Ungewöhnlicher Service des Studentenwerks MarburgFrühstück auf Rädern
Hinweis: Dieser Artikel erschien zuerst im DSW-Journal 1/2008, dem Magazin des Deutschen Studentenwerks (DSW). Wir danken dem DSW, der Autorin, Anna Krönig (Redakteurin bei der Mainzer Rhein-Zeitung) und dem Fotografen, Rolf K. Wegst für ihre Genehmigung, den Artikel inkl. Fotos auch bei Studis Online publizieren zu dürfen. |
Die Studentin Cihan Baghistani lässt das Messer über die Brötchen gleiten. Aus dem Ofen duften warme Laugenbrezeln. Die 23-Jährige greift abwechselnd in die großen, weißen Eimer mit Käse und Schinken, Tomatenscheiben und Ei und belegt die letzten zehn Laugenstangen. In wenigen Minuten wird sie zusammen mit ihrem Kollegen Markus Semmler mit dem Frühstücksmobil durch Marburg fahren und die 300 Brötchen verkaufen. Seit halb sieben steht sie in der Bistroküche der Mensa Erlenring des Studentenwerks Marburg und bereitet mit zwei anderen studentischen Aushilfen das tägliche Frühstück für Studenten und Angestellte in der ganzen Stadt vor.
Die Universität ist auf 300 Gebäude an 100 Standorten in Marburg verteilt, und das Studentenwerk kann nicht in jedem Stadtteil eine Cafeteria oder Mensa anbieten. Darum hatte der Leiter der Versorgungsbetriebe, Martin Baumgarten, vor fünf Jahren die Idee: Wenn die Studenten nicht zum Essen kommen können, muss das Essen zu den Studenten kommen. Seither tourt das Frühstücksmobil täglich durch die Stadt und hält an 13 Standorten. Für die erste Tour bis zehn Uhr kommen Brötchen, Croissants und Laugenstangen, Kuchen und Schokoriegel, Kaffee, Tee und Milchgetränke hinter die Auslagen der mobilen Cafeteria.
Käsebrötchen, Laugenstangen ... das Frühstück wartet
Alle Bilder: Rolf K. Wegst
Cihan hört, wie die Nachrichten im Radio beginnen. Es ist gleich halb neun und Zeit zur Abfahrt. Vom Durchgang zum Vorraum hört sie ein lautes Scheppern. Ihr Kollege und Fahrer Markus Semmler zieht im blau-weiß gestreiften Hemd einen Rollwagen hinter sich her. »Seid ihr fertig?«, ruft er ihnen zu. Cihan klappt die letzte Laugenstange zu. »Ja, fast!«. Semmler wirft einen raschen Blick in die Küche. Der 36-jährige gelernte Koch ist seit Anfang des Jahres hier, macht die Dienstpläne für die studentischen Aushilfen und sorgt dafür, dass genügend Lebensmittel da sind. Er arbeitet nicht nur für das Frühstücksmobil, sondern auch im Bistro. Heute fährt er bis zur Pause um zehn Uhr den Wagen.
Aus dem Nebenraum nimmt er ein Tablett mit Nussecken, Donauwellen und Pfirsichkuchen. Vorsichtig stellt er es auf die mittlere Schiene des Wagens. Cihan zieht ihren weißen Plastikumhang aus und ihre Winterjacke an. Die beiden schieben den Rollwagen aus dem Hinterausgang der Mensa hinunter zu dem 3,53-Tonnen-Transporter.
Hochschulgastronomie in Marburg
Seit 87 Jahren widmen sich die inzwischen rund 110 Mitarbeiter des Verpflegungsbereichs im Studentenwerk Marburg mit 900 000 Essen pro Jahr dem leiblichen Wohl von 19 000 Studierenden aus 120 Ländern sowie 7500 Beschäftigten der 1527 gegründeten Philipps-Universität Marburg. Die optimale Versorgung wird neben dem Frühstücksmobil durch zwei Mensen, fünf Cafeterien, einen Biergarten mit Strandbar und eine »faire« Kaffeebar namens »Café Si« sichergestellt.
In diesen Einrichtungen mit 3000 Sitzplätzen werden die Gäste nicht nur bewirtet, sie sind zugleich Orte der Begegnung und Kommunikation. Produkte aus fairem Handel, aus der Qualitätsmarke »Geprüfte Qualität Hessen« sowie bio-zertifizierte Menüs und Komponenten gehören in Marburg zum Standard wie der Party- und Kongress-Service.
Auf dem weißen Fiat Ducato steht in roter Schrift auf den Seiten und dem Heck geschrieben: »Das Frühstücksmobil. Hier kommt Ihr Frühstück.« Semmler öffnet die Hintertür. Cihan steigt ein und nimmt die Tabletts entgegen und stellt sie neben die Brötchen hinter die Glasscheiben. Es ist dämmrig, denn es gibt keine Fenster und die Klappe zum Verkauf ist noch geschlossen. Sie stellt die Kaffeekanne auf die Wärmeschleife in der Küchenzeile. Über dem kleinen Waschbecken steht eine Mikrowelle, falls jemand sein Schnitzel oder die Frikadelle warm haben möchte. Eine Firma in Rotenburg hatte vor fünf Jahren alles nach den Wünschen des Studentenwerks eingerichtet. Cihan stellt die Kasse unter die Theke über die Heizung. Die ließ das Studentenwerk nach dem ersten Winter einbauen, als die Brötchen in der Kälte einfroren und die Mitarbeiter wegen Erkältung zu Hause bleiben mussten. 53 000 Euro kostete das Auto, das im August 2002 zunächst für ein Jahr zur Probe gemietet wurde. Das Frühstücksmobil ist kein Goldesel: 92 000 Euro jährlich kommen mit Brötchen und Kuchen in die Kasse, nur ein kleiner Teil der rund vier Millionen, die das Studentenwerk in Mensen und Cafeterien umsetzt. Und die hohen Spritpreise machen sich bei jährlich 8000 Kilometern bemerkbar. Doch das bunte Mobil ist inzwischen stadtbekannt und eine gute Werbung für das Studentenwerk.
Die Studentin klettert durch die Verbindungstür auf den Beifahrersitz. Semmler lässt den Motor an. Die erste Station bei der Feuerwehr liegt direkt gegenüber. Als sie die Rampe hinunter auf den Hof durch die Schranke einfahren, tönt es durch den Lautsprecher: »Das Frühstücksmobil steht auf dem Hof. Das Frühstücksmobil ist da.« Fünf Männer in blauen Uniformen kommen aus dem Backsteingebäude und warten, bis das Auto hält. Sie dürfen das Feuerwehrgelände nicht verlassen, müssen für den Brandfall einsatzbereit sein und freuen sich darum, dass sie morgens Frühstück gebracht bekommen.
Die Universität ist auf 300 Gebäude an 100 Standorten verteilt, das Frühstücksmobil kommt immerhin an 13 Standorte
Mit einem Knopfdruck unter der Theke verwandelt Semmler den Transporter in einen Imbiss-Stand. Die rechte Seite klappt in zwei Flügeln auf, der obere wird zum Vordach über der Auslage und der untere klappt sich nach unten aus. Der Feuerwehrmann Hans-Jürgen Ochs kommt näher und blickt in die saubere Auslage auf Laugenstangen, Croissants und Brötchen mit Käse, Salat und Tomaten und sieht dann hinauf zu Cihan: »Zwei Körnerbrötchen mit Schinken und Käse«, bestellt er. Die 2,40 Euro, die er ihr dafür reicht, findet er nicht zu viel verlangt – in der Bäckerei um die Ecke ist es deutlich teurer. Manchmal kauft er sich auch eine Frikadelle oder ein Schnitzel für das Mittagessen. Oder er kommt um viertel vor elf wieder, wenn das Mobil ein zweites Mal hält. Nachdem Cihan und Semmler alle Feuerwehrmänner versorgt haben, müssen sie sich beeilen. Bis zum Zwischenstopp liegen noch sechs weitere Behörden und Uni-Gebäude vor ihnen, und sie sind etwas spät dran. Erst fahren sie zur Hautklinik und zum Behördenzentrum in der Innenstadt, zur AOK im Süden und schließlich zur Pharmazie.
Zu jedem Semester ändert sich die Tour, je nachdem, wo gerade der größte Bedarf ist. Besonders abgelegene Gebiete wie die Zahnklinik am Ortenberg fahren sie immer an. Überall warten Angestellte oder Studenten auf ihre Brötchen. Klingeln, ausklappen, verkaufen, weiterfahren – Cihan und Semmler arbeiten ruhig und routiniert. Die Auslagen sind fast leer, als das Mobil gegen zehn Uhr auf die letzte Station vor der Mittagstour zusteuert.
Semmler fährt durch eine Schranke zur Pharmazie. Vorsichtig lenkt er das Auto im Schritt-Tempo durch die Parklücken und stoppt vor dem Eingang. Als er klingelt, kommen sieben Studenten herbei, Cihan schiebt die letzten drei Croissants nebeneinander. Darauf hat der Pharmaziestudent Andrej Diljevic ein Auge geworfen. Ein- bis zweimal pro Woche kauft der 22-Jährige hier Brötchen und Croissants. Wenn das Mobil um zehn Uhr hier ankommt, hat er gerade eine Pause zwischen den Vorlesungen. Nicht nur die Studenten kaufen ein: In der Schlange stehen drei Lüftungsmonteure in Helmen und blauen Anzügen. Seit zwei Wochen arbeiten sie hier, seitdem stehen sie jeden Morgen um zehn Uhr vor der Theke und kaufen Frikadellen und Schnitzel. Nachdem die letzte Bulette aus der Auslage verschwunden ist, stapeln Cihan und Semmler die leeren Tabletts. Es ist Zeit für den Rückweg.
Als VerkäuferInnen arbeiten hauptsächlich studentische Hilfskräfte, die KundInnen sind dagegen breit gemischt.
Vorsichtig biegt Semmler links über den Erlenring ein. Vor der Mensa wartet schon der Student Heiko Wißler mit einem Rollwagen voller Salate. Er wird Semmler für die Mittagstour als Fahrer ablösen. Der 27-Jährige wollte eigentlich im Bistro jobben. Doch als das Studentenwerk mitbekam, dass er noch einen »alten« Führerschein hat und bis zu 7,5 Tonnen fahren darf, bekam er sofort die Stelle als Frühstücksmobil-Fahrer und jobbt seither 40 bis 50 Stunden im Monat. Nur noch wenige studentische Aushilfen kommen als Fahrer in Frage: Seit 1999 und mit dem neuen EU-Führerschein dürfen sie den Transporter nicht mehr fahren, weil er mehr als 3,5 Tonnen wiegt.
Der alte Führerschein ist allerdings kein Garant für unfallfreies Fahren. Im vergangenen Jahr hatte eine Studentin das Vordach einer Bank deutlich höher eingeschätzt und einige tiefe Beulen in das Dach des Frühstücksmobils gefahren. Seit diesem Malheur schärft das Studentenwerk allen neuen Aushilfen ein, vorsichtig zu fahren. Heiko, der seit November dabei ist, hat bislang noch keine Schramme in das Auto gefahren und sich schon an den Umfang gewöhnt. Das Auto hält neben dem Rollwagen. Semmler informiert Heiko: »Es sind noch einige Körnerbrötchen da, wir brauchen aber neue Brezeln«. Zusammen räumen die drei die leeren Tabletts aus und stellen frische Salate in die Auslage und eine Karottensuppe auf die Heizspirale. Als alles sicher eingeräumt ist, setzt sich Cihan wieder auf den Beifahrersitz und Heiko lässt den Motor an. Das Frühstücksmobil fährt jetzt zur Krankenpflegeschule, Uni-Verwaltung, Bibliothek, noch einmal zur Feuerwehr, danach zur Uni-Wäscherei und zum Schluss zur Zahnklinik. Als er das Auto wendet, winkt ihnen Semmler zum Abschied: »Tschüs, gute Fahrt!«