Landtag macht WeihnachtsgeschenkBaden-Württemberg beschließt Studiengebühren-Abschaffungsgesetz
Hessen, das Saarland und Nordrhein-Westfalen haben Studiengebühren bereits wieder abgeschafft und auch Hamburg hat den Beschluss schon gefasst (dort wird die Abschaffung aber später greifen), heute folgt Baden-Württemberg
Grüne und SPD hatten vor den Landtagswahlen die Abschaffung der von der CDU/FDP-Koalition eingeführten allgemeinen Studiengebühren versprochen. So wurde es dann auch nach der siegreichen Wahl in den Koalitionsvereinbarungen festgehalten. Einen ersten Gesetzentwurf präsentierte die Landesregierung am 27. September und holte dazu über ein Anhörungsverfahren die Stimmen diversen Institutionen (von Studierenden über Hochschulen, Studentenwerke, Kommunen, Gewerkschaften bis hin zu Wirtschaftsverbänden) ein. Ende November 2011 lag der überarbeitete Gesetzentwurf vor, der einige Anregungen aus der Anhörung aufnimmt und die Meinungen aus der Anhörung knapp zusammenfasst. Und der wurde nun erstaunlich schnell beschlossen.
Was der Gesetzentwurf regelt
Erklärtes Ziel von Grünen und SPD war es, das Hochschulstudium (Bachelor und konsekutiver Master) wieder ohne Studiengebühren zugänglich zu machen. Gleichzeitig sollen die Hochschulen nicht mit weniger Geld dastehen, daher wird zukünftig pro Studierendem eine Ausgleichszahlung gewährt, die den gleichen Zweck haben soll, wie die Gelder, die durch die Studiengebühren erhoben wurden: Maßnahmen zur Verbesserung von Studium und Lehre zu finanzieren. Ohne allgemeine Studiengebühren sind neue Studienbeitragsdarlehen zukünftig nicht mehr nötig, die noch laufenden sollen aber natürlich zu den bekannten Bedingungen zu Ende geführt werden können.
Wie auch in anderen Bundesländern ohne allgemeine Studiengebühren lässt auch Baden-Württemberg bei weiterbildenden Masterstudiengängen Studiengebühren zu – sogar in beliebiger Höhe. Es können zwar auch 0 € sein, aber die meisten Hochschulen werden wohl (weiter) von der Möglichkeit Gebrauch machen, hierfür Studiengebühren zu erheben.
Statt Studiengebühren werden die Hochschulen zukünftig 280 Euro pro Semester und StudentIn erhalten, diese Mittel werden als Qualitätssicherungsmittel bezeichnet. Der Betrag von 280 Euro ergibt sich aus der tatsächlichen Höhe der eingenommenen Studiengebühren in den letzten zwei Jahren und der jeweils festgestellten Anzahl von Studierenden in dieser Zeit. Offenbar hat also fast jedeR zweite StudentIn von einer Befreiungsregelung Gebrauch machen können. Besonders stark dürfte sich dabei die 2009 ergänzte Geschwisterregelung ausgewirkt haben.
Je nach Zusammensetzung der Studierendenschaft dürften einige Hochschulen durch die pauschale, landesweite Festlegung der Ausgleichszahlung auf 280 Euro pro StudentIn und Semester profitieren, andere dagegen zukünftig etwas weniger Geld zur Verfügung haben. Jedenfalls findet sich in der Zusammenfassung zum Anhörungsverfahren die Bemerkung, dass die Pädagogischen Hochschulen in den letzten Jahren nur 253 Euro pro StudentIn an Gebühren erzielten (offenbar hatten an PHs besonders viele ein Recht auf Befreiung oder zumindest es besonders viele genutzt). Daraus folgt ja, dass andere Hochschulen offenbar im Schnitt über 280 Euro Einnahmen erzielt hatten.
Lob und Kritik in der Anhörung – und Erwiderungen des Ministeriums
Zur Abschaffung an sich
Studiengebührenbefürworter gibt es nach wie vor – kein Wunder also, dass auch in der Anhörung einige ihr "Bedauern" darüber äußerten, dass auf Gebühren zukünftig (größtenteils) verzichtet wird. So äußert die Landesrektorenkonferenz der Universitäten, aber auch die Vertretung der Hochschulen für angewandte Wissenschaft, dass die Gebührenfreiheit nur für das Erststudium und innerhalb einer angemessenen Studienzeit gelten sollte. Das Ministerium äußert dazu, dass die Erhebung von Langzeitstudiengebühren oder die Einführung von Zweitstudiengebühren im Koalitionsvertrag nicht vorgesehen sei. Die Fachstudienzeiten hätten kontinuierlich abgenommen, dass Ministerium werde das aber im Blick behalten und "erforderlichenfalls nachsteuern".
Der Deutsche Hochschulverband (DHV) findet sogar, die Studiengebühren hätten insgesamt bestehen bleiben sollen. Nichts anderes fordern die Arbeitgeberverbände und die IHK. Ebenso sieht das der Christliche Gewerkschaftsbund (stattdessen sollten Gebühren für Kindergärten gestrichen werden). Der BWHT glaubt, die Abschaffung hätte "fatale Folgen" für für die Qualitätsstandards der Hochschulen. Auch die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) hätte die Gebühren gerne behalten ("unter der Voraussetzung einer sozialverträglichen Ausgestaltung") und glaubt, so hätte eine "wirkliche Verbesserung der Studien- und Lehrsituation erreicht und der Wettbewerb unter den Hochschulen gestärkt werden könne[n]". Zu letzterem schreibt das Ministerium, dass die Qualität der Lehre durch die Kompensationsmittel, die an die Zahl der Studierenden geknüpft sind, gesichert würde. Zum Argument, lieber Kindergärten kostenfrei zu machen, wird vom Ministerium bemerkt, dass es soziale Hürden es an verschiedenen Stellen im Bildungsverlauf gebe. Ziel (der Regierung?) sei es, diese nach und nach abzubauen. Steuerliche Mehreinnahmen sollen der frühkindlichen Bildung und der Kinderbetreuung zu Gute kommen.
Die Landes-ASten-Konferenz (LAK) kritisierte, dass in der Begründung zum Gesetzentwurf von einem entgeltfreiem Studium die Rede sei, was nicht der Realität entspricht: Es soll weiterhin den Verwaltungskostenbeitrag geben, bei weiterbildenden Masterstudiengängen bleiben sogar Studiengebühren möglich. Aus Sicht der LAK sollten auch diese Beiträge und Gebühren gestrichen werden. Was das Ministerium – erwartungsgemäß – nicht aufgegriffen hat, im neuen Entwurf wurde lediglich die Formulierung geändert und nicht mehr pauschal von entgeltfreiem Studium gesprochen. Die Befürchtung, dass der Bereich der kostenpflichtigen weiterbildenden Masterstudiengänge massiv ausgebaut wird (möglicherweise auf Kosten anderer Angebote) teilt das Ministerium nicht.
Zur Kompensation ("Qualitätssicherungsmittel")
Dass die Einnahmen durch Gebühren durch eine "Kopfpauschale" kompensiert werden (und sie auch kapazitätsneutral sind), wird allgemein begrüßt. Einige hätten natürlich wie immer gern mehr, aber im Grunde kann man bei der gefundenen Regelung nicht meckern: Im Gegensatz zu manch anderen Bundesländern, bei denen die Kompensation einmalig festgelegt wurde, wächst sie in Baden-Württemberg bei mehr Studierenden (und mehr Studierende sind in den nächsten Jahren ja sicher).
Teilweise wird gefordert, dass die 280 Euro Ausgleichszahlung an die Inflation angepasst wird oder an Tariferhöhungen . Das Ministerium führt dazu aus, dass dem Gesetzgeber eine Erhöhung vorbehalten bleibt, aber auch die Studiengebühren nicht an Tariferhöhungen gebunden gewesen seien.
Besonders auseinander gehen die Meinungen bei der Beteiligung der Studierenden an der Mittelvergabe. Die Mitsprache der Studierenden soll sogar stärker als bei den bisherigen Einnahmen aus Studiengebühren sein. Entscheidend ist dazu die Formulierung im Gesetz, dass die Mittel "im Einvernehmen" mit den studentischen VertreterInnen verteilt werden sollen. Das bedeutet, gegen die Studierenden kann nichts durchgesetzt werden.
Das schmeckt diversen Institutionen nicht sonderlich, vor allem die Rektoren sind damit nicht einverstanden und würden "im Einvernehmen" gern durch "im Benehmen" ersetzen. Letzteres heißt aber letztlich nur, dass die Studierenden informiert werden und auch etwas dazu sagen dürfen – aber eben keine Entscheidungsbefugnis haben. Die Arbeitgeberverbände wollen die Studierenden sogar gar nicht bei der Verteilung beteiligen.
Positiv aus Studierendensicht dürfte sein, dass das Ministerium der LAK aufgegriffen hat, die Studierendenvertreter im Vergabegremium der Qualitätssicherungsmittel durch die Studierendenschaft legitimiert werden müssen (in der vorigen Fassung hätte theoretisch das Rektorat auch einfach sich genehme Studierende einsetzen können).
Offen bleibt – da dies erst durch Rechtsverordnung geregelt werden soll – wie das Ministerium regeln will, was im Falle einer Uneinigkeit im Vergabegremium getan wird, wenn also kein Einvernehmen hergestellt werden kann. Zwar kann das Ministerium mittels einer Rechtsverordnung schneller reagieren als mit einem Gesetz – andererseits kann es darüber dann auch mal schnell unschöne Regelungen in Kraft setzen. Es besteht aber durchaus Hoffnung, dass sowohl Studierende als auch die anderen Vertreter in den Vergabegremien vernünftig diskutieren und sich meist sogar im Konsens einigen werden.
Da waren's nur noch zwei
Anfang Dezember hieß es noch, der Entwurf würde am 8. Dezember in erster Lesung im Landtag behandelt und dann schließlich im Januar oder spätestens Februar vom Landtag endgültig beschlossen werden. Die erste Lesung fand so statt, der endgültige Beschluss nun sogar vorgezogen. Damit hat der Landtag mit seiner grün-roten Mehrheit den Studierenden noch ein Weihnachtsgeschenk gemacht. Ab Sommersemester 2012 sind damit Bachelor- und konsekutive Master-Studiengänge wieder gebührenfrei.
Korrektur 22.12. Hamburg war sogar ein wenig schneller mit dem Beschluss gewesen als Baden-Württemberg. Am 15.12. fand die entscheidende zweite Lesung statt, das Gesetz mit den Stimmen der SPD bei Enthaltung von GAL und LINKEN und gegen die Stimmen von CDU und FDP beschlossen. Da in der Parlamentsdatenbank der Status aber einige Tage lang noch nicht auf "Beschluss: Annahme" stand (und in anderen Bundesländern drei Lesungen notwendig) sind, gingen wir zunächst fälschlicherweise davon aus, der abschließende Beschluss würde noch fehlen.
Es bleiben nur noch Bayern und Niedersachsen als die letzten beiden Bundesländer mit allgemeinen Studiengebühren. Man darf gespannt sein, wie lange sie dabei bleiben – in Bayern bspw. laufen diverse Aktivitäten (Volksbegehren, Petition, Verfassungsbeschwerde), um eine Abschaffung zu erreichen.
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