Freizeitstress im StudiumWenn Freunde zum Stressfaktor werden
Von Maria Köpf
Grundsätzlich gibt es keinen genauen Richtwert, wie viele Kontakte einem Menschen gut tun. Die Anzahl und Intensität von Freundschaften und Bindungen ganz allgemein hängt stark von der individuellen Persönlichkeit ab. Auch die Zahl der lockeren Bekanntschaften variiert von Individuum zu Individuum.
Es gibt angehende Aktivist:innen oder Lehramtstudent:innen, die durch ihre Tätigkeit so stark in nähere Beziehung zu anderen Menschen treten, dass ihnen in ihrer Freizeit der Kopf eher nach Rückzug und wenigen Kontakten steht. Dann gibt es wiederum etwa Politikmenschen, die auf jeder Demo oder Veranstaltung dabei sind und dennoch jeden zweiten Tag auf privaten Feiern auftauchen.
Zum inneren Kreis eines jeden Menschen sagt auch Studienberater und Psychologe Holger Walther von der Humboldt-Universität zu Berlin: „Ich frage in Beratungen häufig nach Freund:innen und höre dann zwei Versionen – entweder jemand sagt 'Ich habe nur ein paar mir wichtige Kontakte. Ich brauche nicht so viele Bekannte'. Oder jemand sagt: 'Ich habe einen großen Freundeskreis, weil ich so unterschiedliche Interessen pflege.' Hier gibt es demnach kein richtig und falsch.
Wie viele Freundschaften wir pflegen
Hinter der Zahl an engeren oder weiter gefassten Freundschaften steckt häufig auch die Frage, wie intensiv wir uns unsere Kontakte wünschen. Die meisten Menschen haben zwischen 2 und 10 Freundschaften, manche sogar bis zu 15 Menschen. Drei bis vier werden unser engster Kreis.
Interessant wird es, wenn man diese Durchschnittszahlen ins Verhältnis zu den Persönlichkeitsmerkmalen eines Menschen setzt. Eine Studie aus dem Jahr 2016 kam überraschenderweise zu dem Schluss, dass Extrovertierte wie Introvertierte die gleiche Zahl an Freundschaften pflegen. Nämlich rund 15. Auch standen in der Studie die Probanden ihrem geselligen Freundeskreis nicht unbedingt näher als ihren stilleren Kontakten.
Wie verbunden wir uns fühlen, hängt also nicht davon ab, wie introvertiert oder extrovertiert ein Kontakt von uns ist. Zwar machte die Studie von 2016 deutlich, dass Extrovertierte offener seien und weitaus mehr lockere Beziehungen zu anderen Menschen pflegen würden. Die gute Nachricht bleibt für Introvertierte: Die Zahl der Freundschaften und ihre innere Verbundenheit erwies sich bei Extrovertierten nicht höher als bei ruhigen Zeitgenossen.
Wie viele Kontakte funktionieren maximal?
Je nach Vermögen des Gehirns und je nach verfügbarer Zeit können wir den Gemeinschaftssinn ausweiten oder einschränken. Der britische Anthropologe Robin Dunbar fand heraus, dass unser Beziehungsnetz aus insgesamt rund 150 Menschen besteht. Zu diesem Netzwerk zählen nähere Bekannte wie Kollegen, Nachbarinnen, der Frisör oder die nette Bäckerin von nebenan.
Diese Zahl unterliegt je nach Menschentypus einer „natürlichen Streuung“, es können auch 100 bis 200 Kontakte sein. Demgegenüber steht, dass aktuelle Studien die Netzwerkzahl vieler Menschen heute auf über 200 schätzen. Umfragedaten sozialer Netzwerke ergeben seit den 2000er Jahren, dass immer mehr Menschen immer mehr Kontakte pflegen. Als Ursache dafür werden die positiven Seiten von Facebook, Instagram, Messenger und Co gesehen.
Mithilfe moderner Kommunikation lassen sich selbst längst vergangene Jugendkontakte wiederbeleben.
Wann empfinden wir zu viele Kontakte als stressig?
Infos zur Autorin
Maria Köpf studierte Germanistik und Judaistik an der Freien Universität Berlin. Sie lebte je ein halbes Jahr in Israel und Spanien. Seit einigen Jahren verbindet sie mit den abgeschlossenen Studien und Ausbildungen Journalismus und Medizin und schreibt heute als freie Journalistin vor allem für medizinische Fachzeitschriften und Magazine.
mariakoepf.com
Doch was läuft neurologisch ab, wenn jemand viele Bindungen als stressig oder als bereichernd empfindet? Auch das ist sehr verschieden. In der Regel schütten Menschen beim Pflegen sozialer Kontakte „Glückshormone“ aus. Der eine schüttet bei sozialer Netzpflege mehr, der andere weniger aus.
In Zeiten von Terminstress und Reizüberflutung benötigen wir trotz aller positiven Beziehungspflege auch wieder Zeit für die eigene Regeneration. Auch hier gehen die benötigten Ruhephasen von Mensch zu Mensch auseinander. Gerät unsere Psyche aus dem Lot, kapseln sich viele zudem von ihren Freunden und Bekanntschaften auf.
Dem „sozialen Gehirn“ zum Trotz können Angst- und Sozialstörungen und Depressionen dazu führen, dass sich Menschen mit sozialen Kontakten schwer tun. Zudem wissen wir heute, dass bestimmte psychische Störungen die neuronale Verknüpfung der Gehirnareale, die wir für soziale Interaktion benötigen, verändern. Auch die Bedeutung der Glückshormone Oxytocin, Endorphine und Phenylethylamin und weitere Botenstoffe wie Serotonin, Dopamin, Noradrenalin und Adrenalin haben es in sich, wenn es um den Aufbau positiver Bindungen geht.
Eine zentrale Rolle für das im Tierreich einzigartige Netzwerk von bis zu 150 Personen spielt die Amygdala. Je größer diese ist, umso besser können Menschen die Emotionen, die beim Miteinander mit vielen Personen aufkommen, regulieren. Stand jetzt verfügen Menschen mit einem besonders großen Freundeskreis über ein größeres Volumen der Amygdala.
Zuviel des Guten: Wann Beziehungen schaden
Die Fähigkeit des Menschen, Beziehungen zu pflegen, ist grundsätzlich begrenzt. Der Forscher Robert Dunbar fand zusätzlich heraus, dass der Mensch zwar aufgrund der Größe seines Neokortex das größte Netzwerk aufbauen kann.
Das evolutionäre Wachstum der Großhirnrinde, um mehr Kontakte aufzubauen, zeigt jedoch auch ein wichtiges Faktum: Es nimmt viel mehr Hirn in Anspruch, Kontakte zu pflegen, sich Details zu merken und gut miteinander umzugehen, als viele meinen.
Die Agenda so zu planen, dass gelegentlich ein Ausflug mit der besten Freundin oder dem besten Freund drin ist, erfordert Zeit, die wir zuweilen kaum haben. Sich durch regelmäßige Telefonate und Nachrichten mit dem gesamten Freundeskreis zu verbinden, darf nicht unterschätzt werden. Dies ist insbesondere in den Phasen der Mitte und zum Ende des Studiums relevant, wenn oftmals eine Prüfung und Aufgabe die nächste jagt. Deshalb geben wir dir an dieser Stelle einmal grundsätzliche Tipps, wie du stressende Kontakte von positiven Beziehungen besser unterscheiden kannst.
10 Tipps von Psychologe Holger Walther zur Frage:
Woran erkenne ich „stressende“ Kontakte?
Hör auf dein Gefühl - bist du verunsichert oder fühlst du dich nicht wertgeschätzt, liegst du wahrscheinlich richtig.
Achte auf Einseitigkeit: Bist immer du es, die um Hilfe gefragt wirst, oder lässt du dir auch helfen?
Trotz guter Stimmung fühlst du dich hinterher erschöpft.
Dir werden wenig Fragen gestellt und wenn, dann nur um dir erzählen zu können "Ach ja? Das ist bei mir aber anders, nämlich blablabla.“ Das heißt, die Frage ist nur ein pseudo-interessierter Aufhänger.
Hast du immer für andere Zeit, wirst andererseits aber häufig vertröstet?
Wenn du Grenzen setzt: Werden diese beachtet oder statt dessen wegdiskutiert? Mit Worten wie: „Ach, komm, das dauert doch nicht so lang. Du kannst dann doch immer noch...“.
Die Steigerung des Ganzen ist natürlich emotionale Erpressung. Das können emotionale Aussagen sein wie „Wenn du das nicht..., brauchst du gar von mir erwarten... / Du weißt, wie es Mama geht - hat sie nicht schon genug Sorgen? / Es ist dein Leben und du musst glücklich werden. Ich würde mir aber trotzdem noch mal genau überlegen, ob...“
Zwischendurch werden andere Dinge erledigt, am Besten sogar dann, wenn du gerade etwas persönlich Wichtiges erzählst: "Warte mal eben, ich muss gerade mal die SMS beantworten."
Dein Kontakt zeigt zum Kontext nicht passende, dadurch übertrieben wirkende Komplimente oder physische Nähe. Warnung: Hier will einer etwas bei dir zum eigenen Vorteil erreichen, zum Beispiel wenn ein:e Dozent:in dir in der allerersten Sprechstunde zu Zweit das Du anbietet.
Du signalisierst, dass du gehen musst, aber das wird ignoriert. Wenn du auch rauchst, etwa wieder gaaanz nett gemeint "Komm, wir rauchen schnell noch eine!" In Wirklichkeit sind das dann ja mindestens 5 Minuten.
Literatur
Studie zur Anzahl und Intensität der Beziehungen im inneren Freundeskreis von 15 Freundinnen und zu individuellen Unterschieden je nach Persönlichkeitstyp:
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