Nur einer kam durchStudienabbruch in den Ingenieurwissenschaften
Von Sabine Schader
Die Hochschul Informations System GmbH (HIS) ist im Besitz von Bund (1/3) und Ländern (2/3). Sie fungiert als Softwarehaus für die Hochschulverwaltungen und ist in den Bereichen Hochschulentwicklung und Hochschulforschung aktiv. Im für die Öffentlichkeit sichtbarsten Bereich Hochschulforschung führt die HIS u.a. die Sozialerhebung der Studierendenschaft im Auftrag des Deutschen Studentenwerkes durch.
Das Hochschul-Informations-System (HIS) hat auf der Basis des Absolventenjahrgangs 2006 die Studienabbruchquote berechnet. Im Maschinenbau beträgt sie demnach 34 Prozent, in der Elektrotechnik 33 Prozent. Ausgerechnet diese beiden Bereiche sind es, die über die größten Schwierigkeiten bei der Neueinstellung von Fachkräften klagen. "Angesichts des Ingenieurmangels darf die hohe Abbrecherquote nicht hingenommen werden", sagt Volker Brennecke, Bildungsexperte beim Verein Deutscher Ingenieure (VDI) in Düsseldorf. "Es ist letztlich eine Bedrohung für die industrielle Weiterentwicklung, für den Standort und für unseren Wohlstand, wenn wir nicht das Potenzial an Nachwuchs vollständig ausschöpfen." Die Studierenden, die sich bereits für ein ingenieurwissenschaftliches Studium entschieden haben, dürften nicht in ihrer Situation allein gelassen bleiben, fordert Brennecke. "Es ist falsch, die hohe Abbrecherquote allein darauf zurückführen zu wollen, weil der Stoff zu schwer und kompliziert sei. Es brechen auch Studierende mit sehr guten Leistungen ab."
Die Gründe sind vielschichtig. "Die Gymnasien bereiten nicht in dem Maß auf das Studium eines technischen Faches vor, wie es wünschenswert wäre", bemängelt etwa Professor Paul Josef Mauk, Studiendekan an der Fakultät für Ingenieurwissenschaften an der Universität Duisburg Essen. "Im Fach Chemie fehlen Lehrkräfte, in Physik schaffen sie es neben den Grundkursen nicht mehr, darüber hinaus anspruchsvolle Leistungskurse anzubieten." Der Leiter des Instituts für Angewandte Materialtechnik konnte in seiner Schulzeit noch Kugeln vom Dach des Schulgebäudes fallen lassen, um die Fallgeschwindigkeit zu messen. Heute seien Versuche, die technischen Aufwand erfordern, nahezu unmöglich geworden. "Die Lehrsammlungen in Chemie und Physik sind ausgeblutet", so Mauk. Unterrichtet werde nur noch eine Kreidephysik, bei der Formeln beispielhaft an die Tafel geschrieben werden.
Verbesserung der Didaktik nötig
VDI-Bildungsexperte Brennecke kann mit der Pauschalkritik an den Versäumnissen der Oberstufe wenig anfangen. "Die Hochschulen schieben das Problem auf die Gymnasien und umgekehrt – und das schon seit Jahrzehnten." Um dem Problem beizukommen, seien auch Veränderungen in der Hochschul-Didaktik notwendig. "Es gibt einen Bedarf, die Lehr- und Lernformen zu verbessern, doch Lehrende nehmen kaum an Schulungen teil." Hinzukommt, dass in den ersten Semestern Mathematik und Naturwissenschaften nicht von Ingenieuren, sondern von Vertretern der jeweiligen Fachdisziplin gelehrt werden. "Es mangelt an einer Verknüpfung zwischen Grundlagen und Anwendung", sagt Brennecke. "Fragt ein Student im Grundstudium, wozu er eine bestimmte Gleichung später braucht, erhält er meist keine adäquate Antwort."
Eine HIS-Befragung unter Hochschullehrern des Maschinenbaus und der Elektrotechnik in den neuen Bachelor-Studiengängen zeigt, dass das Problem hochschulintern durchaus erkannt wird. "Es ist eine der wichtigen Aussagen unserer Studie, dass die Lehrenden selbstkritisch betonen, die Didaktik sei verbesserungsfähig", sagt Karl-Heinz Minks. Derzeit versucht das HIS durch eine bundesweite Befragung, den Ursachen für die hohen Abbrecherquoten auf den Grund zu gehen. "Wir kennen die genauen Ursachen der hohen Abbrecherquoten in den Ingenieurwissenschaften noch nicht. Es ist vermutlich ein ganzes Bündel von sich gegenseitig bedingenden Wirkungsfaktoren, wie Mängel in der Studienvorbereitung, die Einführung von Studiengebühren, die Notwendigkeit von Erwerbsarbeit neben dem Studium und die Verdichtung des Lernstoffs in den neuen Studienstrukturen", so Minks. "Man kann den kompletten Stoff eines ohnehin vollgepackten achtsemestrigen Studiums nicht in sechs Semestern unterbringen. Zumindest braucht es effizientere Lehr- und Lernformen und den Mut, das Studium zu entschlacken."
Neues ausprobieren
Dabei zeigen einzelne Beispiele, wie die Abbrecherzahlen gesenkt werden könnten. An der Technische Universität Darmstadt etwa wurde im Fachbereich Maschinenbau die Zulassung beschränkt, ein Mentoring-System eingeführt und seit drei Jahren finden Auswahlgespräche statt. Im ersten Semester nehmen die Studierenden zudem an einem Projektkurs teil. "Es ist die betreuungsintensivste Veranstaltung im gesamten Studium", sagt Maschinenbau-Professor Manfred Hampe. Um Neugier und Motivation für das Fach zu wecken, werden die Studienanfänger zum Beispiel aufgefordert, einen Haarreinigungsautomaten für betagte Menschen zu entwickeln. Dabei geht es weniger um die konkrete Realisierung als das Entdecken der zahlreichen Anwendungsgebiete des Fachs. Während der Projektphase werden die neuen Studierenden durch Psychologie-Studenten höherer Semester begleitet, die sie in Soft-Skills wie Teamarbeit coachen. Das Vorhaben, Studierende an die Hochschule zu binden, scheint aufzugehen: Während der Anteil derjenigen, die nach dem dritten Semester noch am Fachbereich studierten, im Jahrgang 2003/04 bei 79 Prozent lag, war er im Jahrgang 2006/07 bereits auf 94 Prozent gestiegen. Der Fachbereich Maschinenbau der Uni Darmstadt hat sich das Ziel gesetzt, 90 Prozent der Studienanfänger zum Abschluss zu führen, davon sollen es 80 Prozent innerhalb der Regelstudienzeit schaffen. "Der Weg führt über eine sorgfältige Auswahl und Beratung der Studierenden vor Aufnahme des Studiums", sagt Hampe. "Diejenigen, die ungeeignet sind, hinterher 'rauszuprüfen', ist zynisch."
Studentinnen sind enttäuscht
Doch wenn in Zukunft die Studierendenzahlen insgesamt sinken, werden es sich nicht alle Hochschulen leisten können, Auswahlverfahren einzuführen. "Ein hilfreicher Schritt, um die Abbrecherquoten zu senken, ist die Schaffung halbwegs homogener Studienvoraussetzungen. In propädeutischen Kursen müssen Fähigkeiten wie Zeitmanagement und Selbstorganisation, aber auch mathematische Grundlagen geschult werden", sagt Minks. Von Frauen im Ingenieurstudium wisse man, dass sie oftmals über ein angemesseneres Fähigkeitsprofil verfügen, das breiter gefächert ist, als bei vielen männlichen Kommilitonen. "Doch die technischen Studiengänge orientieren sich nach wie vor an den Voraussetzungen und dem Technikverständnis von Männern. Wenn Frauen das Studium abbrechen, liegt das selten an ihrer Leistungsfähigkeit, sondern weil sie vom Studium enttäuscht werden", so der HIS-Experte. Um die Lehre insgesamt zu verbessern, sei Fantasie gefragt: "Das Studium muss so gestaltet werden, dass Luft zum Atmen bleibt."
Quellen und weitere Informationen
- HIS-Studie zur Entwicklung der Abbrecherquoten
- HIS-Studie: Bilanz der neuen Studiengänge aus Sicht von Hochschullehrenden der Fächer Elektrotechnik und Maschinenbau (PDF-Datei)
- Fakultät für Ingeniurwissenschaften an der Uni Duisburg-Essen
- Fachbereich Maschinenbau an der Technischen Universität Darmstadt
- Verein Deutscher Ingenieure (VDI)