Vom großen I über gender-gap bis zum *Die Entstehung von gendergerechten Schreibweisen
Gendergerechte Schreibweisen gibt es in verschiedensten Varianten.
1. Kurze Geschichte des Einzugs von Frauen an deutschen Universitäten, ins Berufsleben und deren schleichende Gleichberechtigung – auch auf sprachlicher Ebene
Gendergerechte Schreibweisen sind schon länger ein Thema. Doch geändert hat sich wenig.
In Vorträgen, Reden oder Texten werden meistens noch immer die männlichen Endungen, der generische Maskulinum, benutzt. Danach sind Frauen zwar mitgemeint, werden aber nicht explizit erwähnt. So heißt es beispielsweise Studenten, Tutoren, wissenschaftliche Mitarbeiter oder Professoren.
Das hat Geschichte. Denn Frauen in Deutschland ist bis auf wenige Ausnahmen der Zugang zu Universitäten lange verwehrt geblieben.1 1900 reichte die Freiburger Gasthörerin Johanna Kappes auf Verlangen des Frauenvereines "Frauenbildung – Frauenstudium", indem sie selbst Mitglied war, eine Petition an ihrer Universität ein und erreichte damit als erste Frau in Deutschland ihre ordentliche Zulassung. Dies war ein bahnbrechendes Ereignis. Nach und nach fanden Frauen Einzug in die deutschen Universitäten. Durften sie ab 1919 immerhin schon wählen, erkannte Mann ihnen erst ab 1920 an zu habilitieren.2 Auch sonst schleppte sich die Anerkennung der Frauenrechte langsam durchs letzte Jahrhundert und ist den Initiativen einiger Frauen zu verdanken. So erwirkten einige Politikerinnen verschiedener Parteien 1949 bei der Schaffung des Grundgesetzes, welches allerdings erst 1953 in Kraft trat, die Aufnahme von Artikel drei: Dort heißt es in Absatz zwei "Männer und Frauen sind gleichberechtigt."3
Trotzdem wurde das sogenannte Lehrerinnenzölibat in Baden-Württemberg erst 1956 aufgehoben. Bis dato sollte eine Lehrerin jungfräulich bleiben und verlor bei Heirat ihren Job. Da es angeblich nicht möglich war den Lehrerinnen-Beruf mit den Pflichten einer Frau innerhalb der Ehe zu vereinbaren. Weitere zwei Jahre dauerte es bis ein Ehemann nicht mehr berechtigt war seiner Frau den Arbeitsvertrag zu kündigen.4
Erst 2001 wurde mit dem Gleichstellungsgesetz5 ein Diskriminierungsverbot wegen des Geschlechtes, die explizite Förderung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, sowie eine geschlechtergerechte Sprache auf den Weg gebracht. Zur Sprache heißt es usprünglich: „Rechts- und Verwaltungsvorschriften des Bundes sollen die Gleichstellung von Frauen und Männern auch sprachlich zum Ausdruck bringen. Dies gilt auch für den dienstlichen Schriftverkehr.“ Allerdings wurde weiter nicht erklärt, auf welche Weise dies zu geschehen hat. Im Verlauf des Textes werden meist Doppelnennungen, wie „Beamtinnen und Beamte“ oder neutralisierende Formen wie „Angestellte“ benutzt. Später aber auch Wörter wie Richterstellen.
2. Klammer ( ) und Schrägstich mit Auslassungszeichen /- zur Mitbenennung von Frauen
Die Hilfszeichen für gendergerechte Schreibweisen ...
„Die höflichste und eindeutigste Variante der sprachlichen Gleichstellung ist die Doppelnennung“, steht im Duden-Newsletter vom 07.01.2011. Doch um den Schreibfluss zu vereinfachen schlägt derselbe die Schreibweise mit dem Schrägstrich oder der Klammer vor. Aus Studentin und Student würde somit Student/-in oder Student(in).
Feministinnen kritisieren diese untergeordneten Schreibweisen des nebensächlich, also untergeordneten mitgemeint Werdens. Vor allem die Schreib- und Lesart innerhalb der Klammer.
Die Schreibweise mit dem Auslassungsstrich hinter dem Schrägstrich lehnen einige entsprechend seiner Symbolik, bzw. seiner Verwendung für Aufzählungen, ab. Eine Schreibweise ohne den Auslassungsstrich würde den Studenten und die Studentin gleichberechtigter nebeneinander stellen. Es hieße dann Student/in.
Dabei bleibt allerdings das Problem der aus grammatikalischen Gründen notwendigen Erstnennung des Studenten vor der Studentin und die Notwendigkeit beide Artikel ausschreiben zu müssen. Der/die Student/in. Für einige Frauen ist die Schreibweise mit dem Schrägstrich akzeptabel, wenn das – i als Ausgleich zur Zweitnennung zur Betonung und Hervorhebung der Frauen groß geschrieben wird. Es also Student/In heißt. Dies ist allerdings nach der deutschen Rechtschreibung nicht korrekt. In der deutschen Rechtschreibung dürfen nur Eigennamen, Subjekte und Wörter am Satzanfang mit Großbuchstaben geschrieben werden. Zur Veränderung bräuchte es also eine neue Rechtschreibreform. Und dennoch entwickelte sich aus der Schreibweise mit dem Schrägstrich in den achtziger Jahren das Binnen-I.
3. Geschichte des Binnen-I als geschlechtliche Entwicklung
Das Binnen-I geht in seiner ersten Benutzung auf den Autor Christoph Busch zurück. Er schrieb 1981 ein Buch über freie Radios und verwendete es darin. Statt der damals verbreiteten Schreibart mit dem Schrägstrich schrieb er statt Hörer/-innen, bzw. Hörer/Innen einfach nur noch HörerInnen. Das Auferstehen des großen Binnen-I erklärte er mit einer geschlechtliche Entwicklung des kleinen i durch ständige Annäherung an den Schrägstrich (hinter dem Auslassungszeichen).
Die freien Radios der Schweiz, wie Radio LORA übernahmen diese Schreib- und Lesart zuerst, dann folgte die -schweizer Wochenzeitung WOZ und schließlich die deutsche Tageszeitung taz, deren Markenzeichen es wurde. Auch hier wurde es von einem Mann eingeführt, dem Redakteur Oliver Tolmein. In den Anfangsjahren wurden alle Texte entsprechend redigiert. Später konnte jedeR schreiben, wie sieEr wollte, da kein Zwang ausgeübt werden sollte. Das führte allerdings dazu, dass zwar viele Autorinnen, aber die wenigsten Autoren es verwendeten. Während die WOZ es noch heute konsequent gebraucht6, hat die taz es mittlerweile mehr oder weniger wieder abgeschafft. Redakteure streichen es gar aus den Texten.7
2009 kam bei einer Umfrage unter den AutorInnen der taz heraus, dass viele befürchteten, als ewig gestrig zu gelten oder als FeministInnen à la Alice Schwarzer verschrien zu werden. Andere fanden es erschwere den Lesefluss und einige sehen in ihm gar ein Phallussymbol, eine Erektion im Text.8
4. Strategien der gleichwertigen Aufnahme durch die Möglichkeit die Worte zu neutralisieren, zu entgeschlechtlichen
Luise F. Pusch, eine Mitbegründerin der feministischen Linguistik schrieb 1984 das Buch „Deutsch als Männersprache - Diagnose und Therapievorschläge“. Darin schlägt sie eine Entgeschlechtlichung der deutschen Sprache durch das gänzliche Weglassen der weiblichen Endungen -in und -innen vor, weil sie meint, dass diese Formen diskriminierend wirken.
Diskriminierend deshalb, weil mit dem Gebrauch männlicher Endungen in der deutschen Sprache Frauen mitgedacht würden, nicht aber die Männer mit dem Gebrauch weiblicher Endungen. Mit der Benutzung des generischen Maskulinum würden Frauen dabei nicht unsichtbar gemacht, da sie ja mitgemeint sind, sondern untergeordnet. Und eine Unterordnung ist diskriminierend.
Die Auflösung dieser diskriminierenden Sprache soll nach der 1984 entwickelten Idee von Luise Pusch, durch die freie Wählbarkeit der Artikel geschehen. Aus der Student gegen die Studentin könnte somit beispielsweise die Student werden. Mit diesem Vorschlag geht es ihr um den Bruch mit dem symbolischen Kapital9 der Männersprache, die durch männliche Artikel an Männer denken lässt. Für sie entsteht Gleichheit also durch eine Entsexualisierung der Sprache. 2009 sagte sie in einem Interview in der taz: „Natürlich ist es ein Streit um Worte. Wir leben aber doch im Zeitalter der Information. Und Sprache ist das Mittel der Information. Wie wollen Sie denn zwischen Worten und Information unterscheiden? Die Worte sind die Sache selber. Gleiche Erwähnung ist genauso wichtig wie gleiche Bezahlung.“10
5. Strategien der Aneignung durch Benutzung der weiblichen statt der männlichen Form
Wie Luise Pusch sagt, ist in der Regel nicht von Studentinnen, Tutorinnen, wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen oder Professorinnen die Rede, wenn Männer mit gemeint sind. Was Luise Pusch dazu veranlasste, die weiblichen Endungen streichen zu wollen, veranlasste einige Feministinnen dazu den Spieß umzudrehen. Das mündete in einem konsequenten Gebrauch weiblicher statt männlicher Endungen, dem generischen Femininum und funktionierte als Irritation.
Manche gingen noch weiter und schufen Wortkreationen, von denen es keine weiblichen Formen, sondern nur neutralisierende, zu geben scheint, wie studentische Hilfskräftinnen, studentische Angesteltinnen oder Lehrbeauftragtinnen und irritierten noch mehr. Zu den Verfechterinnen einer radikal feministischen Sprache gehörten auch Marion Gerlind Veit, Antje Kurz, Maren Reiche und Rita Hanaková, die 1992 das Hand- und Arbeitsbuch zur Sprache entwickelten11. Durch das Buch, welches sie "sprachgewaltige Frauen" nannten, wollten sie die Wahrnehmung der Herrschaftsverhältnisse durch Sprache, aber auch in der Werbung stärken und mögliche Strategien des praktischen Widerstandes aufzeigten. Aus Wörtern, die ihres Erachtens männliche Formen enthielten, machten sie weibliche. Z.B. Sieachtens und Siefahrung statt Erfahrung.
Solche Strategien wurden von der Männerwelt nicht akzeptiert und habilitierte Feministinnen wie Lusie Pusch, bekamen zu diesen Zeiten an den Universitäten keine Professur. Heute sind solche frechen Schreibweisen fast wieder aus dem öffentlichen Gedächtnis gewichen. Dafür haben sich neue Schreibweisen entwickelt, die mehr als nur Männer und Frauen benennen wollen. Doch auch diese haben es schwer in ihrer Durchsetzung.
6. Das gender-gap_ als neue Strategie der Aneignung zur Infragestellung des binären Geschlechtersystems
2003 rief Steffen Kitty Herrmann mit dem in der Arranca erschienenen Artikel "Performing the gap"12 die Schreibweise, eine Leerstelle_ in Form eines Unterstrichs zwischen den männlichen und weiblichen Endungen von Nomen einzufügen, ins Leben. Dort schrieb die Autor_In s_he: "Die Grenze mit ihrer unsichtbaren Bevölkerung wird zum Ort, indem die beengenden Schranken der Zweigeschlechtlichkeit - du Leser auf der einen, und du Leserin auf der anderen – auseinander geschoben werden, um dem verleugneten Anderen Platz zu machen: du Leser_In nimmst diesen Platz ein."
Der Unterstrich, später gender_gap (soziales Geschlecht_Leerstelle) genannt, soll alle Menschen mit einschließen, auch diejenigen, die sich nicht als vermeintliche Frauen oder Männer definieren. Er soll das zwei-Geschlechtersystem in Frage stellen, weil es einige Transgender (Transsexuelle, die das Geschlecht wechseln wollen oder sich keinem Geschlecht zugehörig fühlen) und intersexuelle Menschen (Menschen deren biologische Geschlechtsmerkmale sich nicht eindeutig einem der beiden Geschlechter zuordnen lassen) nicht einschließt.
In den letzten Jahren verbreitet sich das gender-gap mehr und mehr. Wurde es am Anfang vor allem von queer-feministischen Kreisen verwendet, adaptieren es mehr und mehr Linke und selbst an Universitäten findet sich sein Gebrauch mittlerweile sporadisch wieder.13 Kritik an dieser Schreibweise gibt es derweil z.B. aus feministischer Ecke. Luise Pusch findet heute, dass das Binnen-I zur Aufnahme von Frauen eine bessere Alternative als ein angehängtes Suffix wie beim Schrägstrich/- oder Unterstrich_ ist. Den Unterstrich für Menschen, die sich nicht einem der beiden anerkannten Geschlechter zugehörig fühlen, zu verwenden, findet sie entwürdigend. Außerdem funktioniert diese Schreibweise nicht in allen Sprachen, z.B. dem Englischen, wo es gar keine männlichen und weiblichen Endungen gibt. Deshalb plädiert sie wie viele Andere für eine Entsexualisierung der Sprache durch Verwendung von Formen wie Studierende, Angestellte und Lehrbeauftragte.14
7. Verwendung des Sternchens* zur Weiterdenke von Worten
Das Sternchen* stammt von Internetsuchmaschinen. Es entstammt einer technisch maschinellen Schreibart und dient dazu hinter Wörtern etwas zu ergänzen. In Texten wird es oft als Fußnote gebraucht. Viele User* des worldwideweb benutzen es schon länger, um Wörter abzukürzen, sie weiter denkbar zu machen. Die trans*-Community hat es daher aufgegriffen, um Begrifflichkeiten wie transident (identifiziert sich mit dem anderen biologischen Geschlecht oder mit keinem), transsexuell (hat das Geschlecht getauscht), transmann (wurde von Frau zu Mann), transfrau (wurde von Mann zu Frau) usw. unter trans* zusammenzufassen.
Einige User*Innen benutzen es aber auch auf Grund seiner Form wie das gender-gap, als eine offene Leerstelle, die Raum für Freiraum lässt.
8. Verwendung des Doppelpunktes : als Alternative zu _ und * – besser für Screenreader!
In den letzten Jahren kam als Alternative zu Gender-Gap und Sternchen noch der Doppelpunkt auf, also die Schreibweise Student:in. Sie ist etwas unauffälliger als Stern oder Gender-Gap, hat aber den Vorteil, dass er von Screen-Readern (relevant für Seheingeschränkte oder Blinde) in der Regel so vorgelesen wird, wie auch Gender-Gap oder Stern meist gesprochen werden sollen: Als kurze Pause, als „Glottisschlag“ (wie beispielsweise auch beim Wort Spiegelei vor dem Ei ;). Jedenfalls solange Screenreader auf * und _ nicht speziell eingerichtet sind …
9. Fazit
Obwohl es seit dem Gleichstellungsgesetz 2001 Pflicht ist, zumindest Frauen mit in die Sprache aufzunehmen, findet sich deren Berücksichtigung in der Allgemeinheit nur gelegentlich wieder.
Bei öffentlichen Stellenausschreibungen werden Frauen in der Regel zwar mit aufgeführt, denn bei Nichtnennung kann eine Schadensersatzklage drohen, doch im allgemeinen Sprach- und Schriftverkehr schlägt sich das nur selten nieder. Viele behaupten die Aufnahme von Frauen durch Doppelnennung, Schrägstrich, Binnen-I oder die von Trans* und Intersexuellen durch das Sternchen oder gender-gap erschwere den Schreib- und Lesefluss. Andere sagen, eine Gleichberechtigung fände auch durch all diese Schreibweisen nicht statt. Einige von denen bevorzugen deshalb, wo es möglich ist, neutralisierende Formen. Andere haben einfach Angst, als sonderbar zu gelten. Besonders bei der Aufnahme von Trans* und Intersexuellen, die es offiziell gar nicht gibt.15 An diese denken deshalb ohnehin nur die Wenigsten. Und gerade deshalb stellt sich die Frage der Gewohnheit.
*L.L., Abschnitt zum Doppelpunkt 2021 von Oliver Iost ergänzt.
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Fußnoten
1 Siehe dazu auch: https://de.wikipedia.org/wiki/Frauenstudium und bei Studis Online: Der lange Kampf um Gleichberechtigung: Das Frauenstudium
2 https://idw-online.de/pages/de/news18330
3 https://www.buzer.de/gesetz/5041/a69807.htm
4 https://www.muslimische-frauen.de/2011/03/infoblatt-frauenrechte-sind-menschenrechte/
5 https://www.buzer.de/gesetz/11558/index.htm
6 Siehe in den Artikeln unter https://www.woz.ch/
7 https://www.journalistinnen.de/wp-content/uploads/2017/01/2003_gender_scheub.pdf
8 https://www.taz.de/!31423/
9 https://www.taz.de/!33532/
10 s. Fußnote 9
11 Hand- und Arbeitsbuch "sprachgewaltige Frauen", DA4, Hamburg 1992, Herausgeberinnen: "Veit, Kurz, Reiche & Hanaková", gefunden im Archiv der sozialen Bewegungen Hamburg
12 erschienen in Arranca Nummer 28, November 2003, https://arranca.org/ausgabe/28/performing-the-gap
13 Siehe dazu Luise Pusch auf: http://www.fembio.org/biographie.php/frau/comments/brauchen-wir-den-unterstrich-feministische-linguistik-und-queer-theory-teil/
14 Siehe z.B. im Buch Begegnungen auf der Tranfläche, Kollektiv Sternchen und Steine, edition assemblage, 2012, S. 8 und S. 122
15 Laut Personenstandstandsgesetz gab es bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgesetzes aus 2017 nur zwei Geschlechter.
Intersexuelle Menschen werden daher in der Regel auf Anraten der Ärzt_Innen operativ einem der beiden Geschlechter angepasst. Siehe z.B. : http://intersexuelle-menschen.net/