Historische DimensionenAkademischer Rechtsextremismus mit langer Tradition
Historische Dimensionen des akademischen Rechtsextremismus
Rechtsextremismus ist ein Problem der gesamten Gesellschaft – somit auch der Hochschulen.
Seit einigen Jahren beobachten Studierende an Universitäten wie Halle, Mainz oder Greifswald, dass Jungnationale zu Asta-Wahlen antreten und bei politischen Referatsabenden um Kommilitonen werben.1 Wie viele junge Leute – oder auch Professoren – es genau sind, die solchen Ideen anhängen, ist nicht bekannt. Aktuelle Diskussionen um Rechtsextremismus nehmen die Situation an den Universitäten nur selten in den Blick. Rechtsextreme Burschenschaften werden kaum problematisiert.2 Dennoch gibt es in bestimmten Städten schon wieder ausländische Studierende, die einen Studienplatz trotz Stipendiums ablehnen, weil sie sich vor Rassismus an der Universität und ›national befreiten Zonen‹ fürchten. Viele Universitätsstädte kämpfen seit Mitte der 1990er Jahre gegen ihr braunes Image in Deutschland an.
Weit verbreitet ist die Ansicht, dass es sich bei den Rechtsextremen um vorwiegend junge Menschen in Springerstiefeln mit tätowierten Glatzen handele, die aus „bildungsfernen“ Elternhäusern stammten. Das ist ein Irrtum. Rechtsextremismus war immer auch in der Mitte der Gesellschaft, unter der „Intelligenz“ und an den Universitäten zu finden. Rechtsextreme Orientierungen werden gelehrt und gelernt. Die Förderung von sozialer Kompetenz im Umgang mit vermeintlich Anderen hingegen, Empathie für Andere und Fremde ist immer noch nicht oder nur selten in die Lehrpläne der akademischen Ausbildung eingegangen. Die Untersuchung des akademischen Milieus ist deshalb von besonderem Interesse, weil es schließlich immer wieder Multiplikatoren hervorbrachte und weiter hervorbringt, die Staat und Gesellschaft in leitenden Positionen beeinfluss(t)en. An keiner anderen Institution wird zudem so deutlich wie an der Universität, wie sehr Sexismus, Rechtsextremismus und Klassismus zusammen hängen.
Universitäten als Domäne männlicher deutscher Eliten
Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts war Frauen eine höhere Bildung und das Universitätsstudium in Deutschland völlig verwehrt. Im Vergleich zu anderen europäischen Staaten und den USA war Deutschland das letzte Land, das Frauen 1908/1909 das Immatrikulationsrecht gewährte. Vorausgegangen war ein langer Kampf mit Vorurteilen gegen studierende und studierte Frauenzimmer, den vor allem Frauen aus der bürgerlichen Frauenbewegung führten. Vor dem Eindringen der Frauen in die männliche Domäne Universität war das Studium überwiegend den Söhnen privilegierter Familien vorbehalten. Nun kamen die Töchter privilegierter Eltern, die ›höheren Töchter‹ hinzu. Es war ein weiter Weg, bis es für Kinder aus ärmeren Schichten möglich wurde, Universitäten von innen zu sehen und der ›Gelehrsamkeit‹ teilhaftig zu werden. Arbeitertöchter hatten es zu allen Zeiten noch schwerer als Arbeitersöhne. Von den 314 ersten Bonner Studentinnen waren in den Wintersemestern 1908/09 und 1910/11 lediglich ein Prozent Töchter von Bauern; Arbeitertöchter gab es keine.3 Reichsweit stammten noch im Wintersemester 1914 nur 0,2 Prozent der Studentinnen aus Arbeiterfamilien.4 Weder Professoren noch Kommilitonen waren von den Studentinnen begeistert, denn das gesamte Universitätsleben spielte sich nach männlichen Normen und Riten ab. Die Kommilitonen begrüßten die Frauen „mit scharrenden Füßen und Pfiffen“5. Die Studentinnen ließen sich nicht wirklich beirren.
Kampf an Front und Heimatfront
Dieser Artikel erschien zuerst im „BdWi Studienheft 9: Wissenschaft von Rechts“ (Januar 2014), herausgegeben vom Bund demokratischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler (BdWi), fzs, GEW, ÖH und StuRa Uni Jena. Wir danken dem BdWi und der Autorin für die Genehmigung, den Artikel auch bei Studis Online publizieren zu dürfen.
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Viele Einwohner Deutschlands aus (fast) allen Bevölkerungsschichten nahmen den Kriegsausbruch 1914 begeistert auf. Theologen gaben dem Krieg religiöse Weihen. Der bekannte Soziologe, Nationalökonom und Hochschullehrer Max Weber, der 1889 an der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität promoviert hatte, sprach für viele Akademiker, wenn er von „diesem großen und wunderbaren Krieg“ schrieb und dass es herrlich sei, ihn noch zu erleben, aber sehr bitter, nicht mehr an die Front zu dürfen. Auch im „Manifest der 93“ (Wissenschaftler, Künstler, Schriftsteller) vom September 1914 bzw. in der Erklärung der Hochschullehrer des Deutschen Reiches vom Oktober 1914, die von über 3.000 deutschen Professoren, also fast der gesamten Dozentenschaft, unterzeichnet worden war, spiegelt sich die Kriegsbegeisterung.
Viele Studenten kämpften an der Front gegen den ›Erzfeind‹ Frankreich und England.6 Aber auch die Studentinnen folgten aus patriotischer Motivation dem Ruf des Nationalen Frauendienstes, mit dem Gertrud Bäumer (1873–1954) ein Betätigungsfeld für konservative Frauen geschaffen hatte, die an der „Aufrechterhaltung der Heimatfront“ mitarbeiten wollten. Die promovierte Nationalökonomin und führende Protagonistin des „Bund Deutscher Frauenvereine“ schrieb zu Beginn des Ersten Weltkrieges, dass der Soldat es zu allen Zeiten süß und erhaben gefunden hätte, für das Vaterland zu sterben.7 So verherrlichte sie den Tod fürs Vaterland, den die Soldaten in den Schützengräben sterben sollten. Nicht wenige Studentinnen unterbrachen ihr Studium, um als Krankenhelferinnen oder in Munitionsfabriken tätig zu sein.8
Rechtsradikalisierung der Universitäten
Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges 1919 verschärfte sich die soziale Situation vieler Studierender. Kriegsheimkehrer und Vertriebene, und der ›Zustrom‹ von Studentinnen sorgten für überfüllte Universitäten. Weibliche Studierende waren immer noch außergewöhnliche Subjekte und die Barrieren, die Arbeiterkinder von der höheren Bildung fernhielten, waren hoch. Sie lagen im bürgerlichen Bildungssystem, das alles Proletarische abwertete.
Lange Zeit vernachlässigte die historische Forschung den Antisemitismus und Nationalismus der Studierenden in der Weimarer Republik. Wie schon deutlich wurde, war er nicht aus dem Nichts entstanden. Etliche Universitäten, darunter auch die 1809 von Wilhelm von Humboldt gegründete Berliner Universität,9 die 1828–1945 in Friedrich-Wilhelms-Universität umbenannt und 1949 zur Humboldt-Universität wurde, wurden schon weit vor 1933 zu Orten, in denen Demokratie und die Achtung von Menschenrechten gegenüber Fremden und Anderen nur eingeschränkt galten. Pseudowissenschaftliche Theorien, die eine Überlegenheit bestimmter ›Rassen‹ zu belegen versuchten, erreichten bereits um 1900 ihren Höhepunkt. Studierende sammelten sich in antisemitischen Studentenverbindungen wie dem auf dem Höhepunkt der antijüdischen Agitation 1881 gegründeten Verein Deutscher Studenten (VDS). Dessen erste Ortsvereine entstanden an den Universitäten Berlin, Halle, Leipzig und Breslau. Der Verein schlug einen scharf nationalistischen Ton an, gelobte, das Deutschtum, die Monarchie und das Christentum zu verteidigen und trug erheblich zum Bismarckkult bei.
Die Berliner Universität diente während des reaktionären Kapp-Lüttwitz-Putsches gegen die Republik im März 1920 als Stützpunkt für die Aufrührer.10 Rektor Eduard Meyer ließ studentischen Aktivisten und Militärs im Universitätsgebäude freien Lauf. Zunächst kam er der Bitte des studentischen Vertreters nach, die Schließung der Universität zu verfügen, weil sich angeblich die Studentenschaft mehrheitlich der Nothilfe (einer Streikbrecherorganisation) und dem putschistischen Zeitfreiwilligendienst zur Verfügung stellen wollte. Der Studentenvertreter Biertimpel, vom sozialdemokratischen Vorwärts als „kraftstrotzend und stimmstark, bewährt im Niederbrüllen pazifistischer Professoren“ charakterisiert11, erklärte unterdessen, er stehe auf der Seite der neuen Putsch-Regierung. Rektor Meyer ließ eilig die Fahne des Kaiserreichs auf dem Gebäude hissen. Sein Verhalten blieb nach dem Zusammenbruch des Putsches – aufgrund eines erfolgreichen Generalstreikes, bei dem alle Arbeiterorganisationen an einem Strang zogen – ohne ernsthafte Konsequenzen und wurde auch später nicht wirklich problematisiert.
Die Ermordung des Juden, engagierten Vertreters der Weimarer Republik und Außenministers Walther Rathenau am 27. Juni 1922 schlug auch an der Berliner Universität hohe Wellen. Ein Mittäter, der später wegen Beihilfe zum Mord an Rathenau verurteilt wurde, hatte dort studiert und agitiert. Er hatte zuvor für eine „Vereinigung von kriegsfreiwilligen, deutsch empfindenden Studierenden der fünf Berliner Hochschulen“ geworben und Sponsoren gesucht. Aufgaben dieser Vereinigung sollte die „Organisation von Fünf-Minuten-Rednern“ sein sowie von „Sprengtrupps für gegnerische Versammlungen“ und von Spitzeldiensten gegen die Linke. Nur so, so seine Agitation, könnten die Studenten künftige Putschversuche à la Kapp-Lüttwitz besser unterstützen.
Die Arbeiter streikten, das Bürgertum freute sich
In den folgenden Jahren gab es immer wieder Ereignisse, die die Feindseligkeit des akademischen gegenüber dem proletarischen Milieu sichtbar machten. In den großen Städten griff eine steigende Welle von Unruhen um sich. Menschen gingen gegen die Teuerung von Lebensmitteln auf die Straße, Erwerbslosendemonstrationen und Streiks häuften sich.12 Als im Januar des Jahres der Hyperinflation 1923 kommunistische Umzüge und die feierliche Rektoratsübergabe gleichzeitig an der Berliner Universität Unter den Linden stattfanden, kam es zu tätlichen Auseinandersetzungen zwischen Demonstrierenden und Vertretern rechtsorientierter Studentenschaften.13
Mit seiner Gründung im Jahre 1926 sammelte der Nationalsozialistische Deutsche Studentenbund (NSDStB) das völkische Potenzial unter den Studierenden und präsentierte sich gegenüber den traditionellen, monarchistischen Korporationen als modernere und radikalere Bewegung. Wegen seiner antibürgerlichen und antikorporativen Töne fasste er zunächst nur mühsam Fuß an den Universitäten. Mit der Übernahme der Führung durch Baldur von Schirach (1907–1974), der sich in der Folge mit wachsendem Erfolg um neue Mitglieder, auch unter den klassischen Studentenverbindungen, bemühte, war der Erfolg unter den deutschen Studierenden nicht mehr aufzuhalten. Als Gliederung der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) für Studierende sollte er in deren Auftrag die weltanschauliche Schulung der Studierenden im Sinne der nationalsozialistischen Ideologie übernehmen. Ab Ende der zwanziger Jahre lässt sich von systematischem und alltäglichem Terror nationalsozialistischer Studenten sprechen. Programmatisch gab sich der NSDStB als Sachwalter der sozial schwachen „Werkstudenten“. Mit sozialrevolutionärem und antibürgerlichem Gestus wurde „die Befreiung der vom Marxismus betrogenen und von der Hochfinanz enterbten, ausgebeuteten Volksschichten“14 gefordert. In Wirklichkeit verbanden die NS-Studenten völkischen Nationalismus und Antisemitismus mit kruden sozialpolitischen Parolen. „Arbeitslosigkeit, Aussichtslosigkeit und die Verjudung der Hochschulen usw. sind die Errungenschaften der letzten 13 Jahre“, hieß es 1932 im Programm. Im Kampf für eine NS-„Volksgemeinschaft“ sei es die studentische „Aufgabe, die Gegensätze zwischen Arbeiterschaft und ›bourgeoisen‹ Akademikern durch den Nationalsozialismus auszuschalten“. Die antisemitische Rhetorik des Bundes stieß auf Resonanz. Die im Dezember 1928 ins Studierendenparlament eingebrachte Forderung eines Numerus Clausus für „fremdblütige Studenten“ wurde mit großer Mehrheit angenommen.15
Die Führer der Hochschulgruppen agitierten in Flugblättern und Zeitschriften gegen jüdische und kommunistische Kommilitonen und gegen politisch unliebsame Dozenten und Professoren. Sie initiierten Vorlesungsboykotte und Krawalle. Im November 1929 existierten reichsweit 38 Hochschulgruppen, 1931 hatte der NSDStB den Vorsitz der Deutschen Studentenschaft (DSt), der reichsweiten Vertretung der Studierenden, übernommen. Ende des Jahres 1931 zählte der Bund 2.500 Mitglieder, Ende 1932 8.800. Bei den AStA-Wahlen 1932 an der Berliner Universität stimmten 65,4 % für den NSDStB. Nach einigem Widerstand gegen den Totalitätsanspruch des NSDStB war im Juli 1932 die faktische Selbstgleichschaltung vollzogen: Auf dem Königsberger Studententag erschienen die Delegierten in den Uniformen der NSDAP-Gliederungen; an nahezu allen Universitäten stellte der NSDStB den Allgemeinen Studentenausschuss (AStA).16
Im April 1933 trat - nach der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler – das „Gesetz gegen die Überfüllung deutscher Schulen und Hochschulen“ in Kraft. Es richtete sich zunächst gegen jüdische Studierende; dann auch gegen politisch unerwünschte Kommunisten, Sozialdemokraten und Nonkonformisten17 und es schränkte den Hochschulzugang von Frauen allgemein ein.18 Für viele Studentinnen verfehlte die nationalsozialistische Propaganda, Frauen sollten sich aus der Öffentlichkeit zurückziehen, um sich der „wunderbarsten Aufgabe, […] ihrem Land und Volk Kinder zu schenken“ 19zu widmen, ihr Ziel nicht.
Bücherverbrennungen an den Hochschulen
Dass sich Studierende an der Bücherverbrennung im Mai 1933 beteiligten, ist bekannt. Im April 1933 initiierte die Deutsche Studentenschaft unter Führung des NSDStB die „Aktion wider den undeutschen Geist“, die in allen Universitätsstädten anlief. In Berlin plünderten Sportstudenten Anfang Mai 1933 auf Trompetensignal das 1919 gegründete Institut für Sexualwissenschaft.20 Sie transportierten 15 Zentner Literatur aus der weltweit bekannten Fachbibliothek, die sie zum Studentenhaus in der Oranienburger Straße brachten. Dort befanden sich bereits Bücher aus anderen Bibliotheken, die bei Sammelaktionen teilweise unter Gewaltanwendung gestohlen worden waren. Am 10. Mai wurden Teile der Literatur aus dem Studentenhaus in einem Zug durchs Brandenburger Tor zum Opernplatz (jetzt Bebelplatz) gebracht und in der Dunkelheit mit so genannten Feuersprüchen verbrannt. Ab Mitternacht hielt Propagandaminister Goebbels eine Rede an „meine Kommilitonen“. Tausende Schaulustige säumten die Straßen. Unter den etwa 70 Tsd. Menschen waren Professoren in Talaren, Mitglieder von Studentenverbindungen, Verbände von SA, SS und Hitler-Jugend.21 Diese organisierte und systematische Verfolgung jüdischer, marxistischer und pazifistischer Schriftsteller ging als Bücherverbrennung in die Geschichtsbücher ein und fand ähnlich an anderen Hochschulstandorten statt. Am gleichen Tag etwa gab es auch Bücherverbrennungen auf dem Bonner Marktplatz22 und die von einem gewaltigen Fackelzug begleitete Verbrennung eines „Bergs von Unrat und Ungeist“, der der „verdienten Vernichtung zufallen sollte“, an der Universität in Göttingen23.
Kein Ende des Rechtsextremismus nach 1945
Nach Ende des Zweiten Weltkrieges 1945 versuchten Alt-Nazis ihre Anschauungen auch in die neue Demokratie zu tragen. Während des Kalten Krieges konnten im Nationalsozialismus führende Kräfte in der Bundesrepublik ihre Karriere auch an den Universitäten fortsetzen. Dies, obwohl sich während der NS-Zeit tätige Dozierende einer so genannten Entnazifizierung unterziehen mussten.24 Immer wieder warben Burschenschaften in einschlägigen Publikationsorganen der extremen Rechten, beispielsweise in der 1951 gegründeten rechtsextremen Monatszeitschrift Nation und Europa für ihre Ideologie. Obwohl nach 1945 die Zahl der ausländischen Studierenden an den Universitäten wieder anstieg, fanden viele Bildungswillige – darunter auch viele Frauen – keine Aufnahme an den Universitäten, weil Soldaten, Kriegsversehrte und Familienväter bei der Zulassung zum Studium Vorrang genossen und unter den Bewerberinnen Soldatenwitwen bevorzugt wurden.25 Nicht wenige Dozenten sprachen den Frauen angesichts der überfüllten Universitäten die Eignung zum Studium ab. Auch wenn sie oft fleißiger und gewissenhafter als Männer seien, fehle ihnen Denk- und Abstraktionsvermögen und Zielstrebigkeit.26
Unter den Talaren Muff von 1000 Jahren
Es dauerte bis Ende der 1960er Jahre, bis sich Studierende an den westdeutschen Universitäten zur außerparlamentarischen Opposition formierten und gegen die erste Große Koalition aus SPD und CDU/CSU, gegen die Notstandsgesetze, gegen den Krieg in Vietnam demonstrierten. „Unter den Talaren – Muff von 1.000 Jahren“ stand auf dem Transparent, das am 9. November 1967 zur Rektoratsübergabe von damaligen Hamburger Studenten in der Öffentlichkeit enthüllt wurde. Zur offiziellen Feier im vollbesetzten Audimax schritten die Lehrstuhlinhaber, gekleidet in den traditionellen akademischen Talaren, eine Treppe hinunter. Vorneweg gingen die Studenten mit dem Transparent, das die Professoren nicht lesen, die Presse aber fotografieren konnte. Mit dem Slogan wollten sie die Hochschulen darauf stoßen, dass sie sich bislang vor der Aufarbeitung ihrer Rolle im NS-Faschismus („1000-jähriges-Reich“) gedrückt hatten. Sie wandten sich damit auch gegen die überholten elitären Strukturen und fragwürdige Traditionslinien der Universitätspolitik.27 Der Ordinarius für Islamkunde Bertold Spuler kommentierte die Aktion, indem er den Studenten zurief: „Sie gehören alle ins Konzentrationslager!“28
Der Kampf der zahlreicher werdenden sozialistischen Studierenden für die Demokratisierung der Hochschulen und ihre soziale Öffnung ging weiter. In den 1970er Jahren wurden die Hochschulen für breite Bevölkerungsschichten geöffnet. 1970 wurde mit dem „Strukturplan für das Bildungswesen“ ein umfassender Reformplan vorgelegt.29 Zur Verbesserung der sozialen Mobilität wurden der zweite und ›dritte‹ Bildungsweg ausgebaut. Nicht nur die Söhne und Töchter der Eliten sollten Zugang zu den Universitäten haben, sondern auch die Arbeiterkinder. Ein neues Hochschulrahmengesetz wurde 1976 verabschiedet, dessen Ziel es auch war, die Mitbestimmung aller an der Hochschule vertretenen Gruppen zu ermöglichen.30
Mit diesen Maßnahmen war der Rechtsextremismus freilich noch lange nicht von den Hochschulen verbannt. 1967 gründete die NPD-Hochschulorganisation den Nationaldemokratischen Hochschulbund (NHB). Zur gleichen Zeit machte ein „Arbeitskreis Nationalisten in der Deutschen Burschenschaft (DB) innerhalb des Nationaldemokratischen Hochschulbundes (NHB)“ und der NHB damit Werbung, dass in „nahezu jeder bundesdeutschen und österreichischen Hochschulstadt“ mindestens eine Burschenschaft ansässig sei, „die ihren Mitgliedern Alternativen zum BRD-System und dessen furchtbaren Auswirkungen in der Universitätslandschaft bieten“ könne.31
Schlussbemerkungen
Mit der Wirtschaftskrise 1974/75 endete der Ausbau der Hochschulen. Der später folgende neoliberale Umbau der Hochschulen hat zu ihrer Entdemokratisierung, einem deutlichen Rückgang kritischer Forschung und Lehre und starken Restriktionen gegen Studierende geführt. Heute existiert eine Grauzone, in der Neofaschisten, Deutschnationale und Rechtskonservative sowohl konkurrierend als auch gemeinsam gegen demokratischen Fortschritt und gerechten Frieden wirken. Es ist nicht mehr der ›rechte Rand‹, der schreckliche Erinnerungen weckt; rechtsextremer Geist ist heute wieder auch in der Mitte der Gesellschaft und an den Universitäten anzutreffen.32
Auch heute erreichen nur 24 von 100 Arbeiterkindern die Universität. Die Studierenden mit ›migrantischem Hintergrund‹ sind noch weniger. Während knapp jeder zweite Student mit Migrationshintergrund aus einem einkommensschwachen Elternhaus kommt, trifft dies nur auf jeden achten Studenten ohne Migrationshintergrund zu.33
Die neu gegründete Partei Alternative für Deutschland (AfD), die weit überwiegend aus akademischem Personal besteht, will das Einwanderungsrecht ändern. Nur noch „qualifizierte und integrationswillige“ Ausländer dürften nach Deutschland kommen. Mit drastischen Worten machte AfD-Chef Bernd Lucke diesen Standpunkt bei einer Wahlkampfveranstaltung zur Bundestagswahl im September 2013 deutlich. Die Süddeutsche Zeitung zitierte ihn: „Dann bilden sie (Ausländer ohne Deutschkenntnisse und Bildung) eine Art sozialen Bodensatz – einen Bodensatz, der lebenslang in unseren Sozialsystemen verharrt.“ Ein dauerhaftes Leben in Hartz IV aber sei nicht menschenwürdig. Man solle diese Menschen deshalb auch aus Verantwortungsgefühl nicht ins Land lassen – um sie zu schützen. Da erübrigt sich jeder Kommentar. Die AfD verfehlte 2013 nur knapp den Einzug in den Bundestag und hat den weiteren Parteiaufbau sowie den Einzug ins Europaparlament angekündigt.
Ergänzung Studis Online (Juni 2015):
Letzteres und auch der Einzug in diverse Landtage ist ihr zwischenzeitlich gelungen. Es besteht jedoch begründeter Zweifel an der mittelfristigen Stabilität des Projekts AfD, da die ideologischen Fliehkräfte zwischen dem rechts-nationalkonservativen und dem neoliberalen Flügel der Partei zunehmend stärker werden.34 Nicht unwahrscheinlich ist, dass die AfD auf kurz oder lang den Weg des geistesverwandten 'Bunds freier Bürger' nimmt, der 1994 gegründet und im Jahr 2000 aufgelöst wurde.35
Zur Autorin
Dr. Gisela Notz lebt und arbeitet freiberuflich in Berlin; bis 2007 war sie wissenschaftliche Referentin für Frauenforschung im Historischen Forschungszentrum der Friedrich-Ebert-Stiftung. Sie ist Redakteurin bei Lunapark21 und Mitglied im Beirat des BdWi. Sie ist Herausgeberin des Kalenders „Wegbereiterinnen“, zuletzt erschien „Wegbereiterinnen 2015“.
Fußnoten
1 www.spiegel.de/unispiegel/studium/rechtsextreme-an-der-uni-braune-biedermaenner-a-668330.html (Zugriff: 12.6.2015).
2 Siehe hierzu den Beitrag von Alexandra Kurth in diesem Heft.
3 Annette Kuhn / Brigitte Mühlenbruch / Valentine Rothe Valentine (Hg.) 1996: 100 Jahre Frauenstudium. Frauen der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, Bonn: 33.
4 Florence Hervé 1973: Studentinnen in der BRD, Köln: 14.
5 Anke Brunn 1996: „Grußwort“, in: Kuhn /Mühlenbruch / Rothe: 7.
6 Anne Schlüter 2006: „Studentin“, in: Florence Hervé und Renate Wurms, Renate (Hg.): Das Weiberlexikon, Köln: 436-438, hier: 437.
7 Gertrud Bäumer, Gertrud: Der Krieg und die Frau, Berlin.
8 Ernst Theodor Nauck 1953: Das Frauenstudium an der Universität Freiburg i. Br., Freiburg: 26.
9 Siehe hierzu: Klaus Peter Horn / Heidemarie Kennig (Hg.) 2002: Pädagogik unter den Linden. Von der Gründung der Berliner Universität im Jahre 1810 bis zum Ende des 20. Jahrhunderts, Stuttgart.
10 Vgl. Christian Saehrendt 2005: „Dr. cand. Radau. Rechtsextreme Gewalttäter hatten auch schon vor 1933 an der Berliner Universität Einfluss“, in: Jungle World Nr. 6, vom 9. Februar.
11 Zit. nach ebd..
12 Vgl. Florian Wilde 2013: Ernst Meyer (1887 – 1930) – vergessene Führungsfigur der deutschen Kommunisten, Dissertation, Hamburg: 332 f.
13 Saehrendt 2005.
14 www.ifz-muenchen.de/heftarchiv/1974_2_2_kater.pdf (Zugriff: 12.6.2015).
15 www.hu-berlin.de/ueberblick/geschichte/juedische-studierende/glossar/nationalsozialistischer-deutscher-studentenbund/ (Zugriff: 12.6.2015).
16 Anselm Faust 1973: Der Nationalsozialistische Deutsche Studentenbund. Studenten und Nationalsozialismus in der Weimarer Republik, 2. Bde., Düsseldorf.
17 Kuhn / Mühlenbruch / Rothe 1996: 50 ff.
18 Kuhn / Mühlenbruch / Rothe 1996: 61.
19 Joseph Goebbels, zit. nach Renate Wiggershaus 1984: Frauen unterm Nationalsozialismus, Wuppertal, 15.
20 www.parlament-berlin.de/pari/web/wdefault.nsf/vHTML/C12_6-00254?OpenDocument, im Internet Archive (Zugriff: 12.6.2015).
21 www.berlin.de/tourismus/insidertipps/3054987-2339440-bebelplatz-wo-die-nazis-vor-80-jahren-bu.html (Zugriff: 12.6.2015).
22 Kuhn / Mühlenbruch / Rothe: 61.
23 Göttinger Tageblatt vom 11. Mai 1933.
24 Anne Schlüter 1996: „Die ersten Nachkriegsprofessorinnen und die Situation von Wissenschaftlerinnen bis in die 70er Jahre“, in: Elke Kleinau / Glaudia Opitz: Geschichte der Mädchen- und Frauenbildung, Bd. 2: Vom Vormärz bis zur Gegenwart, Frankfurt/M. / New York: 449-464, hier: 458.
25 Vgl. Siegrid Metz-Göckel / Christine Roloff / Anne Schlüter 1989: „Frauenstudium nach 1945 – Ein Rückblick“, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 28/29, 13 - 21, hier: 15.
26 Vgl. Hans Anger 1960: Probleme der deutschen Universität, Bericht über eine Erhebung unter Professoren und Dozenten, Tübingen: 466.
27 Süddeutsche Zeitung vom 7. November 2007.
28 „Muff im Talar“, in: Der Spiegel 20. November 1967, Nr. 48.
29 Deutscher Bildungsrat 1970: Empfehlungen der Bildungskommission. Strukturplan für das Bildungswesen, Bad Godesberg.
30 Siehe hierzu auch: Gisela Notz 2012: „Arbeitermädchen durften plötzlich lernen, die Bildungsreform der 1970er Jahre und wie es weiter ging“, in: Forum Wissenschaft vom 27.9.2012.
31 Alexandra Kurth 2010: Schriftliche Stellungnahme zur Anhörung im Innenausschuss des Hessischen Landtages zum Thema Gewalt und Extremismus vom 9.11.2010.
32 Lorenz Knorr 2002: Kontinuitäten des Rechtsextremismus, Frankfurt/M..
33 www.berlin-institut.org/online-handbuchdemografie/bevoelkerungspolitik/deutschland/deutschlands-integrationspolitik.html (Zugriff: 12.6.2015).
Zur Ergänzung von Studis Online:
34 Michael Klarmann 2015: "Flügel- und Hahnenkämpfe in der AfD", Telepolis, http://www.heise.de/tp/artikel/44/44559/1.html
35 David Bebnowski, Lisa Julika Förster 2014: Wettbewerbspopulismus – Die Alternative für Deutschland und die Rolle der Ökonomen, OBS-Arbeitspapier Nr. 14, S. 9ff., https://www.otto-brenner-shop.de/uploads/tx_mplightshop/2014_05_20_AP14_WEB.pdf