Studie des StifterverbandsStimmungsmache für Studiengebühren
Jens Wernicke: Herr Himpele, der Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft hat vor kurzem in einer Pressemeldung bekannt gegeben, eine aktuelle Studie ("Ländercheck: Auswirkungen von Studiengebühren") von ihm belege, Studiengebühren schreckten nicht vom Studium ab. Sie haben sich die Untersuchung genauer angesehen und bezweifeln, dass dieses Ergebnis so stimmt. Warum?
Klemens Himpele, Referent für Hochschule und Forschung beim Hauptvorstand der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Er beschäftigt sich schon seit vielen Jahren mit dem Thema Studiengebühren.
Klemens Himpele: Zunächst: Die Ergebnisse des Stifterverbands widersprechen einer Erhebung des Hochschul-Informations-Systems im Auftrag des Bundesbildungsministeriums, wonach sich bis zu 18.000 Studienberechtigte pro Jahr durch Studiengebühren von der Aufnahme eines Studiums abschrecken lassen.
Betrachtet man dann die Studie des Stifterverbands, fällt zudem eine fragwürdige Datenauswahl auf: Der Stifterverband vergleicht die Daten des Wintersemesters 2005/06 mit jenen des Wintersemesters 2008/09. Spätestens mit dem Studiengebührenurteil des Bundesverfassungsgerichts im Januar 2005 war aber bereits klar, dass es in einigen Ländern Studiengebühren geben wird. Der Stifterverband nimmt also einen Zeitpunkt, an dem mögliche Abschreckungswirkungen bereits zum Tragen gekommen sind, als Referenzpunkt und vermeintlich neutrale Ausgangssituation an. Schließlich wird Hessen den gebührenfreien Ländern zugerechnet. Wenn man wirklich eine mögliche Abschreckungswirkung untersuchen wollte, ist das problematisch, da Hessen Studiengebühren hatte und diese erst vor kurzem wieder abgeschafft hat.
Als dritter Punkt lässt sich anführen, dass es bereits Daten für das Wintersemester 2009/10 gibt. Ich habe die Berechnungen des Stifterverbands einmal für einen einzelnen Indikator – nämlich jenen der Studierendenzahlen - nachvollzogen und komme selbst auf dieser Ebene zu erheblich anderen Ergebnissen.
Das heißt ja nicht mehr und nicht weniger, als dass sie grundsätzlich an dieser Studie zweifeln? Die Vergleichsmaßstäbe sind unseriös gewählt, Hessen wird falsch zugeordnet – und selbst die zugrundegelegten Daten stimmen womöglich nicht?
Die Daten werden schon stimmen – sie stammen aber aus den falschen Jahren. Ein Beispiel: Legt man die Annahmen des Stifterverbandes und die Daten des Statistischen Bundesamts zu Grunde, dann gibt es bei der Entwicklung der Studierendenzahlen kaum Unterschiede zwischen Gebührenländern (ohne Hessen) und Ländern ohne Gebühren. Bei ersteren sind die Studierendenzahlen zwischen den Wintersemestern 2005/06 und 2008/09 um 1,8 Prozent gestiegen, bei zweiteren um 2,4 Prozent.
Hin- und Hergerechne mit Daten zu Studiengebühren - wer vergleicht was warum?
Sortiert man nun Hessen um und vergleicht die Daten des Wintersemesters 2008/09 mit den Daten vor der Studiengebührendebatte – ich habe das Wintersemester 2003/04 gewählt –, so geht die Studierendenanzahl in den Gebührenländern um 1,3 Prozent zurück, in den Ländern ohne Gebühren steigt sie aber um 4,2 Prozent (siehe Tabelle unten). Verwendet man die aktuellsten Daten, ergibt sich ebenfalls ein Unterschied zwischen gebührenerhebenden und gebührenfreien Ländern. Das müsste man jetzt für alle Indikatoren der Studie überprüfen. Es besteht jedoch mindestens der Verdacht, dass hier sozusagen "passende" Zahlen ausgewählt wurden.
Wie müsste denn eine Studie aussehen, die das Thema Wirkung von Studiengebühren behandelt und für sie glaubwürdig ist?
Sie müsste erstens die richtigen Daten verwenden, zweitens kommt man ohne eine Befragung der Betroffenen kaum aus. Drittens müssten Kontextfaktoren berücksichtigt werden. Um Abschreckungseffekte sauber auf Gebühren zurückführen zu können, müssten auch andere Abschreckungseffekte wie beispielsweise immer höhere Zulassungsbeschränkungen beachtet werden. Diese sind in allen Bundesländern unterschiedlich verbreitet – und das wirkt dann eben auch auf die Ergebnisse zurück. All das ist vom Stifterverband aber gar nicht berücksichtigt worden.
Und aus dem vorhandenen Material leitet der Stifterverband dann dennoch was genau ab?
Er behauptet anhand seiner Untersuchungsergebnisse belegen zu können, es gäbe keine Hinweise auf eine Abschreckungswirkung von Studiengebühren. Das ist jedoch, wie ich darzustellen versucht habe, einigermaßen dreist.
Und wie bewerten Sie das?
Es geht hier recht eindeutig um Stimmungsmache und nicht die Beantwortung der Frage der Wirkung von Studiengebühren. Das verwundert nicht, denn wenn jetzt nach Hessen und dem Saarland auch Nordrhein-Westfalen die Studiengebühren abschaffen wird, dann wäre das ein großer Erfolg der Gebührengegner. Deshalb munitioniert der Stifterverband mit seiner Studie nun sozusagen die Gebührenbefürworter. Man geht wohl davon aus, dass niemand so genau hinschauen wird und sich einmal in die Welt gesetzte "Ergebnisse" schon verbreiten und auch glaubwürdig werden.
Was setzen Sie dagegen?
Nur, weil es einige nicht wahrhaben wollen, bleibt dennoch Fakt: Studiengebühren verhindern Bildungsbeteiligung. Auch wenn man sie mittels Krediten später abzahlen kann oder könnte - Menschen, insbesondere jene aus so genannten "bildungsfernen Schichten", scheuen Verschuldung.
Die vorliegende Studie ist diesbezüglich in keiner Weise dazu geeignet, auch nur im Ansatz seriös an diesen Erkenntnissen zu rütteln. Von derlei Manövern dürfen sich die Befürworter eines guten und unentgeltlichen Bildungssystems für alle Menschen auch in Zukunft nicht verrückt machen lassen. Stattdessen müssen wir uns immer genau anschauen, worum es wirklich geht und was vermeintlich bewiesen oder nicht bewiesen werden kann und worden ist.
Im aktuellen Fall jedenfalls geht es um Stimmungs- und Meinungsmache ohne jede Substanz. Die nutzt, wenn überhaupt, nur wenigen: Nämlich denjenigen, die als Mäzene anstatt höhere Steuern für sich zu akzeptieren lieber Gebühren von denjenigen fordern, die weniger haben.
Vielen Dank für das Gespräch.
Hintergrund: Der Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft
Der Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft (https://www.stifterverband.de/) ist eine Gemeinschaftsaktion der deutschen Wirtschaft.
In ihm haben sich rund 3.000 Unternehmen, Unternehmensverbände, Stiftungen und Privatpersonen zusammengeschlossen, um Wissenschaft, Forschung und Bildung in ihrem Sinne voranzubringen. Seine vom Finanzamt als gemeinnützig eingestuften Aktivitäten finanziert der Verband dabei ausschließlich über Beiträge und Spenden seiner Mitglieder und Förderer.
Auf seiner Homepage plädiert er unter anderem für die Umwandlung staatlicher Universitäten in Stiftungen respektive die Gründung von Stiftungen durch deutsche Hochschulen und postuliert dabei: "Die Bedeutung privater Wissenschaftsfinanzierung wächst seit langem. Die Errichtung einer Stiftung bedeutet für eine Hochschule einen Meilenstein auf dem Weg zu mehr finanzieller Autonomie. Denn eine Hochschulstiftung kann einen entscheidenden Beitrag für die erfolgreiche Akquisition von Drittmitteln leisten. Sie ist daher Bestandteil einer soliden Strategie zum Fundraising". Solches "Fundraising" stellt für den Stifterverband dabei auch das Erheben von Studiengebühren dar. Konsequenterweise bewirbt er auf seiner Homepage dann auch die (vermeintlichen) Vorteile, die Hochschulen mittels Gründung so genannter "Studienbeitragsstiftungen" hätten und offeriert diesen tatkräftige Unterstützung bei der Gründung ebensolcher.