Wieder Probleme?Zum Wintersemester droht erneut Bewerbungschaos
Von Oliver Iost
Zwar gibt es schon seit Jahrzehnten Studienfächer, bei denen die Nachfrage deutlich größer ist als das Angebot. Die absolute Zahl der zulassungsbeschränkten Studiengänge dürfte jedoch so hoch sein wie noch nie, über 50% aller angebotenen Studiengänge sind betroffen. Das bedeutet auch, dass so viele BewerberInnen wie nie zuvor sich mit Zulassungsverfahren auseinander setzen müssen. Da sich dieser Trend seit einigen Jahren verstärkt, reagieren viele BewerberInnen durch immer mehr parallele Bewerbungen.
Somit ist am Ende die Zahl der Bewerbungen um ein Vielfaches höher als die der dahinter stehenden BewerberInnen. Führt eine Hochschule bzw. ein Studiengang das Auswahlverfahren selbst durch, hat er keinerlei Anhaltspunkte, wie viele BewerberInnen sich gleichzeitig noch auf Plätze an anderen Hochschulen beworben haben. Die Hochschule muss also raten, wie viele wohl einen angebotenen Platz gar nicht annehmen werden. Gerade wenn das Auswahlverfahren nicht schon seit Jahren durchgeführt wird, gibt es darüber wenig Erfahrungen.
Renaissance der ZVS
Im letzten Jahr war wohl der bisherige Höhepunkt erreicht, was die Dauer der Auswahlverfahren betrifft. Unvermeidlich waren dabei wohl auch einige Patzer mit falsch versendeten Bescheiden etc. Kein Wunder also, dass ebenfalls schon seit Jahren darum gerungen wird, wie denn dieser Bewerbungsflut Herr zu werden ist.
Wurde vor einigen Jahren noch davon geträumt, die ZVS vollständig abzuschaffen ("Autonomie der Hochschulen", jede solle selbst die Auswahl ihrer Studierenden vornehmen), hat sich der Wind nun gedreht. Denn selbst wenn die Hochschulen individuelle Schwerpunkte setzen, was bei einer Bewerbung bei Ihnen mehr zählt, hat eine zentrale Stelle, bei der alle Bewerbungen eingehen, ihre Vorteile.
Für die BewerberInnen bedeutet das weniger Bewerbungsaufwand: Statt im Extremfall dutzende von Bewerbungen an einzelne Hochschulen reicht dann eine Bewerbung bei der ZVS, in der aufgezählt wird, welche Rangfolge der Bewerber den einzelnen Hochschulen zuweist.
Verzögerungen ... und Chaos?
Eigentlich hatten sich Hochschulrektorenkonferenz (HRK), ZVS und Länderministerien darauf geeinigt, zum Wintersemester 2009/2010 ein sogenanntes "dialogorientiertes Bewerbungsverfahren" einzuführen. Die technischen Vorbereitungen von Seiten der ZVS waren bereits angelaufen, dieser Tage wurde nun bekannt, dass sich HRK und ZVS überworfen haben.
"Dass es so weit gekommen ist, liegt weder an der HRK und an den Hochschulen noch an der Kultusministerkonferenz, sondern an der ZVS, die das von ihr selbst vorgelegte Übergangsverfahren nicht fristgerecht umsetzen konnte", behauptet die HRK-Präsidentin Prof. Dr. Margret Wintermantel. Ein Sprecher der ZVS erklärte gegenüber Studis Online demgegenüber, das Verfahren hätte grundsätzlich realisiert werden können, von Seiten der Hochschulen wären jedoch immer weiter Änderungswünsche gekommen, die nicht mehr umsetzbar waren.
Es könnte somit wie im letzten Jahr zu langandauernden Verteilungs-Verfahren kommen, da erneut die meisten Zulassungsverfahren von den Hochschulen in Eigenregie erledigt werden – mit all den genannten Nachteilen.
Hoffnungsschimmer ...
Einzige Hoffnung auf ein wenig Besserung ist, dass sich mehr Hochschulen an dem schon im letzten Jahr von der ZVS angebotenen Service-Verfahren beteiligen. Die Hochschulrektorenkonferenz hat dies auf ihrer gerade zu Ende gegangenen Mitgliederversammlung als eine Variante diskutiert, um die Zulassungsverfahren dieses Jahr nicht wieder zu lange dauern zu lassen.
Egal welches Verfahren: Die Kosten müssen immer die Hochschulen selbst tragen. Das mag ein Grund sein, warum diese lieber gleich das ganze Verfahren in eigene Regie übernehmen, statt Leistungen der ZVS zuzukaufen. Beim heutigen Stand kann die Mehrarbeit wegen der ganzen Mehrfachbewerber am Ende aber teurer kommen – oder zumindest den Ruf der Hochschule beschädigen (wenn die Verfahren zu lange dauern oder Verfahrensfehler Ärger machen). Trotzdem ist die Kostenfrage wie so oft ein entscheidender Streitpunkt zwischen den Beteiligten (zu denen hier auch noch der Bund zählt).
Was steckt hinter dem Service-Verfahren der ZVS?
Das Service-Verfahren ist ein Angebot der ZVS, das Bewerbungsverfahren für die beteiligten Hochschulen abzuwickeln. Je mehr Hochschulen sich beteiligen, desto größer der Vorteil für die Beteiligten, vor allem auch die zukünftigen Studierenden. Letztere müssen dann statt für jede Hochschule gesondert nur noch an die ZVS eine Bewerbung senden und die gewünsche Reihenfolge angeben. Dabei können auch unterschiedliche Studienfächer genannt werden.
2008 hatten sich am Service-Verfahren nur wenige Hochschulen beteiligt, so dass eine wirkliche Linderung der Probleme nicht erreicht werden konnte. Denn so kannte die ZVS auch nur einen Ausschnitt der Wünsche der BewerberInnen und die BewerberInnen mussten in der Regel weitere gesonderte Bewerbungen an die Hochschulen senden, die sich nicht am Verfahren beteiligt hatten.
Würden sich mehr Hochschulen beteiligen (optimalerweise alle), wäre viel erreicht. Die BewerberInnen sollen dieses Jahr die Möglichkeit haben, von den im Service-Verfahren vergebenen Studiengängen 12 in einer Rangfolge anzugeben. Die ZVS will dann in zwei Stufen möglichst alle Studienplätze vergeben (erste Runde Ende Juli, zweite Runde Mitte August). Selbst wenn bei einigen Studiengängen doch noch ein Nachrückverfahren hinten angehängt werden müsste, könnte so bis spätestens Anfang September alles erledigt sein.
Auch die ZVS arbeitet (in Absprache mit den Hochschulen) dabei mit "Überbuchungen", bietet also mehr BewerberInnen einen Studienplatz an, als eigentlich vorhanden. Denn dass nie alle ihren Platz annehmen, ist einleuchtend.
Noch ist aber vollkommen unklar, wie viele Hochschulen sich am Service-Verfahren beteiligen werden. Sollte die Beteiligung weiter gering bleiben, ist bei vielen Studiengängen, die nur direkt von Hochschulen vergeben werden erneut mit langen Verfahren zu rechnen.
Was wird aus geplantem "dialogorientiertem Verfahren"?
Das Verfahren, auf das sich HRK, ZVS und Ministerien eigentlich schon geeinigt hatten, soll nun wohl zum Wintersemester 2010/2011 kommen. So jedenfalls die Hoffnung der Hochschulrektorenkonferenz. Im Vergleich zum Service-Verfahren hätte es immerhin für die schon in der ersten Stufe erfolgreichen BewerberInnen, dass diese noch eine Auswahl haben können, welchen Studienplatz sie denn annehmen. Beim Service-Verfahren ist es stattdessen wie bei bei den noch bundesweit ZVS-vergebenen Fächern: Die ZVS bestimmt, an welche Hochschule man kommt. Sie hält sich zwar an die Rangfolge der BewerberInnen. Aber die kann sich ja zwischen Abgabe der Bewerbung und endgültigem Angebot noch leicht ändern. Vor allem auf den eher "hinteren" Plätzen machen sich die BewerberInnen vielleicht auch nicht so viele Gedanken, welche Hochschule sie auf welchem Platz setzen.
Wegen der vielfältigen und teilweise widersprüchlichen Interessenlage zwischen den beteiligten Hochschulen, der Hochschulrektorenkonferenz, den Landes-Ministerien, der ZVS und schließlich sogar dem Bund bleibt es aber weiter offen, ob es wirklich ein Jahr später damit klappt.
Zu wenig Studienplätze und Machtgehabe der Bundesländer
In Sachen Zulassungsverfahren könnte auch der Bund eingreifen und mit den Ländern eine bundeseinheitliche Lösung verhandeln. Diesen Vorschlag hört man bspw. vom hochschulpolitischen Sprecher der Grünen, Kai Gehring: "Der Bund muss seine Kompetenz endlich nutzen, Zulassung und Abschlüsse zu regeln. Bundesbildungsministerin Schavan muss ihre ideologische Blockade dagegen aufgeben, ihr HRG [Hochschulrahmengesetz]-Aufhebungsgesetz sofort kassieren und mit den Ländern eine einvernehmliche bundeseinheitliche Lösung verhandeln. Dabei ist sicherzustellen, dass sich alle Hochschulen verbindlich an einem solchen Zulassungsverfahren beteiligen."
Diesem Vorschlag stimmt der studentische Dachverband fzs zu. Florian Keller, Mitglied des fzs-Vorstands: "Mit diesem Scheitern zeichnet sich ein trauriges Lehrbuchbeispiel für den, durch die Föderalismusreform verschärften, Bildungsföderalismus ab. In der BRD scheint es zur Zeit nicht möglich zu sein, grundlegende Verwaltungsaufgaben im Bildungssystem gemeinsam zu stemmen. Die Folgen für Studienbewerberinnen und Bewerber sind verheerend."
Anja Gadow, ebenfalls Mitglied des fzs-Vorstands, ergänzt noch: "Der Systemfehler liegt in dem generellen Mangel an Studienplätzen in Deutschland und in den ungerechten Bewerbungsverfahren der Hochschulen. Die BewerberInnen schreiben diese Vielzahl von kostspieligen Briefen sicherlich nicht zum Spaß - sondern wegen der von Landesregierungen und Hochschulen generierten Unsicherheit und der untragbaren Mängelverwaltung."
Ähnlich wie der fzs argumentiert auch Nele Hirsch, bildungspolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE: "Die Bundesregierung muss angesichts des zu erwartende Zulassungschaos im Herbst endlich ihr Kompetenzrecht wahrnehmen und ein einheitliches Bundesgesetz für die Zulassung und Abschlüsse an Hochschulen auf den Weg bringen. (...) Zur Verbesserung des Hochschulzugangs gehört es zudem, mehr und qualitativ hochwertige Studienplätze zu schaffen. Der zweite Hochschulpakt von Bund und Ländern muss deshalb deutlich besser ausgestattet werden als der jetzige."
Bundesgesetz zur Zulassung?
Selbst von Seiten der SPD wird inzwischen ein Bundesgesetz zur Zulassung gefordert. Die SPD-Bundestagsabgeordneten Klaus Hagemann und Jörg Tauss jedenfalls erklären: "Die SPD-Bundestagsfraktion fordert daher ein Bundesgesetz zur Zulassung auf den Weg zu bringen, um eine bundesweit einheitliche und alle Studiengänge umfassende Dienstleistungsplattform zu schaffen."
Einen Seitenhieb auf die von SPD-Seite ungeliebte Bundesbildungsministerin Schavan (CDU) fällt auch noch ab: "Mit dem abermals verlängerten Chaos rächt sich, dass Frau Bundesministerin Schavan sich bereits früh festgelegt hat, die neue Bundeskompetenz zur bundesweit einheitlichen Regelung der Hochschulzulassung nicht nutzen zu wollen. Wie viel Belege, dass es mit Landesregelungen allein und mit einem reinen good-will der Hochschulen nicht funktioniert, brauchen wir noch?"
Offenbar noch viele. Denn vom bildungs- und forschungspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Alexander Dobrindt und dem Obmann im Ausschuss für Bildung und Forschung, Michael Kretschmer, gab es vor der HRK-Sitzung folgende Erklärung: "Die Hochschulrektorenkonferenz ist jetzt gefordert. Wir erwarten von der morgigen Sondersitzung der HRK, dass man sich auf eine Lösung verständigt." Von irgendwelchen zentralen Verfahren oder gar Bundesgesetzen keine Rede.
Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) hat sich dagegen für ein Bundesgesetz ausgesprochen. GEW-Vorsitzender Ulrich Thöne erklärt: "Die Hochschulen sind mit der dezentralen Steuerung der Hochschulzulassung offensichtlich überfordert." Darüber hinaus müssten sich Bund und Länder endlich auf einen leistungsfähigen "Hochschulpakt II" verständigen, um ausreichend Studienplätze zu schaffen und so den Numerus clausus (NC) zu überwinden. Deutschland brauche in Zukunft nicht weniger, sondern deutlich mehr wissenschaftlich ausgebildete Fachkräfte.
Hört, hört ...
Quellen und Hintergründe
- Hochschulzulassung: Hochschulen wollen Vereinfachungen auch ohne bundesweites Serviceverfahren (Pressemitteilung der HRK, 28.01.2009)
- Hochschulzulassung: Schwarz-Rot fehlt der Gestaltungswille (Pressemitteilung von Kai Gehring, hochschulpolitischer Sprecher von Bündnis 90/DIE GRÜNEN im Bundestag; 28.01.2009)
- Schavan kriegt Zulassungschaos nicht in den Griff (Presseerklärung vom Hauptberichterstatter im Haushaltsausschuss, Klaus Hagemann, MdB, und dem bildungs- und forschungspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Jörg Tauss, MdB; 27.01.2009)
- Zulassungschaos geht weiter - Studierende zahlen weiter die Zeche (Pressemitteilung des fzs, 27.01.2009)
- GEW fordert Bundesgesetz für Hochschulzulassung (Presseerklärung der GEW, 27.01.2009)
- Vergabe von Studienplätzen sicher organisieren (Presseerklärung vom bildungs- und forschungspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Alexander Dobrindt und dem Obmann im Ausschuss für Bildung und Forschung, Michael Kretschmer; 26.01.2009)
- ZVS-Bewerbungsmanagement (älteres Dokument der ZVS, in der das dialog-orientierte Verfahren skizziert wird)
Rückblick: Zulassungschaos 2008