Wahlprüfsteine HochschulpolitikAntworten der Piratenpartei Bremen
Wir möchten freie Bildung für alle, und das bedeutet auch eine unabhängige Förderung. Ein BAföG muss unabhängig vom Einkommen der Eltern oder eventuellen Unterhaltszahlungen gewährt werden! Immer häufiger kommen Schüler und Studenten in die Bredouille, studieren zu wollen, ohne eine Unterstützung aus dem Elternhaus zu bekommen. Ein Einklagen des Geldes kommt für die Meisten jedoch nicht in Frage, da hier durch ein Bruch mit den Eltern wahrscheinlich ist. Allein diesem Missstand kann entgegengewirkt werden, indem BAföG unabhängig von dem Einkommen der Eltern gezahlt wird.
2. Das "Deutschlandstipendium" ist zum Sommersemester 2011 gestartet und soll den "leistungsstärksten" Studierenden pro Monat 300 Euro - je zur Hälfte finanziert durch den Bund und private Sponsoren - einbringen. Wie stehen Sie zu diesem Modell? In welchem Verhältnis stehen für Sie leistungsabhängige Stipendien und BAföG?
Das sog. Deutschlandstipendium (DS) ist unseres Erachtens,völlig unabhängig davon, ob es nun leistungsabhängig oder nach sozialen Gesichtspunkten gewährt wird, die übelste Mogelpackung, die sich die Politik bis jetzt für die Hochschul- und Studentenförderung ausgedacht hat. Warum?
a) Der größte Teil der staatlichen Mittel, die in das DS fliessen, stammt aus Kürzungen bei bewährten Stipendiengebern (Studienstiftung des Deutschen Volkes etc.).
b) Es setzt eine Einwerbung von 50% der Gelder durch die Hochschulen voraus. Die Folge ist eine Abhängigkeit von der und eine Beeinflussung durch die Wirtschaft. Und es funktioniert nur, wenn entsprechend "wohltätige" Spender aus der Wirtschaft im Einzugsbereich der fraglichen Hochschule vorhanden sind, was nicht immer selbstverständlich ist.
c) Der monatliche Stipendienbetrag ist (verglichen mit den bisherigen Stipendien der etablierten Stiftungen) lächerlich niedrig, kann also weder als eine Leistungsprämie fungieren noch als eine Sicherung des Unterhalts angesehen werden.
d) Das DS erreicht bis jetzt auch nur einen Bruchteil der Studenten, die es laut Schavan-Werbung ursprünglich erreichen sollte (nicht mal 10%).
3. Allgemeine Studiengebühren werden in immer weniger Bundesländern erhoben. In sieben Bundesländern waren sie eingeführt worden, in dreien (Hessen, Saarland und NRW) sind sie mittlerweile wieder abgeschafft worden und auch in Baden-Württemberg und Hamburg ist geplant, sie in den kommenden Semestern abzuschaffen. Bayern dagegen hat dieses Jahr bei berufsbegleitenden Bachelor-Studiengängen sogar höhere Studiengebühren von zunächst bis zu 2000 Euro zugelassen. Welche Pläne verfolgen Sie diesbezüglich für Bremen? Welche Rolle soll Ihrer Ansicht nach die öffentliche Finanzierung des Bildungssystems spielen?
Grundsätzlich sind wir für die Abschaffung aller Studiengebühren. Was die öffentliche Förderung des Bildungssystems angeht, so muss man für eine seriöse Antwort natürlich alle Bildungsträger und nicht nur die Hochschulen einbeziehen und da wird schnell eine starke Ungleichbehandlung zwischen der öffentlichen Förderung von Hochschulstudien und anderen Bildungszügen (Meisterausbildung etc.) sichtbar.
Wenn man tatsächlich Studiengebühren einführt (weil vielleicht nur so die Bildungseinrichtungen auf einem hohen Niveau zu halten sind), dann sollten die, wie das BaföG bisher auch, gestaffelt nach der finanziellen Leistungsfähigkeit der Betroffenen gestaltet werden (also im Extremfall 0 Euro betragen).
4. In den letzten Jahren wurden an vielen deutschen Hochschulen demokratische Strukturen abgeschafft oder durch - in der Regel nicht demokratisch legitimierte - Gremien wie die Hochschulräte in ihren Kompetenzen beschnitten. Was für eine Rolle soll Demokratie an der Hochschule nach Auffassung Ihrer Partei spielen? Haben Sie Konzepte für eine stärkere Demokratisierung der Hochschulen und wenn ja, welche?
Mitbestimmung ist eine Kernforderung der Piratenpartei. Gerade in der schulpolitischen Landschaft wäre es notwendig, dass alle am Bildungsprozess Beteiligten Mitentscheidungsrechte haben. Und wo sollten Schüler und Studenten Mitbestimmung erlernen, wenn nicht in der Schule und der Universität?
Aus unserem Grundsatzprogramm auf den Seiten 18 und 19.: http://wiki.piratenpartei.de/wiki/images/0/04/Grundsatzprogramm-Piratenpartei.pdf
"Die Bildungseinrichtungen sind für die dortigen Schüler und Studenten ein prägender und umfassender Bestandteil ihres Lebens. Sie sind deswegen als Lebensraum der Lernenden zu begreifen, dessen Gestaltung und Nutzung ihnen stets offen stehen muss. Eine demokratische Organisation der Bildungseinrichtungen soll den Lernenden, genau wie den anderen Interessengruppen der Bildungseinrichtungen, eine angemessene Einflussnahme ermöglichen. Auf diese Weise werden demokratische Werte vermittelt und vorgelebt, die Akzeptanz der Entscheidungen erhöht, sowie das Gemeinschaftsgefühl innerhalb der Bildungseinrichtungen gestärkt."
Die Hochschulräte sind natürlich demokratisch legitimiert - so wie die politische Spitze des jeweiligen Ministeriums, das diese Räte i.Wes. einsetzt. Das eigentliche Problem mit Hochschulräten ist unseres Erachtens deren Inkompetenz in Bezug auf Wissenschaftsfragen (in einigen Bundesländern muss nicht mal zwingend der Rektor/Präsident dem Hochschulrat angehören) und die Herkunft der Mitglieder (wissenschaftsfremde Gewerkschafter, Wirtschaftsgrößen, Politiker im Ruhestand, etc.). Auch wenn diese demokratisch legitimiert sind, sorgen sie unweigerlich für eine Fremdbestimmung von Wissenschaft durch wissenschaftsignorante Kräfte. Nicht die fehlende demokratische Legitimation ist also u. E.das Problem, sondern eine als Autonomie verkleidete zunehmende Fremdbestimmung von Bildungseinrichtungen durch bildungsferne Interessenverbände.
5. Die finanzielle Situation der Länder und Kommunen hat sich in den vergangenen Jahren durch eine Vielzahl von Steuerrechtsänderungen stark verschlechtert. Dem Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) in der Hans-Böckler-Stiftung zufolge könnte der Staat alleine 2010 über Mehreinnahmen von 51,5 Mrd. Euro verfügen, würde heute das Steuerrecht des Jahres 1998 gelten. Was für Pläne verfolgen Sie, um die prekäre finanzielle Lage der Bundesländer zu verbessern? Wie stehen Sie in diesem Zusammenhang zu dem aktuellen System des Bildungsföderalismus?
Den Bildungsförderalismus betrachten wir als einen Hemmschuh für wirkliche bildungspolitische Entwicklung, da je nach herrschender Ideologie verfahren wird. Die Steuergesetzgebung des letzten 20 Jahren ist einseitig gewesen und muss revidiert werden. Der Staat hat kein Ausgaben- sondern ein Einnahmenproblem. Dann wären auch ausreichende finanzielle Mittel für die Bildung vorhanden.
6. Eine vor kurzem veröffentlichte Studie des Forschungsinstituts für Bildungs- und Sozialökonomie (FiBS) hat ergeben, dass "bis 2020 bis zu einer Million mehr Studienplätze erforderlich [sind]. Unter Berücksichtigung des Hochschulpakts besteht somit ein Finanzierungsbedarf für weitere 700.000 Plätze. Dieser Bedarf an Studienplätzen ergibt sich daraus, dass bis 2020 jedes Jahr mindestens 400.000 Studienanfänger an die Hochschulen drängen." Stimmen Sie dieser Einschätzung zu? Wenn ja, wie wollen Sie die Vergrößerung des Studienplatzangebots realisieren?
In Bezug auf die Behauptung in der Frage sind uns keine belastbaren Fakten bekannt (das heisst aber nix, vielleicht gibt es sie trotzdem). Was die permanente Steigerung der Studentenzahlen (trotz gegenläufiger Tendenz aus Dingen wie dem Pillenknick, der Wende etc.) angeht, muss man auch sehen, dass ja auch ständig (auf Raten einer Wirtschafts(!)organisation wie die OECD) die Quote der Abiturienten, die studiert, erhöht wird (oder erhöht werden soll).
Realistischerweise ist damit auch (wie man am Beispiel der Einführung der Bachelor-Abschlüsse sieht) eine Absenkung beim Niveau der Studienabschlüsse und eine schleichende Abwertung aller anderen Bildungsabschlüsse verbunden, deren Auswirkungen man u. E. nicht ignorieren sollte.
7. Aktuell wird der Bachelor-Abschluss für immer mehr Studierende zur Sackgasse, da es nicht genug Master-Studienplätze gibt. Wie stehen Sie zu der Umsetzung des Konzepts der Bachelor-Master-Studiengänge in Deutschland - i.d.R. sechssemestriges Bachelor-Studium, Übergangsquoten in Höhe von ca. 30 – 70%, Neubewerbung für ein Master-Studium? Welchen Entwicklungsbedarf und welche Hürden sehen Sie auf diesem Gebiet? Sollte nach Auffassung Ihrer Partei allen BachelorabsolventInnen der Rechtsanspruch auf einen Masterplatz eingeräumt werden?
Diese Sackgasse ist vermutlich von den Bildungspolitikern gewollt.Bachelor/Master sind, jedenfalls in der deutschen Umsetzung, die verlogene*//*Antwort der Politik auf folgende "Probleme":
1.) Die Industrie braucht nur einen Bruchteil der Absolventen, die auf dem Niveau eines Diploms ausgebildet (und entsprechend teuer - Vergleich FH- und Uni-Absolventen) sind, also strebt man einen Regelabschluss auf niedrigerem Niveau an.
2.) Kein Ministerium möchte sich gerne mit hohen Abbrecherquoten konfrontieren lassen und gleichzeitig der OECD folgen. Also bietet man auch leistungsschwächeren Studenten einen passenden Abschluss, bevor sie an den Hürden eines Diploms scheitern. Dabei wird leider nicht immer darauf geachtet, ob diese Studiengänge auch auf einen entsprechenden "Markt" treffen. Und was die Internationalität angeht, so ist diese derzeit allenfalls in der Bezeichnung widergespiegelt. BA/MA-Studiengänge behindern derzeit eher die Mobilität der Studenten.
3.) Natürlich werden die Länder massiv finanziell entlastet, wenn der Regelabschluss nach 6 und nicht nach 9 Semestern erreicht wird und ein Grossteil der Ausbildung kann auch an den FHs und Berufsakademien (!) erfolgen: Deren Bachelorabschlüsse sind formal gleichwertig(soviel zur angeblichen Vergleichbarkeit der neuen BA/MA-Studiengänge). Aufgrund ihrer Konzentration auf die Ausbildung - unter Vernachlässigung der Forschung - kann aber das gleiche Personal an FHs und BAs weit mehr Studenten zu einem Abschluss bringen.
4.) Beworben werden die neuen Abschlüsse mit einer stärkeren Berufsorientierung (Bullshit Bingo Praxisbezug). Man kann also mit diesen Spezialabschlüssen bei einer gleichzeitigen "Flexibilisierung"des Arbeitsrechtes den akuten speziellen Fachkräftebedarf der Industrie besser decken und nach Überalterung des Fachwissens die maßgeschneiderten "Special-purpose" Absolventen auch besser wieder loswerden...
Kurzum: Ausbildung im Stile von BA/MA ist sowohl für die Länder als auch die Wirtschaft wesentlich billiger als Bildung im Sinne der alten Diplomstudiengänge! Daran ändern auch keine Alibiveranstaltungen im BA/MA-System etwas, wie die zu den sog. Schlüsselqualifikationen, die doch bestenfalls nur Defizite in dem den Hochschulen vorgelagerten Teil des Bildungssystems kompensieren können.
Ein Rechtsanspruch auf den Master an der gleichen Hochschule ist wahrscheinlich Unsinn. BA und MA zusammen schaffen es nicht, trotz insgesamt längerer Ausbildung, das an Wissen zu vermitteln, was das Diplom alleine geleistet hat. Allein schon weil ein großer Teil der Zeit für die o.g. Schlüsselqualifikationsmodule verwendet wird. Die Forderung versucht Symptome zu kurieren, anstatt die Krankheit selbst zu heilen. Stattdessen sollte konsequenterweise das alte Diplom zurückverlangt werden (In den USA, aber auch anderen europäischen Ländern wird im Ingenieurbereich zum Teil genau das schon angegangen).
Die zusätzliche Wiedereinführung von Diplomstudiengängen als Auswahlmöglichkeit ist eine konkrete Forderung der Bremer Piratenpartei.