Interview: Wie werde ich eigentlich Physiotherapeut:in?
Simone Gölz: Was für eine Ausbildung haben Sie?
Nina Lösch*: Ich bin staatlich anerkannte Physiotherapeutin. Das heißt ich habe 3 Jahre Ausbildung an einer privaten Schule für Physiotherapie hinter mir. Einen Platz an einer staatlichen Schule habe ich leider damals nicht bekommen. Davon gibt es nur wenige und die sind sehr begehrt, weil man an staatlichen Schulen kein Schulgeld zahlen muss.
Kann man Physiotherapie auch studieren?
Mittlerweile kann man nach der Ausbildung noch ein Bachelorstudium an einigen Fachhochschulen (zum Beispiel in Osnabrück) anschließen. Genau kenne ich mich aber damit nicht aus. Da hat sich in den letzten Jahren viel geändert. Einige meiner Freunde haben Physiotherapie in den Niederlanden studiert. Dort ist es von Anfang an ein Studiengang.
Anmerkung der Redaktion: Das Angebot an Studiengängen in Deutschland ist seit dem Interview stark gewachsen, man kann nun wie in den Niederlanden ohne vorige Ausbildung in ein Physiotherapie-Studium (meist dual) einsteigen.
Wie war Ihr bisheriger Berufsweg?
Mein bisheriger Berufsweg ist eher nicht so klassisch. Nach der Ausbildung habe ich angefangen, Heilpädagogik zu studieren, um eine breitere Basis für die Arbeit mit Menschen zu haben. Neben dem Studium arbeite ich jetzt zwei Nachmittage in einer Physiopraxis.
Was würden Sie angehenden PhysiotherapeutInnen empfehlen?
Im Nachhinein muss ich sagen, dass die Ausbildung schon großer Stress war. Man hat immer lange Schule und muss häufig noch Dinge vor- und nachbereiten. Ich würde mir während der Ausbildung nicht mehr so viel Stress machen und versuchen, alles etwas lockerer zu sehen. Die Erfahrung kommt ganz von allein während der Arbeit mit Patienten. Und nur durch die Erfahrung wird man besser.
Welche Voraussetzungen sollte man mitbringen?
Natürlich sollte man gerne mit Menschen zusammen arbeiten. Außerdem sollte man sich für Medizin, Anatomie, Physiologie usw. interessieren.
Welche Persönlichkeitsmerkmale halten Sie für wichtig?
Ich habe sehr viele unterschiedliche gute PhysiotherapeutInnen kennen gelernt und könnte gar nicht sagen, ob es entscheidende Persönlichkeitsmerkmale gibt. Einfühlungsvermögen sollte man vielleicht besitzen.
Wie ist das mit dem Verdienst?
Der Verdienst ist leider nicht so gut. Ein Teil des Geldes steckt man dann noch in Fortbildung. In anderen Arbeitsbereichen ist es ähnlich.
Was würden Sie sagen sind die typischen Klischees über den Beruf PhysiotherapeutIn? Stimmen Sie?
Als ich mit Ausbildung angefangen habe, wollte ich auf jeden Fall was mit Sportlern machen und musste erst mal feststellen, dass Physiotherapie auch Arbeit mit alten oder kranken Menschen bedeuten kann. Was man auch immer wieder hört ist der Satz „Physio, massieren und so, oder?“ Massieren können wir auch, ist aber eigentlich nur ein kleiner Teil der Arbeit.
Wie sieht ein typischer Behandlungsablauf aus?
Die meisten Patienten kommen in die Praxis wegen Rückenschmerzen. Sie kommen dann häufig mit einem Rezept vom Orthopäden über sechs mal Krankengymnastik oder Manuelle Therapie. Die Behandlungen finden in der Regel an zwei Tagen in der Woche über drei Wochen statt. Die Therapie an sich variiert von Patient zu Patient und von Ursache zu Ursache. Typische Ursache für Rückenschmerzen sind z. B. Beweglichkeitseinschränkungen der Wirbelsäule in einem bestimmten Bereich. Diese kann man dann als PhysiotherapeutIn passiv mobilisieren, oder den Patienten selber Übungen machen lassen, die den Rücken mobilisieren. Häufig erarbeitet man mit Patienten auch ein „Hausaufgabenprogramm“ an aktiven Übungen, das sie selbständig zu Hause machen können. Eine Behandlung dauert 20-30 Minuten.
Ganz anders sieht die Therapie mit neurologischen Patienten (Schlaganfall, Schädel-Hirn-Trauma usw.) oder bei Patienten mit Erkrankungen an den inneren Organen aus (häufig Herzbeschwerden oder Lungenerkrankungen). Diese Patienten werden häufig im Krankenhaus von PhysiotherapeutInnen behandelt. Man geht dann zu den Patienten auf´s Zimmer oder bestellt die Fiteren in den Physiotherapiebereich zur Behandlung. Bei neurologischen Erkrankungen geht es häufig zunächst einmal darum, dass der Alltag wieder gemeistert werden kann. Bei den "Innere-Patienten" kann man die Symptome, die durch die Grunderkrankung entstehen, wie z. B. Kurzatmigkeit, mit Atemtherapie oder anderen Therapieformen behandeln.
Ein anderer großer Bereich ist Physiotherapie mit Säuglingen und Kindern. Hier geht es meist darum, die motorische Entwicklung zu unterstützen. Dafür gibt es spezielle Therapie-Verfahren, wie Bobath- oder Vojta-Therapie.
Gibt es etwas, was Sie an Ihrem Beruf nicht mögen?
An manchen Tagen nervt mich, dass alle halbe Stunde ein neuer Patient kommt, der mein Bestes haben will und seine Sorgen bei mir lässt. Das kann einen schon mal leer ziehen. Und ständig den nächsten Termin im Auge zu haben ist auch schon mal stressig.
Aber dann gibt es auch Tage, an denen ich genau darüber froh bin, alle halbe Stunde einen neuen Patienten zu haben. So wird´s nie langweilig.
An schlechten Tage habe ich auch das Gefühl, dass ich nicht gut genug behandele, weil sich vielleicht der gewünschte Erfolg nicht einstellt. Das haben auch viele meiner Kollegen. Auf der anderen Seite, spornt mich das an, besser zu werden.
Ich persönlich finde außerdem die Abrechnung am Monatsende immer lästig.
Was mögen Sie besonders an Ihrem Beruf?
Es gibt einige Dinge, die ich besonders an meinem Beruf mag! Mir macht die Arbeit mit Menschen Spaß. Da kommt jemand zu mir in die Praxis mit einem Rezept, den ich nicht kenne und der mich nicht kennt und es ist jedes Mal spannend, was für eine Beziehung sich entwickelt, ob man den Patient "geknackt" bekommt, sowohl im physiotherapeutischen Bereich, als auch zwischenmenschlichen Sinne.
Außerdem gehe ich gerne mit Turnschuhen und manchmal Trainingshose zur Arbeit. Mich jeden Tag schick zu machen, wäre nichts für mich. Die meisten Kollegen sind auch sehr locker drauf, so dass man sich normalerweise direkt duzt. Was übrigens auch viele Patienten machen.
Außerdem mag ich, dass es so viele unterschiedliche Bereiche gibt, in denen man als Physio arbeiten kann. Von der Arbeit mit Kindern und Säuglingen, bis hin zu alten Menschen sind alle Altersgruppen vertreten. Des Weiteren gibt es verschiedene Fachbereiche, auf die man sich spezialisieren kann, z. B. Neurologie oder Orthopädie. Außerdem mag ich an meinem Beruf, dass ich sowohl mit dem Kopf arbeite und denken muss, als auch mit den Händen ganz praktisch zupacken kann.
Wer ist für den Beruf ungeeignet?
Das ist eine schwierige Frage. Man sollte schon gern mit Menschen arbeiten. Es ist vielleicht auch nicht für jeden Etwas, den ganzen Tag Körperkontakt zu haben. Bestimmt sollte man einigermaßen körperlich fit sein, manchmal ist der Beruf auch anstrengend. Sonst fallen mir keine Einschränkungen ein.
Wo kann ich arbeiten?
Das ist ganz unterschiedlich. Typisch sind wohl Praxen, Reha-Zentren und Krankenhäuser. Daneben gibt es aber z. B. Sonderschulen, Theater, Sportvereine, Wellness-Einrichtungen, Physiotherapieschulen, Fitnessstudio usw. Es gibt auch ganz unterschiedliche Arbeitsmodelle: angestellt, selbständig, leitende Kraft usw.
Welche Spezialisierungen gibt es in dem Beruf?
Viele. Erst einmal kann man das nach Altersgruppen der Patienten aufteilen: Säuglinge, Kinder, Erwachsene, ältere Menschen. Und dann wohl noch nach Fachrichtungen: Neurologie, Pädiatrie, Orthopädie, Sportphysio, usw. Während der Ausbildung bekommt man einen guten Überblick, welcher Bereich zu einem passt, da man in allen Fachgebieten ein Praktikum macht.
Überhaupt ist Physio ein Beruf, in dem man nach der Ausbildung unheimlich viele Fortbildungen macht und sich immer wieder neu entscheiden kann, was man noch dazu lernen möchte.
Welche Gründe haben Sie bewegt Physiotherpeutin zu werden?
Ich hab in der Schulzeit viel Sport gemacht und fand es toll, dass es Physiotherapeuten gab. Wenn man verletzt war, ist man betreut worden und konnte schneller wieder Sport machen. Mich haben außerdem schon immer die Vielseitigkeit an dem Beruf und die lockere, angenehme Atmosphäre am Arbeitsplatz fasziniert.
* Physiotherapeutin; Name von der Redaktion geändert
Hinweis: Das Interview wurde vor der ersten Online-Veröffentlichung im Sommer 2009 geführt, ist aber nach wie vor inhaltlich relevant (wo sich Änderungen ergeben haben, haben wir dies später ergänzt).