Aus Fehlern lernenMüder Bildungsstreik
Das Bild stammt zwar von einem vergangenen Ostermarsch, passt aber auch bei Bildungsprotesten.
Immerhin haben es die Bildungsproteste in die Tagesschau der ARD geschafft, was sie zumindest für einen Tag zu einem "wichtigen Ereignis" machte. Und auch in der Presse wurden die Aktivitäten durchgängig gewürdigt, überwiegend sogar sehr wohlwollend. Der allgemeine Tenor lautete: Die Demonstranten haben allen Anlass dazu, sich zur Wehr zu setzen. Vielleicht gab es sogar nie mehr und bessere Gründe, Krach zu schlagen. Wegen des Rekordzulaufs an Studienanfängern platzen die Hochschulen gerade aus allen Nähten. Ein Professor betreut mitunter 100 Studierende. Die neue Studienstruktur mit Bachelor und Master sorgt für viel Arbeits- und Prüfungsstress. Wegen des Massenandrangs wird vielen der Zugang zum Master versperrt. An den Schulen sorgt das Turboabitur nach acht Jahren für Ärger, dazu kommen überfüllte Klassen, Kopfnoten und schlechtere Bildungschancen für Kinder sozial schwacher Herkunft. Und nach dem Schulabschluss drohen Jugendarbeits- und Perspektivlosigkeit, weil die deutschen Unternehmer mit Ausbildungsplätzen geizen.
Verbreitete Protestmüdigkeit
All diese Probleme sind nicht neu, die Lage hat sich im Zuge der Finanz-, Wirtschafts- und Euro-Krise aber weiter zugespitzt. Waren schon davor die "leeren Kassen" das Totschlagargument Nummer eins, wenn die Regierenden dringend erforderliche Bildungsinvestitionen auf die lange Bank schoben, wo soll das Geld dann heute erst herkommen. Wer glaubt bei den Abermilliarden Euro, die die sogenannte Bankenrettung verschlingt, noch ernsthaft daran, dass die Politik Geld für mehr Bildung lockermacht. Womöglich ist das schon ein Teil der Erklärung für die Hemmungen bei jungen Leuten, für ihre Interessen Flagge zu zeigen. Auch Patrick Schnepper, Koordinator der Landes-Asten-Konferenz in Nordrhein-Westfalen, hat eine "verbreitete Ernüchterung" unter den Betroffenen ausgemacht. "Fast keine der Forderungen, für die die Bildungsstreikenden im Sommer 2009 in Scharen auf die Straße gegangen sind, wurde von der Regierung erfüllt", sagte er gegenüber Studis Online. Bei vielen herrsche das Gefühl vor, "es bringt eh nichts, wenn ich mich dagegen wehre. Dann erspart man sich lieber den Ärger, der einem blüht, ein Seminar sausen zu lassen."
Trotzdem ist Schnepper nicht niedergeschlagen angesichts der bescheidenen Teilnehmerzahlen bei den Protesten. Er selbst war in Köln mit von der Partie, wo am Donnerstag rund 2500 Menschen in der Innenstadt demonstrierten. Größere Manifestationen mit mehreren Hundert Teilnehmern gab es in Nordrhein-Westfalen zudem in Dortmund, Bochum, Essen und Düsseldorf. "Bei uns in NRW ist auf alle Fälle deutlich geworden, dass trotz des Regierungswechsels immer noch viel Wut bei den Leuten besteht wegen der Situation an den Schulen und Hochschulen." Vor allem die "vollgequetschten Seminare und die Bachelor- und Master-Problematik" stießen auf Empörung, während bei den Schülern die verkürzte Gymnasialzeit als größter Missstand empfunden werde. Die Zahl und den Umfang der Proteste hält Schnepper auch deshalb für bemerkenswert, weil die NRW-Regierungskoalition von SPD und Grünen zumindest in Teilen Verbesserungen herbeigeführt hat, insbesondere die Abschaffung von Kopfnoten und Studiengebühren. »Das ist schön und gut, aber damit lassen sich die Menschen nicht ruhig stellen. Was jetzt kommen muss, sind durchgreifende Verbesserungen an den Schulen und Universitäten.«
Zähe Beteiligung fast allerorten
Abgesehen von ein paar wenigen punktuellen Lichtblicken ist der inzwischen vierte "bundesweite Bildungsstreik" in der Gesamtsicht zu einem müden Abklatsch seiner Vorläufer geraten. Im Juni 2009 waren an einem Tag knapp 300000 Demonstranten auf den Beinen. Aber schon die beiden Neuauflagen im Herbst desselben und im Sommer des darauffolgenden Jahres reichten in Umfang und Resonanz nicht an das Original heran. Der vorläufige Tiefpunkt folgte am Donnerstag. Den größten Menschenauflauf gab es noch in Berlin unter dem Motto "Bildungsblockaden einreißen". Die Veranstalter zählten bis zu 7000 und die Polizei 2100 Demonstranten. In München kamen 1500 Menschen zusammen, wobei diese im besonderen gegen die in Bayern noch immer bestehenden Studiengebühren protestierten. In ganz Hessen sollen 1600 Studierende und Schüler am Aktionstag beteiligt gewesen sein, darunter allein 900 in Frankfurt (Main). In gesamten Bundesgebiet sollen es in rund 40 Städten zu Aktivitäten gekommen sein, in der Mehrzahl wohl mit mäßigem Zuspruch.
Erik Marquardt, Vorstandsmitglied beim "freien zusammenschluss von studenInnenschaften" (fzs) zeigte sich am Freitag ziemlich ratlos, warum es nicht zu mehr gereicht hat. "Angesichts der Eiseskälte kann man noch einigermaßen zufrieden sein", meinte er im Gespräch mit Studis Online. "Aber natürlich haben sich viele Leute mehr erhofft." Es sei augenscheinlich so, dass die "Menschen momentan etwas träge sind und sich nicht so ohne weiteres mobilisieren lassen". Andererseits solle man die "Teilnehmerzahlen in der Priorität aber auch nicht so hoch hängen". Es sei schon ein Erfolg, "dass das Thema Bildung überhaupt mal wieder in den Fokus der Aufmerksamkeit gerückt ist". Jetzt müsse man daran arbeiten, "mehr Menschen dafür zu sensibilisieren und größeren politischen Druck aufzubauen", bemerkte Markquardt und weiter: "Vielleicht liegen die Dinge im nächsten Sommer wieder ganz anders, zumal es dann ja noch enger werden soll an den Hochschulen."
Bewegung neu aufstellen
Um wieder mehr zu erreichen, bedürfte aber zunächst einmal die Bewegung selbst einer Runderneuerung. Kaltes Wetter und Protestmüdigkeit alleine reichen nicht aus, die mäßige Performance zu erklären. Auch aus Reihen der Beteiligten war vorab zu hören, dem Bündnis fehle es an Koordination und Konzepten. So waren den Großdemonstrationen 2009 und 2010 zum Teil tagelange Besetzungsaktionen an diversen Hochschulen vorangegangen, die in den Medien für allerhand Aufsehen sorgten. Diesmal gab es das nur in Frankfurt (Main) und in der Nacht auf Donnerstag an der Freien Universität (FU) Berlin, und beide Male war die Sache nach wenigen Stunden gelaufen. Kurz war auch Vorlaufzeit für die Proteste, erst Anfang September wurde der Protestaufruf in die Welt gesetzt, und überhaupt wirkte das Ganze reichlich überstürzt. Leitendes Motiv war wohl vor allem die Sorge, den internationalen Zug zu verpassen. Der Bildungsprotest ist nämlich so etwas wie der deutsche Mitfahrschein bei der "Global Weeks of Action for Education" vom 7. bis 20. November, deren Ausrichter die International Student Movement (ISM) ist. Inspiriert ist die Kampagne vor allem von den jüngsten studentischen Massenprotesten in Chile und Großbritannien.
Nur lässt sich so eine Stimmung nicht von jetzt auf gleich in Deutschland entfachen. Dazu braucht es eine ausdauernde Bündnisarbeit und vor allem einer bundesweiten Bündnispolitik, an der es diesmal stark gehapert haben soll. Bündnisse auf lokaler Ebene gibt es zuhauf, auch solche die im Verbund mit Gewerkschaften, Parteien und sozialen Initiativen gut aufgestellt sind. Was fehlt, ist ein Dach, unter dem sich lokalen Strukturen vernetzen und verständigen, um bundesweit Schlagkraft zu entwickeln. Wie sehr es daran momentan mangelt, zeigt sich schon daran, dass nicht einmal eine brauchbare Plattform im Internet existiert, die umfassend und aktuell über die Bewegung, ihre Inhalte und Forderungen sowie den Stand der Entwicklungen informiert. Nur soviel dazu: Auf den Seiten Bundesweiter Bildungstreik war bis Freitag nachmittag kein Wort der Bilanz zu den Aktivitäten zu finden. Auch der fzs, immerhin der Dachverband der Studierendenvertretungen in Deutschland, sparte sich eine offizielle Stellungnahme.
Kein Grund zur Schwarzmalerei
Was macht bei alle dem noch Hoffnung? Die Bewegung ist vielleicht nicht in Topform, aber abschreiben muss man sie deshalb nicht. Sie hat es geschafft, das Thema Bildung wieder auf die Tagesordnung zu bringen, ob nur für den Moment oder auf Dauer, muss sich zeigen. Oppositionsparteien, Gewerkschaften und Bildungsverbände haben unisono Partei für die Demonstranten ergriffen und Handlungsbedarf angemeldet. Es fehlt an vielem: An Studienplätzen, Professoren, Erziehern, Lehrkräften und vor allem Geld. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) beziffert den Investitionsbedarf im Bildungssystem mit jährlich 60 Milliarden Euro. Das ist viel, wirkt aber wie ein Kleckerbetrag verglichen mit den Unsummen, die bislang für die Banken verpulvert wurden. Und ganz bestimmt wäre das Geld in Kindergärten, Schulen und Hochschulen besser angelegt als in irgendwelchen Finanzlöchern. (rw)