Uni zwischen oberer und unterer RandbedingungCampus Bielefeld erfindet sich neu
Mehr Schein als Sein?
Unter diesem Titel berichteten wir schon vor vier Jahren über die "Corporate Design" Bemühungen vieler Hochschulen. Denn was die Uni Bielefeld nun umsetzt ist nur eine Variante davon, wie Hochschulen versuchen, die Außenwirkung zu verbessern. Nicht immer erfolgreich ...
Grünes Licht für das Namenskonzept gab Anfang Juli der Bielefelder Stadtentwicklungsausschuss. Mit einigem Stolz wird die Errungenschaft in einer Bekanntmachung der Uni abgefeiert. "Mit der wissenschaftsbezogenen Benennung der Straßen, Wege und Plätze erhält dieses Bildungsquartier eine besondere, ganz eigene Identität", verkündete der Beigeordnete Gregor Moss. "Der Hochschulstandort Bielefeld erlangt dadurch nicht nur ein Alleinstellungsmerkmal unter den Hochschulstandorten in der Bundesrepublik Deutschland, sondern auch im internationalen Vergleich."
Parken in der "Forschungslücke"
Das kann man wohl sagen. Wo sonst auf der Welt wird auf einem Hochschulgelände mit soviel Geistreichtum geklotzt? Wer kann schon von sich sagen, dass er auf der "Erfahrung" Richtung Mensa geht, davor aber noch den "Hermeneutischen Zirkel" passieren und den "Spannungsbogen" kreuzen muss? Und wer würde nicht liebend gerne einmal auf dem "Pfad der Erkenntnis" schreiten, den "Gedankengang" entlang schlendern oder sein Auto in der "Forschungslücke" abparken. "Transfer", "Durchbruch", "Methoden", "Einsicht", "Lauf der Dinge", "Bildungsgang", "Vermittlung", "Assoziation", "Inspiration", "Soziales Feld" – Die Liste ließe sich fortsetzen, dem Erfindergeist waren offenbar keine Grenzen gesetzt.
Bis zum Jahr 2025 soll der neue erweiterte Campus Bielefeld fertig sein. Im Rahmen der 2010 gestarteten Baumaßnahmen wird es unter anderem einen Neubau der Fachhochschule, eine neue Mensa und ein komplett modernisiertes Unihauptgebäude geben. Dazu kommen weitere Forschungs- und Entwicklungszentren, denen das Gelände Platz bieten soll. Entwickler, Planer, Bauherr und Investor ist der Bau- und Liegenschaftsbetrieb Nordrhein-Westfalen (BLB). Die geplanten Investitionen belaufen sich auf mehr als eine Milliarde Euro. Mit dem Vorhaben stelle sich die "Ostwestfalen-Metroplole den gestiegenen internationalen Anforderungen an Forschung, Lehre und Studium" heißt es.
90 Prozent für den Müll
Bei einem so ehrgeizigen Projekt muss natürlich auch das Drumherum stimmen, und dafür bedarf es kluger Köpfe. Aus dem Uni-Magazin H1 erfährt man, wer sich die Sache mit den Straßennamen ausgedacht hat. Urheber war demnach der Arbeitskreis zum Campus Bielefeld, der eines schönen Tages eine Idee entwickelte: "Ähnlich wie in Bethel, wo Straßen- und Gebäudenamen an biblische Geschichten und Figuren angelehnt sind, sollen die Namen die Identität des Wissenschaftsquartiers widerspiegeln." Damit kam der Stein in Rollen: Sogleich wurde ein "Kreativ-Team" bestellt mit dem Philosophen Martin Carrier an der Spitze.
Mit dabei war auch dessen Kollegin Maria Kronfeldner, die nachträglich ins Schwärmen gerät: "Auch wenn Philosophen theoretisch viel über Namensgebungen wissen, ist es in der Praxis eine äußerst schwierige, aber auch spannende Aufgabe gewesen". Und eine ergiebige dazu, wie Professor Carrier ergänzt: "90 Prozent der Ideen sind im Müll gelandet und auch jetzt noch befindet sich die Ausgestaltung des Konzepts in einem ständigen Prozess."
Bielfeld mausert sich
Nur gut, dass zehn Prozent Gehirnschmalz nicht ganz für die Katz waren. Als graue Maus kann man Bielefeld jetzt ganz bestimmt nicht mehr schmähen. Das Konzept sei "bundesweit einzigartig", schreibt H1, und die Bewohner haben einen echten Mehrwert dazu: Erklärende Tafeln und Führungen würden auch Besuchern einen Einblick in die Welt der Wissenschaft ermöglichen. Ganz aus dem Häuschen ist darob Annette Klinkert, Leiterin des Wissenschaftsbüros der Bielefeld Marketing GmbH: "Wenn man beispielsweise die Sequenz entlanggeht, kann das ein Anlass sein zu erklären, wie im CeBiTec an der Entzifferung von Genomen geforscht wird." Vielleicht bekommen die Gäste dabei gleich auch noch gesteckt, dass CeBiTec "Center for Biotechnology" heißt und damit zu schaffen hat, Schweine in der Petrischale zu züchten.
Man spricht englisch
Überhaupt stehen an der Uni Bielefeld Anglizismen ganz hoch im Kurs. Bei der "Exzellenzinitiative für Spitzenforschung" triumphierte zuletzt das Exzellenzcluster "Cognitive Interaction Technology" (CITEC) sowie die "Bielefeld Graduate School in History and Sociology" (BGHS), wofür sie für die nächsten fünf Jahre millionenschwere Forschungsgelder einheimsen. Rektor Gerhard Sagerer nahm es mit Bescheidenheit: "Die Universität Bielefeld spielt ganz oben mit und kann sich auch mit den besten Universitäten messen, in Deutschland und auf internationaler Ebene." Am CITEC wurde der Roboterkopf Flobi ausgetüftelt, und seine interaktiven, virtuellen Pendants heißen MAX und Vince.
Ausschnitt aus dem Uniplan mit den neuen Wegenamen
Immerhin: Auf dem künftigen Campus wird es regelrecht deutsch zugehen. Zumal sich zwischen "Synthese", "Obere Randbedingung" und "Aufklärung" auch noch so schnöde Namen wie Universitätsstraße oder Morgenbreede mischen. Eigentlich sollten die von der Landkarte getilgt werden, wäre nicht studentischer Widerstand dazwischen gekommen. Besagte Straßen beherbergen Studentenwohnheime mit Tausenden von Einwohnern. Denen hätte ein wahrer Ämtermarathon gedroht, wäre den visionären Geistern nicht Einhalt geboten worden. "Die Leute hätten alle neue Pässe und Ausweise mit ihrer veränderten Adresse gebraucht", bemerkte ein Sprecher des Allgemeinen Studierendenausschusses (AStA) am Dienstag gegenüber Studis Online. "Der Aufwand, der Stress und die Kosten wären gewaltig gewesen". Auch deshalb habe man "grundsätzlich und strikt gegen die Pläne" Position bezogen.
Alte Zeiten passé
Die Kritik hat nach der Schilderung des Studierendenvertreters immerhin dazu geführt, dass jetzt nur solche Straßen, Plätze und Wege neu benannt werden, die bisher namenlos waren oder erst neu angelegt wurden. Das allerdings gilt nur mit Abstrichen, wie der Uni-Mitteilung zu entnehmen ist. Demnach erhalten vier Gebäude, darunter zwei Kitas, eine neue Adresse. Dazu kommt: "Die nördliche Universitätsstraße, die von der Voltmannstraße am Heizkraftwerk entlang bis zum Zehlendorfer Damm in `Erfahrung´ umbenannt werden sollte, behält im Einmündungsbereich von der Voltmannstraße bis zu den Parkhäusern, also bis zu neuen Querstraße `Spannungsbogen´, den Namen Universitätsstraße." Ein kleiner Rest "gute alte Zeiten" bleibt also noch. Wer die Zukunft sehen will, lässt sich vom Uni-Magazin H1 (Ausgabe 02/2012) unter dem Titel "Heute schon morgen gesehen?" (S. 3 unten) auf das Campus-Bauportal navigieren.
(rw)