Wahlprüfsteine HochschulpolitikAntworten der SPD Baden-Württemberg
Die elternunabhängige Förderung des Studiums ist ein bildungs- und gesellschaftspolitisches Ziel, das in der SPD seit Jahrzehnten mit prinzipieller Zustimmung diskutiert wird. Der ‚Systembruch‘ gegenüber dem Bisherigen allerdings ist so gravierend und die finanziellen Konsequenzen daraus so unübersehbar oder in ihrer Finanzierbarkeit unter den gegenwärtigen Bedingungen der öffentlichen Haushalte so problematisch, dass diese Forderung für den Augenblick zurückgestellt ist.
Die SPD favorisiert gegenwärtig einen Umbau ‚im System‘, d. h. die Aufrechterhaltung des Bafög (was vor dem Hintergrund von gegenteiligen Meinungen in der CDU nicht selbstverständlich ist), die Anhebung der Einkommensfreibeträge, der Kinderfreibeträge und der Bedarfssätze. Die SPD-Bundestagsfraktion hat dazu in einem Antrag an die Bundesregierung vom 2.3.2010 ein ganzes Bündel von Maßnahmen geschnürt (BT-Drucksache 17/884), das auch bereits die Verwerfungen berücksichtigt aus dem Widerspruch zwischen Bologna-Anspruch und Bologna-Realität, z. B. die durchgehende Förderung beim Übergang zwischen Bachelor und Master. Die elternunabhängige Förderung bleibt in der SPD gleichwohl auf der Tagesordnung.
2. Die Bundesregierung hat die bundesweite Einführung eines "Deutschlandstipendiums" beschlossen, das den "Leistungsstarken" pro Monat 300 Euro einbringen soll. Unterstützen Sie diesen Plan? Wie ist Ihre grundsätzliche Einstellung zu leistungsabhängigen Stipendien im Verhältnis zum BAföG?
Wir sind mit der SPD-Bundestagsfraktion gegen dieses Deutschland-Stipendium, weil es einer fragwürdigen Elite-Konzeption folgt, weil es die Hochschulen mit jeder Menge Einwerbungs- und Verwaltungs-Bürokratie belastet, weil es den Blick verstellt für die tatsächlichen Finanzierungsnotwendigkeiten der Studierenden – und weil es summa summarum nichts anderes ist als eine placebohafte Marketing-Maßnahme einer wissenschaftspolitisch weitgehend sterilen CDU-/FDP-Bundesregierung und ihrer Ministerin.
3. Studiengebühren sind seit ihrer Einführung stark umstritten. In sieben Bundesländern wurden allgemeine Studiengebühren eingeführt (darunter auch in Baden-Württemberg), zwei (Hessen und Saarland) haben sie mittlerweile wieder abgeschafft, in Nordrhein-Westfalen ist die Abschaffung geplant. Bayern hat dagegen Pläne, bei berufsbegleitenden Bachelor-Studiengängen sogar höhere Studiengebühren von zunächst bis zu 2000 Euro zuzulassen. Welche Pläne haben Sie für Baden-Württemberg? Wenn sie die Gebühren abschaffen wollen, wie wollen sie mit den Einnahmeausfällen der Hochschulen umgehen?
Die baden-württembergische SPD wird die Studiengebühren abschaffen. Sie vertritt diese Position seit jeher und bekämpft diese sozial selektiven Gebühren seit dem Jahr 2007, als sie hierzulande durch CDU und FDP eingeführt wurden. Die den Hochschulen dadurch entstehenden Einnahmeausfälle werden wir den Hochschulen erstatten, weil die strukturelle, durch CDU und FDP zu verantwortende Unterfinanzierung die Hochschulen gezwungen hat, fehlende Grundfinanzierung mit jeder Menge verschleiernder Rhetorik aus den Studiengebühren auszugleichen.
4. Was halten Sie von den sozialen Bewegungen, die Demokratie nicht mehr nur als System, bei dem man alle vier Jahre Stimme abgibt, verstehen wollen (z.B. das Bildungsstreik-Bündnis, die Proteste gegen Stuttgart 21)? Ist Ihres Erachtens mehr Mitsprache und Mitbestimmung "von unten" nötig und möglich? Sind Ihrer Auffassung nach in diesem Sinne auch an den Hochschulen Veränderungen notwendig?
Die demokratische Staatsform ist geradezu charakterisierend davon geprägt, dass sie Wandel will und Wandel ermöglicht. Wenn die parlamentarische Variante den Menschen nicht mehr in dem Maße Partizipationsmöglichkeiten eröffnet, wie sie es sich wünschen und erwarten, dann wollen wir als SPD dazu beitragen, dass Elemente unmittelbarer Demokratie die parlamentarisch verfasste Demokratie ergänzen – die Schweiz ist ein gutes Beispiel, dessen ‚Praxistauglichkeit‘ in unseren Verhältnissen zu prüfen ist. Unser Verständnis von direkter Demokratie dokumentiert sich in der Absicht, nach einer erfolgreichen Landtagswahl das Thema Stuttgart 21 dem Volk zur Entscheidung vorzulegen.
Für die Hochschulen gilt dies in besonderem Maße. Wer den Menschen an den ‚hohen Schulen‘ Partizipationsmöglichkeiten verweigert und stattdessen das Modell der unternehmerischen Hochschule mit einem rigiden Direktorialprinzip und Aufsichtsgremien mit externer Dominanz favorisiert, der unterliegt einem grundsätzlichen Missverständnis: Demokraten werden nicht zu entmündigten Wissenschaftsproduzenten, wenn sie durch das Tor einer Universität treten. Wer sie aber so behandelt, der entmutigt, schafft Distanz zur Institution und nimmt Motivation. Die SPD will dafür sorgen, dass die Hochschulidee einer Gemeinschaft von Lehrenden und Lernenden auch unter den heutigen Bedingungen Wirklichkeit werden kann.
5. In allen Bundesländern außer Bayern und Baden-Württemberg gibt es so genannte "Verfasste Studierendenschaften", also gesetzlich verankerte Gremien der studentischen Selbstverwaltung. Wie stehen Sie zur studentischen Selbstverwaltung? Mit welchen Rechten sollte diese Ihrer Einschätzung nach ausgestattet sein? Gibt es in Baden-Württemberg Änderungsbedarf, z.B. die Einführung einer "Verfassten Studierendenschaft"?
Es war im Jahr 1977, als CDU-Ministerpräsident Filbinger die Verfasste Studierendenschaft abschaffte, weil er seine Vorstellungen von Staat und Gesellschaft durch die Aktivitäten der Studierenden an den Hochschulen fundamental beeinträchtigt sah. Dieses Trauma behelligt die CDU bis heute und so hat sie bis heute die Wiedereinführung einer wirksamen Studierendenvertretung an den Hochschulen verhindert – auch unseren letzten Vorstoß in einem gemeinsamen Gesetzentwurf mit den GRÜNEN (http://www.landtag-bw.de/WP14/Drucksachen/7000/14_7307_D.pdf). Diesem Gesetzentwurf sind die Zielsetzungen und Modalitäten zu entnehmen, die wir dabei im Auge haben. Die SPD wird im Falle einer erfolgreichen Landtagswahl im März die (Wieder-)Einführung einer handlungsfähigen und demokratisch legitimierten Studierendenvertretung auf die Agenda setzen.
6. Der Anteil der staatlichen Grundmittel für die Finanzierung der Hochschulen ist von 1980 bis 2007 von 72,3 auf 50,1 % gesunken, während im gleichen Zeitraum die Finanzierung über Drittmittel- und Verwaltungseinnahmen massiv zugenommen haben. Wie stehen Sie dazu, dass die öffentliche Finanzierung der Hochschulen in den letzten Jahrzehnten mehr und mehr zurückgefahren wurde?
Konservative Landesregierungen halten bis heute an der Ideologie fest, man müsse nur möglichst große Anteile der Hochschulfinanzierung volatil halten und nach Leistung vergeben, dann würden die Hochschulen optimal leistungsfähig werden. Im Gegenzug müsse die garantierte Grundfinanzierung reduziert werden, weil sie frei von Leistungsanreizen sei. Im Zuge dieser Politik konnte sich der Staat mehr und mehr aus der Finanzierungsverantwortung schleichen. Eine Teilkompensation gab es durch private Drittmittel, die grundsätzlich zu begrüßen sind, aber die Besonderheit haben, dass sie in ihrer Verwendung dem Zweck unterliegen, für die sie gegeben sind – und dieser Zweck ist nicht die Grundfinanzierung. Aus Sicht der SPD sind Hochschulen öffentliche Einrichtungen. Sie sind in staatlicher Gewährträgerschaft und daraus erwächst der Anspruch auf eine auskömmliche Grundfinanzierung.
7. Was halten Sie von der so genannten "Schuldenbremse", die nach Ihrem Einzug ins Grundgesetz nun aktuell auch in immer mehr Landesverfassungen aufgenommen wird? Die Bildungsgewerkschaft GEW vertritt hier sehr pointiert die Auffassung, dass diese "Bremse" vor allem zu Sozialabbau führe und daher nicht anderes als eine "Bildungsbremse" sei. Wie stehen Sie dazu?
Die Schuldenbremse muss keinesfalls zu Sozialabbau führen. Sie bedeutet lediglich, dass wir mit der Schuldenbremse die heutigen Ausgaben auch mit den heutigen Einnahmen finanzieren müssen und nicht mehr über Schulden zu Lasten der nächsten Generation.
8. Eine vor kurzem veröffentlichte Studie des Forschungsinstituts für Bildungs- und Sozialökonomie (FiBS) hat ergeben, dass "bis 2020 bis zu einer Million mehr Studienplätze erforderlich sind. Unter Berücksichtigung des Hochschulpakts besteht somit ein Finanzierungsbedarf für weitere 700.000 Plätze. Dieser Bedarf an Studienplätzen ergibt sich daraus, dass bis 2020 jedes Jahr mindestens 400.000 Studienanfänger an die Hochschulen drängen."
Stimmen Sie dieser Analyse zu? Wenn ja, wie wollen Sie die Vergrößerung des Studienplatzangebots realisieren?
Versuche, die Entwicklung der Nachfrage nach Studienplätzen zu prognostizieren, schlagen traditionell fehl – die Determinanten sind allzu variabel, im Zeitverlauf nicht konstant und in ihrer Entwicklung häufig sprunghaft. Das baden-württembergische Hochschulausbauprogramm wegen des doppelten Abiturientenjahrgangs aus der Schulzeitverkürzung von 9 auf 8 gymnasiale Jahre ist ein Beispiel dafür: ursprünglich auf 16.000 Studienplätze taxiert, dann auf 20.000 erweitert – und jetzt kommen die zusätzlichen Studienanfänger aus der Suspendierung des Wehr- und Zivildienstes dazu - und die sind bislang überhaupt nicht berücksichtigt.
Aus Sicht der SPD ist die Auffassung verantwortungslos, das werde sich schon irgendwie ‚zurechtrütteln‘. Wir müssen den Studierenden und den Studienbewerbern eine ausreichende Anzahl von Studienplätzen in unverändert hoher Qualität anbieten, auch in Zeiten der Höchstbelastung. Die Qualität eines Studiums darf nicht darunter leiden, zufällig einer ‚Höchstlast‘-Generation anzugehören, die auf unterausgestattete Einrichtungen trifft. Deshalb wollen wir einen gezielten, der Nachfrage angepassten Ausbau unserer Hochschulen.
9. Aktuell wird der Bachelor-Abschluss für immer mehr Studierende zur Sackgasse, da es nicht genug Master-Studienplätze gibt. Wie stehen Sie zu der Umsetzung des Konzepts der Bachelor-Master-Studiengänge in Deutschland – i.d.R. sechssemestriges Bachelor-Studium, Übergangsquoten in Höhe von ca. 30-70 %, Neubewerbung für ein Master-Studium? Welchen Entwicklungsbedarf sehen Sie auf diesem Gebiet?
Das Schweizerische Bundesamt für Statistik hat ganz aktuell in einem "Bologna Barometer 2010" festgestellt, dass in der Schweiz 90 Prozent der Studierenden nach dem Bachelor einen Master-Abschluss anstreben. Es mag dahin gestellt bleiben, ob diese Dimension auch in Deutschland zu erwarten ist, wo wir es ja mit einem differenzierteren Hochschulsystem mit Fachhochschulen, Dualen Hochschulen etc. zu tun haben. Die ursprüngliche Bologna-Vision aber, die von einem weit überwiegenden Bachelor-Anteil ausging, der berufsqualifiziert die Hochschule verlässt und einer kleinen Zahl von Master-AspirantInnen, die in der Hochschule zur wissenschaftlichen Qualifikation verbleiben, wird auch in Deutschland nicht Wirklichkeit werden. Damit entfällt eine zentrale Annahme, die für die konzeptionell-organisatorische Gestaltung des Bologna-Prozesses in Deutschland wesentlich war: daran orientierte sich die Semesteranzahl, daran orientierten sich die Curricula, daran orientierte sich die Finanzierung.
Dass die Arbeitsmärkte den Bachelor nicht in dem Maße akzeptieren, wie ursprünglich angenommen und dass Universitätsrektoren mittlerweile den Bachelor als Vordiplom qualifizieren und den Master als Regelabschluss, weist auf einen krisenhaften Zustand des Bologna-Prozesses hin. Diese Krise darf nicht die Studierenden zu Opfern machen. Wir freuen uns über jeden Bachelor, der nach dem Studium einen Berufseinstieg findet; wenn aber in Teilarbeitsmärkten der Bachelor nicht ausreicht, sondern Master-Abschluss vorausgesetzt wird, dann muss die Möglichkeit zum Master-Studium eröffnet werden und zwar ohne eine restriktiven numerus clausus. Deshalb will die baden-württembergische SPD einen Anspruch der Studierenden auf Zulassung zum Master-Studium; unser entsprechender Gesetzentwurf wurde im Landtag durch CDU und FDP abgelehnt.
10. Viele Studienfächer sind inzwischen zulassungsbeschränkt. Studieninteressierte sind daher gezwungen, sich an einer größeren Zahl von Hochschulen zu bewerben und Bewerbungen wieder zurückzuziehen, falls doch ein Platz an einer bevorzugten Hochschule frei wird. Nun gibt es offenbar bereits Streit um die Kostenverteilung bei der ab kommenden Wintersemester geplanten zentralen (wenn auch freiwilligen) Koordinierung durch die Stiftung für Hochschulzulassung. Wollen Sie sich in diese Auseinandersetzung einmischen und die Hochschulen ihres Landes zu einer einheitlichen Linie drängen bzw. durch finanzielle Zusagen des Landes eine Teilnahme aller Hochschulen des Landes ermöglichen?
Es wäre aus unserer Sicht ein grundfalsches Autonomieverständnis, wenn die Hochschulen daraus ableiten würden, sich aus der Möglichkeit einer zentralen Hochschulzulassung auszuklinken – und dafür die unübersehbaren Friktionen in Kauf zu nehmen, denen die Bewerberinnen in den letzten Jahren ausgesetzt waren. Diese Probleme auf die Schultern von jungen Menschen zu laden, die an der Misere keinerlei Verantwortung tragen, aber den ganzen (auch finanziellen!) Schaden, ist eine beispiellose Fehlentwicklung, die unbedingt korrigiert werden muss (wir hatten darauf gedrängt, dass die Teilnahme der Hochschulen obligatorisch gestaltet wird). Und wenn die Gesetzgebung im Einvernehmen mit den Hochschulen hochschuleigene Zulassungsverfahren installiert hat, die ihrer Natur nach selbstverständlich zentralisierungskritisch sind, dann müssen das Land und die Hochschulen auch dafür grade stehen und dafür sorgen, dass der Studienplatz zu den Studierenden kommt und zwar rechtzeitig. Dafür müssen die leidigen Software-Probleme endlich gelöst werden und dann muss das Geld zur Verfügung stehen, damit es ein bundesweit zuverlässiges Zulassungsverfahren für unsere Hochschulen gibt.