Erfolg studieren?Deutsche Universität für Online-Chat
Von Ralf Hutter
Berlins jüngste Uni ist nun, je nach Zählweise, zwischen einem und zweieinhalb Jahren alt – und hat doch, laut verschiedener Geburtstagsgäste, bereits das Alter der Kindersterblichkeit überwunden, kommt in die Pubertät, und ist "ganz schön erwachsen geworden", geradezu eine "Persönlichkeit". Gefeiert wurde im September die Aufnahme des Lehrbetriebs vor einem Jahr, und das Wohlwollen der relativ prominenten Gratulanten (darunter ein aktueller und ein Ex-Staatssekretär) zeigt, dass hier eine große Geschichte ihren Anfang nehmen soll.
Ohne lebenslange Weiterbildung nur Stillstand? Das sollen alle glauben und ständig in ihre Bildung investieren, am besten aus eigener Tasche ...
Es geht um Weiterbildung, lebenslange wohlgemerkt, und um Deutschland, dessen zentrale Ressource im Kampf der Industriestandorte bekanntlich sein Ausbildungssystem ist. Es geht um nichts weniger, als um das hierzulande erste langfristig funktionierende Geschäftsmodell für den Weiterbildungssektor, das sich mit dem Titel einer staatlich anerkannten Universität schmücken darf. Es geht um die Deutsche Universität für Weiterbildung GmbH (DUW), ein Gemeinschaftsunternehmen der Freien Universität Berlin (FU) und der zur Klett-Gruppe gehörenden Deutschen Weiterbildungsgesellschaft mbH.
Die DUW wurde im April 2008 vom Berliner Senat genehmigt. Im September 2009 nahm sie mit sechs Masterstudiengängen und 13 Zertifikatskursen – die sich alle an Menschen mit Berufserfahrung richten – den Lehrbetrieb auf, in fünf Jahren sollen es jeweils die Hälfte mehr sein. Die Zahl der fest Angestellten beläuft sich auf 25, davon die Hälfte im wissenschaftlichen Bereich. 100 Honorarkräfte aus Wissenschaft (FU-Personal wird dabei wie jedes andere bezahlt) und Wirtschaft sorgen dafür, dass die DUW zum "Meetingplace" dieser beiden Sektoren wird, wie es Präsidentin Ada Pellert bei der Geburtstagsfeier (Titel: "Wissenschaft trifft Wirtschaft") ausdrückte.
Personalentwicklung à la Humboldt?
Nicht nur die ständige Verwendung einschlägiger Anglizismen – bei der Feier nannte sie etwa die ersten DUW-Studierenden "real existierende Life-long Learners" – qualifiziert Pellert für ihr Amt. Sie war zuletzt Professorin für Bildungsmanagement und Vizepräsidentin an der Donau-Universität Krems (Österreich) und wird von der DUW als Expertin für Personalentwicklung und -management sowie "Hochschulmanagementausbildung in Europa" vorgestellt. Ihrem Rang und dem ihrer neuen Institution entsprechend, schlägt sie in den DUW-Präsentationsmaterialien mahnende Töne an: In Deutschland müsse sich noch der Gedanke durchsetzen, dass Weiterbildung "nachhaltig zur Wertschöpfung beitragen" könne. Die Entwicklung der zentralen Ressource Bildung und so weiter, der Tenor ist bekannt.
Pellerts Mahnungen an Land und – in Form von Aufrufen zu einer methodischen Lebensführung der Selbstrationalisierung – Leute werden von Thomas Sattelberger geteilt, wenn er vom "Portfoliomanagement der eigenen Kompetenzen" spricht. Der Personalvorstand des Telekom-Konzerns und, wie er selbst sagt, als FU-Kuratoriums-Mitglied Geburtshelfer der DUW, hielt bei der Geburtstagsfeier die Festrede und inszenierte sich dabei als Humankapital-Entwickler mit moralischem Anspruch: Der "angelsächsische MBA" (Master of Business Administration) sei der "Sündenfall der Ökonomie" gewesen, denn diese Ausbildung habe dazu verführt, sich nur noch "dem Finanzkapital an den Hals zu werfen". Von Ethik und anderen europäischen Traditionen sei da keine Spur, dabei müsse doch Bildung auch die von Humboldt geforderte "Charakterbildung" beinhalten.
In die gleiche Kerbe wie Sattelberger, der die DUW als "Brücke von Humboldt zu Bologna" bezeichnete – also zum seit einem Jahrzehnt offiziell laufenden Prozess der Etablierung eines gemeinsamen europäischen Hochschulraumes als Teil der Bemühungen, Europa zum kapitalfreundlichsten Standort der Welt zu machen –, haute FU-Präsident Peter-André Alt. Er wärmte in seinem Grußwort die Lebenslüge des professoralen Berufsstandes auf: "Die Bildungskonzeption des deutschen Idealismus repräsentiert auch heute, in den Zeiten von Universitätsmanagement, Ausdifferenzierung des Hochschulsystems, Internationalisierung und Drittmittelforschung ein unveräußerliches Kernelement akademischer Selbstbestimmung und Identitätsstruktur." Zwar ist längst erwiesen, dass die Uni gemäß den Entwürfen Wilhelm von Humboldts ein Mythos des 20. Jahrhunderts ist (Humboldts zentrale Schrift dazu wurde erst 1900 einer breiteren Öffentlichkeit bekannt, 90 Jahre nach ihrer Abfassung; seine Leitideen waren ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auf Grund der bereits erfolgten strukturellen Entwicklungen im Hochschulsektor Makulatur und taugten nur noch für diskursive Zwecke), doch Alt setzt die Beschwörung fort: "Obwohl die Ziele der Weiterbildung nicht zweckfrei und damit genuin außerwissenschaftlich bleiben, lassen sie sich nach meiner Überzeugung mit der alten Idee der Universität durchaus in Einklang bringen. Auch Humboldt ging schließlich vom Gedanken des lebenslangen Lernens aus." Hatte der olle Humboldt das aber nicht vielleicht ganz anders gemeint? Alt meint: Nein. Auf Grund der "sehr idealistischen Konzepte, die da im Pragmatismus des Weiterbildungsmodells aufscheinen", sei letzteres "im Kern ein Humboldt'sches Projekt".
Alts Postulat, "dass Bildung ein anthropologisches Unikat darstellt, das über die Zweck-Mittel-Beziehung einer reinen Fachqualifikation hinausgeht", verträgt sich jedoch schlecht mit der Selbstdarstellung der DUW: "Die DUW versteht sich ausdrücklich als Partnerin der betrieblichen Personalentwicklung." In den Studiengang-Beiräten sitzen Abgesandte einschlägiger Unternehmen.
Die Ausrichtung der DUW an rein kapitalistischen Bedürfnissen wird auch daran klar, dass normale Sterbliche bei weitem nicht alle Titel der Studiengänge und Zertifikate verstehen dürften. Anglizismen wie "Personal Skills", "Bildungsmanagement" und "Public Affairs" (dieser Master soll übrigens explizit für eine Tätigkeit im Brüsseler EU-Lobbyismus ausbilden) sind relativ bekannt. Doch was sind "Compliance" und "Controlling", die in verschiedenen Varianten angeboten werden, was ist "Change Management"? Die zweijährigen Master-Programme führen übrigens automatisch zu einigen der Zertifikate, von denen die meisten längeren (vier oder acht Monate) wiederum selbst Zusammensetzungen der grundständigen zweimonatigen sind. Die Kosten betragen zwischen 625 (Master) und 925 (zweimonatiges Zertifikat) Euro im Monat.
Online-Chat als Kompetenz?!?
Im ersten Jahr gab es 200 Anmeldungen, was als deutlich suboptimal angesehen wird. Der Studienbeginn ist übrigens jederzeit möglich, da es nur wenige Präsenztage gibt. Das Lernkonzept heißt "Blended Learning", was eine Mischung aus Selbststudium, Online-Aufgaben und -Sitzungen sowie Präsenzphasen bedeutet. Die DUW ist also eine Fernstudien-Einrichtung, doch sie wirbt damit, dass ihre Angebote mit wissenschaftsbasierter Wissensvermittlung einhergehen. Für die eigene Wissensproduktion sorgen eine Forschungssstelle für Weiterbildungsforschung und Bildungsmanagement sowie eine für Sicherheitsforschung. Präsidentin Pellert betont gerne, dass es um Reflexion geht, dass die DUW "reflektierende Praktikerinnen und Praktiker" ausbilde.
Welche konkreten Kompetenzen werden denn nun an der DUW vermittelt? Diese Frage stellte die Moderatorin der Geburtstagsfeier an die im Publikum sitzenden ersten DUW-Zertifizierten. Es folgte der peinlichste Moment der Veranstaltung, denn nach langen Sekunden der Stille lautete die einzige Antwort: "Online-Chat". Erst nach Wiederholung der Frage kam noch: "Flexibilität".
Das wird Arthur Zimmermann aber wohl nicht von seiner Meinung abbringen: "Humboldt würde Blended Learning studieren", behauptete das Vorstandsmitglied der Klett-Gruppe. Diese (Motto: "Unternehmen Bildung") gibt an, "mit 60 Unternehmen der führende Bildungsanbieter Deutschlands" zu sein. Über die Hälfte ihres Umsatzes erzielt sie mit "Bildungsverlagen". Bereits 1994 gründete sie die DUW-Gesellschafterin Deutsche Weiterbildungsgesellschaft, seit 2008 eröffnet die Firma Swiss International School unter ihrer Beteiligung zweisprachige Ganztagsschulen, 2009 kaufte sie das Heidelberger "Institut für Management" FORUM, das sich der "Weiterbildung von Fach- und Führungskräften der Wirtschaft" widmet.
Hohe private und staatliche Investitionen
Warum beteiligt sich aber solch ein Unternehmen an der DUW, wenn, wie Zimmermann in seiner Rede bemerkte, mit deutschen Privatunis kein Geld zu verdienen ist? Der Klett-Vorstandsvorsitzende Manfred Antoni antwortet, Klett sei "als deutsches Unternehmen anders orientiert". Es schaue, im Gegensatz zu den angelsächsisch geprägten, nicht nur auf's Geld, sondern wolle auch einen "kulturellen Beitrag" leisten. Es sei der "Impetus der Familie" Klett, im Bildungsbereich gemäß moralischer Werte aktiv zu sein. Auch bei der DUW werde das Unternehmen deshalb "auf lange Jahre zuschießen".
Während Klett zur DUW-Gründung fünf Millionen Euro überwies, leistete die FU ihren Beitrag in gleicher Höhe in Form eines Gebäudes samt Renovierung. Auf die Frage nach dem Eigentumsverhältnis bezüglich des DUW-Domizils ist aus der FU zu hören, es sei weder vermietet, noch verkauft. DUW-Geschäftsführer Udo Thelen drückt sich klarer aus: "Das DUW-Gebäude wurde der Trägergesellschaft der DUW durch die FU Berlin übereignet."
Vor der Übergabe des Gebäudes musste noch das dort ansässige Ethnologie-Institut der FU entfernt werden. Das ging schnell: Zwischen Räumungs-Order und Auszug im Februar 2007 lagen nur zwei Monate, was für erheblichen Unmut bei den Betroffenen sorgte, die bis heute auf mehrere Gebäude verteilt sind. Ethnologie-Professor Georg Pfeffer kommentierte den Vorgang bereits 2009 so: "Die Universität will aus bekannten Gründen Einkommen generieren. Sie reduziert deshalb die Präsenz jener Fächer, die für ein solches Unterfangen unerheblich sind."
Für den Zukunftsmarkt Weiterbildung gerüstet sein
Einnahmen dürfte die DUW der FU laut Antoni, wenn überhaupt, erst in Jahrzehnten verschaffen. Warum also hat die FU die DUW in einem ihrer Gebäude aufgenommen, vorher eilends ein Institut rausgeworfen und zusätzlich eine aufwändige Renovierung springen lassen? "Bei der Beteiligung handelt es sich um eine innovative Erweiterung des Bildungsangebots in Berlin. Die FU will mit der DUW auf dem stark umkämpften Weiterbildungsmarkt eine gute Position erreichen", lautet auf Anfrage die Rechtfertigung aus der zuständigen Berliner Hochschulbehörde. Die FU-Verwaltung, die "von den Erfahrungen eines etablierten privatwirtschaftlichen Anbieters weiterbildender Studiengänge profitieren" will, gibt folgende Begründung: "Gemäß dem Berliner Hochschulgesetz gehört es zu den Aufgaben der Berliner Hochschulen, weiterbildende Studiengänge anzubieten sowie für allgemeine Weiterbildungsmöglichkeiten Sorge zu tragen."
Torsten Bultmann, Geschäftsführer des Bundes demokratischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, bestätigt das. Berufliche Weiterbildung gehöre offiziell schon lange zu den Kernaufgaben deutscher Universitäten, habe bis vor relativ kurzer Zeit aber nur sehr geringe Ausmaße gehabt. Dass sich das änderte, als sich der Zwang zur Einnahmengenerierung breit machte, liegt nahe – weiterbildende Studiengänge sind normalerweise kostenpflichtig. Laut Bultmann haben sich etwa die deutschen Fachhochschulen mittlerweile darauf verlegt, statt grundständiger Masterstudiengänge fast nur noch als weiterbildend deklarierte anzubieten – der frühere bayerische Wissenschaftsminister Thomas Goppel habe sogar explizit diese Anweisung gegeben.
Kostenpflichtige Weiterbildung statt kostenloses (Grund-)Studium?
Auf Anfrage von studis-online.de kann Wolfgang Albers derartiges für Berlin nicht bestätigen. Der hochschulpolitische Sprecher der Linksfraktion im Berliner Abgeordnetenhaus sieht keine Tendenz der teilweisen Aushebelung des von seiner Partei erkämpften grundsätzlich kostenlosen Berliner Studienangebots. Zu den DUW-Hintergründen, insbesondere des FU-Beitrags von fünf Millionen Euro, kann Albers nicht viel sagen. Zwar ist er der Ansicht, der Hochschuletat sei im Wesentlichen für Lehre und Ausbildung der Immatrikulierten zu verwenden, und spricht sich skeptisch bezüglich eigener Einnahmequellen von Unis aus. Doch tritt hier ein grundsätzlicher Widerspruch hervor: Albers findet, Weiterbildung solle ruhig kostenpflichtig sein, widerspricht aber gleichzeitig auch nicht dem geltenden politischen Auftrag an die Unis, Weiterbildung anzubieten. Damit sind nun eben die Uni-Schleusen für Einnahmequellen weit geöffnet. Das wurde längst auch an der 2006 und 2008 für ihr unternehmerisches Präsidium ausgezeichneten FU erkannt. Auch hier werden seit Jahren verstärkt kostenpflichtige weiterbildende Master eingerichtet, was sich mitunter auf die Ausrichtung einzelner Institute auswirkt (siehe den Artikel Weiterbildung auf Uni-Kosten).
Der dem besagten unternehmerischen Präsidium vorstehende, inzwischen die Hamburger Uni leitende Dieter Lenzen (siehe auch hier) passt übrigens sehr gut zur DUW. Er könnte die Ergänzung zu den nicht ganz befriedigenden Antworten von Berliner Senat und FU zur Motivation für die Schaffung der DUW sein. Lenzen wurde nämlich einer größeren Öffentlichkeit 2003 als Hauptverantwortlicher der im Auftrag der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (VBW) erstellten Großstudie "Bildung neu denken!" bekannt. Eines der zentralen Elemente dieses großen Entwurfes ist systematisch fremd gesteuertes lebenslanges Lernen. Konkreter: Alle Menschen sollen im Bewusstsein ihrer vermeintlichen Verantwortung für die persönliche "Bildungsbiografie" in zum Teil extra dafür geschaffenen Institutionen immer wieder ihre Passfähigkeit mit dem Arbeitsmarkt verbessern.
Gegen Ende seines DUW-Festvortrages proklamierte Telekom-Vorstand Sattelberger: "Die wissenschaftliche Weiterbildung ist in Deutschland noch eine Commodity." "Commodity" bezeichnet unter anderem einen auf einem Markt gehandelten Rohstoff. Zumindest in Berlin hat die Ausschlachtung im großen Stil begonnen.