Studierende und GewerkschaftenHochschulen sind der größte Ausbildungsplatz
Ob als Hilfskraft an der Uni oder als Kellner in der Kneipe – zwei von drei Studierenden sind zugleich abhängig Beschäftigte. Schon das ist ein Grund, sich gewerkschaftlich zu organisieren, meint Ana Orias Balderas. "Wo sollen sich die Leute sonst über ihre Rechte im Job informieren?", fragt die 26Jährige, die Ecological Impact Assessment an der Uni Koblenz studiert und ehrenamtliche Sprecherin des Bundesausschusses der Studentinnen und Studenten (BASS) in der GEW ist.
Gemeinsam bieten die in der DGB-Jugend zusammengeschlossenen Gewerkschaften in mehr als 50 Hochschulstandorten eine arbeits- und sozialrechtliche Erstberatung an. Auch Online werden Fragen rund um Arbeitsvertrag, Urlaub, BAföG und Praktika beantwortet (siehe DGB-Beratungsforum). Mitglied werden muss man dafür nicht. Getragen wird die Beratung in den "Hochschulinformationsbüros" (HIB) von gewerkschaftlich Aktiven, zumeist selbst Studierende. Wie groß das Angebot ist, hängt davon ab, wie viele sich engagieren.
Studium und berufliche Zukunft: Spätere Angestellte werden gleich an der Uni angesprochen, mit Beratung und Exkursionen
"Die GEW ist eine Mitmach-Gewerkschaft", betont Orias Balderas. "Die Leute in den Hochschulgruppen entscheiden selbst, was sie machen, und werden von der Gewerkschaft finanziell und organisatorisch unterstützt." Insgesamt haben sich rund 6.000 Studierende in der Bildungsgewerkschaft GEW organisiert, in etwa ebenso viele wie bei ver.di.
Sie erhalten Rechtsschutz über den DGB, den sie beispielsweise bei juristischen Streitigkeiten über BAföG, Kindergeld oder Studiengebühren in Anspruch nehmen können. Auch Beratungen zum Mietrecht und Hilfe bei der Steuererklärung werden angeboten, desweiteren eine Vielzahl von Seminaren zu hochschulpolitischen und anderen Themen. So organisiert die GEW beispielsweise Workshops für Doktoranden, bei denen das Verfassen eines Exposés geübt wird. "Wir wollen den Leuten unser Fachwissen zur Verfügung stellen – auch Nichtmitgliedern", sagt Orias Balderas.
"Zukunftsfrage" für Gewerkschaften
Ganz uneigennützig ist das gewerkschaftliche Engagement an den Hochschulen freilich nicht. Selbstverständlich wollen die Beschäftigtenorganisationen damit auch Mitglieder gewinnen. Das sei eine "Zukunftsfrage", heißt es in der IG Metall. Schließlich werde der Anteil der Beschäftigten mit Hochschulabschluss in den Industriebetrieben immer größer. Anders als bei den Produktionsarbeitern ist die Gewerkschaft bei Ingenieuren und Informatikern aber nicht sonderlich gut aufgestellt.
Das soll sich ändern, indem die späteren Angestellten gleich an der Uni angesprochen werden. "Die Hochschulen sind der größte Ausbildungsplatz für die von uns betreuten Branchen", erklärte IG-Metall-Vize Detlef Wetzel kürzlich auf einer Pressekonferenz. Deshalb werde man den Studierenden verstärkt "Angebote machen, um sie für eine Mitgliedschaft in der IG Metall zu gewinnen". Dafür hat die Gewerkschaft in den vergangenen Wochen zehn "Projektkoordinatoren" eingestellt, die an 16 Hochschulstandorten eingesetzt werden.
Während ver.di und GEW Studierende aller Fachrichtungen ansprechen, stehen bei der IG Metall Studiengänge wie Maschinenbau, Informatik und Elektrotechnik im Fokus. "Als IG Metall können wir diesen Studenten spezielle Informationen über die Branche vermitteln, zum Beispiel über die Höhe der Einstiegsgehälter und wie ein Arbeitsvertrag aussehen sollte", erklärt Diana Kiesecker, die beim IG-Metall-Vorstand für Studierendenarbeit verantwortlich ist. Dabei wolle die Gewerkschaft als "Schnittstelle zwischen Hochschule und Betrieb" fungieren. So organisiert sie regelmäßig Exkursionen sowie Engineering- und IT-Tagungen. Auch bei der Vermittlung von Praktika kann die IG Metall über ihre Betriebsräte helfen.
Bei Messen ist die Metallergewerkschaft nun schon seit einigen Jahren präsent. Am Anfang hätten viele Studierende überhaupt nichts damit anfangen können und zum Teil gedacht, es handele sich um ein Unternehmen. "Das hat sich geändert. Viele finden es gut, dass wir sie informieren – insbesondere die Tabelle der Einstiegsgehälter ist sehr gefragt", berichtet Kiesecker. Immerhin 14.500 Studierende sind in der IG Metall organisiert, davon rund 20 Prozent aus dualen Studiengängen.
Örtliche Initiativen
Ein Problem für die Hochschularbeit aller Gewerkschaften ist die hohe Fluktuation. So auch bei ver.di, wo sich die Studierenden-AG erst im vergangenen Dezember neu konstituiert hat. "Es gibt vor Ort viele gute Initiativen, die wir in andere Landesbezirke tragen wollen", sagt AG-Sprecher Michael Niedworok. So hat die Gewerkschaft beispielsweise in Hamburg eine Tarifinitiative für studentische Hochschulbeschäftigte gestartet. Berlin ist das einzige Bundesland, in dem ver.di und GEW einen solchen Vertrag bereits durchgesetzt haben. Mittlerweile ist dieser allerdings ausgelaufen und gilt nur noch in der Nachwirkung. "Wir müssen jetzt schauen, wie kampfbereit die studentischen Hilfskräfte sind", sagt Niedworok.
In Berlin plant ver.di außerdem einen Ratschlag zum"Master-Plan". Mit der GEW, den Studierendenvertretungen und anderen Gruppen soll über einen neuen Versuch diskutiert werden, die freie Zulassung zum Masterstudium per Volksabstimmung zu erzwingen. Außerdem plant die Berliner Studierenden-AG von ver.di eine Veranstaltung mit dem Ex-Politiker Wolfgang Lieb zum hochschulpolitischen Programm des DGB.
Bereits im Februar 2010 hat der Gewerkschaftsbund gemeinsam mit der Hans-Böckler-Stiftung ein Leitbild "Demokratische und soziale Hochschule" vorgelegt, das seither auf Veranstaltungen und Konferenzen diskutiert wird. Auf dieser Grundlage und im Dialog mit anderen hochschulpolitischen Akteuren soll ein Programmentwurf entwickelt werden, den der DGB-Bundesvorstand im Juni dieses Jahres beschließen will. Damit soll dem "dominierenden Leitbild einer `deregulierten´, `entfesselten´ oder `unternehmerischen´ Hochschule" etwas entgegengesetzt werden. Auch hochschulpolitisch haben die Gewerkschaften also einiges zu bieten. (db)
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