Die Kunst, daraus Häuser zu bauenKrisen im Studium vermeiden und bewältigen
Von Turid Müller
Kurz + knapp
Ursache und Auslöser mag vielleicht nach etwas Ähnlichem klingen, sind aber unterschiedliche Dinge. Eine Ursache ist das zugrunde liegende Problem, wie zum Beispiel ein schlimmes Ereignis, das du erlebt hast. Ein Auslöser ist etwas, das dich an dieses Ereignis erinnert, ein Geruch, ein Gefühl oder eine bestimmte Situation.
Für den Begriff Krise gibt es viele unterschiedliche Definitionen. Alle gemein haben jedoch, dass es eine außerordentliche Lage ist. In der Psychologie beschreibt eine Krise einen Ausnahmezustand, in der eine Person psychisch sehr labil ist und in besonderem Maße auf Hilfe angewiesen ist.
Den einen richtigen Weg gibt es leider nicht. Das Angebot an Hilfen ist jedoch sehr groß. Es gibt viele Therapien, die du machen kannst, Bücher zu den unterschiedlichsten Problemen und Situationen oder auch eine radikale Veränderung in deinem Leben oder Lebensstil.
Krise? –
Was ist das eigentlich?
„Krise“! – Das klingt aufwühlend und bedrohlich – aber auch sehr unspezifisch. Woran erkenne ich denn nun, dass ich mich in einer Krise befinde? Und was ist das eigentlich?
Wikipedia nennt sie den „entscheidenden Abschnitt einer schwierigen Situation.“ Der Duden beschreibt sie als eine „Zeit, die den Höhe- und Wendepunkt einer gefährlichen Entwicklung darstellt“. Als eine „kritische Situation“, ja sogar als „Zeit der Gefährdung“.
Und das Lexikon der Psychologie von Spektrum charakterisiert sie als „Ausnahmesituation […], in der sich die Betroffenen in einem sehr labilen psychischen Zustand befinden, ein weitaus größeres Bedürfnis nach Hilfe als sonst haben und folglich auch leichter beeinflussbar sind.“
Und sicher ist eins: So viele Ursachen und Auslöser es für Krisen gibt, so viele unterschiedliche Krisen gibt es auch.
Arten von Krisen,
Auslöser und Ursachen
In der Psychologie unterscheidet man zwischen Auslösern und Ursachen. Von Ursachen spricht man, wenn man die Wurzeln der Probleme meint, die zu ihrer Entwicklung geführt haben. Ein Auslöser kann einfach der Tropfen sein, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat – ohne dass er ursächlich daran beteiligt gewesen sein muss, dass das Fass überhaupt randvoll geworden ist.
„Krise“ ist zunächst einmal nur ein Oberbegriff für eine Zeit, in der wir an einen Punkt kommen, an dem es nicht so weiter gehen kann wie bisher. Ein Punkt, an dem eine Änderung notwendig wird. Worum es dabei geht, kann ganz unterschiedlich sein:
Vielleicht merken wir, dass wir uns mit unseren Lebensentscheidungen vertan haben? – Das Studienfach ist doch nichts für uns – oder gar das Studieren an sich! Unsere Wohnsituation ist nicht länger erträglich, die Beziehung steht auf dem Prüfstand, wir fühlen uns im Studi-Job fehl am Platze oder kommen einfach nicht richtig an in der neuen Stadt.
Eine Krise kann aber auch ausgelöst werden, weil wir uns einer Belastung gegenübersehen, die wir als zu groß empfinden; und wir wissen vielleicht nicht, wie wir sie bewältigen können. – Das kann der Fall sein, wenn wir unter Prüfungsängsten und Schreibblockaden leiden, wenn bestimmte Anforderungen im Studium uns überfordern oder wenn wir zwischen Studentenjob und Klausuren zerrieben werden.
Auch wenn die Seele in Schieflage gerät, spricht man von einer Krise. – Es könnte der Augenblick sein, indem wir uns eingestehen, dass wir Unterstützung suchen sollten, weil unsere psychische Gesundheit aus dem Gleichgewicht geraten ist. Das kann als Folge von körperlichen bzw. chronischen Erkrankungen sowie Behinderungen passieren.
Aber auch ausgelöst durch Suchterkrankungen wie zum Beispiel Internetsucht oder Alkoholkonsum. Oder es wird hervorgerufen, weil wir Opfer von Mobbing, sexualisierter Gewalt oder Rassismus werden. Oder direkt durch das Auftreten psychischer Krankheiten wie beispielsweiser einer Depression, Psychose oder bipolaren Störung. Viele psychische Krankheiten treten erstmals in jungen Jahren auf.
Krisen können aber auch durch – von außen betrachtet – positive Ereignisse ausgelöst werden – auch sie sind Schwellen-Situationen, die uns mit neuen Herausforderungen konfrontieren:
Die Geburt eines Kindes kann uns in einen Rollen-Konflikt stürzen. Mutter sein oder weiter studieren?
Auch der erfolgreiche Abschluss unseres Studiums und der Einstieg ins Berufsleben kann zunächst als Überforderung empfunden werden und uns vor die ganz großen Fragen des Lebens stellen: „Kann ich diese Verantwortung übernehmen? Bin ich dem überhaupt gewachsen? Will ich so leben und arbeiten? Was gehört für mich zu einem sinnvollen Leben? – Und das kann etwas ganz anderes sein als das, was andere für sinnvoll halten.
Artikeltipp: Berufswahl – Mit dem Inneren Team zum Traumjob
Orientierungslosigkeit empfinden viele Absolvent:innen zwischen Uni und Berufseinstieg. Der neue Lebensabschnitt konfrontiert mit Entscheidungen und großen Fragen. Wer sich selbst intensiv befragt, kann diese Blockade oder gar Krise leicht umschiffen! weiter
So genannte kritische Lebensereignisse wie Prüfungsstress, Schwangerschaften oder Berufseintritt können Auslöser für Krisen bzw. für psychische Probleme sein:
Stressbedingt entwickeln immer mehr Studierende ein Burnout – die Ursachen werden sie allerdings vermutlich nicht in den Prüfungen selbst, sondern bei ihren Bewältigungsstrategien, ihren Ansprüchen an sich selbst und der Menge an Aufgaben suchen, die sie sich im Lebens insgesamt zumuten.
Der Berufseintritt kann im Einzelfall so beängstigend sein, dass sich ausgelöst davon eine Depression entwickelt. Die Ursache ist allerdings nicht unbedingt der Beruf; überwältigt werden wir von den dadurch aufgebrochenen inneren Konflikten: Hier kann zum Beispiel ein innerer Appell im Widerspruch zu unseren eigenen (noch uneingestandenen) Bedürfnissen stehen.
Ein Beispiel aus meinem Umfeld:
Ein Kollege merkte erst nach einem Psychiatrie-Aufenthalt, dass er nicht zum Sozialarbeiter geboren war; angestoßen durch die Krise fand er seine Leidenschaft als Künstler und lebt inzwischen sehr gut davon.
Eine Krise will in der Regel eins: Sie möchte uns etwas mitteilen. Und dieser Botschaft lauschend, können wir sie überwinden. Und vielleicht finden wir uns reicher vor, wenn wir das andere Ufer erreicht haben.
Gesundheit ist keine Einbahnstraße:
Wege aus der Krise
So unterschiedlich die Wege hinein sind, so vielfältig sind auch die Wege heraus: Der Schlüssel kann das richtige Buch zur richtigen Zeit sein, eine Therapie oder eine radikale Veränderung. Es hilft es uns vielleicht, andere Bereiche zu finden, in denen wir uns entfalten können:
Das Steppen als Ausgleich zum Studium, der gefehlt hat. Ein Hobby, das uns die Power gibt, um schwierige Zeiten durchzustehen. Oder die Reiselust, die uns etwas gibt, auf das wir uns freuen können, um den drögen Alltag durchzuhalten.
Manchmal reicht vielleicht schon die Erkenntnis, dass wir zu verbissen waren, und dass Studieren nicht alles ist.
So oder so: Der Weg aus der Krise beginnt mit der Einsicht, dass wir uns in einer Krise befinden. Dass das erstmal eine Weile dauert, weil wir es nicht wahrhaben wollen, weil es gerade nicht in unseren Terminplan passt oder weil es uns peinlich ist – das ist ganz normal.
Wenn wir zu der Erkenntnis gelangt sind, dass wir in einer Krise stecken, dann kann es angebracht sein, sich Hilfe zu holen. Wie die im Einzelnen aussehen kann, ist natürlich abhängig von der Natur der Krise. Eine leichte Sinnkrise kann vielleicht mit den engsten Kumpels besprochen und gelöst werden. Eine schwere Lebenskrise oder eine Krise mit psychischer Beeinträchtigung braucht wohlmöglich professionelle Begleitung.
Die erste Anlaufstelle könnten die Universität, Hochschule und Studierendenwerke sein. Viele bieten psychologische Beratung für Studierende an.
Ebenso gibt es Ansprechpartner:innen für chronisch kranke und behinderte Studierende, wo Betroffene zum Beispiel Erleichterungen beim Studium beantragen können. Das kann zum Beispiel bedeuten, mehr Zeit für Klausuren oder Hausarbeiten zu bekommen, und somit für Entlastung zu sorgen.
Vielleicht ist es auch sinnvoll, krankheitsbedingt ein Urlaubssemester zu nehmen? Damit ist der Rücken erstmal freier. Und wir können uns um uns kümmern.
Sofort und anonym sind Sorgentelefone zur Stelle, um mit einer heftigen Situation nicht allein zu bleiben, sich jemandem anzuvertrauen oder Ideen für das weitere Vorgehen zu entwickeln.
Es gibt sogar studentische Telefonseelsorge sowie frnd.de, eine Seelsorge speziell für junge Erwachsene, oder auch Hotlines zu bestimmten Themen wie z.B. Gewalt gegen Frauen.
Möglich ist aber auch, sich selbst Coaching oder auch psychologischen Support zu suchen. Hier ist es ratsam, sich von Menschen unseres Vertrauens Empfehlungen geben zu lassen, damit Methode und persönliche Chemie zu uns passen. In Therapien ist es üblich fünf Probestunden zu nehmen, so dass wir herausfinden können, ob wir uns dort wirklich gut aufgehoben fühlen, bevor eine längere Therapie bei der Kasse beantragt wird.
Leider sind Therapieplätze oft rar gesät. Und so kann es Wartezeit geben. Informationen zur Verfügbarkeit freier Therapieplätze bekommen wir unter anderem beim Psychotherapie-Informationsdienst, unter psychotherapeutensuche.de oder bei der Deutschen Psychotherapeutenvereinigung oder über die regionale kassenärztliche Vereinigung. Auch könnt ihr beim Verband Freier Psychotherapeuten, Heilpraktiker für Psychotherapie und Psychologischer Berater schauen – ob hier die Kosten von der Krankenkasse bewilligt werden, ist jedoch nicht ganz leicht.
Manchen hilft es, sich mit anderen auszutauschen, die ähnliches erleben. Schon fühlt man sich nicht mehr wie der einzige Alien. Hierfür eignen sich Selbsthilfegruppen.
Schnell ist spürbar: Die Recherche kann etwas Zeit in Anspruch nehmen und braucht eventuell auch einen klaren Kopf. Den haben wir natürlich in der Krise nicht unbedingt. Dann können wir Vertraute darum bitten, uns dabei zu unterstützen oder aber eine niederschwellige Beratung aufsuchen, die uns einen ambulanten Therapieplatz vermittelt.
Wenn die Krise sehr schwer ist, kann auch eine Tagesklinik oder ein vorübergehender stationärer Aufenthalt sinnvoll sein. Auch hier sollten wir uns vorher über die entsprechende Einrichtung informieren. Der Trubel einer psychiatrischen Notaufnahme kann den emotionalen Zustand im schlimmsten Fall zunächst verschlechtern; die falschen (oder falsch dosierten) Medikamente können bestehende Symptome verschärfen oder sogar neue herbeiführen.
Gut ist, wenn wir jemanden haben, der uns hilft, auch in einem solchen Ausnahmezustand noch unser Bauchgefühl zu Rate zu ziehen: In welcher Umgebung fühle ich mich jetzt sicher? Wo finde ich Hilfe? Wo kann ich gesund werden?
Im äußersten Notfall kann sich jeder Mensch selber in eine Psychiatrie einweisen. Betroffene berichten, das sie das tun, wenn sie nicht garantieren können, dass sie sich nichts antun und wenn sie unfähig sind, für sich zu sorgen. Dabei kann uns auch die hausärztliche Praxis unterstützen. Es geht aber auch in Eigenregie. Manche Menschen haben die entsprechenden Telefonnummern immer im Portmonee. Zum Beispiel die vom lokalen sozialpsychiatrischen Dienst.
Ich kann aber auch einfach direkt und selbst in die psychiatrische Notaufnahme gehen.
Unter 116 117 erreicht man den ärztlichen Notdienst. Das ist eine Stelle, bei der man Hilfe (auch psychologische oder psychiatrische) in die Wege leiten kann.
In jedem Fall finden wir unkompliziert Hilfe beim sozialpsychiatrischen Dienst in der Region.
Stigma „Seelische Störung“:
Wenn die Seele Schnupfen hat.
Die Geschichte der Psychologie kommt einen weiten Weg. Und es ist erst ein paar Jahrzehnte her, dass Menschen mit psychischen Auffälligkeiten von Staat und Gesundheitssystem stigmatisiert und entmündigt worden sind – oder Schlimmeres. Kaum verwunderlich also, dass diese Themen noch immer irgendwie tabu sind. Allerdings leider oft verheerend:
Scham kann dazu führen, dass wir uns sehr spät eingestehen, was mit uns los ist. Dass es uns peinlich ist, kann bedeuten, dass wir uns niemandem anvertrauen wollen, dass wir versuchen, uns zusammenzureißen, oder dass wir den Gang zur Therapie scheuen.
Das Gefühl kann sein, dass es nur uns und eine kleine Minderheit betrifft, dass wir damit quasi allein sind, unnormal, ja abnorm. Dabei ist das alles andere als realistisch: Eine große Zahl von Menschen ist mindestens einmal im Leben in einer Krise oder von einer psychischen Erkrankung betroffen.
Vielleicht hilft es, wenn wir uns vorstellen, dass es so etwas wie ein Schnupfen oder eine Grippe ist. – Wir kämen nie darauf, uns zu schämen, weil wir husten! Natürlich würden wir einen Arzt aufsuchen. – So sollten wir auch damit umgehen, wenn unsere Seele verschnupft ist.
Natürlich kann es vorübergehend unangenehme Konsequenzen haben, wenn diese Details über uns denn überhaupt nach Außen dringen. Aber wir sollten uns die Frage stellen, ob wir überhaupt zu diesem Club gehören wollen. Betroffene berichten oft, dass sich in der Krise im Freundeskreis die Spreu vom Weizen trennt. Echte Freundschaften vertiefen sich sogar durch die gemeinsam durchgestandenen schweren Zeiten.
In jedem Fall sollten wir es uns wert sein, dass unser Wohlbefinden und unser Lebensglück an erster Stelle stehen. Nicht das, was „die Leute“ über uns denken. – Und wer weiß schon, ob unsere Befürchtungen überhaupt den Tatsachen entsprechen. Vielleicht wären wir überrascht!
Hilflose Helfer
Aber nicht immer sind wir selber betroffen. Manchmal erwischt es unsere Freund:innen und Kolleg:innen. Manchmal hat das eine solche Wucht, dass es uns fast mit in die Krise stürzt: Wenn mein Fels in der Brandung auf einmal wackelt – das kann mir schon ganz schön den Boden unter den Füßen wegreißen.
Auch als Angehörige oder Freund:innen haben wir das Recht auf Beistand. Die oben genannten Ansprechpartner:innen sind vielleicht auch für uns ein guter erster Schritt, um uns Klarheit zu verschaffen:
Was hat meine Kommilitonin? Warum bemerkt sie das selber nicht? Was kann ich tun und was nicht? Wo finde ich selbst Unterstützung, wenn mich die Situation an den Rand meiner Kraft bringt? Welche Teufelskreise entstehen bei dieser Erkrankung typischerweise mit Angehörigen? Welche Bücher können mir ein Leitfaden sein?
Wichtig ist, das Gefühl der Belastung zu spüren und es nicht unter Glaubenssätzen zu vergraben wie: „dem anderen geht es schlecht, ich muss jetzt stark sein!“ – So übernehmen wir uns auf lange Sicht und stellen auch keine Stütze für den anderen dar. Es gilt die Regel, die wir aus dem Flugzeug kennen: Erst die Sauerstoffmaske zu sich selbst heranziehen, und dann für Mitreisende sorgen.
Gefahr erkannt. Gefahr gebannt? – Krisen sind ein Risiko.
Krisenhafte Erlebnisse sind nicht auf die leichte Schulter zu nehmen. Auch ein Schnupfen, den wir verschleppen, kann zu einer Herzmuskelentzündung führen, und unser Leben schließlich ernsthaft in Gefahr bringen. – Warum sollte es mit der Seele anders sein?
Seelische Erkrankungen können sich (unbehandelt) stark zuspitzen. Und sie haben gegebenenfalls auch Einfluss auf unsere körperliche Gesundheit: Suchterkrankungen wie Alkoholmissbrauch oder Essstörungen können unseren Körper vorübergehend oder auch irreversibel schädigen. Selbstverletzende Verhaltensweisen, Unfall-Neigungen oder Selbstmordgedanken- oder Drohungen sind immer ernst zu nehmen. Dass wer von Suizid redet, es nicht wirklich tun wird, ist ein Märchen!
Wer sich mit Selbstmordgedanken trägt oder jemanden kennt, den er als suizidal erlebt, der sollte Hilfe holen! Lieber einmal zu früh als zu spät…
Als Helfende oder Angehörige ist es wichtig zu wissen, dass wir nicht in der Hand haben, was andere Menschen tun. Wir können unser Bestes geben und achtsam sein. Wir können zuhören, bei offenen Ohren vielleicht einen Rat geben oder gemeinsam eine Beratungsstelle aufsuchen.
Aber es gibt Grenzen. Um jemanden zwangseinweisen zu lassen muss klar belegt sein, dass diese Person für sich oder andere eine Gefahr darstellt. Das schützt unsere Freiheitsrechte. Das macht es aber für Menschen, die um uns besorgt sind, auch schwer, uns vor uns selbst zu beschützen.
Und selbst wenn eine Einweisung in eine Psychiatrie möglich ist, ist die Frage zu stellen: Was macht das mit unserer Beziehung? Bin ich bereit, unseren guten Kontakt aufs Spiel zu setzen? Vielleicht ist es das wert, weil es ein Leben rettet. Vielleicht ist es aber auch der falsche Weg, vielleicht wird etwas anderes gebraucht.
Eine Freundin von mir hat einen Kommilitonen an den Freitod verloren. Er hat ihr gemailt, dass es ihm nicht gut geht, dass er reden möchte. Sie hatte Stress mit Klausuren, hat für sich gesorgt und ein späteres Treffen in Aussicht gestellt. Als sie ihn dann ein paar Wochen später deswegen anschrieb, kam keine Antwort zurück. Sie begann sich Sorgen zu machen und bat ihn dringend um Rückmeldung. Ein paar Tage später kam eine Mail von seiner Familie. Ihr Freund hatte sich das Leben genommen.
Für meine Freundin war es wichtig, zu verstehen, dass ihr Verhalten nicht Schuld war an seinem Tod. Sonst hätte sie nicht weiter machen können. Aber gelernt hat sie daraus, bei Hilferufen zukünftig immer sofort abzuklopfen, welche Not dahintersteht oder ob etwas warten kann.
Unabhängig davon gilt: Wir sind alle erwachsene Menschen. Für die Gefühle und Handlungen anderer, sind wir nicht verantwortlich. Alle sind letztlich für sich selbst verantwortlich.
Turid Müller – Schauspielerin und Diplompsychologin – arbeitet an den Schnittstellen von Kommunikation und Kreativität. Unter anderem als Leiterin von Kreativitäts- & Präsentationstrainings.
Und als „Teilzeitrebellin“ im Bereich Chanson/Musikkabarett:
Krise als Chance:
Was die Krise uns zu sagen hat.
Ja, eine Krise ist ernst zu nehmen. Aber sie ist auch nicht automatisch ein Grund zur Panik. Im Gegenteil: Viele Menschen berichten, dass sie gestärkt aus einer Krise hervorgegangen sind. Sie haben gelernt, mit einer Krankheit zu leben, sie haben wichtige Erkenntnisse über sich und das Leben gewonnen, Selbstzweifel abgelegt. Sie haben Mut zu tiefgreifenden Veränderungen gefunden, lang vergrabene Fähigkeiten ans Licht geholt, sich selbst neu kennengelernt oder den persönlichen Lebenssinn gefunden.
Ich habe viele Menschen erlebt, die während der Studienzeit ganz schön zu kämpfen hatten. Das ist kein Wunder. In dieser Zeit werden entscheidende Weichen im Leben gestellt.
Ein Bekannter zum Beispiel hat jahrelang mit zunehmender Verwirrung und Verzweiflung verschiedene Fächer studiert und abgebrochen, bis er seine Erfüllung in der Medizin gefunden hat. Rückblickend weiß er, das diese Suche notwendig war. Ohne sie hätte er seine Berufung nicht gefunden. In der Theorie und vom Sofa aus lassen sich die großen Lebensfragen selten klären. Dazu müssen wir uns ins Getümmel stürzen und ausprobieren, wie es sich anfühlt.
Auch Fehler können unter Umständen ein wichtiger Schritt auf dem eigenen Weg sein. Das bringt uns manchmal an mehr als unbequeme Punkte.
Eine Kollegin zum Beispiel schrie, während sie für ihr Vordiplom lernte, das ganze Haus zusammen. Es tat ihr quasi in der Seele weh. Denn sie ertrug diese Art des Lernens und die Inhalte nicht mehr. So laut können die Stimmen in uns werden, wenn wir sie in ‚Gesprächslautstärke‘ überhören.
Inzwischen hat sie ihren Lebenssinn in einer völlig anderen Tätigkeit gefunden und ist zufrieden. „Ohne diese drastischen seelischen Schmerzen hätte ich wohlmöglich nicht auf meine Sehnsucht gehört und wäre in einem Leben gelandet, das mich unglücklich macht!“ sagt sie, wenn man sie nach dieser Zeit befragt.
Die Schritte in die richtige Richtung brauchen Mut. Denn manchmal fühlen sie sich an wie ein Rückschritt, wie eine Kapitulation, wie das Eingeständnis der eigenen Unzulänglichkeiten:
Wer zieht schon gern wieder zurück zu Mutti, weil im Wohnheim in der Fremde das Heimweh zu groß wurde!?
Es ist nicht leicht, sich einzugestehen, dass wir mehr so der Ausbildungstyp sind – schon gar nicht, wenn unsere Akademiker-Familie hohe Erwartungen an uns stellt...! – Aber: Wenn wir unseren eigenen Bedürfnissen und unseren Gefühlen nicht vertrauen, wem dann? Den Durchhalteparolen der Elterngeneration, die uns vorbetet, wie gut wir es doch haben und wie dankbar wir doch sein müssten!?
Manchmal braucht es die Krise, um den unbequemen Blick nach Innen zu wagen.
Die Lektion, die die Krise für uns bereithält, kann ganz individuell sein. Und es mag Tage geben, an denen es uns zynisch erscheint, ein Geschenk in diesem schwarzen Tunnel anzunehmen. Aber auf der anderen Seite angekommen gibt es eventuell einen Schatz zu heben. Die Auster, die durch ein eindringendes Sandkorn gestört wird, entwickelt eine Perle. Oder ein salopper Satz, mit dem eine Mentorin mir sehr geholfen hat, als ich in unruhigem Fahrwasser war:
„The shit from your past is the manure for your future.“
(„Die Scheiße aus deiner Vergangenheit ist der Dünger für deine Zukunft.“)
S.O.S.! ✚ Erste-Hilfe-Kasten
Sorgentelefon anrufen:
0800/111 0 111
0800/111 0 222
116 123Psychotherapieplatz finden:
Ärztlicher Notdienst:
116 117Hilfe im akuten Notfall:
Polizei: 110Selbsteinweisung im Notfall:
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Weiterführendes zum Thema
Artikel auf Studis Online
- Beratungsangebote, die Studierende kennen sollten
- Achtsamkeit im Studium
- Resilienz stärken für Studium und Beruf
Literaturtipps
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Links
- Krise im Studium: Ich weiß nicht weiter (Zeit Campus)
- Krise im Studium: Zwei Erfahrungsberichte (Staufenbiel)
- Psychische Krise im Studium: Studenten leider unter Stress (Süddeutsche)
- Neuorientierung – Wann macht das Studium keinen Sinn mehr? (Augsburger Allgemeine)
Anmerkung der Redaktion:
Der Artikel wurde zuerst am 3. Juni 2019 auf Studis Online veröffentlicht – das oben angegebene Datum zeigt den letzten Stand der Aktualisierung an.