Der Streit geht weiterSind Studiengebühren abschreckend – oder etwa doch nicht?
Von Oliver Iost
Schreckgespenst Studiengebühren?
Kein Wunder, dass die Studie gleich von Freunden der Studiengebühren als Referenz herangezogen wird. In manchen Medien wird das Ergebnis der Studie gleich verallgemeinert. Dabei sei gleich darauf hingewiesen, dass die AutorInnen der Studie selbst deutlich die Begrenzung ihrer Studie betonen: "Aus unseren Befunden darf allerdings keinesfalls der Schluss gezogen werden, dass Studiengebühren per se keinen negativen Effekt auf die Studierneigung haben: Hier wurde nur untersucht, wie sich Studiengebühren von maximal 500 Euro pro Semester auf die Studierneigung auswirken. Aussagen darüber, wie sich die Studierneigung bei einer Gebührenerhöhung verändert, können aus den Ergebnissen nicht abgeleitet werden."
Schon wenn nur bei dieser noch moderaten Höhe von Studiengebühren die Studierneigung insbesondere bei Studieninteressierten aus finanzschwachen Schichten nicht sinken (bzw. sogar leicht steigen, wie ja die Studie ergibt) würde, wäre das ein durchaus starkes Argument für Studiengebührenbefürworter.
Was also hat die Studie genau betrachtet, was musste sie methodisch ausklammern und wie kann das Ergebnis insgesamt bewertet werden?
Gegenstand der Studie – und Einschränkungen
Die Studie verwendet vorhandene Daten des vom HIS regelmäßig durchgeführten Studienberechtigtenpanels. Konkret wurden die Daten aus den Jahren 1999, 2002, 2004,2005,2006 und 2008 betrachtet (in den dazwischenliegenden Jahren wurde vom HIS nichts erhoben).
Statistisch untersucht wurde nun, inwieweit die Studierabsicht sich einerseits in Bundesländern ohne allgemeine Studiengebühren und andererseits in Bundesländern mit allgemeinen Studiengebühren unterschiedlich entwickelt hat. Dabei wurden – so die StudienautorInnen (z.B. Fußnote 3 auf Seite 2 und Fußnote 7 auf Seite 10 der Langfassung) – wegen bestimmter Sondersituationen einzelne Länder auch zum Vergleich aus den aggregierten Daten herausgenommen, trotzdem habe sich das Ergebnis nicht substantiell verändert.
Am plakativsten ist das Ergebnis über die folgende Tabelle darzustellen (Tabelle 3 in der Langassung, S. 16).
Veränderung in der Studierneigung | Zeitunterschied | ||
1999-2005 | 2006-2008 | ||
Bundesländer mit Studiengebühren | 66,2% | 68,9% | 2,7% |
Bundesländer ohne Studiengebühren | 65% | 65,8% | 0,8% |
Gruppenunterschied | 1,2% | 3,1% | 1,9% |
Die AutorInnen der WZB-Studie weisen darauf hin, dass die HIS-Befragung nur die Studierabsicht abfragt, nicht aber der tatsächliche Studienantritt untersucht wird. "Allerdings zeigen Auswertungen der Panelbefragungen aus den Vorjahren eine hohe Übereinstimmung zwischen Studienabsicht und tatsächlicher Studienaufnahme: Knapp 95 Prozent derer, die mit Erlangung der HZB eine Studienabsicht geäußert haben, begannen innerhalb von dreieinhalb Jahren danach wirklich ein Studium." (Kurzfassung, S.5).
Ebenfalls geht die WZB-Studie darauf ein, dass sie selbst Wanderungsbewegungen der Studierenden nicht berücksichtigt. Es wird aber darauf hingewiesen, dass andere Studien zeigten, dass die Mobilitätbereitschaft der Studierenden empirisch nicht relevant gestiegen seien – die WZB-Studie nimmt daher also an, dass sie auch für Ihre Fragestellung wahrscheinlich keine Auswirkung haben (auch wenn sie das ebenso nicht explizit ausschließen kann).
Die beiden genannten Punkte könnten die Ergebnisse zwar durchaus verändern, trotzdem dürfte das nicht alles vollkommen auf den Kopf stellen (andererseits zeigt sich daran schon, dass die Datenlage es gar nicht so einfach macht, empirische Aussagen wirklich sicher zu treffen). Nach eigenen Angaben haben die StudienautorInnen die Daten auch speziell für Menschen aus finanzschwachen Schichten und weitere Gruppen gesondert betrachtet – und konnten ebenfalls keine signifikanten Abweichungen von der beschriebenen Linie feststellen. Lassen wir die Ergebnisse also erst einmal so stehen und schauen zunächst, was die WZB-Studie weiter folgert.
Da die AutorInnen als These zunächst aufgestellt hatten, dass die Studierneigung in Ländern mit Studiengebühren sinken würde (wegen der erhöhten Kosten), nehmen sie nun an, dass ein anderer Faktor diese negative Wirkung kompensieren müsse. Sie finden diesen in der Annahme, dass die Studierwilligen aus Ländern mit Gebühren höhere "Ertragsaussichten" mit dem Studium verbinden. Diese angenommenen "Ertragsaussichten" bilden Sie aus den Antworten auf die Fragen "Wie schätzen Sie allgemein die Berufsaussichten für Absolventen eines Studiums ein?" und "Wie schätzen Sie allgemein die Berufsaussichten für Absolventen eines beruflichen Ausbildungsweges ohne Studium ein?" aus dem HIS-Panel.
Die WZB-Studie ermittelt aus den Antworten auf diese Fragen, dass die Studieninteressierten in Ländern mit Studiengebühren dem Studium höhere Berufsaussichten im Vergleich zu einer klassischen Berufsausbildung zuschreiben. Und insofern – wobei das schon Interpretation ist – dem Studium einen höheren Wert beimessen.
Studiengebühren also kein Problem?
Auch wenn man die Studie erst einmal als stimmig annimmt: In jedem Fall trifft die Studie explizit nur zu Studiengebühren in der aktuellen Höhe von 500 €/Semester die Aussage, dass diese keine Auswirkung hätten.
Eigentlich zeigt die Studie sogar nur, dass sich negative Effekte von Studiengebühren in der gegebenen Höhe von 500 €/Semester mit der gewählten Methode nicht aus den HIS-Daten herausfiltern lassen. Keineswegs ist der Nachweis gelungen, dass Studiengebühren isoliert für sich keine negativen Auswirkungen haben. Es ist schlechterdings unmöglich, den Effekt von bisher noch moderaten Gebühren von anderen abzugrenzen. So ist ja auch die Aussage der AutorInnen der WZB-Studie, dass sich auf die Studierneigung die höhere Wertschätzung des Studiums ausgewirkt habe, die die weiterhin angenommene negative Wirkung der Studiengebühren ausgleiche (bzw. sogar noch positiv übertrifft). Aber dass die höhere Wertschätzung wiederum direkt aus Studiengebühren folgt, wird im Grunde einfach so gesetzt, um somit zum (verkürzten) Ergebnis zu kommen, Studiengebühren (bis 500 €/Semester ...) hätten insgesamt keine negative Auswirkung.
Es könnte – um mal eine andere "Theorie" in den Raum zu stellen – auch einfach nur sein, dass in den Bundesländern mit Studiengebühren mehr über den Wert einer Hochschulbildung diskutiert wurde (und dieser sicher auch von den Regierenden stärker herausgestellt wurde). Denn damit wurden ja in gewisser Weise die Studiengebühren gerechtfertigt. Angekommen ist bei den Studieninteressierten möglicherweise vor allem, dass ein Studium lohnenswert sei (letztlich unabhängig von Gebühren). In den Bundesländern ohne Gebühren wurde das dagegen möglicherweise zu wenig kommuniziert.
Interessant wäre es jedenfalls, die Daten für einzelne Bundesländer genauer zu betrachten. Falls es gelingt, solche Daten zu bekommen, werde ich hier eine Analyse dazu ergänzen.
Munition für Gebührenbefürworter – aber auch für Gegner gibt es neues Material
Die Gefahr ist – aus Sicht von jemandem, der Studiengebühren aus verschiedensten Gründen ablehnt –, dass die Studie politisch ausgeschlachtet wird und den Studiengebührenbefürwortern Munition liefert. In ersten Ansätzen geschieht das schon (siehe eine Presseerklärung der CDU/CSU-Bundestragsfraktion vom 10.10.2011 oder ein Artikel in der taz). Denn was in der öffentlichen Wahrnehmung hängen bleiben könnte, ist der tatsächlich schwer bestreitbare Befund, dass in den Bundesländern mit Studiengebühren die Studierneigung nicht gesunken ist (möglicherweise sogar überdurchschnittlich gestiegen ist!). Und auch die Studie selbst wird in der Kurzfassung ja mit der Überschrift "Gebühren mindern Studierneigung nicht" überschrieben (obwohl genau dieser kausale Zusammenhang eigentlich nicht hergestellt werden kann).
Zu betonen bleibt aber, dass der Zusammenhang mit Studiengebühren zwar zeitlich hergestellt werden kann, aber das kein Beweis ist, da eine Abgrenzung zu anderen Faktoren kaum möglich ist. (Nebenbei: Es ist genauso fragwürdig, Studien, in denen eine abschreckende Wirkung von Studiengebühren festgestellt wird, per se als – schlimmstenfalls einzigen – Grund dafür zu nehmen, dass Studiengebühren abzulehnen wären – letztlich ist die Entscheidung für oder gegen Studiengebühren eine politische und auch vom Bild abhängig, dass man von Bildung und Menschen macht und nicht von den Ergebnissen einer oder auch mehrerer Studien!).
Umgekehrt werfen die WZB-Forscher übrigens einer anderen HIS-Studie vor, eine explizite Frage danach, was vom Studium abgeschreckt habe (mit einer Antwortmöglichkeit zu Studiengebühren) würde den Befragten nachträglich die Möglichkeit einer Rechtfertigung geben, ohne wirklich die abschreckende Wirkung zu messen. Dieses Problem mag zum Teil bestehen – aber ebenso bleibt es gleichfalls vage, welche Faktoren genau die Studierneigung beeinflussen und ob die Zusammenhänge, die die WZB-ForscherInnen unterstellen, korrekt sind. Es spielen bei der Studierneigung viele subjektive Dinge eine Rolle – und die sind schwer messbar oder in Zahlen objektivierbar.
Eine andere Studie, die zur Zeit noch auf Veröffentlichung in einer Fachzeitschrift wartet, sieht übrigens mit ähnlicher Methode – aber anderer Datengrundlage – gerade doch negative Effekte von Studiengebühren. Die Forscher Hans Dietrich und Dieter Gerner vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg jedenfalls meinen an Hand des ALWA-Datensatzes ("Arbeiten und Lernen im Wandel") eine abschreckende Wirkung von Studiengebühren nachweisen zu können. Nach deren Angaben handelt es sich zwar nur um eine Stichprobe von ca. 1000 Befragten (ALWA umfasst Personen mit Geburtsjahr zwischen 1956 und 1988, also auch viele, die für diese Detailauswertung nicht von Interesse waren), bei denen aber nicht "nur" die Studierneigung, sondern im Grunde der gesamte reale Studien-/Ausbildungsverlauf vorliegt und die repräsentativ ausgewählt seien.
Daten gibt es also weiterhin solche und solche – man sollte sich daher gar nicht auf den Streit um Daten einlassen, sondern neben dem Argument der abschreckenden Wirkung auch wieder die vielen anderen gegen Studiengebühren stärker aufführen. Denn die Ablehnung fusst ja nicht auf einem Grund allein.
Gebühren sind auch unabhängig von der direkten Abschreckungswirkung abzulehnen
Bleibt man im Bereich der sozialen Gerechtigkeit, so kann man zu Gebühren anführen, dass diejenigen, die die Bezahlung nicht einfach an die Eltern delegieren können, entweder (mehr) neben dem Studium arbeiten müssen oder sich verschulden (Aufnahme eines Studienbeitragsdarlehens). Beides benachteiligt im Vergleich zu denjenigen, die ohne (zusätzliche) Arbeit oder Schulden auskommen, vor allem wenn man bedenkt, dass es in der Regel die trifft, die schon die Lebenshaltungskosten ebenfalls über Arbeit und Schulden (BAföG-Darlehen) finanzieren müssen. Und immer noch eine Last zusätzlich kann irgendwann auch zu viel sein. (Siehe für weiteres auch Artikel Studiengebühren und soziale Gerechtigkeit)
Die Verwaltung der Studiengebühren, der nötigen Studienbeitragsdarlehen aber auch der Ausnahmeregelungen erzeugen durchaus relevante – und ziemlich sinnfreie – Kosten, die ohne Studiengebühren gar nicht erst nötig würden. Einnahmesteigerungen für die Hochschulen ließen sich auch anders – und sei es ganz trivial über Steuererhöhungen – erreichen. Denn wer heute Studiengebühren für seine Kinder zahlen kann oder später die Rückzahlungsraten für das aufgenommene Studienbeitragsdarlehen, der kann auch mit höheren Steuern leben. Für diejenigen, die kein Studium abgeschlossen haben und bei Steuern auch betroffen sein könnten (so sie gut verdienen), gilt trotzdem, dass sie zumindest indirekt immer auch von einem hohen Bildungsstandard profitieren.
Schließlich sollte man nicht vergessen: Bildung ist ein Grundrecht! Das sollte lebenslang gelten und ist natürlich nicht auf das Hochschulsystem beschränkt. Da ist noch viel zu tun. Ein Bildungsabschnitt gegen den anderen auszuspielen ("Kostenfreie KITA, aber dafür dann Studiengebühren"), ist jedenfalls kein guter Weg. (Mehr Argumente siehe weiter unten.)
Material und Hintergründe
- Kurzfassung: WZBrief Bildung (18 | Oktober 2011): Gebühren mindern Studierneigung nicht
- Langfassung: Tina Baier und Marcel Helbig / War all die Aufregung umsonst? Über die Auswirkung der Einführung von Studiengebühren auf die Studienbereitschaft in Deutschland. (Discussion Paper P 2011-001)
- WZB-Studie: Studiengebühren sollen keinen negativen Effekt auf die Studierneigung haben – oder: wie die gewählte Untersuchungsmethodik zum erwünschten Ergebnis führt (ausführlicher Kommentar der NachDenkSeiten zur Studie)
- Warum keine Studiengebühren? (ein paar Argumente und Links auf weitere Artikel dazu)