Massenhaft MangelStatistik zu Wohnheimplätzen für Studierende
Heidenheim an der Brenz ist keine ganz kleine Stadt. Sie zählt 50.000 Einwohner und ist zum Wohnen kein allzu teures, aber auch kein billiges Pflaster. Die Durchschnittsmiete um den Dreh von elf Euro pro Quadratmeter liegt ziemlich genau im bundesweiten Mittel, wobei die Preise seit Jahren nur eine Richtung kennen: steil nach oben.
Heidenheim hat auch eine Uni, eine von neun Zweigstellen der Dualen Hochschule Baden-Württemberg (DHBW), wo aktuell rund 2.400 junge Menschen studieren. Sie alle müssen sich mit dem großen Rest der Bevölkerung um den – wie praktisch überall in Deutschland – knappen Wohnraum rangeln. Denn eines hat Heidenheim nicht: ein öffentliches Studentenwohnheim.
Im Normalfall unterversorgt
Damit steht die Stadt nicht allein. Eine am Montag vom Deutschen Studierendenwerk (DSW) veröffentlichte Statistik führt insgesamt fast 30 solcher Fälle auf, also: Hochschule – ja, erschwingliche Studentenzimmer – nix da. Zu diesem Kreis gehören unter anderem auch: Künzelsau, Lörrach (beide Baden-Württemberg), Fürth (Bayern), Wetzlar (Hessen), Salzgitter (Niedersachsen) oder Recklinghausen in Nordrhein-Westfalen (NRW).
Heidenheim ist von allen allerdings einer von zwei „Spitzenreitern“, zeigt also mit die größten Ausfallerscheinungen bei der Relation zwischen Nachfrage und Null-Angebot. Getoppt wird dies nur noch von Ismaning, Hauptsitz der privaten Hochschule für angewandtes Management (HAM) mit über 4.500 Immatrikulierten. Weil der 15.000-Seelen-Ort an München angrenzt, das mehr als 100 öffentliche und private Wohnheime vorhält, läuft dies allerdings unter verzeihlicher Sonderfall.
In der Gesamtsicht ist die Unterversorgung hingegen der traurige Normalfall. Wie das DSW zu Wochenanfang in einer Medienmitteilung vorrechnete, gibt es derzeit „gut 237.000 staatlich geförderte Wohnheimplätze für Studierende, davon rund 195.000 bei den Studierenden- und Studentenwerken“.
Historischer Minusrekord
Zwar sind seit 2007 rund 14.000 Einheiten dazugekommen, was einem Zuwachs von etwas mehr als sechs Prozent entspricht. Im gleichen Zeitraum hat aber die Zahl der Studierenden – nur derer an staatlichen und privaten Hochschulen in staatlicher Zuständigkeit – um 32 Prozent zugenommen. Ergo schmierte die sogenannten Unterbringungsquote von 11,86 Prozent auf 9,61 Prozent ab.
Bei Berücksichtigung sämtlicher aktuell knapp 2,9 Millionen Studierender – auch aller an privaten Hochschulen, an der Fernuni Hagen, der Bundeswehrhochschule und den Verwaltungshochschulen der Länder eingeschriebenen – fiele die Quote noch schlechter aus. So oder so markiert sie einen historischen Minusrekord. Mit ganz wenigen „Ausrutschern“ geht es seit über 30 Jahren bergab. 1991 betrug der Wert fast 15 Prozent, im Jahr 2008 waren es immerhin noch 12,13 Prozent.
Auch das war bestimmt kein Ruhmesblatt, muss aber unter den damaligen gesellschaftlichen Bedingungen gesehen werden. Verglichen mit heute herrschten vor 16 Jahren in puncto Wohnen fast „paradiesische“ Zustände, weil es massenhaft preiswerte Alternativen zu den Angeboten der Wohnheime gab. Heute werden auf dem freien Markt horrende Summen aufgerufen. In Frankfurt (Main) und München kostet ein WG-Zimmer 500 Euro und mehr, eine Bude mit 30 Quadratmetern schlägt mit 700 Euro ins Kontor.
Schlafplatz gegen Beischlaf
Das kann sich ein Normalstudent schlicht nicht leisten, schon 2021 galten nahezu 38 Prozent aller Hochschüler in Deutschland als „armutsgefährdet“. Sie alle sind dringend und zwingend auf günstigen Wohnraum angewiesen, der aber immer rarer wird.
Zu Beginn des vergangenen Wintersemesters standen nach DSW-Angaben allein bei elf Studierendenwerken an hochpreisigen Standorten wie München, Köln, Frankfurt, Berlin oder Darmstadt 35.000 Bewerber auf den Wartelisten für einen Wohnheimplatz.
Wohin die Jagd nach einer Unterkunft führen kann, hat unlängst eine Umfrage unter Studierenden in Potsdam offenbart. Die Betroffenen schilderten dabei anonym zum Teil bestürzende Erlebnisse bis hin zu Offerten im Tausch gegen Sex. Zitat: „Die Suche nach einer erschwinglichen Unterkunft wirkte sich stark auf meine Studienleistungen und meine psychische Gesundheit aus. Ich hatte Selbstmordgedanken, die größtenteils darauf zurückzuführen waren.“
Das Problem: Sowohl auf dem freien Wohnungsmarkt als auch beim staatlich geförderten Wohnraum hält der Neubau nicht annähernd mit dem rasant gewachsenen Bedarf mit. Binnen weniger Jahr ist die Bevölkerung in Deutschland von 80 auf fast 85 Millionen angewachsen. Aber seit längerem würgen hohe Zinsen die Bautätigkeit ab. Eigentlich sollten nach den Plänen der Ampelregierung jährlich 400.000 neue Wohnungen entstehen. Im Vorjahr könnten es schätzungsweise weniger als 250.000 gewesen sein – Tendenz weiter fallend.
Schlusslicht Saarland
Hinter den Erfordernissen zurück bleibt seit Jahren auch der staatlich geförderte Wohnheimbau. Das DSW fordert seit einer gefühlten Ewigkeit eine Bauoffensive in der Größenordnung von mindestens 25.000 neuen Plätzen, blitzt dabei aber genauso verlässlich bei der Politik ab. Manche Bundesländer glänzen durchaus einmal als positive Ausnahme von der Regel, aber mithin wird dabei nur lange Versäumtes mühsam und unzureichend aufgeholt.
Zum Beispiel lobte der DSW-Vorstandsvorsitzende Matthias Anbuhl am Montag ausdrücklich die Länder Bayern, Berlin und NRW für ihre Anstrengungen, dem frisch aufgelegten Bund-Länder-Programm „Junges Wohnen“ Kraft zu geben, mit dem bezahlbarer Wohnraum für Studierende, Azubis und Polizeianwärter geschaffen und modernisiert werden soll. „Ein solches Engagement wünschen wir uns von allen Bundesländern“, so der DSW-Chef.
Allerdings weist besagte DSW-Auswertung „Wohnraum für Studierende. Statistische Übersicht 2023“ etwa für das reiche Bayern eine Versorgungsquote von gerade einmal 8,71 Prozent aus, für NRW von 7,81 Prozent und für die Hauptstadt Berlin von kümmerlichen 5,14 Prozent. In Regionen zwischen sieben und neun Prozent (also unter dem Mittel) bewegen sich außerdem Bremen, Hamburg, Hessen und Sachsen-Anhalt. Schlechter noch schneiden Schleswig-Holstein mit 5,88 Prozent und als Schlusslicht das Saarland mit 4,46 Prozent ab.
Westen abgehängt
Über dem Schnitt rangieren in Westdeutschland nur Rheinland-Pfalz (10,66 Prozent), Niedersachsen (10,30 Prozent) und Baden-Württemberg (14,30 Prozent). In dieser Liga befinden sich auch vier der neuen Bundesländer: Mecklenburg-Vorpommern mit 11,59 Prozent, Brandenburg mit 15,22 Prozent, Sachsen mit 15,68 Prozent und Thüringen mit 16,97 Prozent.
Bundesland | Versorgungsquote# |
---|---|
Thüringen | 16,97% |
Sachsen | 15,68% |
Brandenburg | 15,22% |
Baden-Württemberg | 14,3% |
Mecklenburg-Vorpommern | 11,59% |
Rheinland-Pfalz | 10,66% |
Niedersachsen | 10,3% |
Sachsen-Anhalt | 8,77% |
Bayern | 8,71% |
Hessen | 8,42% |
Hamburg | 7,87% |
Nordrhein-Westfalen | 7,81% |
Bremen | 7,76% |
Schleswig-Holstein | 5,88% |
Berlin | 5,14% |
Saarland | 4,46% |
Quelle: „Wohnraum für Studierende. Statistische Übersicht 2023“ # Versorgungsquote: Plätze in öffentlich geförderten Studierendenwohnheimen bezogen auf Studierende der Hochschulen, für die Studierendenwerke zuständig sind |
Die Leistungen der Länder im Osten sind beachtlich, gerade vor dem Hintergrund der finanziell ungünstigeren Rahmenbedingungen. Andererseits ist der freie Wohnungsmarkt in den ostdeutschen Studentenstädten in der Mehrzahl nicht so überhitzt wie vielerorts im Westen. Dass man gerade dort von den Notwendigkeiten bei eigentlich größerer Finanzkraft so weit abgehängt wurde, erscheint dann irgendwie typisch westdeutsch.
Aber immerhin passiert etwas und zwar überall. Insgesamt schlüsselt die Statistik 18.666 im Bau oder in Planung befindliche Wohnheimplätze auf. Ganz vorne liegen Bayern mit fast 7.000 und Baden-Württemberg mit knapp 2.800 Plätzen, gefolgt von NRW (1.997) und Hessen (1.854). Das Saarland will seinen bisher 1.030 Plätzen 298 hinzufügen. Damit wäre man dann wenigstens die rote Laterne los. Die dann wieder Berlin innehätte.
Lieber bei Mama
Und wo bleibt man bei all dem in Heidenheim? Wer flüssig ist, wird dort in einem von zwei privaten Wohnheimen fündig, eins davon das „i Live“ am Felsen. Dort gehen die Kosten bei 500 Euro warm los, im „Penthouse“ werden 635 Euro aufwärts fällig, dazu zwei Kaltmieten Kaution und 120 Euro Bearbeitungsgebühr. Motto: „Fühl Dich wie zuhause.“ Dann vielleicht doch lieber ins „Hotel Mama“, wer es sich „leisten“ kann.
Oder die Politik kommt endlich in die Puschen. „Die Studenten- und Studierendenwerke bauen, wo sie nur können“, erklärte Anbuhl. „Aber der Bedarf an bezahlbarem Wohnraum wird auf absehbare Zeit hoch bleiben. Um ihm zu begegnen, brauchen wir die tatkräftige Unterstützung des Staats.“ (rw)