Sinkflug gestoppt2,87 Millionen Studierende im Wintersemester 2024/25
Auch das ist eine Meldung, wenngleich keine sehr spektakuläre. Die Zahl der Studierenden in Deutschland im laufenden Wintersemester 2024/25 bewegt sich auf dem Niveau des Vorjahres. Wie das Statistische Bundesamt am Donnerstag informierte, sind aktuell 2.871.600 Personen an Deutschlands Hochschulen eingeschrieben. Das waren 3.300 oder 0,1 Prozent mehr als im Wintersemester 2023/24.
Damit sei der davor zwei Jahre lang verzeichnete Abwärtstrend „zunächst gestoppt“, heißt es in einer Medienmitteilung der Behörde mit Sitz in Wiesbaden. Nach dem bisherigen Höchststand im Wintersemester 2021/22 – damals studierten bundesweit fast 2,95 Millionen Menschen – gingen die Zahlen zweimal in Folge zurück.
Allerdings ist das letzte Wort nicht gesprochen. Die Ergebnisse sind eine vorläufige Bestandsaufnahme und könnten von der erst in Monaten vorliegenden Endabrechnung abweichen, nach oben, aber eben auch nach unten. Zum Beispiel zählten die Statistiker vor einem Jahr immerhin 3.200 mehr Hochschüler als es schließlich waren.
Studis trotzen Dauerkrise
Bei einer Fehlerkorrektur in ähnlicher Größenordnung könnte sich der Daumen durchaus wieder nach unten neigen. Dann lautet die Botschaft vielleicht doch: Der Schwund hält im dritten Jahr in Serie an. Aber das ist reine Spekulation. Und wenn es so käme, wären die Einbußen allenfalls minimal.
Auf alle Fälle bestätigen die Zahlen nicht die Sorgen vor einem möglichen Massenexodus wegen der seit 2020 anhaltenden gesellschaftlichen Dauerkrise. Trotz der Corona-Pandemie und der fast nahtlos anschließenden Preisexplosion bei Lebensmitteln, Energie und Mieten im Gefolge des Ukraine-Kriegs sind die Studierendenzahlen ausgesprochen robust.
Womöglich hätten unter günstigeren Bedingungen mehr Menschen ein Studium aufgenommen, wobei auch das eine These ins Blaue hinein ist. Andererseits: Bei all den Zumutungen, denen sich die junge Generation seit bald fünf Jahren ausgesetzt sieht, zeigen sich die Leidtragenden bemerkenswert belastbar, oder neudeutsch gesprochen, resilient. Man schlägt sich halt so durch, und womöglich werden die Zeiten irgendwann einmal auch wieder besser.
Wieder mehr Erstis
Gerade die Jüngeren, also frische Schulabgänger, zieht es wieder verstärkt an die Hochschulen. So hat die Erstsemesterzahl gegenüber dem Vorjahr um 1,3 Prozent zugelegt. Im Studienjahr 2024 (Sommersemester 2024 und Wintersemester 2024/25) nahmen demnach 488.100 Personen erstmals ein Studium auf, 6.100 mehr als im Studienjahr 2023. Damit ist die Zahl im dritten Jahr in Folge gestiegen, nachdem sie davor drei Mal rückläufig war.
Für einen Dämpfer hatte vor allem das erste Corona-Jahr 2020 gesorgt, insbesondere internationale Studierende waren den deutschen Hochschulen wegen der Gesundheitsnotlage fern geblieben. Schon 2021 gab aber wieder einen größeren Zulauf, der sich weiter dynamisierte. 2023 hat dann auch die Zahl der Studienanfänger mit einer deutschen Hochschulzugangsberechtigung zugelegt. Wie sich der Aufwuchs der Erstsemesterzahl im Studienjahr 2024 auf deutsche und ausländische Studierende verteilt, hat das Bundesamt noch nicht ermittelt.
Hinsichtlich der Verteilung auf die Hochschularten schreibt sich ein schon länger sichtbarer Trend zuungunsten der Universitäten fort. Diese und gleichrangige Hochschulen bringen es im laufenden Wintersemester mit 1.676.100 Immatrikulierten auf 0,8 Prozent weniger als ein Jahr zuvor. Bei den Fachhochschulen und Hochschulen für angewandte Wissenschaften mit insgesamt 1.100.000 Studierenden ergibt sich dagegen ein Plus von 1,5 Prozent.
Frohe Rektoren
Ausreißer nach oben und unten gibt es auch bei den sonstigen Hochschultypen. Während die Kunsthochschulen einen Anstieg von 2,2 Prozent auf 37.900 Studierende verzeichnen, schmierten die Verwaltungsfachhochschulen gegenüber dem Vorjahr um 1,9 Prozent auf 57.600 ab. Auch damit verfestigt sich eine seit Jahren erkennbare Entwicklungslinie.
Erfreut angesichts der Befunde zeigte sich am Donnerstag der Präsident der Hochschulrektorenkonferenz (HRK), Walter Rosenthal. Diese belegten, „dass die Hochschulen in politisch und wirtschaftlich unruhigen Zeiten ein Stabilitätsfaktor im deutschen Bildungssystem sind“, äußerte er in einem Pressestatement. Bund und Länder dürften daher nicht in ihrem Engagement für die Hochschulen nachlassen, nur auf Basis verlässlicher Rahmenbedingungen könnten diese „zur Bewältigung künftiger Herausforderungen und zur Sicherung des Fachkräftebedarfs beitragen“.
Mahnende Worte kamen vom Deutschen Studierendenwerk (DSW). Mit Blick auf die angespannte Wohnungssituation unter Studierenden und den Mangel an staatlichen Wohnheimplätzen müssten die Bundesländer ihre Zuschüsse zum laufenden Betrieb wie auch die Investitionszuschüsse an die Studierendenwerke „dauerhaft verlässlich erhöhen“, erklärte heute der Vorstandsvorsitzende Matthias Anbuhl. In den Landeshaushalten müssten „auch bei schwieriger Gesamtlage Prioritäten für das Bildungssystem und die soziale Infrastruktur gesetzt werden“.
Kein Verlass auf Kultusminister
Die HRK rechnet, nach einer leichten Delle bei den Neueinschreibungen bis 2027 (vgl. Rückgang der Studienanfängerzahlen in den kommenden Jahren erwartet), in der Folge mit schrittweise wachsenden Studierendenzahlen, „bis 2035 sogar deutlich über das heutige Niveau“ hinausgehend. Das entspricht der Modellrechnung der Kultusministerkonferenz (KMK), die jedoch in der Vergangenheit mit ihren Prognosen häufig danebenlag.
In der Regel haben die Kultusminister den Nachschub an Studieneinsteigern deutlich unterschätzt. Hierin liegt eine der Ursachen dafür, dass die Hochschulen seit Jahrzehnten unterfinanziert sind und pro Kopf immer weniger Geld bei den Studierenden ankommt. Bemerkbar macht sich das beispielsweise mit den ungünstigen Betreuungsquoten oder der hohen Zahl an Studienabbrechern.
Andreas Keller, stellvertretender Vorsitzender der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), sieht den Bund und die Länder in der Pflicht, „für eine nachhaltige und dynamische Finanzierung der Hochschulen zu sorgen, Studienplätze auszubauen, Studienbedingungen zu verbessern und in den Hochschulbau zu investieren“. Im Vergleich mit anderen Industriestaaten habe Deutschland in puncto Akademikerquote „noch viel Luft nach oben“, befand er am Donnerstag gegenüber Studis Online.
Im März droht Merz
Besondere Anstrengungen seien vor allem dahingehend nötig, „dass sich junge Menschen ein Studium überhaupt leisten können“, betonte der Gewerkschafter. „Das setzt eine strukturelle Erneuerung der Ausbildungsförderung, Investitionen in den Bau beziehungsweise Erwerb von Studierendenwohnheimen und das Festhalten an der Gebührenfreiheit voraus.“
Das alles ist beileibe kein Selbstläufer. Wie Studis Online am Dienstag berichtete, hat Regierungsberaterin Veronika Grimm mit ihrem Vorstoß zur Einführung allgemeiner Studiengebühren ein eigentlich totgeglaubte Diskussion wiederbelebt. Prompt erhielt sie dafür Zuspruch durch den konservativen Ring Christlich-Demokratischer Studenten (RCDS), der sich wünscht, die dem Verband nahestehende CDU würde den Punkt in ihr Bundestagswahlprogramm aufnehmen.
Im Falle einer künftigen Bundesregierung unter Führung der Union könnte der Druck, dem Bezahlstudium zu einem Rollback zu verhelfen, durchaus wieder größer werden. Keine guten Aussichten verspricht eine Kanzlerschaft von Friedrich Merz (CDU) zudem mit Blick auf einen dringend notwendigen Nachschlag bei der Bundesausbildungsförderung (BAföG). In Regie der Konservativen ist die Sozialleistung seit 2005 systematisch entwertet und der Kreis der Geförderten immer kleiner geworden.
Kein Ende der Kürzungspolitik
Die versprochene Trendumkehr blieb aber auch die scheidende Ampel schuldig. Mit zwei BAföG-Novellen (dazu ein bis dato wirkungsloser „Notfallmechanismus“) hat sie zwar in Sachen gesetzgeberischer Masse geklotzt, aber bei der Klasse gekleckert. Die Erhöhungen bei den Bedarfssätzen wiegen die Kaufkraftverluste der vergangenen Jahre nicht annähernd auf und die Zahl der Leistungsempfänger stagniert weiter auf niedrigem Level.
„Der Sinkflug bei den Studierendenzahlen ist gestoppt“, bemerkte heute Nicole Gohlke von der Bundestagsgruppe Die Linke. „Ein Grund mehr, den Sparkurs bei Hochschule und Wissenschaft und damit auch bei der Qualität von Lehre unbedingt aufzuhalten“, sagte sie Studis Online. „Die Bundesregierung hat weder ein existenzsicherndes BAföG noch eine Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes hingekriegt“. Genau das und eine ausreichende Grundfinanzierung der Hochschulen brauche es aber, um die Attraktivität der Hochschulen auch auf lange Sicht zu sichern.
Beim Blick in die Länder schwindet die Hoffnung, die Politik könnte die Zeichen der Zeit erkannt haben. Zum Beispiel drohen in Berlin und Baden-Württemberg Kürzungen in den Hochschuletats. Und das Ländle will entgegen der grün-schwarzen Ankündigung nun doch nicht die Studiengebühren für Nicht-EU-Ausländer zurücknehmen. Versprochen, gebrochen. Kennt man ja … (rw)