DebatteHochschule als Warenhaus
Von Konrad Adam
Es gibt Revolutionen, die sich so nennen, aber keine sind. Von dieser Art war der Neuordnungsversuch, dem seinerzeit, vor mehr als 30 Jahren, die deutsche Hochschullandschaft unterzogen worden ist. Er gab sich revolutionär, war es aber nicht, da er alles beim Alten ließ, nur eben größer und vor allem teurer machte als bisher.
Hinweis: Dieser Artikel erschien zuerst im DSW-Journal 2/2008, dem Magazin des Deutschen Studentenwerks (DSW). Wir danken dem DSW und dem Autor für die Genehmigung, den Artikel auch bei Studis Online publizieren zu dürfen. Für die bessere Online-Lesbarkeit haben wir Zwischenüberschriften ergänzt, das Original hatte keine. |
Umgekehrt gibt es Revolutionen, die so leise und so unscheinbar daherkommen, dass sie kaum einer bemerkt. Von dieser, viel gefährlicheren Art ist das Unternehmen, das gegenwärtig unter dem Namen Bologna-Prozess einheitlich in ganz Europa vorangetrieben wird. Aha, zurück zu den Wurzeln, könnte man denken und glücklich sein, da man ja weiß, dass aus Bologna, der ersten und ältesten Universität, nichts Böses kommen kann. Das wäre allerdings ein Irrtum. Das Unternehmen, das diesen anspruchsvollen Namen trägt, will keineswegs zurück; es will nach vorn, in eine ungewisse Zukunft, von der einstweilen nur so viel erkennbar ist, dass sie mit dem herkömmlichen, uns Älteren noch wohlvertrauten Universitätsleben nichts mehr zu tun haben wird.
Scheinreform in den 1970ern
Damals, in den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts, ist die Revolution zwar versprochen und besungen, aber nie in Angriff genommen, geschweige denn verwirklicht worden. Ihr augenfälligstes Produkt, das Hochschulrahmengesetz, war eine Scheinreform, die denn auch neulich ohne viel Bedauern zu Grabe getragen worden ist. Sein ehrgeizigstes Ziel, die Verkürzung der überlangen Studienzeiten, hat es schon deshalb nicht erreichen können, weil es vom schlechten deutschen Gewohnheitsrecht, der Koppelung von Hochschulabschluss und Eingangsstufe in den öffentlichen Dienst, nicht lassen konnte oder wollte.
Solange es dabei blieb, versprachen ein paar Semester mehr den Eintritt auf der Ebene des höheren Dienstes, vier Rang- und Gehaltsstufen über dem gehobenen Dienst: Ein glänzendes Geschäft, an dem alle Versuche, das Studium zu verschlanken und zu verkürzen, gescheitert sind. Die Gesamthochschulen, die mit der Entkoppelung Hochschulabschluss und Berufseingangsamt ernst machen wollten, mussten aufgeben und sich, zumindest nominell, in Universitäten zurückverwandeln. Wieder einmal war eine Reform auf dem Schindanger des Status quo beerdigt worden.
Bologna-Prozess weckt Erwartungen – und setzt Humboldt vor die Tür
Angesichts solcher Erfahrungen hat der Bologna-Prozess zumindest hierzulande Erwartungen geweckt. Versprach er doch, die überlangen deutschen Studien- oder besser: Verweilzeiten (denn die einen hatten mit den anderen immer weniger zu tun) auf ein gesamteuropäisch verträgliches Maß zu reduzieren. Bei näherem Zusehen hat sich diese Anfangssympathie aber schnell verloren, ja in ihr Gegenteil verkehrt. Je weiter der Prozess vorankam und je klarer seine Ziele sichtbar wurden, desto aufdringlicher wurde der Verdacht, dass er das Studium als prägende Phase des Erwachsenwerdens nicht etwa neu gestalten, sondern entkernen, entleeren und zerstören wollte. Begleitet von Bekenntnissen zu Wilhelm von Humboldt und den Grundsätzen, nach denen er die Berliner Universität zum Vorbild in Preußen und aller Welt gemacht hatte, ist dieser Mann in Wahrheit endgültig vor die Tür gesetzt worden.
Wenn Bologna erst einmal flächendeckend, wie es in der Behördensprache heißt, herrschend geworden ist, wird von Humboldts Ideen, von Einsamkeit und Freiheit im laufenden Universitätsbetrieb gar nichts und selbst an seinen geisteswissenschaftlich imprägnierten Rändern nur wenig übrig geblieben sein. Statt Humboldt wird dann der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) den Ton angeben, der schon vor Jahren verlangt hatte, das akademische Leben nicht länger an einem wie auch immer gearteten Bildungsauftrag, sondern an Kundenwünschen zu orientieren, vorgetragen von der Gesellschaft, den Studierenden und, selbstverständlich, den Unternehmern.
Akkreditierungsstellen, Evaluationsbüros und Rankingagenturen messen, was so nicht messbar ist
Was sich geändert hat und sicherlich noch weiter ändern wird, lässt sich an dem Begriff ablesen, der derzeit überall im Schwange ist, der Exzellenz. Die ist von ihrer Bindung an die Person befreit, vom Menschen auf die Institution übertragen und damit anonymisiert worden. Hing der Rang einer Universität früher so gut wie ausschließlich am Ruf der in ihr tätigen Gelehrten, so spielt die Person an den Massenhochschulen von heute keine nach außen sichtbare Rolle mehr. »Die beste Reform ist das Auffinden der besten Männer« (und Frauen, wie man heute gleichstellungspolitisch hinzusetzten sollte), schrieb Karl Jaspers um die Mitte des vergangenen Jahrhunderts. Davon kann mittlerweile keine Rede mehr sein.
Leute wie Friedrich Althoff oder, in neueren Zeiten, der Freiherr von Medem in Nordrhein-Westfalen oder Helene von Bila in Hessen, die sich entweder aus eigenem Vermögen oder mit Hilfe eines enggesponnenen Netzwerks ein eigenständiges Urteil über die Fähigkeiten eines Neuzuberufenden bilden konnten, gibt es nicht mehr. Wie alle anderen Dinge von Belang werden Personalfragen an irgendwelche Kommissionen delegiert, in denen die Experten (alias Interessenten) unter sich sind. Was eine Hochschule taugt oder nicht, entscheiden keine mehr oder weniger verantwortlichen Personen mehr, sondern Akkreditierungsstellen, Evaluationsbüros und Rankingagenturen, die für viel Geld schlechte, weil überflüssige Arbeit leisten.
»Wirklich ist, was sich messen lässt«, nach dieser, den Naturwissenschaften abgelauschten Devise gehen auch diese Qualitätssicherungsdienststellen vor. Sie messen, zählen, listen auf und vergleichen – nach Maßstäben, an deren Gültigkeit man glauben muss. Denn, dass sich Qualitätsurteile umstandslos quantifizieren, in Ranglisten mit Rekordhaltern, Mittelplätzen und Verlierern übersetzen lassen, das muss man glauben, und so beruht der riesige, vor allem riesig teure Qualitätssicherungsrummel, wie er von den Organen der Hochschulrektorenkonferenz betrieben wird, auf einem Glauben. Einem Köhlerglauben.
Produzenten und Konsumenten - Ware statt Erkenntnis
Was da als letzte, wissenschaftlich gesicherte Wahrheit verkündet wird, ist entweder ein Konglomerat aus lauter subjektiven Einschätzungen und damit Ein- und Widersprüchen ausgesetzt, oder ein Destillat tatsächlich objektiver Daten; die dann jedoch bewertet werden müssten, um zu taugen. So oder so kommt man am individuell zurechenbaren Urteil nicht vorbei; es kann versteckt und verleugnet, aber nie vermieden werden. Der objektive Schein hat nur zur Folge (wenn schon nicht die Absicht), die Freiheit von Forschung und Lehre, Studium und Wissenschaft zu bestreiten, zu begrenzen und schließlich zu zerstören: Ein Prozess, der längst in vollem Gange ist. Er fügt die Hochschule in eine Gesellschaft ein, die nur noch zwei Arten von Menschen kennt, die Anbieter und die Nachfrager, die Produzenten und die Konsumenten, die Hersteller und die Kunden. Was früher einmal Wissen und Erkenntnis hieß, wird so zur Ware.
Die Hochschule als Unternehmen, der Präsident als Vorstandschef, der Professor als Angestellter und der Student als Kunde: So sieht die Zukunft einer Einrichtung aus, die sich, wäre sie ehrlich, weder Universität noch Hochschule nennen würde, sondern Fachhochschule. Den Typ des Spezialisten, der auf immer engerem Terrain immer tiefer schürft, hat die halbherzige Reform, zu der man vor gut 30 Jahren aufgebrochen war, zwar nicht erfunden, aber immer weiter verbreitet; mit dem Bologna-Prozess hat er sich endgültig durchgesetzt. Nach dem Anspruch ist nun auch der Wunsch, ja überhaupt die Möglichkeit, neben den Spezalissima das Ganze in den Blick zu nehmen und danach zu fragen, was die Arbeit auf der eigenen Parzelle beim Nachbarn zur Rechten oder zur Linken bewirken könnte, abgetötet worden; sie passt nicht mehr in eine Gesellschaft von lauter Kleinunternehmern.
Ihnen genügt das Know-how; für das Know-why sind andere zuständig. Gewinner der Bologna-Revolution sind weder Professoren noch Studenten, die Wissenschaft, die es als feste Größe nie gegeben hat (und auch nie geben sollte), schon gar nicht. Sieger ist die Verwaltung, die Grossbürokratie in Brüssel, die sechzehn Kleinbürokratien in den Bundesländern und die (immer noch viel zu großen) Kleinstbürokratien in den Präsidialämtern der verschiedenen Hochschulen. Sie wissen auch nicht mehr als andere, aber sie haben die Macht. Und Macht kommt auch ohne Wissen aus.
Der Autor
Konrad Adam (66) war Bildungsredakteur bei der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung« (FAZ) und Chefkorrespondent der »Welt« in Berlin. Unter anderem erschien von ihm: »Die alten Griechen«, Rowohlt 2006, 192 Seiten, 16,90 Euro, ISBN 978-3-87134-553-1