu 20% ein höheres Bildungsniveau als ihre Eltern erreichen, 22% sich aber sogar "verschlechtern", äußerst bedenklich. Im OECD-Schnitt erreichen 37% der jungen Erwachsenen ein höheres Bildungsniveau als das der Eltern, nur 13% "verschlechtern" sich.
Positiv im internationalen Vergleich ist die niedrige Rate von 15- bis 29-Jährigen, die sich weder in Beschäftigung noch in Ausbildung befinden. Sie liegt mit 12% unter dem OECD-Durchschnitt (15,8%). Auch die Erwerbslosenquote – selbst bezogen auf einzelne Bildungsniveaus – ist in Deutschland während der weltweiten Rezession der letzten Jahre sogar gesunken. Keinem anderen Land ist dies gelungen. Allerdings ist das wohl nicht Verdienst der Bildungspolitik, sondern zeigt lediglich die wirtschaftliche Stärke.
Recht stark – jedenfalls in Bezug auf die Teilnahme – ist Deutschland erstaunlicherweise im Elementarbereich (Vorschulen und Kindergärten): 2010 besuchten 96% der Vierjährigen eine entsprechende Einrichtung (OECD-Durchschnitt nur 79%), bei den Dreijährigen 89% (OECD-ø nur 66%).
Auf Grund der (relativen) wirtschaftlichen Stärke und des nicht überaus hohen Akademikeranteils (dessen Ausbildung sicher teurer ist als andere Ausbildunsgwege) mag sich zwar z.T. erklären, warum Deutschland im Vergleich mit anderen Ländern unterdurchschnittlich viel Geld für alle Bildungsbereiche ausgibt (5,3% des Bruttoinlandsprodukts; OECD-Schnitt: 6,2%). Auch der Staat gibt inzwischen zwar 10,5% der öffentlichen Ausgaben für Bildung aus, liegt damit aber deutlich unter dem OECD-Durchschnitt (13,0%). Hier ist also noch viel Luft nach oben – und dauerhafte Ausreden fehl am Platz. Dass es Deutschland noch so gut geht, ist ja nicht in Stein gemeißelt ...
Wie immer: BMBF greift sich vor allem positive Werte heraus und bezweifelt negative
Die von uns oben erwähnten positiven Entwicklungen betont erwartungsgemäß das BMBF besonders stark. Die pauschale Forderung nach Erhöhung der Bildungsausgaben fehlt auch nicht. Nur das ist ja leicht gesagt, in der Realität wird stattdessen gerne mal gekürzt, auch vom BMBF (so ja bei der Fortschreibung der geplanten Ausgaben für das BAföG 2013 – vgl. hier).
Beim Kritikpunkt der OECD, dass es in Deutschland mehr Bildungsabsteiger als -aufsteiger gäbe, widerspricht das Ministerium und verweist auf den Bildungsbericht 2012, in dem die Aufsteiger die Absteiger weit übertreffen. Der Bildungsbericht greift selbst dafür auf Daten einer Studie von 2008 zurück. Nun wird die OECD kaum bei wahrscheinlich etwas aktuelleren Daten auf ein vollkommen anderes Ergebnis kommen können. Wahrscheinlich wird ein anderer Jahrgangsausschnitt betrachtet, möglicherweise auch Aufstieg / Abstieg innerhalb bestimmter "nah" beieinander liegender Bildungsniveaus anders ermittelt. Statt also auf "schönere" Ergebnisse zu verweisen sollten BMBF und KMK lieber schauen, wo genau das Problem liegen könnte.
Forderungen von DSW und fzs
Das Deutsche Studentenwerk (DSW)überschreibt seine Presseerklärung aus Anlass des OECD-Berichts (aber auch der Studie der vodafone-Stiftung) mit "Soziale Öffnung der Hochschulen auf die Agenda!" Der DSW-Präsident Timmermann fordert: "Das Studierenden-BAföG muss regelmäßig erhöht und ausgebaut, das Schüler-BAföG muss wieder eingeführt werden. Sie sind der Schlüssel zu mehr Chancengleichheit. Bereits in den Schulen muss über den Wert und die Kosten eines Studiums intensiver aufgeklärt und informiert werden. Und gerade die Studienfinanzierungsberatung muss bereits in der Schule ansetzen."
Der studentische Dachverband freier zusammenschluss von studentInnenschaften (fzs) weist darauf hin, dass 66% der Studierenden neben dem Studium jobben. Die Abbruchquoten seien in den letzten Jahren gestiegen, für die nächsten Jahre fehlten laut Bildungsbericht hunderttausende Studienplätze. Die Forderungen des fzs sind daher folgerichtig "(e)ine sofortige Aufstockung des Hochschulpakts auf für Masterstudienplätze, die weitgehende Abschaffung des Kooperationsverbotes und eine substantielle Erhöhung der Bildungsausgaben".
Nicht aufgeben! – Ein Kommentar
Nach den Erfahrungen der vergangengen Jahre werden auch die aktuellen Berichte leider kaum eine echte Auswirkung haben. Offenbar hat sich die staatliche Bildungspolitik im Status Quo eingerichtet und schafft es nicht, wirkliche Veränderungen jenseits öffentlichkeitswirksamer, aber eher kaum wirksamer oder sogar kontraproduktiver Aktionen zu erreichen.
Das vom BMBF stark protegierte Deutschlandstipendium bspw. hilft in Sachen soziale Öffnung wahrscheinlich so gut wie gar nicht, schränkt im Gegenteil höchstens die Möglichkeiten ein, mehr Geld für das BAföG in die Hand zu nehmen. Auch die Exzellenzinitiative bringt vor allem PR, aber macht es den Hochschulen in der Breite eher schwerer (noch mehr Anträge, noch mehr Eigen-PR nötig, um überhaupt noch an Gelder zu kommen). Zwar ist Ziel der Exzellenzinitiative sowieso nicht die Verbesserung der Lehre oder anderer Dinge, die für Studierende direkt relevant sind. Aber der zunehmende Zwang für die Forschenden der Hochschulen (die ja ebenso für die Lehre zuständig sind), um Geld zu werben, führt nicht gerade zu einem steigenden Zeitbudget für die Aufgaben im Bereich der Lehre.
Was bleibt also? Die schon jetzt Kritik an den aktuellen Zuständen an den Hochschulen üben, dürfen damit nicht nachlassen. Die Studierenden werden wohl weiter mit Aktionen aller Art auf die Missstände hinweisen müssen. Die BildungspolitikerInnen aller Parteien sollten sich weniger von vermeintlichen Sachzwängen (insbesondere das fehlende Geld) den Schneid abkaufen lassen, sondern für mehr Geld, aber auch echte Reformen kämpfen, die den Hochschulzugang vereinfachen und Barrieren abbauen. Dazu gehört es auch, nicht nur kleine Schritte zu gehen, sondern auch wieder große Reformen zumindest zu diskutieren. Das Unterhaltsrecht wäre ein solcher Brocken, das zugunsten eine echt elternunabhängigen Bildungsfinanzierung (nicht nur des Hochschulstudiums) umgebaut werden könnte – und sollte (mehr dazu hier). Dafür Energie zu investieren wäre jedenfalls sinnvoller, als alle Jahre wieder über Studiengebühren zu diskutieren, wie vor allem PolitikerInnen aus CDU, CSU und FDP nicht müde werden.
Materialien und Hintergründe
- OECD-Bericht "Bildung auf einen Blick 2012" (Lesemöglichkeit [Download nur nach Anmeldung], Pressemitteilungen etc.)
- Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse des OECD-Berichts, insbesondere mit Blick auf die für Deutschland interessanten Werte (PDF)
- Aufstiegsangst? Eine Studie zur sozialen Ungleichheit beim Hochschulzugang im historischen Zeitverlauf (via vodafone-stiftung.de; Download-Möglichkeit und weitere Materialien)
- Beleg für die Leistungsfähigkeit des deutschen Bildungswesens (Pressemitteilung des BMBF; 11.09.2012)
- Soziale Öffnung der Hochschulen auf die Agenda! (Pressemitteilung des Deutschen Studentenwerks; 11.09.2012)
- "Bildungsrepublik" nicht gefunden - mehr Abstieg als Aufstieg (Pressemitteilung des fzs; 11.09.2012)
- Alle Jahre wieder: OECD-Studie Bildung auf einen Blick 2010 (Studis Online, 08.09.2010)