Der lange Kampf um GleichberechtigungDas Frauenstudium
Von Ann-Cathrin Hebel
„Die Beschäftigung mit dem Studium und die Ausübung der Medicin widerstreitet und verletzt die besten und edelsten Seiten der weiblichen Natur, die Sittsamkeit, die Schamhaftigkeit, Mitgefühl und Barmherzigkeit, durch welche sich dieselbe vor der männlichen auszeichnet“
Das Studium und die Ausübung der Medicin durch Frauen. Beleuchtet von Theodor Ludwig Wilheilm Bischoff (1872)
Dass dem Herren trotz aller Beleuchtung viele – heutzutage selbstverständliche – Erkenntnisse im Dunklen verborgen blieben, ist bedauerlich. Bedauerlich ist auch, dass diese Art von Frauenverachtung dazu beitrug, die Zulassung von Frauen zum Studium in Deutschland zu erschweren. Der Kampf um das Frauenstudium in Deutschland war wahrlich kein leichter. Wir werfen einen Blick auf die verschiedenen Stationen auf dem langen Weg zur Gleichberechtigung von Frauen an deutschen Hochschulen.
Im Mittelalter – Frauen von vorne herein ausgeschlossen an Universitäten
Als im 12. Jahrhundert die ersten Universitäten entstanden, war noch lange nicht an ein Frauenstudium zu denken. Der Besuch der Universität war Männern vorbehalten, überhaupt konnten sich Frauen Bildung ausschließlich über das Kloster aneignen, wobei sich die Lehre meist aufs Lesen beschränkte. Nur vereinzelt gab es gelehrte Frauen. Die einzige wirklich dauerpräsente Frau war Katharina von Alexandrien, die Studenten zu ihrer Schutzpatronin der Wissenschaft auserkoren hatten.
16. bis 18. Jahrhundert – Die ersten Frauen studieren, versteckt hinter angelehnten Türen
Erst zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert begann der „Kampf“ um die Zulassung von Frauen zum Studium. In dieser Zeit entwickelte sich auch das höhere Bildungswesen in Form von der Einrichtung von Gymnasien, die jedoch noch nicht für Frauen gedacht waren.
Zwar war Frauen das Studium in jener Zeit nicht verboten, jedoch war es für sie ebensowenig erstrebenswert. Wissenschaftliche Kenntnisse galten als „unweiblich“, konnten gar die Chancen auf eine Heirat gefährden. Zudem gab es – außer vielleicht die intrinsische Motivation der Selbstverwirklichung – keine Anreize zu Studieren. Schließlich hatten Frauen keine Aussichten auf eine berufliche Zukunft. Da Frauen keine Gymnasien besuchen konnten, fehlte es zudem an entsprechender Vorbildung.
Allerdings gab es einige Ausnahmefälle, in denen Frauen die Anteilnahme an der „intellektuellen Weiterbildung“ an Hochschulen gestattet wurde (wohlgemerkt waren das keine offiziellen Zulassungen!), jedoch galt das nur für Frauen aus privilegierten Familien, deren Väter oder Ehemänner meist selbst als Gelehrte im Hochschulwesen tätig waren. An den Hochschulen wurden diese Frauen versteckt. So musste Luise Adelgunde Victorie Gottsched, welche von Kaiserin Maria Theresia als „eine der gelehrtesten Frauen des Landes“ bezeichnet wurde, den Vorlesungen Ihres Mannes im Verborgenen folgen. Schließlich wollte man die männliche Audienz vor dem Anblick des weiblichen Geschlechts schützen, damit sich die Studenten ganz auf die Wissenschaft konzentrieren konnten.
Und es schien nicht leichter zu werden: Im 19. Jahrhundert etablierten sich nicht nur Corps und Burschenschaften, die dem Frauenstudium meist feindlich gegenüberstanden, als Zulassungskriterium wurde nun auch das Abitur eingeführt. Doch: Wie sollten Frauen dieses Kriterium erfüllen ohne entsprechende Schulen? Mädchengymnasien wurden erst gegen Ende des Jahrhunderts in Deutschland eingeführt.
19. Jahrhundert – Die Natur der Frau: Nicht für das Studium geeignet
Während die USA mit ihren seit 1830 eingeführten – allerdings privaten - Women's College, Vorreiter in Sachen Frauenstudium waren und die Schweiz 1840 als eines der ersten Länder in Europa das reguläre Studium für Frauen einführte, war der Protest in Deutschland gegen das Frauenstudium immens. Mit einer erstarkenden Frauenbewegung im 19. Jahrhundert wurden auch die Gegenstimmen lauter. In den Köpfen der Gegner hatte sich der Gedanke von „der Natur der Frau“ manifestiert, wonach die Rolle der Frau als Hausfrau und Mutter als naturgegeben angesehen wurde. Auch das kleinere Gehirn sei Indiz für die (natürliche) geringere Intelligenz der Frau. In zahlreichen Schriften wurde dieses Bild der Frau verteidigt.
Doch der Kampf ums Frauenstudium erntete auch im deutschen Kaiserreich erste Früchte: Immer mehr Universitäten öffneten das Studium zum Ende des Jahrhunderts für Frauen – zunächst jedoch nur für Gasthörerinnen. Eine von ihnen war Hedwig Dohm, die 1895 an der HU Berlin zugelassen wurde. Sie war eine der erste Verfechterin der Frauenbewegung und vehemente Streiterin für das Frauenstudium. Sie verfasste hierzu satirische Schriften, in denen sie sich u.a auf die Gegner des Frauenstudiums bezog (z.B in Die Antifeministen). Ihre Ansichten galten als radikal.
Es gab zwar durchaus Männer, die sich mit der Frauenbewegung solidarisierten, August Bebel schrieb beispielsweise 1879 in Die Frau und der Sozialismus: „Es gibt keine Befreiung der Menscheit ohne die soziale Unabhängigkeit und Gleichstellung der Geschlechter“. Auch einige Professoren und andere Gelehrte sprachen sich für das Frauenstudium aus (z.B in Die akademische Frau. Die akademische Frau - Gutachten hervorragender Universitätsprofessoren, Frauenlehrer und Schriftsteller über die Befähigung der Frau zum wissenschaftlichen Studium und Berufe). Allerdings waren die Fürsprecher unter den Männern zunächst in der Minderheit.
20. Jahrhundert
In Baden und Württemberg gibt es die ersten offiziellen Zulassungen von Studentinnen
Deutschland gilt in Sachen Frauenstudium als europäisches Schlusslicht. Die Türen wurden hier für Frauen erst geöffnet, als die meisten Hochschulen in Europa schon für Frauen zugänglich waren und einige Frauen längst im Ausland studierten. Die ersten deutschen Zulassungen für Frauen gab es in Baden und Württemberg.
Die Philosophische Fakultät Heidelberg war die erste, die Frauen ab dem 28. Februar 1900 den vollen Zugang zum Studium ermöglichte. Württemberg zog 1904 nach. Es waren nicht zuletzt die außerordentlich guten Erfahrungen, die die Schweiz mit dem Frauenstudium gemacht hatte, die zu dieser Öffnung beitrugen. Anfangs studierten die meisten Frauen Naturwissenschaften, doch schon bald war die Mehrheit der Frauen in den Geisteswissenschaften eingeschrieben – ein Phänomen, was bis heute anzuhalten scheint.
Im Zuge des 1. Weltkrieges stieg der Frauenanteil an den deutschen Universitäten an, was natürlich auch auf die abwesenden Männer zurückzuführen ist.
Durch den Artikel 109 in der Weimarer Reichsverfassung wurde 1919 schließlich ein weiterer Meilenstein für das Frauenstudium gelegt. Es heißt dort: „Alle Deutschen sind vor dem Gesetz gleich. Männer und Frauen haben grundsätzlich die gleichen staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten“. Dadurch wurden viele Berufe erstmalig auch für Frauen zugänglich, was ihre Motivation zum Studieren bestärkte. Nach einigen inflationsbedingten Schwankungen stieg der Frauenanteil schließlich kontinuierlich an und betrug im Jahr 1931 18,9 Prozent.
Studentinnen im zweiten Weltkrieg und danach
Der Plan des NS-Regimes war es, den Frauenanteil wieder auf unter 10 Prozent zu senken. Doch der eintretende akademische Nachwuchsmangel, bedingt durch die vielen fehlenden Männer, durchkreuzte diesen Plan, so dass 1938 Frauen sogar zum Studium ermuntert wurden. 1943/44 machten die Frauen 47 Prozent der Studierenden aus (25.000).
Mit Kriegsende sank der Anteil von Studentinnen wieder drastisch. Die Frauen mussten den Kriegsrückkehrern „Platz machen“, die CDU/CSU war um eine Wiederherstellung der Vorkriegsgeschlechterordnung bemüht und Männer hatten wieder das Vorrecht auf das Studium. Studentinnen wurden aus den Hochschulen heraus gedrängt.
1959 betrug der Anteil von Studentinnen in der BRD 26 Prozent und in der DDR 27 Prozent. Noch schlechter sah es in der Lehre aus. Nur 3,6 der Lehrstühle im Westen waren mit Frauen besetzt, im Osten waren es 9,7 Prozent.
„Die heiraten ja doch wieder weg“
Obgleich es Frauen auf dem Papier nun schon seit einigen Jahren erlaubt war zu studieren, hielt die negative Grundeinstellung gegenüber dem Frauenstudium an. Obwohl Frauen mittlerweile bewiesen hatten, dass sie ebenso studierfähig wie Männer waren, wichen viele Gegner nicht von ihrer Rollenvorstellung der Geschlechter ab.
Dies griff auch Margherita von Bretano in einem Vortrag über Das Bild „der Frau“ an der Universität an der FU Berlin 1963 auf. Dabei zitierte sie unter anderem eine Studie aus dem Jahr 1960, laut der 64 % der Befragten dem Frauenstudium ablehnend gegenüberstanden und 79 % der Befragten Frauen in der Hochschullehre ablehnten. Auf die Frage „Gibt es zu viele oder zu wenige Studentinnen?“ , antwortete ein Naturwissenschaftler beispielsweise: „Das regelt sich ganz von selbst. Es sind weder zu viele noch zu wenig – Wieviel gibt es denn überhaupt? Was sagen Sie? 20 Prozent? Doch so viele? Das ist ja schrecklich! Aber die heiraten ja doch wieder weg. Sie sind nur eine unnütze Belastung der Universität.“
Mit der zweiten Welle der Frauenbewegung in den 1960er Jahren stieg auch die Bildungsbeteiligung von Schülerinnen und Studentinnen. Die Anzahl an Studentinnen nahm in den nächsten Jahrzehnten kontinuierlich zu, Vorurteile und tradierte Rollenverteilungen wurden langsam abgebaut.
Heute – Viele Studentinnen, wenig Professorinnen
Heutzutage ist es zum Glück eine Selbstverständlichkeit, dass Frauen jedes Studium ebenso wie Männer aufnehmen können. Eine Selbstverständlichkeit, die errungen werden musste. Durch Frauen, die für ihre Rechte kämpften, wie von Margherita Bretano, Hedwig Dohm und all die anderen Vorreiterinnen und ihre Mitstreiter.
In den letzten drei Jahrzehnten ist der Frauenanteil unter Studierenden deutlich angestiegen und lag im Jahr 2022 bei 52,3 Prozent. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung konstatiert, dass das Frauenstudium nicht nur eine Frage der Gerechtigkeit sei, sondern gemischte Gruppen auch bessere Forschungsergebnisse erzielen und einen erweiterten Blickwinkel haben.
Noch nicht ganz überwunden scheint dagegen eine klassische Rollenverteilung, die sich heutzutage auf die Studienfachwahl auswirkt (niedrige Frauenquote bei MINT-Fächern, sehr hohe bei sozialen Fächern). Und auch eine akademische Karriere wird überwiegend von Männern eingeschlagen. Selbst in den Studiengängen, in denen die Frauen dominieren, wie z.B in der Germanistik, sind die Promovierenden meistens Männer. Frauen haben nur ein Viertel aller Lehrstühle inne. Weniger als ein Drittel aller Habilitationen werden von einer Frau geschrieben. Nur jede fünfte Professur ist mit einer Frau besetzt.
Innerhalb von 120 Jahren hat sich soviel getan, wie zuvor Jahrhunderte lang nicht. Dass Frauen studieren ist heutzutage selbstverständlich. Doch um auch eine Gleichstellung im Lehrbetrieb von Hochschulen zu erreichen und die „geschlechtsspezifische“ Studienfachwahl zu durchbrechen, muss das Tradieren von Genderstereotypen vollends überwunden werden. Der Kampf geht also weiter.
Weiterführendes zum Thema
Artikel auf Studis Online
- Frauenstudiengänge in Deutschland
- Studiengang Gender Studies
- Frauen auf der Karriereleiter
- Vom Studium in den Beruf: Netzwerke nutzen
- Rezension: Karriereführer für Naturwissenschaftlerinnen (03.03.2016)
Quellen
- Gleichberechtigt? Frauen in der bundesdeutschen Geschichtswissenschaft
- Die akademische Frau. Die akademische Frau - Gutachten hervorragender Universitätsprofessoren, Frauenlehrer und Schriftsteller über die Befähigung der Frau zum wissenschaftlichen Studium und Berufe
- Margherita von Bretano
- Die Frau und der Sozialismus
- Das Studium und die Ausübung der Medicin durch Frauen beleuchtet von Theodor Ludwig Wilheilm Bischoff
- Statistisches Bundesamt
- Bundesministerium für Bildung und Forschung
- Frau Professorin bleibt in der Minderheit