Sieben Jahre Urteil des BVerfG und heute BundestagsausschussStudiengebühren reloaded?
Von Oliver Iost
Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im Januar 2005 bildete den Startschuss für die Einführung von allgemeinen Studiengebühren
Ein Rückblick auf die Zeit seit dem Urteil
Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts am 26.01.2005, die das Verbot von allgemeinen Studiengebühren im Hochschulrahmengesetz aufhob, kündigten ziemlich schnell die sieben Länder, die dann auch tatsächlich zumindest für einige Zeit Gebühren erhoben, die Einführung allgemeiner Studiengebühren an. Es dauerte jedoch fast zwei Jahre, nämlich bis zum Wintersemester 2006/2007, bis die Einführung wirklich stattfand.
Denn ganz so einfach war die Einführung durchaus nicht: Es mussten als "soziale Abfederung" (die aber faktisch kaum genutzt wird, also auch nichts abfedert) Studienbeitragsdarlehen eingeführt werden – das hatte selbst das Bundesverfassungsgericht mehr oder weniger deutlich in seinem Urteil als Randbedingung für die Einführung von Gebühren gefordert. Und ein wenig Zeit zwischen Ankündigung und realer Einführung war auch deswegen sinnvoll, um (noch mehr) Klagen zu verhindern, die sich auf eine Art Vertrauensschutz beriefen ("Ich habe ohne Studiengebühren angefangen und konnte davon ausgehen, dass das so bleibt."). Solche Klagen gab es trotzdem, den Gerichten (jedenfalls höherer Instanzen) reichte der Abstand aber größtenteils, einige wenige Härtefälle wurden als ebensolche von Gebühren ausgenommen, was aber im Grundsatz die Gebühren nicht ins Wanken brachte.
Im Gegensatz zur Hoffnung der Gebührenbefürworter konnte mit den zusätzlichen Geldern (wobei z.T. staatliche Zuschüsse an die Hochschulen auch gekürzt wurden – wenn auch zumindest nicht gleich im vergleichbaren Umfang) kein so durchschlagender Effekt erzielt werden, dass die Studierenden die Gebühren mehrheitlich befürwortet hätten. Im Gegenteil: Die Ablehnung stieg in den meisten Befragungen sogar noch (vgl. bspw. den Artikel Studiengebühren-Marketing ohne Erfolg vom 25.06.2009 zu Ergebnissen des "Gebührenkompass" der Uni Hohenheim).
Ganz gebührenfrei ist Deutschland nicht: In Bayern und Niedersachsen bleibt es bisher bei allgemeinen Studiengebühren. Sonderformen wie Langzeitstudiengebühren sind dagegen auch in weiteren Ländern (noch) vorhanden. Und weiterbildende Master können fast überall kostenpflichtig sein, auch wenn das nach wie vor nicht zwangsläufig der Fall ist.
Sobald es in den gebührenerhebenden Bundesländern zu Mehrheiten jenseits von CDU und FDP kam war immer die Abschaffung der Studiengebühren die Folge. Hessen war hier Vorreiter – die zeitweise rot-rot-grüne Mehrheit im Landtag wurde dazu genutzt, danach hat auch die erneute CDU-FDP-Koalition auf die Wiedereinführung verzichtet. Im Saarland konnten die Grünen eine Abschaffung sogar als kleinster Koalitionspartner gegen die Wünsche der Partner CDU und FDP durchsetzen (wobei die Grünen insofern in einer komfortablen Lage waren, als auch eine Koalition mit SPD und Linken denkbar gewesen wäre). In Nordrhein-Westfalen konnte sich die rot-grüne Minderheitsregierung für die Abschaffung der Gebühren auf die Unterstützung der Linken verlassen. Baden-Württemberg konnte nach der historisch ersten grün-roten Landesregierung die versprochene Abschaffung recht schnell umsetzen. Hamburg mit absoluter SPD-Mehrheit ließ sich dagegen mit der Abschaffung mehr Zeit.
Überblick: Einführung und Abschaffung allgemeine Studiengebühren in Deutschland
Bundesland | 2006 | 2007 | 2008 | 2009 | 2010 | 2011 | 2012 |
Baden-Württemberg | |||||||
Bayern | |||||||
Hamburg | |||||||
Hessen | |||||||
Niedersachsen | |||||||
Nordrhein-Westfalen | |||||||
Saarland | |||||||
Gebührenerhebende Bundesländer Insgesamt | 2 | 7 | 6 | 5 | 5 | 4 | 2 |
Ein Jahr ist markiert, wenn am Ende des Jahres allgemeine Studiengebühren von Erstsemestern erhoben wurden.
Mehr zu den Details der aktuell und früher erhobenen allgemeinen Studiengebühren über den Link des jeweiligen Bundeslandes. Alle anderen Bundesländer haben auf die Erhebung allgemeiner Studiengebühren verzichtet. Andere Varianten von Studiengebühren hat es aber auch dort in den meisten gegeben bzw. gibt es noch. Mehr dazu in der Gesamtübersicht Studiengebühren in Deutschland (dort können dann auch Detailartikel zu allen Bundesländern aufgerufen werden).
Heute im Wissenschaftsausschuss des Bundestages: "Neue" Argumente für Studiengebühren?
Die Debatte um Studiengebühren geht trotz der aktuellen "Abschaffungstendenz" weiter. So tagte heute der Wissenschaftsausschuss des Bundestags zum Thema "Auswirkungen der Einführung von Studiengebühren auf die Studienbereitschaft" und hatte dazu 11 Expertinnen eingeladen. Vermeintliche Munition hatte den Gebührenbefürworter aus CDU/CSU und FDP (von denen die Anhörung beantragt wurde) vor allem eine Studie des Wissenschaftszentrums Berlin geliefert. Diese – im Oktober 2011 erschienene – Studie behauptete den Nachweis führen zu können, dass die bisher erhobenen Studiengebühren keine negative Auswirkungen auf die Studierneigung hätten. Dass man durchaus bezweifeln kann, ob der Nachweis wirklich gelungen ist, hatten wir seinerzeit schon ausgeführt (Der Streit geht weiter: Sind Studiengebühren abschreckend – oder etwa doch nicht?, 11.10.2011). Tatsache ist allerdings, dass die Studierneigung in den letzten Jahren (wieder) steigt, auch in Bundesländern mit Studiengebühren – da können aus Sicht der Gebührenbefürworter doch ruhig flächendeckend Gebühren eingeführt werden.
So zeigte sich denn auch in der Sitzung des Wissenschaftsausschusses im Bundestag die Debatte in großen Teilen in fast schon klassischem Verlauf, die Front zwischen Befürwortern und Gegnern von Gebühren war klar. Vermutlich wird sich daran auf Dauer nichts ändern: Einige grundlegende Argumente beider Seiten hängen von (politischen) Grundüberzeugungen und dem jeweiligen Menschenbild ab – sie sind nicht durch Studien "verifizierbar". Veränderbar ist eigentlich nur, welche Grundüberzeugung gesellschaftlich, aber auch in den Parteien gerade stärker ist. Das hat sich im Verlauf der Jahre durchaus geändert. Vor einigen Jahren waren die Befürworter selbst in SPD und Grünen nicht so vereinzelt wie heute, dort haben sich die Gegner deutlich durchgesetzt. Bei CDU/CSU und FDP dagegen sind die Gebührenbefürworter traditionell die Mehrheit. Wobei in einigen Bundesländern selbst CDU/CSU oder FDP auf Gebühren verzichten.
Bildung als Menschenrecht vs. Bildung als Ware
Vereinfachend könnte man sagen, dass es immer um den Gegensatz zwischem monetären Ansatz (Bildung als Ware) vs. Bildung als Menschenrecht geht. Diesen Leitlinien werden dann die jeweiligen Argumente untergeordnet, von denen viele wiederum nur unter bestimmten Randbedingungen (die durchaus veränderbar wären) tatsächlich zutreffen. Wobei es auch Gegner bzw. Befürworter gibt, die quer zu diesem "Haupt-Gegensatz" argumentieren, diese sind aber eher selten.
Behauptungen, wie die, dass ein kostenloses Studium durch "die Krankenschwester und den Arbeiter" finanziert würden, werden zwar gerne gemacht, sind aber letztlich nie wirklich belegt worden. Denn umgekehrt sind Studierte später im Schnitt (natürlich gibt es auch eine Menge Ausnahmen) besser verdienend und zahlen höhere Steuern, tragen also auch mehr zur Finanzierung der Hochschulen bei. Davon abgesehen ist es eben eine Frage der Gestaltung des Steuersystems, wie stark eher gering Verdienende Menschen überhaupt belastet werden und wie stark diejenigen, die auf ein sehr hohes Einkommen kommen. Das Steuersystem jedenfalls wäre veränderbar und ist daher kein Argument für oder gegen Studiengebühren.
Ein anderes immer wiederholte Argument ist, nur mit den Studiengebühren könnte die Lehre verbessert werden oder andere sinnvolle Maßnahmen, um "bildungsfernen Schichten" an die Hochschulen zu holen. Ohne Gebühren sei kein Geld da. Im Grunde ist das ein Totschlagargument: Geld ist durchaus da. Es ist aber eine Frage der Verteilung: Soll es stärker – über höhere Steuern – an den Staat gehen, der damit bspw. auch die Hochschulen besser ausstattet oder sollen die weniger durch Steuerbelasteten dann aber eben Studiengebühren zahlen? Zusätzlich gilt natürlich auch immer die Frage der Prioritätensetzung innerhalb des vorhandenen Mittel – mehr Geld kann an die Hochschulen gehen, könnte aber genauso auch für andere Dinge verwendet werden.
Den Gebührengegnern ist – wie schon erwähnt – das "Menschenrecht auf Bildung" wichtig. Sie leiten aus diesem Recht ab, dass Bildung kostenfrei sein sollte, denn die Überlegung, ob und was gelernt und studiert werden soll, sollte aus ihrer Sicht nicht zu sehr von monetären Nützlichkeitserwägungen überlagert werden. Das ist Befürwortern fremd, sie finden genau die finanziellen Nützlichkeitserwägungen als "beste" Wahl und argumentieren gerade mit der Erwartung, dass mit einem Studium doch wahrscheinlich mehr verdient würde, also könnten doch auch Gebühren (später) bezahlt werden. Vergessen wird von letzteren gern, dass zum einen natürlich nicht alle Studierende gut verdienen werden und bekanntermaßen der soziale Aufstieg zwar nicht unmöglich ist, aber durchaus schwerer. Kinder aus Familien mit ausreichender finanzieller Ausstattung werden die Gebühren meist nicht später bezahlen, sondern direkt zum Semester (in Bayern 60%) und ohne Schulden ins Berufsleben starten. Diejenigen, die die Gebühren jedoch tatsächlich selbst zahlen, müssen entweder mehr jobben, um gleich zu bezahlen (und alle Erhebungen zeigen, dass dies meist der Fall ist; für Bayern z.B. 30% – die Darlehen werden von verhältnismäßig wenigen genutzt; Bayern: nur 4%) oder starten mit Schulden in die Karriere. Beides behindert sie, Chancengleichheit und soziale Gerechtigkeit sieht anders aus.
Studiengebührenmonitoring bundesweit nicht existent
Die GRÜNEN im Bundestag hatten vor kurzem in einer kleinen Anfrage "Wissensbasierte Entwicklung des Bildungswesens" eine Menge Fragen an die Bundesregierung gestellt. Einige betrafen auch den Komplex Studiengebühren. Die Bundesregierung musste eingestehen, dass ihr dazu keine oder jedenfalls keine geeigneten Daten vorliegen. Bei der konkreten Frage zu Qualitätsverbesserungen durch Studiengebühren war die Antwort noch dazu unnötig verklausuliert: "Der Bundesregierung liegen keine Daten zur Qualitätsentwicklung an Hochschulen vor, die sich monokausal auf die Einführung von Studiengebühren zurückführen ließen." Dass daraus in manchen Medien "Studiengebühren bringen keinen Qualitätsgewinn" wurde, ist durchaus übertrieben.
Tatsache – und das ist traurig genug – ist aber, dass sich offenbar die Bundesregierung beim Thema Studiengebühren einfach heraushält. Ist doch Sache der Länder. Dabei hat der Bund durchaus im Bereich Hochschulforschung genügend Möglichkeiten, Studien in Auftrag zu geben – und eine detaillierte, auf Dauer angelegte Beobachtung der Wirkung von Studiengebühren wäre damit möglich gewesen (und war von der Opposition, insbesondere den GRÜNEN auch gefordert worden). Aber leider wurde das nicht angestoßen.
Gebühren und soziale Selektion
Richtig ist sicher – und wurde so auch auf der Ausschusssitzung von mehreren Experten (egal ob eher für oder gegen Gebühren) betont –, dass Studiengebühren nur ein (und man muss fast sagen, der letzte) Faktor sind, der zu sozialer Selektion führt. Die meiste Selektion findet schon im Schulsystem und noch davor statt. Wer sich allgemein für weniger soziale Selektion einsetzen will, sollte also eigentlich um eine Verbesserung im Schulsystem und bei den KITAs kämpfen. Studiengebühren sind eher ein Nebenschauplatz.
Aber natürlich wird das gern verknüpft: Es sei doch sinnvoll, besser die KITAs zu verbessern bzw. beitragsfrei zu machen (damit weitgehend alle Kinder schon vor der Schulzeit in professionelle Betreuung kommen), statt auf Studiengebühren zu verzichten. Allerdings ist es weder so, dass man tatsächlich nur eines von beidem machen könnte (natürlich ließe sich auch beides gebührenfrei gestalten), noch dass die Einführung von Studiengebühren dazu führen würde, dass die KITAs besser und gebührenfrei würden. Denn die finanziellen Zuständigkeiten liegen in völlig unterschiedlichen Ressorts und sogar auf verschiedenen Ebenen: Die Hochschulen werden hauptsächlich durch die Länder finanziert, die KITAs durch die Kommunen. Es gibt insofern keinen Grund, sich auf Studiengebühren nur deswegen einzulassen, damit irgendwer anderes mehr Geld hat – einen solchen Automatismus gibt es nicht. Eher stehen am Ende alle dumm da: Die Studierenden zahlen Studiengebühren und an den KITAs hat sich auch nichts getan.
Weiterhin scheint es bisher so zu sein, dass die Studierneigung bisher nicht offensichtlich von Studiengebühren vermindert wurde. Allerdings muss man auch zugeben, dass 500 Euro Studiengebühren im Semester zwar für manche viel sind, die breite Masse wird aber davon noch nicht so stark betroffen. Ganz allgemein sind die Lebenshaltungskosten ein viel größerer Posten. Trotzdem zeigte die Anhörung im Wissenschaftsausschuss, dass es doch Anzeichen gibt, dass Studiengebühren einen Einfluss haben, jedenfalls für die, die finanziell knapp stehen. So wird eher bei den Eltern wohnen geblieben wird und / oder mehr gejobbt. Darauf wiederum kann man – wenn auch vorerst nur spekulativ – weitere Folgen absehen, die Chancengleichheit und soziale Gerechtigkeit wohl eher behindern. Aber das scheint die Befürworter von Gebühren (weiterhin) wenig zu stören.
Ein böser Kommentar zum Schluss
Eines sollte man nicht vergessen: Dass sich Studiengebührenbefürworter überhaupt um die Studierneigung kümmern und darum, auch Menschen aus bisher bildungsfernen Schichten an die Hochschulen zu bringen, ist (bei vielen) weniger Menschenliebe, als ebenfalls eine monetäre Betrachtung: Im Wettbewerb der Staaten scheint Bildung wichtig zu sein (vgl. diverse OECD-Studien ...). Es geht nicht um echte Chancengleichheit, sondern darum, mehr "Humankapital" zu erzeugen. Das ist dann "natürlich" unterschiedlich viel wert (weiterhin meist auch vom sozialen Status abhängig), man braucht ja nicht nur Elitestudenten, sondern auch eine breite (und vom Lohn her eher billige) Masse. Fabrikarbeiter gibt es tatsächlich immer weniger – diese soziale Schicht wird (das ist faktisch schon im Gange) durch "Wissensarbeiter" abgelöst. War früher ein Unistudium schon ein Garant für einen hohen sozialen Status, wird es künftig eben ein Studium an einer Eliteuni in einem Elite-Studiengang sein – vgl. unseren Artikel Exzellenz mit Abstrichen: Akademikerkinder unter sich. Die soziale Selektion verschiebt sich also, bleibt aber weiter bestehen. Auch dank Studiengebühren, die zwar nur ein kleiner, aber nicht unbedeutender Baustein sind.
Artikel und Material rund um Studiengebühren bei Studis Online
- Öffentliches Fachgespräch: Effekt von Studiengebühren auf Studienbereitschaft umstritten (25.01.2012, Bericht auf bundestag.de)
- Der Streit geht weiter: Sind Studiengebühren abschreckend – oder etwa doch nicht? (11.10.2011; zur WZB-Studie "War all die Aufregung umsonst? Über die Auswirkung der Einführung von Studiengebühren auf die Studienbereitschaft in Deutschland)
- Studiengebühren in Deutschland: Stand der Dinge und Geschichte (über Detailartikel der Länder; alles ständig aktualisiert)