Hochschulpolitisches Engagement als ressourcenschädigendes Verhalten?Die Auseinandersetzung um studentische Selbstverwaltung und Mitbestimmung in der unternehmerischen Hochschule
In einem ersten Schritt diskutieren wir aus juristischer Perspektive die Frage, inwiefern Engagement in Selbstverwaltungsgremien auf die Stundung oder den Erlass von Studiengebühren angerechnet werden kann. Hierfür stellen wir die rechtlichen Rahmenbedingungen dar und gehen auf einen konkreten Fall ein, der mittlerweile beim Bundesverfassungsgericht anhängig ist.
In einem zweiten Schritt gehen wir aus Perspektive der Hochschul- und Studierendenforschung der Frage nach, welchen Stellenwert und welche Bedeutung Engagement im Rahmen des Studiums aktuell besitzt. Herausgearbeitet wird dabei, inwiefern es widersprüchliche Anforderungen sind, die aktuell an die Studierenden gerichtet werden und in welchem Maße diese das Studierverhalten beeinflussen.
Abschließend gehen wir auf Forderungen ein, die das Ziel verfolgen, die Bedingungen für studentisches Engagement in der Selbstverwaltung zu verbessern.
Verfahrene Verfahren
Mit der anstehenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes wird auch ein politisches Statement verbunden sein.
Auf Grund des Bildungsföderalismus und der hieraus resultierenden unterschiedlichen Regelungen in den Ländern sowie in Folge der verschiedenen rechtlichen Stellung von Fachschaftsräten und Institutionen der studentischen und akademischen Selbstverwaltung wurden und werden eine Vielzahl von Verfahren um die Frage geführt, inwieweit sich studentisches Engagement nachteilig im Bezug auf die für das Studium erhobenen Gebühren auswirken dürfe.
Aktuell ist eine Verfassungsbeschwerde eines Studierenden der Universität Hamburg – vertreten durch den Hamburger Rechtsanwalt Joachim Schaller – beim Bundesverfassungsgericht anhängig.
Dabei hat das Bundesverfassungsgericht unter anderem darüber zu entscheiden, inwieweit sich Engagement in einem Fachschaftsrat auf die Gebührenpflicht auswirkt.
Marsch durch die Institutionen
Der Studierende ist seit dem Sommersemester 2005 an der Universität Hamburg eingeschrieben. Seit dem Wintersemester 2006/2007 wurde er regelmäßig, bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt, in den Fachschaftsrat seines Fachs gewählt.
Bei Aufnahme seines Studiums sah das Hamburgische Hochschulgesetz (HmbHG) ein so genanntes Studienguthabenmodell vor. Gemäß §6 Abs.6 HmbHG in der Fassung von 2003 erhielten Studierende ein "Studienguthaben" für die Regelstudienzeit ihres jeweiligen Studienganges zuzüglich 4 weiterer Semester. Nach Verbrauch des Studienguthabens wurde eine (Langzeitstudien-)Gebühr von 500 Euro je Semester erhoben. Zudem sah der §6 Abs.7 HmbHG 2003 verschiedene Verlängerungstatbestände vor. Für Studierende, die sich in den Selbstverwaltungsorganen der Hochschule oder der Studierendenschaft engagiert haben, war gemäß §6 Abs.7 HmbHG 2003 eine Verlängerung des Studienguthabens um bis zu zwei weiterer Semester vorgesehen.
Aufgrund dieser Gesetzeslage konnte der betroffene Studierende bei Aufnahme seines Studiums und zu Beginn seines Engagements in der Fachschaft also davon ausgehen, dass sein Studium innerhalb der Regelstudienzeit zuzüglich vier weiterer Semester gebührenfrei bleiben wird. Zudem konnte er aufgrund der Verlängerungsmöglichkeit davon ausgehen, dass ihm etwaige Verzögerungen seines Studiums aufgrund seines Fachschaftsengagements durch eine Erhöhung seines "Studienguthabens" ausgeglichen werden – er also trotz der Fachschaftstätigkeit sein Studium gebührenfrei zum Abschluss bringen kann.
2006 wurde jedoch das HmbHG novelliert. Als wesentliche Änderung wurde eine allgemeine Studiengebührenpflicht in Höhe von 500 Euro je Semester eingeführt (§6 HmbHG in der Fassung von 2006). Ab dem Sommersemester 2007 wurde das Studium an allen Hamburger Hochschulen gebührenpflichtig. Das Gesetz sah zwar einige wenige Befreiungstatbestände vor, führte jedoch Engagement nicht als gesonderten Befreiungstatbestand auf.
Auch der betroffene Studierende war somit ab dem Sommersemester 2007 gebührenpflichtig. Aufgrund seiner Fachschaftstätigkeit stellte er einen Antrag auf Erlass der Studiengebühren für das Sommersemester 2007, da die Gebührenerhebung eine unbillige Härte für ihn darstelle, die für ihn zu Beginn seines Studiums nicht absehbar war. Die Uni lehnte den Antrag jedoch ab. Der Studierende erhob Klage vor dem Verwaltungsgericht Hamburg, das die Klage jedoch abwies. Auch das Oberverwaltungsgericht (OVG) Hamburg wies die Klage ab und ließ eine Revision nicht zu. Das Bundesverwaltungsgericht wies die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision ebenfalls ab. Als letztes Rechtsmittel stellte der Studierende daher die Verfassungsbeschwerde an das Bundesverfassungsgericht.
Enttäuschtes Vertrauen
Der Studierende macht in der Verfassungsbeschwerde geltend, dass die Erhebung von allgemeinen Studiengebühren ihn in dem grundgesetzlich garantierten Vertrauensschutz verletzt: Das Grundgesetz garantiert mit dem Rechtsstaatsprinzip aus Art.20 Abs.3 GG auch die Rechtssicherheit und somit (zumindest auch) den Schutz des Vertrauens von Menschen in die Beständigkeit von Gesetzen. In dem konkreten Fall bedeutet dies, dass der Antragsteller zu Beginn seines Studiums darauf vertraut hat, innerhalb seines Studiums im Rahmen des ihm gewährten Studienguthabens keine Gebühren für sein Studium zahlen zu müssen. Das Bundesverfassungsgericht hat nun die Frage zu beantworten, ob der Antragsteller auch tatsächlich in die zukünftige Gebührenfreiheit vertrauen konnte und ob daher die Ausgestaltung der allgemeinen Studiengebühren in Hamburg verfassungswidrig ist.1
Das Bundesverwaltungsgericht hatte diesen Punkt salopp verworfen, indem es schlicht darauf verwies, dass spätestens mit der politischen Debatte zu Beginn des Jahrtausends und dem Bundesverfassungsgerichtsurteil vom 26.01.20052 jedem hätte klar sein können und müssen, dass die Einführung allgemeiner Studiengebühren in den Bundesländern kurz bevor stehe.3 Das Vertrauen von Studierenden könne sich also – so das Bundesverwaltungsgericht – höchstens auf die Tatsache erstrecken, dass "etwaige gesetzliche Neuregelung ihnen die Fortsetzung ihres Studiums nicht finanziell unmöglich machen und sie nicht unvermittelt und übergangslos mit der Gebührenerhebung konfrontiert werde."4
Im Gegensatz zu diesen Anforderungen des Gerichts, sah das HmbHG 2006 allerdings keinerlei Übergangsregelungen vor: Alle Studierenden wurden, unabhängig davon ob schon länger oder neu immatrikuliert, ab dem Sommersemester 2007 gebührenpflichtig.
Zudem hat der Senat und die Hamburgische Bürgerschaft während der Debatte vor 2003 um die Einführung der Studienkonten die Garantie ausgesprochen, dass das Studium innerhalb der Regelstudienzeit gebührenfrei bleiben soll und somit einen "konkreten Vertrauenstatbestand verankert, auf den sich der Studierende in seiner Studien- und Lebensplanung eingestellt hat."5 Und dies galt eben nicht nur im Hinblick auf seine generelle Studiendauer, sondern auch für die Frage, ob er eine zeitliche Verzögerung seines Studiums aufgrund seiner Fachschaftstätigkeit – im wahrsten Sinne des Wortes – in Kauf nehmen kann.
Sofern also die Einführung allgemeiner Studiengebühren für bereits immatrikulierte Studierende überhaupt rechtmäßig ist, ist zumindest (juristisch) umstritten, welche Übergangsregelungen für bereits immatrikulierte Studierende getroffen werden müssten.
Da die Frage des Vertrauensschutzes, bzw. die Ausgestaltung von Übergangsregelungen bei der Einführung von Studiengebühren noch nicht höchstrichterlich entschieden ist, hat die Verfassungsbeschwerde über die konkrete Gesetzeslage in Hamburg hinausgehende Bedeutung.
Grundsätzlich wirft die Verfassungsbeschwerde die Frage auf, wie die Tätigkeit in einem Fachschaftsrat juristisch zu bewerten ist und inwieweit sich diese Tätigkeit auf eine potenzielle Gebührenpflicht auswirken kann. Denn hätte der Kläger auf ein Engagement in der Verfassten Studierendenschaft verzichtet, wäre es ihm möglich gewesen, sich stärker auf sein Studium zu konzentrieren und damit sein Studium früher abzuschließen und damit nicht in dem gleichen Maß von der Gebührenpflicht betroffen zu sein, wie es nun nach der Gesetzesänderung der Fall war.
Engagement als Recht und Pflicht
Gemäß §37 Abs.1 Hochschulrahmengesetz (HRG) ist die Mitwirkung an der Selbstverwaltung der Hochschule Recht und Pflicht ihrer Mitglieder. Gemäß §37 Abs.3 HRG (und gleichlautend in §9 Abs.4 S.1 HmbHG) dürfen die Hochschulmitglieder wegen ihrer Tätigkeit in der Selbstverwaltung nicht benachteiligt werden. Dieses Benachteiligungsverbot gilt gemäß §41 Abs.3 HRG für die Mitwirkung in den Organen der Studierendenschaft entsprechend. Die Studierendenschaften können gemäß §41 Abs.2 HRG ihre Angelegenheiten selbst verwalten, d.h. unter anderem Fachschaftsräte zu bilden. Wenn es auf Grund des Rechts und der Pflicht der Selbstverwaltung aus §41 Abs.2 S.1 HRG (und §102 Abs.1 S.3 und Abs.4 HmbHG) gewährleistet ist, dass Studierendenschaften Fachschaftsräte als Organe der Fachschaften bilden können, so müssten diese vom Benachteiligungsverbot des §37 Abs.3 in Verbindung mit §41 Abs.3 HRG umfasst sein.
Als der betroffene Studierende im Wintersemester 2006 in den Fachschaftsrat gewählt wurde, tat er dies "im Bewusstsein, dass ihm hierdurch keine Nachteile entstehen würden. Dadurch, dass er sich in studentischen Selbstverwaltung betätigt hat und dadurch eine Verlängerung der Studienzeit in Kauf nahm, nahm er also eine zeitliche Verzögerung hin, war sich aber unter der damaligen Regelung sicher, die Übernahme demokratischer Rechte und Pflichten in der Selbstverwaltung neben der zeitlichen Komponente nicht auch noch mit finanziellen Belastungen bezahlen zu müssen"6 – so daher die Argumentation der Verfassungsbeschwerde.
Fachschaftsratsarbeit als Studienhemmnis?
Das Jagen nach (ECTS-)Punkten: Sinn des Studiums?
Das Bundesverwaltungsgericht führte dazu allerdings aus, dass die Mitarbeit in den Organen der akademischen und studentischen Selbstverwaltung, keine pauschale Befreiung von der Gebührenpflicht erforderlich mache. "Denn den Studierenden obliegt es, ihr Studium umsichtig zu planen, zielstrebig durchzuführen und grundsätzlich der Tätigkeit in universitären Gremien und Funktionen im Verhältnis dazu eine nur untergeordnete Bedeutung einzuräumen oder mit ihr im Zusammenhang stehenden Ausbildungsversäumnisse durch zumutbare Nacharbeit aufzuholen."7
Oder anders formuliert: Wer sich engagiere, tue dies auf eigenes (ökonomisches) Risiko. Somit drängt das Bundesverwaltungsgericht Studierende dazu, ihren Studienverlauf nach Effizienzgesichtspunkten auszurichten und ihre Pflicht zur Selbstverwaltung diesem unterzuordnen.
Es sei aber zumindest geboten – so das Bundesverwaltungsgericht – in (Einzel-)Fällen in denen sich ihr Engagement in der akademischen und studentischen Selbstverwaltung nachteilig auf den Fortgang des Studiums auswirkt, als unbillige Härte anzuerkennen und dadurch ggf. einen Erlass der Studiengebühren herbeizuführen.
Genau dies hatte der Studierende mit dem ursprünglichen Erlassantrag angestrebt. Das Oberverwaltungsgericht Hamburg hatte dies zuvor allerdings abgelehnt: Sofern der Gesetzgeber nur bestimmte Organe der Verfassen Studierendenschaft (in Hamburg Studierendenparlament und AStA) gebührenrechtlich privilegiert hat, sei dies eine zulässige Entscheidung. Denn – so führt das Gericht aus – die Fachschaftsräte seien "bereits nach ihrer Rechtsstellung schwächer ausgestaltet und mit einem deutlich geringeren Wirkungskreis ausgestattet. So sind die Organe der Fachschaft – im Gegensatz zu jenen der Studierendenschaft (§102 Abs.3 HmbHG) – nicht gesetzlich bestimmt. Ob und ggf. welche Organe die Fachschaft hat, liegt in der (satzungsmäßigen) Kompetenz der Studierendenschaft (§102 Abs.4 Satz 1 und 3 HmbHG). Während die Aufgaben der Studierendenschaft gesetzlich normiert sind und sich auf die Gesamtinteressen der Studierenden und der Hochschule beziehen (vgl. §102 Abs.2 HmbHG) sind die Organe der Fachschaft auf die Wahrnehmung der Interessen der Fachschaftsmitglieder, also der Studierenden einer Fakultät (§102 Abs.4 Satz 1 HmbHG) beschränkt."8
Engagement ist somit je nach zugeschriebener Kompetenz unterschiedlich "wertvoll", d.h. ökonomisch anrechenbar.
Entwertung von Engagement in der unternehmerischen Hochschule
Das Oberverwaltungsgericht Hamburg vertritt zudem die Auffassung, das Engagement in einem Fachschaftsrat würde Studierende – aufgrund des eingeschränkten Aufgabenfeldes – geringer zeitlich belasten, als Engagement in den gesetzlich normierten Organen der Studierendenschaft. Dies wird mit dem geringeren Aufgabenfeld begründet. Unabhängig von der Frage, ob diese zeitliche Einschätzung zutreffend ist, verkennt das Oberverwaltungsgericht Hamburg die Bedeutung von Fachschaftsräten für die studentische Selbstverwaltung (so zum Beispiel bei Berufungskommissionen, in denen in der Regel Vertreter_innen von Fachschaftsräten sitzen).
Problematisch ist diese Auffassung erst recht im Hinblick darauf, dass in Folge der Föderalismusreform und der Deregulierung des Hochschulrechts kaum noch Organe der akademischen und studentischen Selbstverwaltung gesetzlich normiert werden, sondern dies zunehmend in die Verantwortung der Länder bzw. Hochschulen bzw. Fakultäten gelegt wird. Die so genannte Autonomie der unternehmerischen Hochschulen hat z.B. in Hessen dazu geführt, dass lediglich noch das Studierendenparlament gesetzlich normiert ist, welches sich qua Satzungsrecht ein wie auch immer geartetes ausführendes Organ wählen kann (§78 Abs.1 HHG), womit beispielsweise das Engagement im AStA nicht mehr unter das Benachteiligungsverbot fallen könnte.
Die anstehende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes ist somit nicht nur im Hinblick auf juristische Probleme allgemeiner Studiengebühren relevant. Vielmehr wird damit auch ein politisches Statement verbunden sein, welche Anforderungen an die Studienplanung von Studierenden gestellt werden – und ob darin studentisches Engagement ein Platz eingeräumt wird.
Festzuhalten ist, dass sich die bisherige Rechtsprechung analog zur politischen Diskussion bewegt, auf die im Folgenden näher eingegangen wird.
Widersprüchliche Anforderungen an Studierende
Einerseits gilt Engagement in der studentischen und akademischen Selbstverwaltung gesetzlich normiert als Recht und Pflicht, andererseits werden Anforderungen des Arbeitsmarktes an die Studierenden gerichtet, die auf ein effektives und effizientes Studium zielen. Fehlverhalten im Rahmen der unternehmerischen Hochschule wird unter anderem wie oben beschrieben sanktioniert. Insbesondere Studierende, die sich hochschulpolitisch engagieren wollen, stehen dabei in einem Spannungsfeld zwischen ihrer Motivation zum Engagement und der Anforderung, das Studium als ausschließlich berufliche Qualifizierungsstrategie zu begreifen. Diese "parallele Erfüllung von Anforderungen unterschiedlicher Felder und deren Integration in studentische Lebensentwürfe führt zu Konflikten"9 – juristischen, institutionellen aber auch individuellen. Was sind die Folgen dieser widersprüchlichen Anforderungen und wie gehen die Studierenden mit diesen Konflikten um? Konkret: Inwiefern deuten Studierende Engagement in der Selbstverwaltung als sinnvolle Studienstrategie?
Engagement als sinnvolle Studienstrategie?
Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gelangte 2008 im 10. Studierendensurvey10 in Bezug auf die Studienstrategien für bessere Berufsaussichten und persönliche Entwicklung zu dem Befund, dass sich hochschulpolitisch zu engagieren auf dem letzten Platz der zwölf erfragten Strategien liegt (8/12, siehe Abbildung) – weit abgeschlagen hinter Tätigkeiten, die auf den Erwerb von EDV-Kenntnissen (68/47), eine gute Abschlussnote (68/34) oder auf einen schnellen Studienabschluss (56/30) gerichtet sind. [img75][324*613]https://www.studis-online.de/HoPo/Bilder/BMBF_2008_Abb_5_S_9324x613.png[/img]
Studierende, so ist festzustellen, richten ihre Studienstrategien an einem Kosten-Nutzen-Kalkül aus, innerhalb dessen Engagement als Investition erscheint – oder auch nicht. Die aktuellen Opportunitätskosten sind hoch, was sich in der nachrangigen Bedeutung von Engagement in der Wahrnehmung der Studierenden widerspiegelt. "Genau wie es im neoliberalen Mobilisierungsdiskurs gefordert wird, antizipieren sie Anforderungen des Arbeitsmarktes."11 Partizipation in den Selbstverwaltungsgremien erscheint als irrationales Verhalten, das (materiell unter anderem in Form von Studiengebühren) negativ sanktioniert wird.
Neben der fast trivialen Feststellung, dass hochschulpolitisches Engagement im Kontext von Employability innerhalb studentischer Lebensentwürfe an Bedeutung verliert, ist eine aktuelle Entwicklung bemerkenswert, die Formen des Engagements aufwertet und gleichzeitig im Kontext unternehmerischer Hochschulen umdeutet und neu definiert. Engagement ist dann "nicht mehr politisch, sondern auf berufliche Initiativen und bessere Qualifizierung [aus]gerichtet."12
Studierende im neoliberalen Mobilisierungsdiskurs13
Im Jahresgutachten 2011 des Aktionsrat Bildung, einem Think Tank der Vereinigung der Bayrischen Wirtschaft, wird die neue Wertschätzung von studentischem Engagement in der unternehmerischen Hochschule mit der damit verbundenen Verantwortungsübernahme für die Akkumulierung des individuellen Humankapitals begründet: Freiwilligenengagement könne "in besonderem Maße zur Entwicklung sozialer, personaler, fachlicher und organisatorischer Kompetenzen beitragen, da das Individuum Verantwortung für eine Aufgabe und damit auch für den eigenen Lernprozess"14 übernehme. Über ein solches Engagement zu erwerbende Kompetenzen sind beispielweise Teamfähigkeit oder auch Erfahrung in Networking und Change Management15 – mithin die tägliche Praxis von Studierendenvertreter_innen angesichts der Dauerreformen in Hochschule und Studium. Auch das Centrum für Hochschulentwicklung (CHE), nicht gerade als Taktgeber von Demokratisierungsprozessen bekannt, forderte 2010 unter der Überschrift "Anregungen zur studentischen Partizipation" die Studierenden auf, kritische Fragen zu stellen und vorhandene Mitbestimmungsmöglichkeiten zu nutzen.16 Stellen diese Aussagen eine neue Wertschätzung emanzipatorischer Prozesse auf Seiten neoliberaler Akteure dar, oder sind sie Anzeichen der Indienstnahme von hochschulpolitischem Engagement durch das neue, bildungsökonomisch fundierte Regime der unternehmerischen Hochschule?
Von der Ökonomisierung des Sozialen17 zur Ökonomie des Engagements
Sigrun Nickel, seit einigen Jahren beim CHE als Beraterin von Hochschulen tätig, stellt unmissverständlich fest, dass unter einem partizipativem Management von Hochschulen nicht die Ausweitung von demokratischen Mitbestimmungsrechten oder gar die Einführung von Selbstverwaltungsstrukturen zu verstehen sei, sondern die "verstärkte Beteiligung von Mitarbeitern an der Willensbildung einer hierarchisch höheren Ebene der Organisation."18 Bei aller Beteilungsorientierung stelle partizipatives Management dabei einen Steuerungsansatz dar, dessen Hauptinteresse in der Verwirklichung von Organisationszielen liege.
Formen von Beteiligung, oder – wie Nickel schreibt – von "motivationsfördernden und beteiligungsorientierten Managementtechniken"19 werden somit genutzt, um von außen gesetzte Zielvorgaben effizienter und effektiver umsetzen zu können. Dieses neue Partizipationsverständnis sieht Formen der Beteiligung als Mittel, deren Ziel es ist, Expertise für Entscheidungen der Dekan_innen und Präsident_innen bereitzustellen und somit ihre Informationsgrundlage zu verbessern sowie als Instrument, um die Akzeptanz für Maßnahmen der Hochschulleitungen zu erhöhen, wie das CHE in einem Arbeitspapier von 2011 in Bezug auf eine Umfrage unter Dekan_innen und Präsident_innen formuliert.20
Die neue Bedeutung von Engagement entspringt somit nicht dem emanzipatorischen Ziel, individuelle und kollektive Freiheit21 über wirksame Mitbestimmungsrechte bei allen Fragen der Verteilung von Ressourcen sowie der Ziele und Bedingungen des jeweiligen Arbeitszusammenhanges herzustellen22, sondern dem Ziel, ein Management an den Hochschulen zu implementieren, das die 'Ressource Mensch' als Mittel zur Qualitäts- und Hochschul-Entwicklung nutzt. Hierfür wird die/der Studierende angerufen als unternehmerisches Selbst23, das alle seine Aktivitäten als Teil eines lebenslangen Selbst-Qualifizierungs- und Selbst-Optimierungsprozesses innerhalb eines bildungsökonomischen Regimes zu begreifen hat.
Engagement als Regierungstechnik
Dem entspricht Michel Foucaults These, dass die Durchsetzung des Neoliberalismus und seines Leitbildes einer Gesellschaft aus Unternehmenseinheiten – und somit von unternehmerischen Studierenden in unternehmerischen Hochschulen – auf der Anwendung einer spezifischen, gouvernementalen Herrschaftstechnik beruhe. Dabei bediene sich diese Regierungsform der Wissenschaft des menschlichen Verhaltens und beschreibe einerseits die Handlungsrationalität der Individuen unter der Perspektive eines unternehmerischen Selbst, andererseits wende sie diese Analyse permanent – z.B. über Befragungen – an; und in Folge dessen erscheine der Mensch "als jemand, der systematisch auf systematische Variationen reagieren wird, die man auf künstliche Weise in die Umgebung einführt."24
Dementsprechend diskutiert der Aktionsrat Bildung in seinem Jahresgutachten von 2010 die psychologischen Voraussetzungen einer Bildungsautonomie zwischen Regulierung und Eigenverantwortung und stellt fest, dass es den neuen, partizipativen Führungstechniken an den Hochschulen darum gehe darzustellen, wie "extrinsisch motivierte Verhaltensweisen durch Prozesse der Internalisation und Integration in selbstbestimmte Handlungen"25 überführt werden könnten.
"Selbstbestimmt leben und lernen" - Banner auf der Demonstration am 17. Juni 2009 in Karlsruhe anlässlich des Bildungsstreiks.
Die aktuelle Indienstnahme von Formen des Engagements dient somit dem Zweck, Einfluss auf die Wahrscheinlichkeit von Verhalten zu nehmen: Zu ihr gehören Führungstechniken, die darauf abzielen, die Handlungsmöglichkeiten und das Verhalten von Individuen und (Status-)Gruppen zu lenken und zu steuern.26
Engagement in diesem Kontext ist also nicht in dem Maße selbstbestimmt, wie es die propagierte Eigenverantwortung suggeriert.27 Stattdessen werden partizipative Techniken wie z.B. Meinungsumfragen oder Strategieworkshops genutzt, um fremdbestimmtes in selbstbestimmten Verhalten zu transformieren. So fordert das CHE in dem oben zitierten Papier die Studierenden auf, ihre Mitbestimmungsmöglichkeiten verantwortlich zu nutzen, indem sie sich für ihre Employability einsetzen.28 Die konkreten Folgen dieses Mobilisierungsdiskurses und der Ökonomisierung des Engagements können bereits in den Motiven von Studierenden, sich hochschulpolitisch zu engagieren, abgelesen werden.
Engagement aus Idealismus oder aus Utilitarismus?
In den seit 1983 regelmäßig erhobenen Studierendensurveys des BMBF wird in Bezug auf die gewählten Studienstrategien differenziert gefragt, ob sie in der Wahrnehmung der Studierenden zu besseren Berufsaussichten verhelfen oder als günstig für die persönliche Entwicklung gelten. In der Erhebung von 2008 wird dabei auf eine Verschiebung in Bezug auf die Motive, sich hochschulpolitisch zu engagieren, hingewiesen: Die Bedeutung der Strategie, hochschulpolitisches Engagement als Investition für die berufliche Qualifizierung zu verstehen, steige.29 Eine Umfrage des Hochschulinformations-Systems (HIS) zum gesellschaftlichen Engagement deutscher Studierender kam bereits 2006 zu dem Ergebnis, dass utilitaristische Motive für gesellschaftliches Engagement häufiger genannt werden als idealistische Gründe:
"Anscheinend nutzen Studierende bewusst gesellschaftliches Engagement, um bestimmte Schlüsselkompetenzen zu erwerben bzw. zu vertiefen, die beim späteren Übergang vom Studium in den Beruf wichtig sind. 53% der Studierenden sehen in gesellschaftlichem Engagement eine gute Möglichkeit, sich weiterzuqualifizieren. 60% der Aktiven und 49% der Nicht-Aktiven glauben, dass gesellschaftliches Engagement die Chancen im späteren Berufsleben erhöht (alle Studierenden: 56%)."30
Immerhin, so stellt die Studie fest, spielten noch für die Hälfte der Aktiven idealistische Motive eine Rolle – ein Befund, der angesichts des betrachteten studentischen Feldes, welches seit den 1960er Jahren als ein emanzipatorisches Experimentierfeld par excellence gelten kann, ernüchternd daherkommt. Den genannten Umfragen zufolge findet aktuell ein Motivwandel in Bezug auf Engagement in der studentischen und akademischen Selbstverwaltung statt – die Mehrheit der Aktiven begreift hochschulpolitisches Engagement nicht mehr als Teil einer emanzipatorischen, sondern als Element einer unternehmerischen (Studien-)Praxis.
Wie aus dem Dargestellten folgt, sind zwei Effekte der unternehmerischen Hochschule in Bezug auf studentisches Engagement empirisch nachweisbar: Erstens gerät Engagement zunehmend in Widerspruch zu den Anforderungen einer Employability, zweitens wird Engagement verstärkt in berufliche Qualifizierungsstrategien integriert. Was paradox klingt, (ir)rationalisiert sich aktuell in den Lebensentwürfen und Studienstrategien der neuen, unternehmerischen Studierenden. Was folgt hieraus in Bezug auf die konkrete politische Arbeit in den Gremien der studentischen und akademischen Selbstverwaltung?
Was ist (mir) mein Engagement wert? Perspektiven und politische Forderungen
Unabhängig von der zunehmenden Ökonomisierung der Motive für hochschulpolitisches Engagement müssen die Spielräume für Engagement materiell gesichert werden, um kritische und emanzipatorische Formen von Selbst- und Mitbestimmung in Hochschule und Studium weiterhin zu ermöglichen. Ingmar Lippert, 2005 im Ausschuss Studienreform des fzs tätig, stellt konkrete politische Forderungen auf, um (wenigstens) den Zeitaufwand für Engagement in die Studienstruktur und -finanzierung zu integrieren. Erstens müsse die Regelstudienzeit Engagement anrechnen, zweitens müssten die Studienordnungen "so konzipiert sein, dass sie Studierende dazu motivieren und sie dabei unterstützen, Hochschule mitzugestalten. Dazu müssen die Ordnungen auch die Mitwirkung in der Hochschuldemokratie bei ECTS-Rechnungen berücksichtigen"31. Drittens verlängerte Mitarbeit in der studentischen und akademischen Selbstverwaltung das fachliche Studium, was sich im BAföG widerspiegeln müsse.
Unabhängig davon, inwiefern Engagement auch als neoliberale Herrschaftstechnik zu funktionalisieren ist, müsse es sich in "der individuellen rationalen Entscheidung der/des Studierenden […] lohnen mitzuwirken"32 – um wenigstens die Bedingungen der Möglichkeit von Prozessen emanzipatorischer Selbst- und Mitbestimmung jenseits neoliberaler Partizipationstechniken zu erhalten. Ein Element wäre, Engagement durch gebührenrechtliche Privilegierung zu honorieren. Was diese Prozesse dann zum konkreten Inhalt haben, und ob sie idealistisch-emanzipatorisch oder utilitaristisch-unternehmerisch motiviert sind, ist dann die nächste Frage.
Zu den AutorInnen:
Fredrik Dehnerdt promoviert an der Universität Hamburg im Fachbereich Erziehungswissenschaft zum Thema "Selbstbestimmung, Mitbestimmung und Partizipation von Studierenden".
Clara Meier studiert Jura an der Universität Hamburg.
Fußnoten
1 Juristisch handelt es sich hierbei um den Fall der sog. unechten Rückwirkung. Eine unechte Rückwirkung liegt vor, wenn ein Gesetz in ein Geschehen eingreift, dass in der Vergangenheit begonnen hat (die Aufnahme des Studiums), jedoch noch nicht abgeschlossen ist (aktuelle Immatrikulation), die Rechtsfolge (Studiengebührenpflicht) aber erst nach der Verkündung in Kraft tritt (Gebührenpflicht ab Sommersemester 2007).
2 BVerfGE 112, 226: Das Bundesverfassungsgericht hat mit diesem Urteil entschieden, dass durch die Verankerung einer allgemeinen Studiengebührenfreiheit in dem Hochschulrahmengesetz die Gesetzgebungskompetenz der Länder verletzt sei und daher das im HRG verankerte allgemeine Studiengebühren-Verbot aufzuheben ist.
3 Tatsächlich wurden 2006 in Baden-Württemberg und 2007 in Bayern, Hamburg, Hessen, Niedersachsen und im Saarland allgemeine Studiengebühren eingeführt. Nordrhein-Westfalen stellte es ab 2007 den Hochschulen frei, Gebühren zu erheben.
4 BVerwG, Beschluss vom 02.02.2011 - BVerwG 6 B 38.10 - zit. nach: Schaller, Joachim: Verfassungsbeschwerde 2011: 8
5 Schaller, Joachim: Verfassungsbeschwerde 2011: 10
6 Schaller (2011): 32
7 BVerwG, Beschluss vom 18.07.1986 - BVerwG 5 B 21.85 - zum BAföG, zit. nach Schaller (2011): 34
8 OVG Hamburg, Urteil vom 30.03.2010 - 3 Bf 280/09 -, zit. nach Schaller (2011): 36
9 Roland Bloch (2004); Flexible Studierende. In: Die Hochschule 2/2004: 54
10 BMBF (2008): Studiensituation und studentische Orientierungen. 10. Studierendensurvey an Universitäten und Fachhochschulen: 9 f.; www.bmbf.de/pub/studiensituation_studentetische_orientierung_zehn.pdf
11 Roland Bloch (2009): Flexible Studierende? Studienreform und studentische Praxis. Akademische Verlagsanstalt Leipzig: 60
12 Ebd.: 53
13 Vgl. Ulrich Bröckling (2000): Totale Mobilmachung. Menschenführung im Qualitäts- und Selbstmanagement. In: Ders., u.a. (2000): Gouvernementalität der Gegenwart. Studien zur Ökonomisierung des Sozialen, Suhrkamp: 131
14 Aktionsrat Bildung (2011): Bildungsreform 2000 – 2010 – 2020: 38; www.vbw-bayern.de/agv/vbw-Themen-Bildung-Bildung_ganzheitlich_gestalten-Publikationen-Jahresgutachten_des_Aktionsrats_Bildung_Bildungsreform_200020102020--14852,ArticleID__18104.htm
15 Vgl. Bloch (2009): 97
16 CHE (2010): Bologna-Reform als Chance nutzen? Anregungen zur studentischen Partizipation, www.che.de/downloads/Bologna_als_Chance_nutzen_100308.pdf
17 Vgl. Ulrich Bröckling, u.a. (2000): Gouvernementalität der Gegenwart. Studien zur Ökonomisierung des Sozialen, Suhrkamp
18 Nickel, Sigrun (2009): Partizipatives Management von Universitäten. Zielvereinbarungen – Leitungsstrukturen – Staatliche Steuerung, Rainer Hampp Verlag München 2007: 78
19 Ebd.
20 CHE (2011): "Als ob es einen Sinn machen würde…" Strategisches Management an Hochschulen: 83, www.che.de/downloads/CHE_AP140_Strategie.pdf
21 Vgl. Jürgen Habermas u.a. (1961): Student und Politik. Eine soziologische Untersuchung zum politischen Bewusstsein Frankfurter Studenten. Luchterhand, Neuwied/Berlin, 1969: 15 ff.
22 Vgl. SDS (1961): Hochschule in der Demokratie. Neue Kritik, Frankfurt, 1972: 32
23 Vgl. Ulrich Bröckling (2007): Das unternehmerische Selbst. Soziologie einer Subjektivierungsform, Suhrkamp
24 Michel Foucault (1979): Die Geburt der Biopolitik. Geschichte der Gouvernementalität. Suhrkamp: 372
25 Aktionsrat Bildung (2010): Bildungsautonomie: Zwischen Regulierung und Eigenverantwortung: 10, www.aktionsrat-bildung.de/fileadmin/Dokumente/Jahresgutachten_2010.pdf
26 Vgl. Michel Foucault (1982): Subjekt und Macht. In: Ders.: Ästhetik der Existenz. Schriften zur Lebenskunst, Suhrkamp 2007: 97
27 Vgl. Bloch (2008): 60
28 CHE (2010)
29 BMBF (2008): 10
30 HISBUS (2006): Studium – und darüber hinaus? Gesellschaftliches Engagement deutscher Studierender: 21, https://hisbus.his.de/hisbus/docs/hisbus15.pdf
31 Ingmar Lippert (2005): Mitbestimmung von Studierenden bei der Qualitätssicherung und Hochschulentwicklung. In: HRK (2005): Hochschule entwickeln, Qualität managen: Studierende als (Mittel-)Punkt. Beiträge zur Hochschulpolitik, 10/2005: 53 f.
32 Ebd.