Wer geht warum?Studie zu Gründen und Motiven des Studienabbruchs
Die Hochschul Informations System GmbH (HIS), die die Studie herausgegeben hat, ist im Besitz von Bund (1/3) und Ländern (2/3). Sie fungiert als Softwarehaus für die Hochschulverwaltungen und ist in den Bereichen Hochschulentwicklung und Hochschulforschung aktiv. Im für die Öffentlichkeit sichtbarsten Bereich Hochschulforschung führt die HIS u.a. die Sozialerhebung der Studierendenschaft im Auftrag des Deutschen Studentenwerkes durch.
Repräsentative Daten zu Ursachen und Motiven des Studienabbruchs in den Bachelor-Studiengängen an deutschen Fachhochschulen und Universitäten liefert eine kürzlich erschienene Studie der Hochschul-Informations-System GmbH (HIS) unter dem Titel "Der Studienabbrecher – das unbekannte Wesen. Woran scheitern die Studierenden an deutschen Hochschulen?". Die HIS GmbH forscht laut Selbstauskunft bereits seit den 70er Jahren zum Thema Studienabbruch. Nachdem in den vergangenen Jahren rein quantitativ Studienabbruchsquoten in bestimmten Fächern erhoben wurden, liegt der aktuellen Studie eine qualitative Forschung nach den Motiven und Gründen für den Abbruch zugrunde. Die dabei erzielten Ergebnisse untermauern die in den vergangenen Monaten - z.B. im Rahmen des Bildungsstreiks - geübte Kritik am Bachelor-System bzw. seiner Umsetzung und der generellen Struktur des deutschen Bildungssystems.
Im Studienjahr 2008 wurden 2.500 Studienabbrecher_innen an 54 Universitäten und 33 Fachhochschulen mittels Fragebogen zu den Hintergründen ihrer Entscheidung befragt. Ein Drittel der Abbrecher_innen studierte bereits auf Bachelor, die Übrigen auf Diplom oder Magister.
Überforderung und Finanzprobleme wesentliche Gründe
Die Studienabbruchquote beträgt bei Universitäten 20% und bei Fachhochschulen im Durchschnitt 22%. Als bedeutsamste Motive für den Studienabbruch stellten sich bei den befragten Ex-Studierenden Leistungsprobleme (31%), Probleme mit der Finanzierung des Studiums (19%) und mangelnde Studienmotivation (18%) heraus. Unzureichende Studienbedingungen nannten 12% der Befragten (gegenüber 8% im Jahre 2000) als Grund für ihre Entscheidung.
Am Beispiel der Ingenieurwissenschaften, in denen die Anzahl der Studienabbrüche in den letzten Jahren gestiegen ist, weisen die Autoren der Studie darauf hin, dass die Höhe und Dichte der Anforderungen (Bearbeiten eines großen Stoffumfangs unter Zeitdruck, Prüfungen, ...) mit Einführung der Bachelor-Studiengänge stark zugenommen haben und so weniger Zeit für Erwerbstätigkeit bleibt, auf die viele Studierende ohne finanzielle Unterstützung durch die Eltern angewiesen sind. Jeder dritte Studienabbruch in den Ingenieurwissenschaften geschieht wegen der Leistungsanforderungen.
Rolle der finanziellen Situation
Über 70 % der Studierenden in höheren Semestern jobben derzeit neben ihrem Studium, Tendenz steigend (18. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerkes (2006)). Für viele ist dies keine freie Entscheidung, sondern eine Notwendigkeit um laufende Kosten, den Lebensunterhalt uns Studiengebühren zu decken. Durch das Ausüben einer zeitlich umfangreichen Erwerbstätigkeit steigt nach den Erkenntnissen der HIS-Forscher das Risiko des Studienabbruchs erheblich. 53% aller befragten Studienabbrecher_innen gaben an, dass bei ihrem Entschluss finanzielle Probleme eine wesentliche Rolle gespielt haben. Bei 19% waren sie entscheidend für die vorzeitige Exmatrikulation. Die vor einem Jahr geäußerte Vermutung, dass die Kombination aus unzulänglicher finanzieller Förderung und der Schwierigkeit, neben einer 40-Stunden-Hochschulwoche einem Job nachzugehen gerade Studierende in einer prekären finanziellen Lage am schwersten trifft, bleibt also aktuell.
Soziale Selektion als grundsätzliches Problem
Eine wichtige Frage, die sich bereits vor
Informationen und Hilfen zum Thema Studienabbruch finden sich hier.
der Frage nach den Gründen eines einmal begonnenen Studienabbruchs stellt, die jedoch vom HIS in dieser Studie nicht explizit bearbeitet wurde, ist die Frage danach, welche Schulabgänger überhaupt ein Studium aufnehmen.
Die Hochschulen sind Teil des Bildungssystems, das sich in Deutschland durch ein besonders hohes Maß an sozialer Selektion "auszeichnet", wie u.a. von dem UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Bildung Vernor Munoz nach seinem Deutschland-Besuch 2007 kritisch angemerkt wurde. In keinem anderen Industrieland der Welt hängt der schulische Erfolg (und damit auch die Wahrscheinlichkeit das Abitur als Hochschulzugangsberechtigung zu erwerben) so stark vom sozialen Hintergrund der Eltern, deren Beruf, deren Einkommen und dem allgemeinen Bildungsstand ab, wie in Deutschland. Im Rahmen der PISA-Studie wurde bspw. nachgewiesen, dass in der BRD ein Kind aus der Oberschicht signifikant höhere Chancen hat, das Gymnasium zu besuchen und das Abitur zu machen, als ein Facharbeiterkind: Gleich befähigte Kinder aus Akademikerfamilien haben dreimal höhere Chancen auf einen Gymnasialbesuch als Arbeiterkinder. In Bayern ist diese Privilegierung sogar sechsmal höher. (siehe ZEIT, 14.10.04)
Diese unterschiedlichen Voraussetzungen machen sich dann auch bei den Chancen auf einen erfolgreichen Hochschulabschluss bemerkbar und die HIS-Studie bestätigt dies. Aus den dort ausgewerteten Daten wird ersichtlich, dass ein Abitur, das am Gymnasium erworben wurde, mit einer deutlich höheren Wahrscheinlichkeit des Studienerfolgs im Sinne des Erreichens eines Abschlusses einhergeht. Bei Hochschulzugangsberechtigungen, die wie der Fachoberschulabschluss nicht auf direktem Wege erlangt wurden / werden konnten, fällt das Abbruchsrisiko höher aus. (HIS-Studie, S.66)
Und nun?
Das Ziel, die Abbrecherquoten mittels der Einführung des Bachelor-Systems zu verringern, ist bisher keineswegs erreicht worden und es erscheint doch zweifelhaft, dass das vielfach unflexible und verschulte Bachelor-Master-System so verändert werden wird, dass sich daran etwas ändert.
Die Durchsetzung der Forderungen des Bildungsstreiks z.B. nach einer Entschleunigung des Studiums, einer Verbesserung der finanziellen Ausstattung der Hochschulen und des gesamten Bildungsbereichs wäre jedenfalls eine wichtige Grundlage für zukünftige Verbesserungen der Studiensituation an den Hochschulen. Damit die Entwicklung jedoch tatsächlich in diese Richtung gehen kann, wird die Kritik an der Entdemokratisierung und Transformation der Hochschulen zu "Bildungsunternehmen" weitergehen und sich weiterentwickeln müssen. Ansatzpunkte dafür gibt es genug...
Quellen und weiteres zum Thema