Grün-rot in Baden-WürttembergStudiengebühren weg, Verfasste Studierendenschaft her
Noch muss zwar der Vorbehalt erwähnt werden, dass der Koalitionsvertrag von Parteitagen am 7. Mai von Grünen und SPD bestätigt werden muss. Er erscheint aber unwahrscheinlich, dass er dort noch scheitern wird.
Studiengebühren abschaffen: Leider doch nicht ganz so schnell
Hatten in der ersten Euphorie nach dem Wahlsieg von grün-rot einzelne ParteivertreterInnen eine Abschaffung der Gebühren gleich zum Wintersemester 2011/12 für möglich gehalten, spricht der Koalitionsvertrag von der Abschaffung zum "frühestmöglichen Zeitpunkt, also zum Sommersemester 2012". Das es früher nicht möglich sei, ist zwar nicht absolut richtig – aufwändiger wäre eine frühzeitigere Abschaffung aber sicherlich. Und daran wollte sich grün-rot wohl nicht machen.
Immerhin wäre Baden-Württemberg mit einer Abschaffung zum Sommersemester 2012, also knapp ein Jahr nach Regierungsantritt (dieser ist für 12. Mai 2011 vorgesehen) schneller als rot-grün in Nordrhein-Westfalen oder die SPD in Hamburg, die sich deutlich mehr Zeit nach ihrem Regierungsbeginn gelassen hatten bzw. noch lassen werden, bis die Abschaffung tatsächlich in Kraft treten soll. Es wird Aufgabe der StudiengebührengegnerInnen sein, darauf zu achten, dass die im Koalitionsvertrag gemachte Ankündigung umgesetzt, also das nötige Gesetz rechtzeitig angegangen wird. Wenn das dann durch ist (und Hamburg die Abschaffung auch wahr macht), werden nur noch in Bayern und Niedersachsen allgemeine Studiengebühren erhoben.
Wichtig dabei auch folgender Satz aus dem Koalitionsvertrag: "Künftig sollen Studierende auf Augenhöhe über die Verwendung der vom Land zur Verfügung gestellten Kompensationsmittel für die wegfallenden Studiengebühren mitentscheiden." Was genau "auf Augenhöhe" bedeutet, wird ebenso wohl noch Verhandlungssache sein ...
Wiedereinführung der Verfassten Studierendenschaft
In allen Bundesländern außer Bayern und Baden-Württemberg ist die Studierendenvertretung als Verfasste Studierendenschaft (VS) organisiert. Durch diese Struktur und damit verbundenen rechtlichen Möglichkeiten (u.a. auch der Erhebung von Semesterbeiträgen) hat die VS mehr Einflussmöglichkeiten, als die stark eingeschränkten Studierendenvertretungen, wie es sie in den beiden südlichen Bundesländern gibt.
Grün-rot will diesen Anachronismus, der seinen Ursprung noch darin hat, dass die damaligen Regierungen in Bayern und Baden-Württemberg den Studierendenvertretungen unterstellten, mit Terroristen zu sympathisieren (RAF etc.), beenden. Dabei soll die VS sogar mit größeren Möglichkeiten ausgestattet werden, als sie sie in den meisten anderen Bundesländern hat. Jedenfalls war dies in einem Gesetzentwurf vorgesehen, den Grüne und SPD bereits im Dezember im Landtag eingebracht hatten (der aber gegen die damalige Mehrheit von CDU und FDP keine Chance hatte). Auf dieser Grundlage soll es dann wohl in das parlamentarische Verfahren gehen.
Und noch vieles mehr
Zum Thema Hochschule finden sich im Koalitionsvertrag natürlich neben den beiden genannten Punkten noch eine Menge mehr. Vieles bleibt – wie so oft in Koalitionsverträgen – noch relativ vage, zeigt aber trotzdem eine Richtung an. Anderes ist aber auch sehr konkret.
So soll die Verpflichtung der Hochschulen zu hochschuleigenen Auswahlverfahren in allen Numerus-Clausus-Studiengängen aufgehoben werden (Zur Erläuterung: In Baden-Württemberg durften die Hochschulen also nicht einfach nur den NC nehmen, sondern mussten stattdessen "individuelle Schwerpunkte" setzen. Manche Hochschulen führten Auswahlgespräche durch oder es wurden Motivationsschreiben gefordert oder - wo all das wegen großer BewerberInnenzahlen zu aufwändig war - es wurden die Noten bestimmter Schulfächer stärker gewichtet).
In Sachen bundesweitem dialogorientiertem Serviceverfahren ist die Ansage auch klar: "Die Teilnahme daran soll für die Hochschulen verbindlich werden."
Weniger konkret sind die "Leitideen für ein zukunftsfähiges Landeshochschulgesetz", die aber immer noch eine klare Richtung vorgeben: "Das Leitbild der "Unternehmerischen Hochschule", das dem aktuellen Landeshochschulgesetz zugrunde liegt, hat noch nie zu den Hochschulen gepasst. Gemeinsam mit den Hochschulen wollen wir das Landeshochschulgesetz neu ausrichten und dabei demokratische Strukturen stärken. Anstelle der bestehenden Aufsichtsräte wollen wir externe Hochschulbeiräte etablieren, die die Hochschulen mit Blick von außen beratend begleiten." Es folgen einige Sätze zur VS (siehe unseren vorigen Abschnitt) und geht weiter mit: "Überall dort, wo es um Studium und Lehre geht, müssen Studierende mitgestalten können."
In Sachen Gleichstellungspolitik wird angekündigt, "sämtliche Steuerungsinstrumente offensiv nutzen" zu wollen, "bis hin zur Quote etwa bei den Hochschulbeiräten. Mittelfristig soll ein Frauenanteil von 40 Prozent in allen Hochschulgremien erreicht sein."
Geprüft werden soll, "wie das Prinzip umgesetzt werden kann, alle öffentlich geförderten und alle durch das Land beauftragten Forschungsergebnisse kostenfrei der Öffentlichkeit zugänglich zu machen" (Open-Access-Strategie, zu diesem Thema siehe auch unseren Artikel Open Access – Der freie Zugang zu Wissen).
Die Punkte in Sachen Finanzen und Studienplätze versprechen von allem mehr – die Erfahrung zeigt aber, dass solche Ankündigungen leider am Schnellsten wieder "vergessen" werden oder auf Grund von angeblichen oder tatsächlichen Sachzwängen doch nicht realisiert werden können. Hier kann man also nur das Beste hoffen und muss abwarten, was tatsächlich kommen mag.
Hintergründe und weiteres zum Thema