Mehr Schein als SeinNationale Bologna-Konferenz in Berlin bringt wenig Neues
An der von der Ministerin für Bildung und Forschung, Annette Schavan, ausgerichteten Konferenz, die am Montag im dbb-Forum Berlin stattfand, nahmen ca. 100 Personen, darunter auf Landesebene tätige Bildungspolitiker_innen, Hochschulrektor_innen, Unternehmensvertreter_innen, Gewerkschaftsvertreter und Studierende, teil. Die Veranstaltung wurde via Live-Stream über das Internet übertragen.
Die Problematik des Übergangs zwischen Bachelor und Master war ein Thema – und statt einer Lösung gab es eher einen Rückschritt zu vermelden.
Eröffnet wurde die Konferenz von Bundesbildungsministerin Annette Schavan. Sie forderte von allen Beteiligten das Bewusstsein einer "gemeinsamen Anstrengung" in Bezug auf die Umsetzung des Bologna-Prozesses. Außerdem präsentierte sie eine "dritte Säule" des Hochschulpakts 2020. So soll eine "Akademie für Lehre" gegründet werden, über die in den kommenden 10 Jahre insgesamt 2 Milliarden Euro verteilt werden sollen.
Europäische Perspektive
Andrea Blättler aus dem Vorstand der European Students' Union (ESU) unterstrich in ihrem Eingangsbeitrag, dass der Bologna-Prozess im Zusammenhang mit der Lissabon-Strategie, mit der die Entwicklung Europas zum "wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum in der Welt" verfolgt werden soll, 1998/99 ohne studentische Beteiligung in die Wege geleitet wurde. Erst seit 2001 ist die Teilnahme von Studierendenvertreter_innen bei den Ministerkonferenzen vorgesehen.
Die ESU-Vertreterin kritisierte, dass die verschiedenen so genannten Action Lines im Zusammenhang mit der Implementierung des konsekutiven Studiensystems mit unterschiedlichem Nachdruck verfolgt wurden. Die soziale Dimension sei bis heute zu kurz gekommen. Schließlich hob sie die Bedeutung von verfassten Studierendenschaften für die studentische Partizipation hervor.
Für echte Diskussionen keine Zeit
Nach den Eingangsstatements eröffnete der Moderator, Armin Himmelrath, die so genannte Diskussion zu den Themen Qualitätssicherung und Kompetenzentwicklung. Von vornherein wurden alle Teilnehmer_innen dazu aufgefordert, keine grundsätzlichen Fragen aufzuwerfen, sondern sich möglichst pragmatisch zu äußern. Für alles andere sei keine Zeit.
Anja Gadow, Vertreterin des fzs, forderte eine stärkere Kooperation zwischen Bund und Ländern bei der Ausfinanzierung der Hochschulen. Desweiteren betonte sie die Wichtigkeit von gleichen Chancen für alle und die Barrierefreiheit der Studiengänge für Menschen in verschiedenen Lebenssituationen. Zudem müsse die Entwicklung von Angebot und Nachfrage bei den Masterstudiengängen verfolgt und transparent gemacht werden. Bisher lägen dazu keine verlässlichen Zahlen vor.
Vertreter_innen des Bildungsstreiks wollen "keine Statisten" sein
Die Vertreter_innen des Bildungsstreik-Bündnisses und von DieLinke.SDS verließen die Konferenz vorzeitig und begaben sich zum Gegengipfel, der am Nachmittag an der HU Berlin unter dem Motto "Schluss mit dem Schavaaansinn" stattfand. Sie protestierten damit gegen die Aussparung von zentralen Themen wie der sozialen Selektivität des Bildungssystems und der Erhebung von Studiengebühren aus der Diskussion. Letztlich sei eine grundsätzliche Änderung der Politik nur über den Druck der Straße zu realisieren. Für Juni sind denn auch weitere Proteste angekündigt.
Die Vertreter der regierungsnahen Hochschulgruppen LHG und RCDS hatten keinerlei Probleme, sich im thematisch eingeschränkten Rahmen zu bewegen. Stefan Holz, Mitglied im Ring Christlich Demokratischer Studierender (RCDS), betonte die Richtigkeit des Bachelor-Abschlusses und forderte, dass im Studium "die wissenschaftliche Grundkompetenz stärker kommuniziert" werden müsse. Besonders der öffentliche Dienst solle bei der Akzeptanz von Bachelorabsolvent_innen mit gutem Beispiel vorangehen. Der Sprecher der Liberalen Hochschulgruppen (LHG), Johannes Knewitz, präsentierte sich als Vertreter der "leistungsbewussten Studierenden" und forderte eine stärkere Integration "der Wirtschaft" in die Universitäten. Universitäten seien zwar keine Unternehmen, müssten aber anfangen, wie Unternehmen zu denken.
Thomas Sattelberger, Personalvorstand der Deutschen Telekom AG sprach in seinem Beitrag zum Thema "Kompetenzentwicklung: Arbeitsmarkt und neue Berufsbiographien" über die Notwendigkeit Brücken aus dem Berufsausbildungs- ins Hochschulsystem zu bauen um die soziale Durchlässigkeit des Bildungssystems zu erhöhen. Der Bachelor sei längst "am Arbeitsmarkt angekommen", wie die Erklärungen unter dem Tenor "Bachelor Welcome" von Personalmanagern großer Unternehmen zeigten. Er fragte vor dem Hintergrund der Kritik an der Umsetzung des Bologna-Prozesses wo es denn sonst geschehe, "dass die Produzenten ihr eigenes Produkt schlechtreden".
Landesminister sehen nur Erfolge und vergessen eigene Zusagen
Jan-Hendrik Olbertz, Kultusminister des Landes Sachsen-Anhalt und der Berliner Senator Jürgen Zöllner sprachen zum Abschluss. Olbertz äußerte sich erfreut über die "vernünftige Diskussion" und kommentierte die studentische Forderung nach dem Master als Regelabschluss, indem er sagte, dass man sich dann den gesamten Bologna-Prozess hätte sparen können. Zöllner bezeichnete den Bologna-Prozess in seinem Redebeitrag noch einmal als "richtig und wichtig". Im Gegensatz zu den öffentlichen Diskussionen sei er auch als Erfolg zu werten. Die Kultusministerkonferenz hat seiner Ansicht nach alles getan, was derzeit zu tun ist.
Gerade in Sachen Übergang zum Master zeigen die für Hochschulen zuständige Minister aber, dass sie nach wie vor darauf setzen, den meisten Studierenden nur den Bachelor anzubieten, statt auch genügend Master-Studienplätze vorzuhalten. Dabei hatten sie bei einer ebenfalls als Bologna-Konferenz bezeichneten Veranstaltung im Juli 2009 noch mehr oder weniger zugesagt, es solle keine Quoten beim Übergang zum Master geben. Man kann hier eigentlich sogar von einem Rückschritt sprechen.
Imagepflege für den Bologna-Prozess und die Bachelor-Master-Studiengänge
Die im Rahmen des Bildungsstreiks immer wieder formulierte Kritik an der Ausrichtung der Universität an den Anforderungen "des Marktes", die elementarer Bestandteil des Bologna-Prozesses ist, wurde auf der Konferenz nicht diskutiert. Damit hätte das Bundesministerium für Bildung und Forschung schließlich auch die Grundlage seiner derzeitigen Wissenschaftspolitik zur Debatte stellen müssen, geht es doch bei ihr um die "Marktführerschaft Deutschlands", um "Wettbewerbsvorteile im internationalen Wettbewerb", um die "Rüstung" des Wissenschaftsstandorts für die Zukunft (siehe die Seitewww.hightech-strategie.de des BMBF).
Als zentrale Positionen wurde von offizieller Seite Durchhalteparolen à la "Wir sind auf einem guten Weg" und "Wir müssen zusammen an einem Strang ziehen" präsentiert. Der inhaltliche und zeitliche Rahmen war von Beginn an sehr eng gesteckt worden, so dass viele Themen von vornherein nicht oder nur sehr unzureichend angesprochen werden konnten. Die Veranstaltung bestand im Wesentlichen aus einzelnen Statements, es kam es nur selten zu direkten Bezugnahmen unter den Redner_innen.
Bei der Veranstaltung ging es dem Anschein nach in erster Linie um Beschwichtigung von Kritik am Bologna-Prozess und der Politik des Bildungsministeriums. Anja Gadow (fzs) kritisiert denn auch im Nachhinein, dass die Konferenz mit der Abwesenheit eines konkreten Fahrplans von Änderungen und konkreten Zusagen der verantwortlichen Akteure hinter dem zurückblieb, was vorher als Ziel formuliert worden war.
Weitere Proteste sind sicher – und notwendig
Was von den Versprechungen der Bologna-Konferenz zu halten war, wird sich spätestens in einem Jahr, wenn die Veranstaltung wiederholt werden soll, zeigen. Doch auch der Bildungsgipfel zwischen Bildungsminister_innen von Bund und Ländern, der für Anfang Juni geplant ist und die angekündigten Proteste von Studierenden und Schüler_innen werden eventuell für neue Impulse sorgen.
Insbesondere die Sparpläne in einigen Bundesländern und die Diskussionen über weitere Sparbemühungen (Euro-Krise etc.) werden weiter für Unruhe sorgen. In Hessen soll so bspw. in den nächsten Jahren eine zweistellige Millionensumme an den Hochschulen gespart werden. Auch aus Schleswig-Holstein sind konkretere Sparpläne bekannt. In weiteren dürften ebenfalls schon Pläne in der Mache sein - nur eben noch nicht öffentlich.
Materialien und Hintergründe
- Ministerin Schavan: "Starkes Signal für bessere Lehre" (Pressemitteilung des BMBF, 17.05.2010)
- Ausser Spesen nichts gewesen? Schavan lädt zur Bologna-Konferenz nach Berlin (Pressemitteilung des fzs, 17.05.2010)
- "Wir wollten keine Statisten sein!" - Bildungsstreik-Aktive verlassen aus Protest Bologna-Konferenz (Pressemitteilung der Bildungsstreik-AktivistInnen, 17.05.2010)
- "Bologna-Konferenz": Klitzekleine Zugeständnisse nach Bildungsstreik (07.07.2009)